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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

629–630

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wrogemann, Henning

Titel/Untertitel:

Christian Witness in a GlobalizedWorld. Meeting the Challenges of Religious Plurality, Secularity and Interculturality.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2021. 165 S. = Beiträge zur Missionswissenschaft/Interkulturellen Theologie, 50. Kart. EUR 29,90. ISBN 9783643913449.

Rezensent:

Tobias Schuckert

Dieses Buch ist ein Plädoyer für die Begegnung von Chris­ten mit Glaubenden anderer Religionen, mit einem ökumenisch-doxologischen Missionsverständnis. Dabei untermauert Henning Wrogemann seine Aussagen durchgängig anhand zweier theologischer Leitmotive. Das eine Motiv ist das der Liebe Gottes, die Menschen in Christus begegnet: »a bodily-concrete event in which God allows himself to be impacted by the suffering and guilt of the world« (33). Zum anderen bezieht sich W. auf Passagen aus dem 2. Korintherbrief, vorrangig auf den Schlüsseltext (102) aus Kapitel 3,17–18. Unter diesen Vorzeichen entfaltet W. sein Missionsverständnis in zwei Teilen, unterteilt in neun Kapiteln. Die in sich abgeschlossenen Artikel können einzeln für sich gelesen werden.
Im ersten Kapitel »Theology of Interreligious Relations« dis-kutiert W. verschiedene Ansätze des interreligiösen Dialogs. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass für den christlichen Dialog die »Selbstenthobenheit« eine bedeutende Haltung für den interreligiösen Dialog ist (20). Mit dieser Haltung könnten Christen anderen Religionen wertschätzend begegnen, ohne diese gleichzeitig theologisch anzuerkennen (22). Im zweiten Kapitel wird die Liebe Christi als Fundament für das Glaubenszeugnis gegenüber Mus-limen hin dargestellt. Nach einer vergleichenden Studie zum Thema Liebe im Qur’an und im Neuen Testament kommt W. zum Schluss, dass in beiden Quellen ein kategorialer Unterschied vorzufinden i st. Im Anschluss daran werden drei Konzepte der Begegnung zwischen Muslimen und Christen (Nachbarschaftlichkeit, Weggemeinschaft und Gastfreundschaft) vorgestellt und gewürdigt. Dabei sieht W. Christen aufgerufen, sich in Begegnungen an der Liebe Gottes (wie sie im Christusgeschehen erkennbar werde) zu orientieren, was für sie gerade nicht bedeute, im Blick auf das muslimische bzw. christliche Gottesbild von demselben Gott zu sprechen. In trinitarischer Perspektive können Christen im Ge­spräch deutlich machen, dass beide zwar (je für sich) daran glauben, dass Gott »einer« sei, was angesichts der Verschiedenheit der Gottesbilder aber nicht bedeute, dass beide von »demselben« Gott sprechen (39).
Das dritte Kapitel »Where is Jerusalem?« greift diese Voraus-setzungen auf und wendet sie auf einen aktuellen Konflikt interreligiöser Begegnung an. Bevor W. seine eigene Missionstheologie in Kapitel 5 entfaltet, werden verschiedene missionstheologische Konzepte besprochen. Bemerkenswert ist dabei die Bandbreite der theologischen Hintergründe. Von römisch-katholischen Vertretern bis pentekostalen Ansätzen werden die verschiedenen christlichen Konfessionen beachtet. Das entscheidende Kapitel des Buches stellt die Frage nach dem »Verborgenen oder geoffenbarten Gott«. Darin macht W. ausgehend von einer Neuinterpretation des filioque die Unterscheidung zwischen »wohltuendem« (beatific) und »heilsbringendem« (salvific) Handeln Gottes. (87) Ersteres sei sehr wohl in nicht-christlichen Religionen vorhanden, Heil ist jedoch ausschließlich im Namen Jesu Christ zu finden. Diese Un­terscheidung, bei der Gottes unverfügbares Handeln ernst genommen wird, macht die christliche Begegnung mit anderen Religionen möglich, ohne dabei in eine relativistische Beliebigkeit zu verfallen.
Der zweite Teil des Werkes stellt sich der Frage nach dem christlichen Zeugnis im Kontext von Säkularisierung und Interkulturalität. Diesen Teil beginnt W. mit dem sechsten Kapitel, worin die Bedeutung des doxologischen Missionsverständnisses für Kirche mitten in säkularen Kontexten vorgestellt wird. Mission wird hier als die Verherrlichung Gottes in verschiedenen kirchlichen Handlungsfeldern begriffen. Gott wird im Dank der Gemeinde verherrlicht. Auch wenn dieser nicht als missionarische Handlung gedeutet wird, so ist der Dank »a powerful force of mission« (103). Im Dank wird Gottes Herrlichkeit zeugnishaft verkündet. Der Hinweis auf die Herrlichkeit Gottes zeigt ferner die politische Dimension dieser Missionstheologie. Im Lichte der Herrlichkeit Gottes relativiert sich Kraft und Einfluss aller weltlichen Machthaber (111). Dies wiederum hat Auswirkungen auf Leben und Handeln der Kirche. Gerade für die Kirche in Europa, die mit Mitgliederschwund und Rückgang des gesellschaftlichen Einflusses zu kämpfen hat, befreit der Fokus auf die Herrlichkeit Gottes aus einer Atmosphäre der De­pression und Furcht hinsichtlich der Zukunft. Diese Haltung sei von Kirchen zu lernen, die jahrzehntelang unterdrückt wurden, geistlich jedoch im Fokus auf Gottes Liebe und Herrlichkeit dies überwinden konnten (110).
Das darauffolgende siebente Kapitel überrascht westlich ge­prägte Leser. In »Demons and deliverance as a challenge to Intercultural Theology« werden diese Themen von verschiedenen Blickwinkeln aus beleuchtet. Es brauche einen konziliaren Prozess, in dem Christen aus verschiedenen kulturellen Hintergründen ge­meinsam Antworten er­arbeiten. Nur so können die globalen gesellschaftlichen Probleme der Zukunft angegangen werden (132) Das vorletzte Kapitel stellt sich der Globalisierung und deren Bedeutung für die Zukunft der Mission. Darin fordert W. angesichts der Fülle globaler Herausforderungen eine »anpassungsfähige Theo-logie der Mission« (135), die Christen befähigt, konstruktive Bei-träge gemeinsam mit Glaubenden anderer Religionsformationen zu leisten. Dafür schlägt W. das doxologische Missionsverständnis vor, das er auch in anderen Werken erläutert hat. Danach ist »Mission im Lob Gottes gegründet. Durch dieses Lob erfahren Menschen spürbar die Macht Gottes. Mission zielt darum darauf ab, dass Geschöpfe transparent werden für den Sinn ihrer Existenz, nämlich als erlöste Geschöpfe Gott zu preisen und an der Verherrlichung Gottes teilzuhaben.« (135)
Abschließend wird in einem kurzen Kapitel »Religious Truth Claims and Pluralism« erläutert, wie eine christliche Toleranz auf der Basis eines christ-lichen Wahrheitsanspruchs gelebt werden kann. Erneut ist die göttliche Liebe, die den Menschen gefunden hat, bevor er sich ihm zugewandt hat, Schlüsselmotiv für den Dialog (155).
Mit dem ökumenisch-doxologischen Verständnis von interreligiöser Begegnung und Mission wird den Lesern und Leserinnen ein Ansatz vorgestellt, der das biblische Zeugnis von Jesus Christus ernst nimmt und Kirche in einer pluralen Gesellschaft wie auch in der Märtyrersituation sprachfähig macht. Manche der diskutierten Themen lassen sich in älteren Werken W.s auch schon auf Deutsch finden. Das belegen die vielen Referenzen in den Fußnoten auf eigene Werke. Dieser Beitrag ist jedoch auch für Kirche in einer Minderheits- und Pluralitätssituation außerhalb Deutschlands relevant. Gerade darum ist es wichtig, dass dieses Buch in Englisch erschienen ist, es ist ihm eine entsprechende internationale Verbreitung zu wünschen.