Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

674–676

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Klöckener, Monnica

Titel/Untertitel:

Die Frau am Jakobsbrunnen in altkirchlicher Johannesexegese. Erkenntnis, Pädagogik und Spiritualität bei Origenes, Johannes Chrysostomos und Augustinus.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2021. 322 S. = Adamantiana, 19. Geb. EUR 58,00. ISBN 9783402137475.

Rezensent:

Sarah-Magdalena Kingreen

Die bei Franz Dünzl begonnene und von Alfons Fürst in Münster betreute Dissertation von Monnica Klöckener, die 2021 mit dem Ar­min Schmitt-Preis für biblische Textforschung ausgezeichnet wurde, widmet sich drei spätantiken Auslegungen von Joh 4,1–42. K. stellt mit der Perikope aus dem Johannesevangelium einen Text in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung, der nicht nur von einer Be­gegnung zwischen einer samaritanischen Frau und Jesus zeugt, sondern in der Auslegung der spätantiken Theologen paradigmatisch als eine Begegnung zwischen Gott und Mensch verstanden wurde. Für ihre vergleichende Analyse wählt K. die drei ältesten (von »fünf großen«, 18) Auslegungen aus, welche in zeitlicher und lokaler Perspektive, mit Blick auf die Gattung sowie die exegetische Methodik, »die Breite der altkirchlichen Exegese ab[decken]« (19) – nämlich den Johanneskommentar des Origenes, die Johanneshomilien von Johannes Chrysostomos sowie die Johannestraktate von Augustin.
In ihrer Begründung für ihre Themenwahl argumentiert K., dass »für viele Theologen der Alten Kirche […] verschlüsseltes Re­den, das übertragene Deutungen erforderlich machte, deshalb unumgänglich [war], um sich d[…]em höheren Geheimnis zu nä­hern« (23); zur Entschlüsselung des christlichen Textes wurde methodisch die »geistige Exegese« (23) angewendet. In ihrer Einleitung referiert K. in diesem Kontext einen kurzen Forschungsüberblick zur Bibelauslegung im Antiken Christentum und spricht sich gegen eine scharfe Trennung zwischen einer »antiochenischen« und einer »alexandrinischen Schule« aus, wenngleich auch ihre Untersuchung zeigt, dass zwei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in den Auslegungstraditionen sichtbar werden (25 f.). Sie verortet die Schriftauslegung als einen wichtigen Teil im Leben antiker Theologen, indem durch die »geistige Übung« Anforderungen an das eigene ethische Handeln gestellt wurden und umgekehrt; »es handelt sich bei Exegese und christlichem Leben also um eine kreisförmige Einheit von Theorie und Praxis« (29). Zudem diskutiert K. das antike Schriftverständnis der drei Theologen, das sie als »adressatengerecht[e]« »Anleitung zu einem christlichen Leben« (29) versteht.
Im Folgenden wendet K. sich den drei Theologen und ihrer jeweiligen Auslegung der Perikope zu; dies macht den Hauptteil der Arbeit aus. Um die inhaltlichen sowie methodischen Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den drei Autoren in der Auslegung der johanneischen Perikope herausarbeiten zu können, verortet sie zunächst treffend das jeweilige Werk in der Biographie des Autors, um dann die genannte Perikope in einer kommentierenden Auslegung zu erschließen und anschließend die Schwerpunkte der einzelnen Auslegungen – in inhaltlicher sowie formaler Hinsicht – zu summieren.
In ihrer Einzelauslegung arbeitet K. detailliert das je eigene Verständnis der Autoren dieser Perikope heraus. Origenes, der in einer Auftragsarbeit des Ambrosius die Johannesauslegung des Gnos-tikers Heracleon kommentiert, betont, so zeigt K. auf, das verändernde Potential der christlichen, »heilbringenden« (130) Erkenntnis; paradigmatisch schildere die Perikope einen Erkenntnisprozess aufgrund der Begegnung mit dem Wort Gottes, an dessen Ende die samaritanische Frau, die häretische Gedanken sinnbildlich darstelle, ihr Leben ändere: »Sobald die Frau erkannt hat, dass Jesus der Messias ist, lässt sie den Krug (d. h. die falschen Lehren) zurück und verkündet Christus in der Stadt« (125). Johannes Chrysostomos hingegen legt in seinen Johanneshomilien Joh 31–35 die genannte Perikope aus. Seinen Fokus analysiert K. als paränetisch und pädagogisch (191). Die Samaritanerin, die »unter schlechten Bedingungen lernbegierig« (200) ist, wird zu einem Vorbild für seine Gemeindeglieder. Und auch Augustin wendet sich im liturgischen Kontext der Auslegung von Joh 4 zu (in Ioh. tract. 15). K. zeigt auf, wie sehr Augustin dabei das Individuum in seiner Beziehung zu Gott, vermittelt im Wirken Christi, im Blick hat. Beispielsweise interpretiere Augustin das Schöpfen des Brunnenwassers als Bild für das innere Erleben des Individuums. »Das Wasser im Brunnen steht für die Lust der Welt in finsterer Tiefe, woraus die Menschen mit dem Krug der Begierden schöpfen.« (255) Allein Jesu »Wasser« vermag die menschliche Begierde nachhaltig zu stillen.
Im Ganzen erarbeitet K. anhand des Vergleichs der drei Auslegungen der johanneischen Perikope der Samaritanerin am Jakobsbrunnen nicht nur ein detailliertes Verständnis dieser Perikope bei drei – biographisch sehr verschieden geprägten – spätantiken Autoren. In ihrem Fazit formuliert sie auch neben der Zusammenführung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der drei Perspektiven Erklärungshypothesen der jeweiligen exegetischen Texte.
K. hat in ihrer Untersuchung nicht nur eindrucksvoll gezeigt, wie alle Autoren durch ihre eigene Biographie und situativen Anforderungen geprägt sind, was in der je individuellen Auslegung von Joh 4 mit je spezifischer Schwerpunktsetzung sichtbar wird, sondern auch dass alle drei Autoren adressatenorientiert und gattungsspezifisch in ihrer Auslegung den biblischen Text »aktualisieren« (267). Während Origenes im philosophischen Diskurs stehe und eher »die tiefere Dimension des Bibeltexts« (267) erschließe, fokussiere Chrysostomos stärker auf ethische Aspekte mit Blick auf konkrete Handlungsvorstellungen seiner Gemeindeglieder, für die die Samaritanerin zu einem Vorbild werden soll, und Augustin betone die existentielle Dimension des einzelnen Gläubigen und »verlangt von seinen Hörern eine tiefe Spiritualität« (268).
Abschließend verortet sie die Auslegungen dieser Perikope in der Auslegungsgeschichte antiker Bibelhermeneutik; hier kann K. auf ihre Einleitung rekurrieren und mit den dargelegten Analysen die Vielfalt der exegetischen Hermeneutik belegen.
Den Band schließen eine Bibliographie und Register ab. Noch zu erwähnen ist die sehr ansprechende Aufbereitung des Buches, nicht nur mit einem Abbild Origenes’ auf dem Umschlag, sondern auch einem Farbabdruck des – für Besucher nicht einfach zugänglichen – Freskos in der Katakombe unter der Via Latina aus dem 4. Jh., das Jesus und die Samaritanerin am Jakobsbrunnen zeigt. Dass die vergleichende Perspektive der exegetischen Auslegung der johanneischen Perikope durch eine kunstgeschichtliche, »nicht-textliche Interpretation in der christlichen bildenden Kunst« (20) der Spätantike einer weiteren Untersuchung bedarf, weist K. nach, wenn sie die eindrücklichen, frühchristlichen erhaltenen Darstellungen dieser Perikope aufführt (20–22), ohne auf diese und deren Bedeutung in diesem Kontext näherhin eingehen zu können.