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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

575–577

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Atkins, J. D.

Titel/Untertitel:

The Doubt of the Apostles and the Resurrection Faith of the Early Church. The Post-Resurrection Appearance Stories of the Gospels in Ancient Reception and Modern Debate.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XVII, 569 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 495. Kart. EUR 109,00. ISBN 9783161581656.

Rezensent:

Katharina Greschat

Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um eine groß angelegte Studie zu einem Thema, das nur auf den ersten Blick klein aussieht. Ausgangspunkt der Studie ist die Beobachtung, dass sowohl Joh 20 als auch Lk 24 erzählen, dass die Apostel nach der Auferstehung Jesu Christi zweifelten. Nach der gängigen Interpretation sollten diese Texte die unterschiedlichen Erscheinungsberichte des Auferstandenen an dessen materielle Leiblichkeit zurückbinden, um in antidoketischer Abzweckung möglichen Einwänden zu begegnen.
J. D. Atkins bezweifelt die Schlüssigkeit dieser Interpretation schon aus dem Grund, dass der Zweifel erst im modernen Denken, insbesondere seit René Descartes, als etwas Positives verstanden wird. Deshalb geht der Vf. einen gänzlich anderen Weg und erweitert die historisch-kritische Methode um die frühe Rezeptionsgeschichte und kommt auf diese Weise zu dem Ergebnis, dass die beiden Evangelisten nicht auf eine Beglaubigung der Auferstehung durch die materielle Körperlichkeit abzielten, sondern auf die Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen.
Diese Vorgehensweise verlangt zunächst einmal umfangreiche Klärungen, für die der Vf. einen ersten Teil (33–79) reserviert. Weil Doketismus häufig mit gnostischen Vorstellungen in Verbindung gebracht wird, muss zunächst im Rückgriff auf die neueste Forschung erläutert werden, was unter Gnostizismus zu verstehen ist. Pragmatisch entscheidet sich der Vf. dafür, zunächst die Gruppen, die als Ophiten bzw. Sethianer bezeichnet werden, gnostisch zu nennen. Darüber hinaus bezieht er auch die Valentinianer mit ein; schließlich wollten diese nach Irenäus gnostischer als die Gnostiker sein (Adv. Haer. I,11,5). Um die sehr verschiedenen christologischen Vorstellungen, die als Doketismus firmieren, genauer zu charakterisieren, unterscheidet der Vf. zwischen Vorstellungen, die er proto-monophysite bzw. anthropomorphosist nennt, auf der einen und solchen, die als separationist bezeichnet werden, auf der anderen Seite. Die ersten Begriffe meinen Konzeptionen, bei denen Christus nicht wirklich Mensch wurde oder lediglich eine Menschengestalt annahm; der zweite meint solche, wonach der Mensch zeitweise vom göttlichen Wesen in Anspruch genommen wurde. All das konnten die Vertreter dieser Ansichten selbstverständlich in den Schriften finden, die sie in besonderer Weise lasen und interpretierten (docetization). Schließlich – und damit endet der erste Teil – weist der Vf. nach, dass Zweifel und Unglauben im frühen Chris-tentum ebenso wie auch schon im Frühjudentum durchweg ne­gativ gewertet wurden.
Der umfangreiche zweite Teil der Arbeit (83–375) beschäftigt sich mit der frühen Rezeption der Auferstehungserzählungen. Den Auftakt bildet die antidoketische Passage des Ignatius von Antiochien in Smyrn. 3–5, der in den Augen des Vf.s einige Mühe darauf verwenden musste, eine andere Geschichte als die in Lk 24 zu erzählen. Umgekehrt konnten die Ophiten nach dem Bericht des Irenäus mit ihrer Strategie der Rewritten Bible, die im Frühjudentum viele Parallelen hat, nahtlos an Lk 24 anknüpfen, um ihre eigenen Akzente zu setzen. Möglicherweise bestand der Kanon der Ophiten aus Gesetz, Propheten, Lukas und Paulus und war bereits dem Marcion bekannt. In der Konsequenz war Lk 24 also, um das Wortspiel des Vf. zu verwenden, nicht anti-docetic, sondern ante-docetic (132).
Anschließend untersucht der Vf. eine Reihe proto-orthodoxer Texte mit apologetischer Ausrichtung (1Clem; Kerygma Petrou; Justin; Theophilus Ad Autol.; Ps. Athanagoras; Irenäus; 3Kor und Tertullian) und findet häufiger, dass Erscheinungserzählungen vermieden werden, vom Zweifel der Apostel nach der Auferstehung keine Rede ist und dass die Auferstehung nicht durch die Leiblichkeit, sondern durch die Erfüllung der prophetischen Weissagung beglaubigt wird. Mit Verweis auf Tertullian macht der Vf. gleichsam die Gegenprobe, denn Tertullian beklagt sich, dass die Erscheinungserzählungen geradezu Wasser auf die Mühlen der Gegner seien, die zudem den Zweifel der Apostel dazu nutzen, diese zu diskreditieren (182).
Dieser Spur geht der Vf. im Anschluss genauer nach, indem er das Johannesapokryphon, den Brief des Petrus an Philippus und das Evangelium der Maria, das den zweifelnden Aposteln Maria gegenüberstellt, die die Rolle einer autoritativen Lehrerin der ge­heimen Offenbarung übernimmt, untersucht und interpretiert. Einige valentinianische Texte behaupten gar, dass nur schwache Menschen Zweifel hätten. Auch Tertullian, Ps.Justin und andere Texte vermeiden möglichst jeden Zweifel der Apostel nach der Auferstehung. Hingegen thematisierte ihn die Epistula Apostolorum so ausdrücklich, weil sie ihn aus proto-orthodoxer Perspektive und in Auseinandersetzung mit anderen Gruppen im Sinne einer Reaktion der männlichen Apostel auf die von den Frauen vermittelte Auferstehungsbotschaft für plausibel hielt. Nach der Berührung des Auferstehungsleibes hätten die Apostel jedoch umso fester ge­glaubt (351–375).
Im dritten und letzten Teil der Untersuchung kehrt der Vf. zu den Auferstehungserzählungen bei Lk 24 und Joh 20 zurück, die er nicht länger als gegen Doketen gerichtet verstehen möchte (379–443). Weder das plötzliche Erscheinen des Auferstandenen, noch sein Hinweis, dass er sich noch im Fleisch befinde, noch die Aufforderung, ihn zu berühren, oder dass er gegessen habe, mache diese Deutung zwingend. Statt dessen plädiert der Vf. für die enge Verbindung zwischen neutestamentlicher und kirchengeschichtlicher Forschung: »Early reception may suggest alternative readings that modern exegetes, because of their historical and cultural distance from the biblical texts, might not normally consider but which on further analysis may prove exegetically superior« (411) und schlägt eine andere Interpretation vor. Demnach gehe es im lukanischen Doppelwerk – ebenso wie etwa bei Justin – nicht darum, die Auferstehung durch Wunder oder sonstige Beweise, die den Glauben bewirken sollen, zu plausibilisieren, sondern die Erfüllung der prophetischen Weissagung; das sind die Belege, die sowohl für Lk als auch für viele Autoren des 2. Jh.s zählten. Im Kontext des Johannesevangeliums – so der Vf. – ging es in der Geschichte vom ungläubigen Thomas nicht um die Menschlichkeit, sondern ganz im Gegenteil um die Göttlichkeit Christi, die dieser Apostel nicht sehen wollte. Auch wenn die Debatte um eine doketische Christologie nicht der richtige Auslegungskontext für die fraglichen Stellen gewesen sei, so konnten die vom Vf. skizzierten Spielarten des Doketismus diese Texte dennoch in ihrem Sinne interpretieren.
Das Buch ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil es die frühe Rezeptionsgeschichte nicht als interessanten Ausblick neutestamentlicher Texte betrachtet, sondern diese in die Interpretation mit einbezieht. Man kann diesem Werk nur einen großen Leserkreis, eine weite Rezeption und eine intensive Diskussion wünschen.