Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

621–623

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kopp, Stefan, u. Benedikt Kranemann [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Gottesdienst und Kirchenbilder. Theologische Neuakzentuierungen.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2021. 352 S. = Quaestiones disputatae, 313. Kart. EUR 48,00. ISBN 9783451023132.

Rezensent:

Stefan Schweyer

Der Sammelband dokumentiert einen hauptsächlich inner-rö­misch-katholisch geführten Diskurs um die Wechselwirkungen von Liturgie- und Kirchenreform, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Debatte um die Verteilung und Inszenierung von Macht zur Eindämmung des Machtmissbrauchs. Die Rezension erfolgt durch einen evangelisch-freikirchlichen Praktischen Theologen und zielt eher auf die wertschätzende Außenwahrnehmung der großen Konturen als auf eine detaillierte Nachzeichnung und Würdigung der differenzierten Verästelungen des römisch-katholischen Diskurses.
Zunächst zum Inhalt der Publikation: Der Band vereint durchgängig lesenswerte, erhellende und zum Weiterdenken anregende Beiträge zum Verhältnis von Liturgie und Kirchenbild aus unterschiedlichen Blickwinkeln der Theologie und der pastoralen Praxis. Nach einer grundsätzlichen Einführung der Herausgeber zu Liturgie als praktischer Ekklesiologie (7–16) folgt eine theologiegeschichtliche Revue vom Neuen Testament (Thomas Söding, 37–56) über den donatistischen Streit (Christian Rentsch, 37–56) und weitere theologiegeschichtlich bedeutsame Positionen (Klaus Unterburger, 57–83) bis hin zum frühen 21. Jahrhundert (Birgit Jeggle-Merz, 84–107). Es folgen systematisch-theologische Erwägungen zu Participatio (Winfried Haunerland, 108–127) sowie zur liturgischen Reproduktion der Kirche (Michael Seewald, 128–143). Eine evangelische Perspektive verweist auf die Kirche als creatura verbi (Alexander Deeg, 164–190). Liturgiewissenschaftliche und pastorale Perspektiven zu unterschiedlichen Phänomenen vermitteln ein vielfältiges liturgisches Leben. Thematisiert werden interreligiöse Feiern (Klaus von Stosch, 144–163), ökumenische Gottesdienste (Stefan Kopp, 191–212), alternative Liturgien (Benedikt Kranemann, 213–233), Tagzeitenliturgien (234–260), Wort-Gottes-Feiern (Stephan Winter, 261–286), Kirchenbauten (Albert Gerhards, 287–305) sowie die Wahrnehmung pastoraler Identitäten und ekklesiologischer Visionen bei jungen Seelsorgenden (Christoph Jacobs und Kathrin Oel, 306–333). In einem abschließenden Beitrag werden Spannungen benannt und Perspektiven eröffnet (Julia Knop, 334–346).
Aus der Metaperspektive über den gesamten Band lässt sich folgender Gedankengang rekonstruieren: Der Diskurs beruht wesentlich auf den Voraussetzungen, dass Gottesdienst und Kirchenverständnis wechselseitig aufeinander bezogen sind und dass sowohl theologische Weichenstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils als auch die gegenwärtige gesellschaftliche Lage nach einer Transformation der römisch-katholischen Kirche rufen. Daraus lässt sich schließen, dass eine Änderung nur des Kirchenverständnisses oder nur der Liturgie nicht möglich ist und dass daher Transformationsprozesse gleichermaßen die Sozialgestalt der Kirche auch die Feierform der Liturgie betreffen. Aufgrund dieser engen Wechselwirkung zwischen Liturgiereform und Kirchenreform scheint es erforderlich zu sein, dass beide von einer gemeinsamen Vision getragen sind und dass diese Vision sowohl theologisch begründet als auch kontextuell relevant ist.
Als gemeinsamer Fluchtpunkt einer solchen Vision wird in diesem Band »die Gemeinde« als konkrete gelebte Gemeinschaft der Gläubigen, die gemeinsam Kirche sind und Liturgie feiern, erkennbar (z. B. bei Jeggle-Merz, 102 ff.). Der Leitbegriff der liturgischen participatio ist dabei ebenso bedeutsam wie die communio-Ekklesio-logie, wobei das in Glaube, Taufe und Umkehr begründete gemein-same Priestertum als Basis beider Konzepte dient. Es überrascht aus ökumenischer Perspektive nicht, dass man sich im römisch-katho-lischen Diskurs an der Frage nach dem Verhältnis von gemeinsamem Priestertum und Weihepriestertum abarbeitet und Wege er­kundet, wie dieses Verhältnis gleichsam verflüssigt und in einer fruchtbaren Weise in Liturgie und Kirche Gestalt finden könnte.
Dass dabei auch spannungsvolle Aspekte sichtbar werden, ge­hört zu einem transparenten Diskurs, zu dem auch dieser Band beiträgt. Differente Akzentuierungen erfolgen beispielsweise im Verständnis des Begriffs der participatio, wenn diese einerseits als Ideal einer Kerngemeinde aus überzeugten Gläubigen verstanden wird (so Haunerland, 118–120), andererseits als grundlegendes kritisches theologisches Prinzip der Erneuerung von Kirche und Liturgie gelten soll (so Knop, 337–339). Die Spannung zwischen gesellschaftlicher Öffnung und kirchlicher Profilbildung, die an dieser Stelle deutlich erkennbar ist, betrifft alle Kirchen in einer säkularisierten Gesellschaft. Nicht zuletzt deshalb ist die Lektüre dieses Bandes auch für Verantwortliche aus evangelischen Kirchen instruktiv und anregend: Wie lassen sich ein glühender Glaubenskern und eine große Offenheit miteinander verbinden? Wie kann ein kirchliches Leben mit unterschiedlich intensiven Glaubens- und Beteiligungsformen gestaltet werden?
Dass Kirchenbild und Gottesdienst wechselseitig aufeinander bezogen sind, wird in vielen Beiträgen des Sammelbandes auf un­terschiedliche Weise beobachtet und begründet. An einer solchen grundsätzlichen Korrelation dürften keine wesentlichen Zweifel bestehen. In dieser Hinsicht bietet der Band auch wertvolle und weiterführende Anregungen, solche Korrelationen im ökumenischen Diskurs zu reflektieren (vgl. exemplarisch den Beitrag von Deeg aus evangelischer Perspektive).
Eine zu starke Fixierung auf eine vollständige Kongruenz von Liturgie und Kirchenbild könnte allerdings bei allem Verständnis für die wechselseitige Verwobenheit auch kontraproduktiv und erneuerungsbremsend wirken und es erschweren, der Einheit der Kirche Gestalt zu geben und gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Gegen eine solche Verengung wird im Band deutlich, dass eine vollständige Festlegung der Liturgie durch das Kirchenbild – und umgekehrt – gerade nicht erfolgen kann (Rentsch spricht von einem »flimmernden« Kirchenbild, 56; vgl. auch Unterburger, 71). Die Beiträge im Band zeigen anschaulich, dass von Liturgie und von Kirchenbild eigentlich nur im Plural gesprochen werden kann. Es gibt weder die eine Liturgie noch das eine Kirchenbild. Die Fixierung auf eine bestimmte Feierform der Eucharistie oder auf die Hierarchie der verfassten Kirche wirkt daher eher blockierend. Dagegen erweist sich die Pluralität von Kirchengestalten und Li­turgieformen eher als hoffnungsvolle und zukunftsweisende Perspektive. Die Einheit der Kirche ist weder in der Einheitlichkeit der Liturgie noch in der Einheitlichkeit des Kirchenverständnisses be­gründet, sondern in der Einheit des Glaubens (vgl. Söding, 34 ff.). Die Einsicht, dass die Kirche nicht primär aus ihrer Struktur und Feierform lebt, sondern aus der Selbstoffenbarung Gottes (vgl. Deeg, 170–174), entkrampft.
Konkret würde das bedeuten, dass eine Kirche auch in ihrer verfassten Gestalt vielfältige Liturgieformen integrieren kann, ohne dass dadurch die Einheit der Kirche gefährdet wird (siehe die Beiträge im Band zu unterschiedlichen Liturgieformen neben der Eucharistiefeier). Und umgekehrt eröffnet diese Erkenntnis den Weg, dass die gleiche Liturgieform für Gläubige unterschiedlicher Konfessionen eine Heimat bieten kann und so der Einheit der Kirche über konfessionelle Grenzen hinweg ein Gesicht zu geben vermag (an dieser Stelle wäre es sicher interessant gewesen, auch charismatische Feierformen in den Blick zu nehmen). Nicht zuletzt um der nachwachsenden Generation von Seelsorgerinnen und Seelsorgern willen, die sich – was einen nachdenklich stimmt – kaum durch eine visionäre Sicht auf Kirche und Liturgie auszeichnen (326 ff.), wäre zu wünschen, dass solche hoffnungsvollen Perspektiven etwas stärker zum Leuchten gebracht werden könnten.