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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

663–666

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bachmann, Judith

Titel/Untertitel:

Hexerei in Nigeria zwischen Christentum, Islam und traditionellen Praktiken. Globale Verflechtungen und lokale Positionierungen bei den Yoruba.

Verlag:

Baden-Baden: Nomos Verlag 2021. 496 S. = Bayreuther Studien zu Politik und Gesellschaft in Afrika, 8. Kart. EUR 99,00. ISBN 9783848780341.

Rezensent:

Heinrich Balz

Wissen über Hexerei ist gefährlich, auch wenn es distanzierte, objektive Wissenschaft ist: Das gilt in Afrika noch heute und ist eines der Probleme, auf welches die Heidelberger religionswissenschaftliche Dissertation von Judith Bachmann stößt. Wer zu viel davon versteht, ist verdächtig und bringt, wo nicht sich selber, dann die von ihr Erforschten in Gefahr. Sie warnt darum auf den letzten Seiten ihre Leser davor, ihre Erkenntnisse als »Verfolgungswissen« zu missbrauchen. Das Problem einer Rezension ist eher, die schwierige Sprache ihrer Ausführungen angemessen und doch für Leser der Theologischen Literaturzeitung verständlich zu machen.
Eine andere methodische Schwierigkeit, die sich im Titel der Untersuchung andeutet, ist das Verhältnis von globaler Perspektive und lokal begrenzter Feldforschung zur Hexerei in Nigeria: Diese wurde in einem Teil der Millionenstadt Ibadan im Südwesten Nigerias 2015 bis 2017 durchgeführt, der überwiegend von Yoruba be­wohnt ist, etwa gleich viel Christen und Muslimen. Andere ethnische Gruppen Nigerias wurden nicht befragt. Den Ansatz ihrer Forschung nennt B. mit Verweis auf M. Foucault »genealogisch«, nicht historisch nach Ursprüngen suchend, sondern aus den in den Interviews erkennbaren, sich voneinander abgrenzenden Positionierungen nach Hexerei heute fragend. Historische Kapitel zur Yoruba-Religionsgeschichte und zur Geschichte der Yoruba-Hexerei schließen sich an und bilden die erste Hälfte der Untersuchung »Globalgeschichtliche Verflechtungen von Yoruba-Hexerei« (53–262). Dieser Teil ist den Ergebnissen der Feldforschung in Teil 2 vorangestellt um der Lesbarkeit willen, obwohl diese der »zentrale Ausgangspunkt« der Untersuchung sind (43), zugleich aber aus dem tieferen Grund, dass alle bisherige Forschung zu afrikanischer Hexerei die globale Perspektive, ohne welche afrikanische Hexerei heute nicht mehr verstanden werden kann, vernachlässigt hat.
Das Einleitungskapitel rechnet kritisch ab mit bisherigen Forschungsansätzen, die Hexerei in Afrika nur historisch vergleichend und nicht als Gegenwart, als Teil der »afrikanischen Mo-derne« angehen. Einen besseren Weg weisen P. Geschiere 1997 für Kamerun und B. Meyer 1999 für Ghana. Es geht darum, wie die be-stehenden indigenen Praktiken mit den übernommenen Großreligionen Christentum und Islam interagieren und in deren »Dämonologien« eingefügt werden. Es folgt in Kapitel 2 die »Yoruba Religionsgeschichte« seit den Anfängen der christlichen Mission in den f rühen »Positionierungen«, zu erschließen aus den Aufzeichnungen einheimischer Mitarbeiter der Mission. Da es ältere schriftliche Quellen nicht gibt, wäre für B. unter Berufung auf J. D. Peel 2003 alle vormissionarische und vorkoloniale Religionsgeschichte bloße »Spekulation«. Die Gelehrten der Universität Ibadan, die selber Yoruba sind, würden diesen Schnitt wohl nicht so radikal machen. Den großen Massenbewegungen hin zum Christentum 1920–1950 folgte mit der politischen Unabhängigkeit Nigerias 1960 ein be­wegtes politisches »Vakuum« und eine »Traditionalisierung« bei den Gebildeten und in studentischen Bewegungen. Islam und erwecklich pfingstliches Christentum grenzten sich in den folgenden Jahrzehnten scharf ab von allem Okkulten, auch in den alten Heilpraktiken.
Kapitel 3 befasst sich genauer mit der Geschichte der Yoruba-Hexerei und sieht deren Wandel wesentlich von der politischen Geschichte Nigerias geprägt. Den Einwirkungen von Religionswissenschaft und Ethnologie auf die koloniale Rechtsordnung bis 1910 folgte in der spätkolonialen Phase 1920–1950 die Abwehr durch die Hexenjagden besonders der Alatinga-Bewegung. In der frühen Un­abhängigkeitsphase kamen zur europäischen Forschung die ersten afrikanischen Stimmen aus Yorubaland zur Erforschung der Hexerei hinzu, von der neuen Universität in Ibadan insbesondere J. A. Omoyajowo und O. Olokunle, beider Deutung und kritische Einordnung der Hexerei werden von B. lebhaft und eingehend referiert, ebenso die sich wandelnde Deutung der Rolle der Frauen im Hexenwesen. Die jüngste Entwicklung in Nigeria bis zur Gegenwart bestimmen einerseits Nationalismus und Militärdiktatur, andererseits die neu hinzukommenden Verbindungen mit New Age, Wicca und anderen neureligiösen Aufwertungen in England, Amerika und auch in Nigeria: Nun wird es in B.s Deutung wirklich »global«, und dies so wesenhaft, dass auch die Hexerei in Yorubaland nicht mehr zu verstehen ist ohne den weltweiten Zusammenhang.
Als zweiter Hauptteil folgen auf 170 Seiten »Lokale Abgrenzungen von Hexerei in Ibadan zu Beginn des 21. Jahrhunderts«, der eigentliche Ausgangspunkt der ganzen Untersuchung. Zuerst noch einmal als Übergang die »Öffentlichkeit der Hexerei«, in den überregionalen Medien Nigerias, die Konflikte und Konfrontationen, wie sie in die Zeitungen eingehen, Schadensfälle und Schutz vor Hexerei, der sich organisiert in der »Witches and wizards association of Nigeria«. Konkreter und anschaulicher wird dann die lokale Öffentlichkeit der Hexerei in Ibadan: Eine Fülle gründlicher und gut dokumentierter Interviews mit Verdächtigten, mit Heilern und Predigern vervollständigt das Bild und lädt Leser, die mögliche eigene, auch langjährige Begegnungen mit gefürchteten Personen in Afrika haben, zu möglichen alternativen Deutungen des angebrachten Materials ein. Ein sechstes und letztes Kapitel erörtert die Zuschreibung von Hexerei überwiegend auf Frauen: Á ist in der Yoruba-Sprache und -Kultur eine Bezeichnung nur weiblicher Praktiken. Dies wird auch von Yoruba-Frauen nicht allgemein bestritten, sondern nur jeweils für die eigene Person. Nur in Pfingst- und Aladura-Kirchen können Frauen in höhere Ge­meindeämter aufsteigen, bleiben aber auch dort gefährdeter als Männer. Dass Frauen im afrikanischen Patriarchat stärker unterdrückt seien als ihre europäischen Schwestern, lehnt B. ab, ebenso die generelle Ablehnung von Religion im Zuge europäisch feminis-tischer Emanzipation.
B. eröffnet der Hexerei-Debatte in der empirischen Feldforschung neue Horizonte und Fragestellungen, das ist zu begrüßen. Sie bringt auf Gedanken, die Lektüre ist allen mit dem Thema Befassten zu empfehlen. Das kann aber nicht das letzte Wort sein. Sie bricht auch Forschungstraditionen ab, die nicht abgebrochen werden sollten; eindrücklich so in ihrer Absage an G. Parrinder, der in spätkolonialer Zeit 1957 von den globalen Verflechtungen europäischen und afrikanischen Hexenwesens vergleichend gehandelt hatte unter der Beobachtung, dass in Europa der Hexenglaube im 18. Jh. überwunden worden sei, in Afrika aber, insofern er wesentlich superstition, Aberglaube sei und trotz aller seiner Praktiken ohne Anhalt in der Wirklichkeit, noch überwunden werden müsse. B. widerspricht dem: Was in unserer Zeit in England mit M. Murray, G. B. Gardner und Wicca neu wieder aufkomme, sei mitnichten »rückständig«, der Sieg darüber in Europa sei »mystifiziert« (193 f.). Das mag sein – aber die Aufklärung geht auch global und nachkolonial weiter, mit Vernunft und Glauben, auch in Westafrika, und Hexerei ist nicht das, was Europa vom modernen Afrika heute vorrangig lernen sollte.