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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

625–627

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Grant, Paul Glen

Titel/Untertitel:

Healing and Power in Ghana. Early Indigenous Expressions of Christianity.

Verlag:

Waco: Baylor University Press 2020. XIV, 327 S. m. 6 Abb. u. 10 Ktn. = Studies in World Christianity. Geb. US$ 59,99. ISBN 9781481312677.

Rezensent:

Gerhard Wegner

Die Studie von Paul Glen Grant untersucht das Wirken von Missionaren der Basler Mission zwischen 1820 und 1914 in den Königreichen Akuapem und Akyem Abuakwa im heutigen Ghana, damals Goldküste. Im Zentrum steht die Zeit von etwa 1840 bis 1875, in der es zu einer ersten Blüte des Christentums kam. Die Studie basiert auf Recherchen, die G. für eine Dissertation bei Rudy Koshar (Universität Wisconsin-Madison) vor allem in den Basler Archiven und in Ghana selbst (Akrofi-Christaller-Institute in Akropong) unternommen hat. Ihr Ausgangspunkt liegt beim bis heute wichtigen jährlichen Odwira Festival, einer faszinierenden Fusion von traditionellen afrikanischen und christlichen Elementen. Es verkörpert, was das ganze Buch detailliert belegt: dass es in den Jahren vor der englischen Kolonisation die Afrikaner waren, die auf der Suche nach Heilung, Zugehörigkeit und spirituellen Kräften eine neue, eigene Form des Christentums schufen, indem sie es mit ihren religiösen Formen verbanden und genau dafür die Missionare nutzten. Bei diesen handelte es sich um pietistische Christen aus ländlichen Kontexten, die »strange people at home before they left« (123) waren und dies auch in Afrika blieben – und sich gerade deswegen einer wirklichen Begegnung nicht verschlossen.
Letztlich entscheidend war die Begegnung auf Augenhöhe (sehr schöne Formulierung: »the pedestrian equality of interactions«) die sich einige Jahrzehnte lang einstellte, obwohl sich tatsächlich vieles in der Aneignung des Christentums unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle der Missionare vollzog: eine »Aneignung im Widerstand« (Peter Weiss) im Interesse der sozialen Integrität des Königreichs und seines Wohlstands, orientiert an empirischen und pragmatischen Kriterien. Im Zuge der späteren britischen Kolonisation und der dann erfolgenden Übernahme von staatlichen (»zivilisatorischen«) Aufgaben durch der Missionare (bis hin zu militärischem Beistand) erlahmte die Dynamik dieses indigenen Christentums, um dann mit umso mehr Macht in den 1920er Jahren und vollends nach der Unabhängigkeit Ghanas in Form von Pfingstkirchen durchzubrechen. Weit entfernt davon, ein entfremdender Import aus den USA oder anderswo zu sein, stellen sie folglich ein authentisches afrikanisches Christentum dar. Die herkömmliche eurozentrische Sicht auf das afrikanische Christentum wird folglich von G. auf den Kopf gestellt: »If most Ghanaians would eventually become Christians they did so not because of European legacy, but despite it.« (119) Die Ghanaer übernahmen das Christentum, ohne ihre eigenen Traditionen und moralischen Vorstellungen zu verleugnen: »The locals accepted the message on very different terms than the missionaries had articulated.« (53)
Der Band ist sehr übersichtlich in Einleitung, Schlussfolgerungen und sieben Kapitel gegliedert, die im Großen und Ganzen der historischen Entwicklung im 19. und 20. Jh. folgen. Die ersten beiden Kapitel entfalten die Sehnsüchte und Nöte der Menschen an der Goldküste in der vorkolonialen Zeit im Kontext alter sozialer und kultureller Werte, in denen allerdings der »indigenous ritual toolkit« nicht mehr die neuerwachsenen sozialen Spannungen be­wältigen konnte. Das Christentum konnte von daher interessant werden. Diese fremde Religion, wie sie mit der Ankunft der Basler Missionare um 1820 ins Binnenland kam, wird dann in Kapitel 3 und 4 vorgestellt. Sie unterschied sich deutlich von dem für die Afrikaner irrelevanten imperialen Christentum, das in den Sklavenforts an der Küste gelebt wurde: »Satans Strongholds«. Und die Deutschen vertraten vor der britischen (und dann auch deutschen) Kolonialzeit »neither the conviction nor the explicit message of European supremacy« (16). Stattdessen entwickelten sich geradezu experimentelle Versuche der Begegnung mit spirituellen Kräften. Die zentralen Kapitel 5–7 fokussieren dann den Zeitraum 1842–1874, in dem es zu durchaus paradoxen Formen der Annäherung kommt. Die Afrikaner erwarten von den Missionaren ähnliche rituelle Dienste wie von ihren »shrine priests«, während Letztere jene aber zunächst für Scharlatane halten. Der »point of take off« setzt dann mit der Übersetzung der Bibel in Twi ein (vollendet 1872), die »effectively stripped the missionaries of hermeneutical control over the message […] The Germans read in their Bibles a call to self-effacement, of death to self and of duty, while their Ghanain fellow laborers saw words of power and healing.« (17) Die Folge waren Machtkämpfe zwischen Christen und feindlichen Schreinen, mittels übernatürlicher Machtdemonstrationen, bis hin zur Totenerweckung eines Kindes – wovon allerdings die Missionare wenig Kenntnis nahmen, was nicht zuletzt mit Krankheiten und einer hohen Sterberate unter ihnen zu tun hatte. Später dann wanderten diese afrikanischen spirituellen Machterfahrungen hinter die »missionaries gaze«, bis es ab 1920 zur Gründung von African Independent Churches kam. Der Bruch hatte mit der Durchsetzung der britischen Kolonialherrschaft eingesetzt, deren »Vorzüge« sich dann auch die Deutschen bedienten, was in Basel das Interesse weckte, die Kontrolle über die religiösen Entwicklungen zu ge-winnen.
Am Ende des Buches wird die »profoundly transnational« christliche moral vision deutlich, die G. begeisternd beschreibt. African Christianity sei eben nicht irreducible colonial – die Kolonialzeit sei in dieser Hinsicht nur ein interlude gewesen; wenn auch natürlich ein zutiefst tragisches. Aber die Ghanaer versuchten immer wieder das Christentum für ihre Probleme und Prioritäten zu nutzen – nicht selten gegen die Vorstellungen der Missionare. Sie wollten sie nicht vertreiben, sondern sie für die gemeinsame Entwicklung eines neuen Christentums gewinnen (4). »Accepting the message on rather different terms than it was offered, they came to view Christianity as a vehicle for defeating the oppressive powers of the world, healing the sick, and casting out possessive spirits.« (25) Ein »ethnischer Patrotismus« wie z. B. in Kenya stand nicht auf der Tagesordnung. Man entdeckte, dass die Botschaft viel mehr Kraft enthielt, als die europäischen Boten begriffen hatten, wofür insbesondere die Übersetzung der Bibel von Bedeutung war: Der höchs-te traditionelle Gott, Onyame, war nun mit Jahwe identifiziert. Schließlich kulminierte dieses Bestreben im heutigen Pentekostelismus: »Long before the formal, institutional arrival of a form of christianity now termed Pentecostal, Ghanaian men und women were already imposing Pentecostal-like demands on the mission-ary Christianity they had on hand.« (5)
G.s Fazit: »Rather, the deeper I have looked into the personal motivations and changed minds in cross-cultural dialogue, the more I have realized that something profoundly transnational had developed here, in which race and tribe, and tongue, and nation, and class, and disability lost so much of their power to divide, even as new and perhaps equally divisive denominators of loyalty and belonging took their place.« (21) G. zieht schließlich die Linien bis hin zu Blumhardt und der Gottliebin Dittus. Man könnte sie von dort noch weiter zum religiösen Sozialismus und schließlich zum Social Gospel ziehen. Es begann in Afrika.