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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

611–613

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dürr, Oliver

Titel/Untertitel:

Auferstehung des Fleisches. Umrisse einer leibhaftigen Anthropologie. M. e. Vorwort v. B. Hallensleben.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2020. 175 S. = Studia Oecumenica Fribourgensia, 91. Kart. EUR 34,00. ISBN 9783402122310.

Rezensent:

Walter Klaiber

Haupt- und Untertitel dieser Studie, einer Masterarbeit an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg, markieren die doppelte Zielsetzung der Arbeit. Es geht um eine Wiedergewinnung des Bekenntnisses zur Auferstehung des Fleisches, wie es im ursprünglichen Text des Apostolikums heißt, darüber hinaus aber um den Entwurf einer »leibhaftigen Anthropologie« und die Überwindung des Dualismus zwischen einer vorfindlichen materiellen Realität und einer rein spiritualistischen Vorstellung von Gottes Gegenwart in dieser Welt oder – wie Oliver Dürr es in einer Kurzformel benennt – um einen »christlichen Materialismus« (32).
Dieses Ziel sucht D. in mehreren Schritten zu erreichen. In vier kurzen Kapiteln klärt er Voraussetzungen seiner Argumentation: Kapitel 1 definiert Begriffe wie »Leib« und »Körper«, Kapitel 2 nennt die »Herausforderungen einer Auferstehungstheologie« für das Identitäts- und Physikalitätsproblem und formuliert die These: ohne »Auferstehungskörper« keine »wirkliche Auferstehungshoffnung« (22). Kapitel 3 handelt von der »Grundlegung einer materiefreundlichen Anthropologie« anhand der Problematik des Leib-Seele-Dualismus und sucht eine »holistische Anthropologie« jenseits von monistischem Materialismus und spiritualistischem Dualismus zu begründen. Für die »Hermeneutik einer Theologie der Auferstehung« in Kapitel 4 ist deshalb »die reale Überwindung, Vernichtung und Aufhebung des Todes das entscheidende Kriterium zur Bewertung aller Auferstehungstheologie«, und darum wird das leere Grab »im Sinne eines schöpfungstheologischen ›somatischen Materialismus‹« zum entscheidenden Prüfstein (59).
Getreu dem Vorbild von 1Kor 15 wird in Kapitel 5 die Art und Weise, wie das Neue Testament die Auferstehung Jesu Christi be­zeugt, zur Grundlage für das, was von der Auferstehung der Toten zu hoffen ist. Allerdings wird das nicht in einer Einzelanalyse der Texte erhoben, sondern in einem eher synthetischen Beweisgang, der fragt, von welchen Voraussetzungen aus die Entstehung des Glaubens an »Jesu physisch-körperliche Auferstehung« erklärbar ist (107). In zwei kurzen Schlusskapiteln werden unter Berufung auf Sergij Bulgakov die Grundzüge einer »christoformen Theologie« und »die Umrisse einer performativen Sophiologik« aufgezeigt. In der Inkarnation des göttlichen Logos und der Auferstehung des Fleisches, und das heißt: »In der Person Jesu Christi enthüllt und realisiert sich das wesentliche Potential der menschlichen Existenz als geeinte Dualität« oder – mit einem Begriff von Bulgakow – »das Gottmenschentum des Menschen« (153).
Ich muss gestehen, dass ich dem Buch und seiner Argumentation ziemlich ratlos gegenüberstehe. Es ist gut lesbar geschrieben und zeugt von der Belesenheit D.s auf vielen Gebieten. Aber angesichts seiner Beweisführung erheben sich grundsätzliche Bedenken. Ich stimme ihm in der Annahme zu, dass die Art, wie der Glaube an Jesu Auferstehung von Anfang an formuliert wurde, nur erklärbar ist durch eine sehr eindrückliche Natur der österlichen Erscheinungen und vermutlich auch durch die Auffindung des leeren Grabs. Aber dass er sich mit diesem »abduktiven Argument« (107) begnügt und nicht auf die exegetische Problematik der ents prechenden Berichte eingeht, ist problematisch. Er beruft sich pauschal auf N. T. Wright und dessen »Plausibilitätsargument« (37), aber an keiner Stelle wird deutlich, wie komplex die Überlieferungsgeschichte der Osterberichte ist und wie deutlich sich gerade die Berichte von den »leibhaftigen« Erscheinungen des Auferstandenen in ihrer Unterschiedlichkeit als theologisch geprägte Erzählungen darstellen.
Ähnliche Fragen stellen sich angesichts der Behandlung der für D.s These zentralen Aussage in 1Kor 15,50, dass »Fleisch und Blut« nicht das Reich Gottes erben können. Nach D. ist damit »nicht notwendig Körperlichkeit bzw. Materialität bezeichnet«, sondern »der ganze Mensch gemeint, insofern er in Rebellion und Sünde gefallen ist« (121). Im Zusammenhang der Ausgangsfrage in 1Kor 15,35, mit welchem Leib die Toten auferstehen werden, grenzt sich Paulus aber in V. 50 eindeutig von einem allzu »materiellen« Verständnis der Leiblichkeit der Auferstehung ab. Es geht ihm darum, dass der ganze Mensch in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen wird; wie Gott diese Leiblichkeit gestaltet, lässt er bewusst offen.
Damit hängt das grundsätzliche Problem zusammen, dass letztlich unklar bleibt, wie D. diese neue Leiblichkeit, die bei ihm bewusst in Kontinuität zur jetzigen materiellen Existenz gedacht wird, versteht. Dass die Jünger einem »in irgendeiner Weise körperlichen Jesus« (102) begegnet sind, führt zu dem Schluss, dass nur eine Auferstehung, die Jesu »physisch-biologische Körperlichkeit« einschließt, Hoffnung geben kann (110). »Eine gewisse materielle Kontinuität« zwischen irdischem Leib und Auferstehungsleib Jesu ist konstitutiv für diese Hoffnung und wird mit dem Konzept der »Transphysikalität« erklärt (gegen die Theorie einer radikalen Transformation bei der Auferstehung; 122, vgl. 155). Das begründet die Hoffnung auf eine »Zukunft der Moleküle« (19), da in der Person Jesu die »Kompatibilität von Geist-Materie« schon konkret geworden ist (36). Und so kann »die Materie selbst […] zum Medium der Erlösung werden« (145).
Einerseits ist die Vision einer Erlösung jenseits des Dualismus von Geist und Materie, die auf dieser Basis in den letzten beiden Kapiteln entfaltet wird, faszinierend, aber daraus abgeleitete Aussagen wie die, dass die Auferstehung »das gemeinsame Werk der Menschheit in den Einzelmenschen, ihrer Gemeinschaft und der Schöpfung schlechthin« sei (156), führen weit über das hinaus, was exegetisch und systematisch verantwortlich gesagt werden kann.