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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

603–605

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich

Titel/Untertitel:

Vom Gott der Philosophen. Religionsphilosophische Erkundungen.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Karl Alber 2020. 560 S. Geb. EUR 49,00. ISBN 9783495490976.

Rezensent:

Gunther Wenz

Schwer erträglich sei ihm bei Beginn seines Marburger Studiums im Herbst 1924 »Die Heidegger-Kultgemeinde unter den Philosophiestudenten (gewesen), die eine bigotte hochmütige Einstellung hatte und sich schon fast selbst den Besitz göttlicher Wahrheit attestierte« (H. Jonas, Erinnerungen, Frankfurt a. M./Leipzig 2003, 108). So hat es Hans Jonas in seinen »Erinnerungen« notiert und hinzugefügt: »Das war nicht Philosophie, sondern eine sektiererische Angelegenheit, fast wieder ein neuer Glaube, der mir im Tiefsten zuwider war.« (Ebd., vgl. 299 ff.) Wie immer man diese Einschätzung beurteilen mag: Das Werk von Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, der von 1971 bis 2007 als Professor für Philosophie an der Universität Kassel lehrte, enthält nichts Sektiererisches und ist an keine Kultgemeinde adressiert, sondern angenehm nüchtern im Ton, unprätentiös und durchweg an argumentativer Verständigung orientiert. Seine religionsphilosophischen Erkundungen sind auf Religion bezogen, ohne selbst religiöse oder religionsanaloge An­sprüche zu erheben. Entstanden ist ein gedankenreiches Buch, das jedem religionsphilosophisch und theologisch Interessierten zur Lektüre empfohlen werden kann, und zwar nicht nur den professionellen Spezialisten unter ihnen.
Der Vf. verbindet philosophiegeschichtliche und systematische Perspektiven, um an ausgewählten Denkern der Neuzeit die Gottesthematik im Zusammenhang des jeweiligen Systems zu erheben und für die gegenwärtige Diskussion fruchtbar zu machen. Dabei richtet sich sein Primärinteresse erstens auf das erkenntnistheoretische Verhältnis von Denken und Sein, zweitens auf den Bezug des Menschen zur extrahumanen Natur, drittens auf die menschliche Sittlichkeit und ihre Begründung und schließlich viertens auf die »Affinität von Sinn und Existenz, die den Kern der Gottesproblematik bildet« (12). Dass sich der Gottesfrage auch die Philosophie zu stellen hat, jedenfalls dann, wenn sie Letztbegründungsfragen nicht ausweicht, ist die Überzeugung des Vf.s. Von einem Abschied von der Metaphysik oder gar davon, dass dieser Abschied für ein Denken, das auf sich hält, längst vollzogen sei, will er aus guten Gründen nichts wissen. Recht hat er auch mit seiner Feststellung, dass das Denken der klassischen deutschen Philosophie im Anschluss an Kant bis heute richtungsweisend ist. Mit Kants Vernunftkritik und seinem praktischen Postulat des Daseins Gottes setzt seine Monographie daher ein.
Nachdem er Kants Schrift über die »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« von 1793 Schleiermachers sechs Jahre später erschienenen »Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern« zu Seite gestellt hat, zeichnet er die Denkentwicklungen der drei Hauptprotagonisten des sogenannten Deutschen Idealismus, Fichte, Schelling und Hegel, einzeln und in ihren wechselnden Verhältnissen zueinander nach, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass mit Hegels Theorie des Absoluten sowie mit Schellings Spätphilosophie und ihrem Konzept des »notwendig Gott-setzenden Bewusstseins« (186) das höchste Argumentationsniveau der philosophischen Letztbegründungsdebatte erreicht sei, und zwar »nicht nur für die damalige Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts, sondern durchaus auch bis heute« (14). Seine Hegelkritik werden Hegelianer dem Vf. nicht abnehmen und ggf. an das Diktum Odo Marquards erinnern, wonach die Schwierigkeiten beim Versuch, Hegelianer zu sein, nur durch diejenigen übertroffen werden, keiner zu sein. Doch verdient, was zur Schellingschen Philosophie der Mythologie und Offenbarung gesagt wird, gerade unter Theologen konzentrierte Aufmerksamkeit, weil der dort verfolgte religionsphilosophische Ansatz am ehesten mit dem Hegelschen konkurrieren kann.
Der »Philosophie der Mythologie und Offenbarung« weiß sich der Vf. seit seiner Dissertation von 1963 über »Sinn und Existenz in der Spätphilosophie Schellings« gerade unter religionsphilosophisch-ontotheologischen Gesichtspunkten eng verbunden. Die philosophische Religionskritik der »nachidealistischen« Epoche wird an Feuerbach, Marx und Nietzsche exemplifiziert. Zwischengeschaltet ist eine Studie zu Bloch, in der exkursartig auch auf den eingangs erwähnten Hans Jonas Bezug genommen wird; abgeschlossen wird der einschlägige Abschnitt mit einem Beitrag zu Heidegger, dessen »Kehre« durch seine Auseinandersetzung mit dem späten Schelling wesentlich mitverursacht worden sei, im Gegensatz zu diesem aber »keine sittlich-praktische Mitverantwortung für die Geschichte« (324) in Anschlag bringe, weil diese sich als Seinsgeschick ereigne. An dieser Stelle wird voraussichtlich die Heideggergemeinde Einspruch erheben.
Unter der Überschrift »Erneute Annäherungen an die Gottesproblematik« beschäftigt sich der Vf. sodann auswahlsweise mit vier Denkern: dem Kantianer und Schleiermacherkenner Richard Hönigswald, mit Hans Ehrenberg und Franz Rosenzweig sowie mit Franz Fischer, dem u. a. deshalb besonderes Interesse entgegengebracht wird, weil er im Zuge seiner Gedanken über den Sinn von Sinn auf seine Weise den Gegensatz von Schelling und Hegel zu beheben suchte. Nach ergänzenden Differenzierungen, in denen er Fischer auf Levinas bezieht und über die genannten Namen hinaus Erwägungen zu Cohen, Buber und Jaspers anstellt, kommt der Vf. in einem Epilog auf Schellings Wendung vom Menschen als dem Bewusstsein zurück, das notwendig Gott setzt.
Die Religionskritik im Anschluss an Feuerbach hat den Satz vom »notwendig Gott-setzende[n] Bewusstsein« (186) des Menschen so gedeutet, dass dieser das Subjekt sei, welches Gott setze – und sei es als nicht gesetzt. Der Vf. will dagegen die Möglichkeit als denkbar erweisen und argumentativ gewahrt wissen, dass Gottes Gottheit eine sich selbst voraussetzende Voraussetzung sei, welche sich in ihrer Selbstverständlichkeit von sich aus zu erschließen vermöge. Die Faktizität göttlicher Selbstoffenbarung ist damit nicht deduziert, die Behauptung ihrer Unmöglichkeit dagegen abgewiesen. Mehr kann Theologie von Religionsphilosophie nicht erwarten, ganz abgesehen davon, dass auch für sie, die Theologie, gilt: »Alle Rede von Gott bleibt zuletzt durch ihn selbst begrenzt.« (F. Hartenstein, Monotheismus und Intoleranz. Überlegungen aus alttestamentlicher Sicht, in: GlLern 26 [2011], 13–25, hier: 25)