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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

577–579

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Bieler, Jonathan

Titel/Untertitel:

Der Einheitsbegriff als Kohärenzprinzip bei Maximus Confessor. Eine Studie zu Ps-Dionysius, triplex via und analogem Weltbild bei Maximus Confessor.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2019. X, 417 S. = Vigiliae Christianae. Supplements, 152. Geb. EUR 138,00. ISBN 9789004399747.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Seit die historische Forschung das Ende der Spätantike stärker in den Blick nimmt, ist auch das wissenschaftliche Interesse an der Person des Maximus Confessor gewachsen. Um 580 in Konstantinopel geboren, ist er nur wenig jünger als der Prophet Muhammad und war so Zeitzeuge einer der dramatischsten Epochen in der Geschichte des Mittelmeerraums. Als Maximus 662 im Exil starb, war die römische Herrschaft in weiten Teilen des Nahen Ostens und in Nordafrika nach mehr als einem halben Jahrtausend an ihr Ende gelangt und ein großer Teil der östlichen Christenheit lebte unter muslimischer Herrschaft. Schon seit dem Konzil von Chalkedon (451) war die östliche Kirche gespalten. Nur ein Teil war der von den Kaisern vorgegebenen Linie gefolgt und hatte die vom Konzil beschlossene christologische Formel anerkannt, nach der Christus als eine Person in zwei Naturen existierte. Große Gruppen vor allem in Syrien und Ägypten hielten über die Jahrhunderte an ihrem Widerspruch dagegen fest. Diese Konflikte griffen tief in das Leben des Maximus ein. Unter dem steigenden Druck der arabischen Armeen unternahm der Kaiser gemeinsam mit dem Patriarchen von Konstantinopel einen letzten, verzweifelten Versuch der Einigung der getrennten Glaubensgemeinschaften, indem er vorschlug, die personale Einheit Christi durch neuartige Formeln von der »einen Energie« und später dem »einen Willen« des Erlösers zu bezeichnen. Diesem aus politisch-militärischer Not geborenen theologischen Kompromiss schleuderte Maximus ein intransigentes Nein entgegen und arbeitete als Gegenentwurf die Lehre von den zwei Willen Christi (Dyotheletismus) aus, für die er zweimal verurteilt und grausam misshandelt wurde. Nur wenige Jahrzehnte nach seinem Tod jedoch wurde eben diese Lehre vom 6. Ökumenischen Konzil (681/2) kanonisiert.
Die neue internationale Aufmerksamkeit für Maximus, aus der 2015 sogar ein 650 Seiten starkes Oxford Handbook of Maximus Confessor (hgg. von Pauline Allen/Bronwen Neil, Oxford: OUP) hervorging, ist freilich bislang an der deutschen Forschung weitgehend vorbeigegangen. In seiner Rezension des »Handbook« in dieser Zeitschrift konstatierte Guido Bausenhart 2018 einerseits das »globale Interesse« an Maximus, andererseits aber die Tatsache »dass keine deutschsprachige Stimme vertreten ist« (ThLZ 143 [2018], 224). Angesichts dessen ist die Publikation von Jonathan Bielers 2017 in Zürich verteidigter Dissertation ein wichtiges Ereignis, von dem man hoffen sollte, dass es zu einer insgesamt größeren Beachtung dieser faszinierenden Gestalt führen wird.
Dabei ist B.s Fragestellung mehr dogmatisch als historisch. Sie richtet sich auf die interne Kohärenz des Denkens des Bekenners, also auf den intellektuellen Kern, von dem aus die gedankliche Einheit seines sehr diversen Werks in den Blick kommt. Auf diese Frage hatte Hans Urs von Balthasar in seinem 1941 erstmals veröffentlichten Werk Kosmische Liturgie: Das Weltbild Maximus’ des Bekenners (Freiburg: Herder) eine pointierte Antwort gegeben, indem er die chalkedonische Christologie als zentrales Strukturelement der Theologie des Maximus ausmachte. Wie in Christus die Zweiheit der Naturen nicht von der Einheit der Person getrennt werden könne, so der katholische Theologe, so gehörten für Maximus generell Einheit und Vielheit untrennbar zusammen. Gegen Balthasars »Pan-Chalkedonismus« hat allerdings die neuere Forschung Einwände erhoben und darauf verwiesen, dass der Bezug auf die christologische Formel von 451 bei Maximus keinesfalls so eindeutig ist, wie von Balthasar angenommen hatte.
Hier setzt B.s Beitrag an. Er stellt sich auf die Seite der Kritiker von Balthasars, indem er die Kohärenz der Theologie des Maximus nicht primär von der Christologie her denkt. Vielmehr beginnt seine Darstellung nach einer Einleitung (Teil 1) bewusst mit der Gotteslehre (Teil 2), und es sind die an dieser erhobenen Strukturelemente, die er sodann an der Anthropologie (Teil 3) und erst zuletzt auch an der Christologie (Teil 4) erprobt. Gleichzeitig stellt sich B. gegen einen Konsens, der von Balthasar und seine Kritiker verbunden hatte, indem er als das fundamentale Strukturmoment bei Maximus nicht die Dualität von Einheit und Differenz, sondern – wie im Titel der Arbeit angedeutet – die Einheit, das Eine annimmt. Maximus wird hier also, so könnte man sagen, deutlich neuplatonischer vorgestellt, als das im Gefolge von Balthasars (der in dem Confessor einen Gewährsmann für seine eigene Kritik am deutschen Idealismus gesehen hatte) üblich geworden war. An diesem Punkt kommt der im Untertitel des Bandes annoncierte Bezug auf Ps.-Dionysius Areopagita ins Spiel. Für die Rezeption dieses bis heute unbekannten Autors, dessen vermeintlich aus der Apostelzeit stammende Schriften sich etwa ein Jahrhundert zuvor urplötzlich im Osten verbreitetet hatten, kommt Maximus zweifellos eine Schlüsselrolle zu. B. möchte nun zeigen, dass die von Ps.-Dionysius zugespitzte Form der negativen Theologie der eigentliche Motor (B. sagt »die Methodik«) ist, von der her das Gesamt der Theologie des Maximus in seiner Einheit verständlich wird. Dieser Interpretation steht allerdings eine Schwierigkeit im Weg. Während nämlich die Präsenz ps.-dionysischer Gedanken und Sprache in der Gotteslehre das Maximus offensichtlich ist und dort (worauf B. wenig eingeht) mit der traditionellen Dominanz des kappadokischen Ansatzes bricht, ist ihr Einfluss auf andere Bereiche der Theologie des Maximus weniger evident. B. selbst tut wenig, um diesem Ein druck zu begegnen. Anders als vom Untertitel suggeriert ist sein Buch kaum eine »Studie zur Ps.-Dionysius Rezeption« im Allgemeinen. Die Beweislast für seine globale These hängt daher an seinem Versuch, die Priorität der zweifellos dionysisch geprägten Gotteslehre für Anthropologie und Christologie zu erweisen. Dafür identifiziert er die göttlichen Eigenschaften von Einheit, Güte und Wahrheit als Strukturprinzipien, die fast im Sinn der späteren Lehre von den Transzendentalien wichtige Bereiche der Theologie des Maximus bestimmen sollen. Entsprechend ist die Darstellung in den drei zentralen Teilen der Arbeit gegliedert, wobei einzelne Kapitel jeweils einer der Transzendentalien gewidmet sind.
Ob diese subtile Konstruktion jeden Leser überzeugt, ist fraglich. Unbestreitbar ist jedoch, dass es in diesem von B. einmal gewählten Rahmen ihm gelingt, wichtige Dimensionen und Elemente des theologischen Denkens des Maximus zur Sprache zu bringen. Die zentralen Abschnitte sind textnah verfasst; oft sind wichtige Passagen in Übersetzung mitgegeben, so dass dem Leser Einblick in die eigentümliche Denkwelt und Ausdrucksweise des Maximus vermittelt wird.
Allerdings muss sich der Leser einigermaßen durchkämpfen, bis er diese Abschnitte erreicht hat. Dem Buch fehlt eine wirkliche Einleitung, die Maximus in größere historische und theologische Be­züge einordnet und die Bedeutung der vorliegenden Arbeit mit Bezug auf die Forschungsgeschichte pointiert erklärt. Gerade angesichts der Vernachlässigung des Maximus in der deutschsprachigen Forschung hätte man sich eine Darstellung gewünscht, aus der sich seine Bedeutung auch demjenigen erschließt, der nicht bereits von ihr überzeugt ist. Insofern bleibt zu hoffen, dass Leser trotzdem zu den Perlen vordringen, die es in diesem Buch zu entdecken gibt.