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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

676–678

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Root, Bradley W.

Titel/Untertitel:

First Century Galilee. A Fresh Examination of the Sources.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XVII, 228 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 378. Kart. EUR 74,00. ISBN 9783161534898.

Rezensent:

Jürgen K. Zangenberg

Bradley W. Roots »First Century Galilee« ist die revidierte und er­weiterte Fassung der Dissertation des Autors, die unter der Leitung von D. Goodblatt entstanden und an der University of California, San Diego angenommen worden ist.
In Kapitel 1 positioniert sich R. hinsichtlich »Aims, Method, and Procedure« (1–7). Er »aims to offer a fresh evaluation of Galilee’s religious, social, political, and economic character between Herod the Great’s death in 4BCE and the death of Herod’s great-grandson, Agrippa II; towards the end of the first century« (3). R. entscheidet sich, »nine features of Galilean society« zu untersuchen, die zwar für sich jeweils durchaus plausibel, aber weder sachlich ausreichend ausführlich begründet sind noch aus der Forschungsgeschichte abgeleitet werden. Die Behauptung, »[m]ost (!) of the re­cent studies […] offer historical reconstructions without determin-ing how each of the literary sources depicts the region«, steht ohne jeglichen Beleg im Haupttext und lässt den Rezensenten doch etwas ratlos zurück. Der Satz trifft weder die Forschungslage im Jahre 2014 noch heute. R.s »fresh look« solle vor allem darin bestehen, dass die literarischen und archäologischen Probleme diskutiert werden, noch bevor die »historical interpretation« geschieht (4) . Auch dies ist nicht neu. So bleibt vieles an R.s Buch (auch Stand 2014) sehr traditionell und wenig innovativ. R. bietet uns zwar knappe terminologische Definitionen zu »Judea and Iudaea« im Sinne des von Herodes regierten Territoriums sowie zu »Toponyms« und »Synoptic Gospel Sources« (inklusive vier Zeilen zu den »standard one-letter abbreviations«, 7), doch bleiben diese oft ge­nug trivial und gehören eigentlich nicht in den Haupttext. Umgekehrt fehlt jegliche methodische Reflexion über den Begriff »Ga-liläa«, die Diskussion um Grenzen, über interne Diversität und Dynamik oder den fließenden Gebrauch des Begriffes in der Forschungsgeschichte. Weder Eric Meyers »Regionalism« der 1970er und 1980er Jahre findet eine eigenständige Diskussion, noch die Frage der Herkunft und etwaiger Bedeutungsschwankungen des Begriffs. Selbst in den Überlegungen zu »Using Josephus as a Source for Galilee« in Teil I setzt R. »Galiläa« als völlig selbstverständlich voraus, statt ihn zu diskutieren. Es war daher für den Rezensenten nicht wirklich überraschend, dass R. in seiner »Methodological Note« von wenig mehr als acht Zeilen am Ende des zweiten Kapitels (10–15) bekennt: »I was surprised to discover that Josephus’ portrayal of Galilee was usually very consistent« (15). Insofern bietet Kapitel 3 »Josephus’ Portrayal of Galilee« nur sehr wenig Neues. R. sammelt viele Fußnoten und fasst zahlreiche Beobachtungen zu den in Kapitel 1 vorgestellten Suchbegriffen »Ethnicity, Urbanization, Economy, Political Climate, Religious Ethos, Hellenization and Romanization, Participation in the Great Revolt, Jewish-Gentile Relations, Relationship between Galilee and Judaea« zusammen (16–42). Viel mehr erfahren wir aber nicht.
In Teil II stehen die Evangelien im Mittelpunkt (Kapitel 4 »The Gospel of Mark«, 44–52; Kapitel 5 »The Synoptic Sayings Source [Q]«, 53–65; Kapitel 6 »The Gospel of Matthew«, 66–74; Kapitel 7 »The Gospel of Luke«, 75–83; Kapitel 8 »The Gospel of John«, 84–91; Kapitel 9 »The Gospel of Thomas«, 92–95). Alle Teilkapitel sind wiederum gleich aufgebaut und folgen – nach einer knappen Erörterung der Einleitungsfragen zum jeweiligen Werk – dem gewohnten Suchschema der »nine features« (cf. 3). Zwar erreicht R. dadurch eine gewisse Vergleichbarkeit, diese geht aber auf Kosten des Gesamtzusammenhangs und des inhaltlichen Profils des jeweiligen Werkes. Stattdessen macht R. immer wieder darauf aufmerksam, dass der Evangelist nichts Direktes zu der einen oder anderen Kategorie beizutragen habe (z. B. 46 f.). Auch werden m. E. zu häufig bestimmte Aussagen in den Evangelien als direkter Niederschlag historischer Umstände interpretiert und nicht zunächst in die Erzählabsicht des Autors eingeordnet (z. B. 50 f.). Zusammenfassungen am Ende der jeweiligen Kapitel fehlen, wie auch am Ende des gesamten zweiten Hauptteils, so dass nicht deutlich wird, was das jeweilige untersuchte Werk zur Lösung der Grundfrage beizutragen hat.
Besonders enttäuschend war für den Rezensenten der dritte Teil des Buches, der sich mit der Archäologie befasst. Hier hätte R. durchaus eigene Akzente setzen können und Galiläa in die regionale Dynamik zwischen Syrien und Mittelmeer einzeichnen können. Stattdessen referiert er fleißig, aber oft sehr summarisch in Kapitel 10 (»Galilee’s Material Culture«, 98–111) zahlreiche Details aus der Welt der materiellen Kultur (»Population Size and Settlement Patterns«, 99–100; »Human and Animal Remains« einschließlich nicht einmal drei Zeilen zu »Pig Bones«, 100–101; »Small Finds« samt Epigraphie, 101–104; »Coins«, 104–106, »Architektur« von Synagogen über Basiliken, Theater, Marmor und Fresken, Befestigungen, Miqwaot sowie Oliven und Weinpressen, 106–112). Wie viel kann man auf sieben Seiten über derart viele derart komplexe Themen sagen? In Kapitel 11 »Interpretation of Archaeological Evidence« (112–143) wertet R. die Ergebnisse nach den Standardkategorien aus, die wiederum stark an die auf S. 3 aufgezählten »nine features« angelehnt sind. Der vierte und letzte Teil, identisch mit Kapitel 12 (146–184), zieht das Fazit – natürlich gemäß der »nine features« –, abgeschlossen mit einem knappen »Summary of Conclu-sion« (182–184). Drei kurze Anhänge zu Textfragen, eine Bibliographie (189–208) sowie Register antiker Quellen, moderner Autoren und Begriffe schließen den Band ab.
R.s recht schematische Strukturierung des komplexen Materials führt zu vielfach kurzen, oft zu knappen Kapiteln, die nicht selten weniger als eine Druckseite lang sind und eher konstatieren und inventarisieren, als dass sie genügend Raum zu differenzierten Diskussionen ließen. Die Resultate bleiben daher oft sehr traditionell. Begriffe wie »Ethnicity« oder »Gentiles« werden nicht kritisch be­leuchtet, sondern als gegeben hingenommen und fraglos verwendet. Modelle wie das einer »Galilean cultural isolation« sind allein dann »clear« (so 179), wenn man von festen Kategorien und klaren Scheidungslinien ausgeht, kulturelle Eigenheiten lediglich als trennende Unterschiede sieht und allgemeinere Einflüsse, die auf alle Bewohner der Region wirkten, außer Acht lässt. Die Hellenisierung traf eben sowohl Juden als auch Nichtjuden und formte ihre Kultur um, freilich auf unterschiedliche Weise. Zwar betont R. völlig zu Recht, dass »Hellenization (and Romanization) of Galilee was more complicated and less uniform than most scholars have previously claimed« (183), doch wird R.s Alternative aufgrund der Schematisierung und der Knappheit seiner Darstellung nicht wirklich im Zusammengang deutlich. Mag auch sein, dass die »percieved discrepancies between the depictions of the Galilee in the literary sources and the archaeological data« überschätzt (»overblown«) sind, das Bild eines »prosperous or even idyllic« Galiläas lässt sich dadurch aber noch nicht entwerfen (183). Die Dynamik einer sich transformierenden Gesellschaft, mag sie jüdisch oder nichtjüdisch sein, geht durch R.s starre, vielleicht dem Genre Dissertation ge­schuldete oder dem Wunsch R.s nach Klarheit und Ordnung entsprungene Kategorisierung verloren.