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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

561–563

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Quick, Laura

Titel/Untertitel:

Dress, Adornment, and the Body in theHebrew Bible.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2021. 256 S. Geb. US$ 100,00. ISBN 9780198856818.

Rezensent:

Sarah Schulz

Nach verschiedenen Einzelstudien zum Thema hat Laura Quick, Associate Professor für Altes Testament an der University of Oxford, eine Monographie vorgelegt, die die soziale und religiöse Funktion von Kleidung, Schmuck und Kosmetik im Alten Testament untersucht. Sie widmet sich damit einem Thema, das im Alten Testament nahezu omnipräsent ist, bislang jedoch nicht umfassend monographisch behandelt wurde (aus neuerer Zeit stammen zwei Sammelbände zum Thema [hgg. von C. Berner et. al. bzw. A. Finitsis] sowie vereinzelte monographische Studien, die jedoch jeweils auf einen speziellen Aspekt des Themas abheben [z. B. R. Jacob: Kosmetik; S. Niditch: Haare].
In der Einleitung (1–18) situiert Q. ihr Thema an der Schnittstelle von materialer Kultur und Embodiment, zwei Bereichen, die ihr zufolge nicht voneinander zu trennen sind: »The study of material culture is the study of embodiment« (4). Das Studium der Quellen – neben biblischen Quellen berücksichtigt Q. altorientalische Texte und die archäologische Evidenz – basiert somit auf einem Verständnis von Kleidung, Schmuck und Kosmetik als kultureller Objekte bzw. Praktiken, die natürliche Körper zu sozialen Kör-pern machen. Gegenstand der Untersuchung sind daher Kleidung, Schmuck und Kosmetik sowie der Körper gleichermaßen.
Leitend ist dabei die Einsicht, dass Körper im Alten Orient »durchlässig« vorgestellt wurden, in den Worten Q.s »porous and permeable«. Folglich kann die Identität (»personhood«) des Trägers auf dessen Kleidung und Schmuck übergehen. Als Erweiterungen des Körpers sind Kleidung, Schmuck und Kosmetik keine passiven Gegenstände, sondern haben eine vom Träger losgelöste, souveräne Wirksamkeit. Indem Kleidung, Schmuck und Kosmetik performativ das Personsein ihres Trägers bewirken, wird das Selbst durch Körperpraktiken konstruiert. Kleidung, Schmuck und Kosmetik konstituieren somit soziale Beziehungen und haben rituelle Kraft und Wirkung. Sie bilden ein komplexes non-verbales Kommunikationssystem, das Aufschluss über soziale und religiöse Ordnungen gibt.
Die fünf Kapitel der Studie fokussieren verschiedene Aspekte des Themas und demonstrieren dessen religions-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Facettenreichtum. Kapitel 1 (»Dress and the Body«, 19–46) widmet sich dem Zusammenhang von Kleidung und Körper im Alten Testament mit Blick auf die Frage, inwiefern Kleidung das Personsein ihres Trägers definiert bzw. indiziert. Kapitel 2 (»Dress and Ritual«, 47–83) fragt nach den rituellen Funktionen von Kleidung und Schmuck als Manifestationen bzw. Modifikationen des Körpers. Kapitel 3 (»Dress and Identity«, 84–120) untersucht die Funktion des bekleideten Körpers im breiteren sozialen Kontext und würdigt Kleidung als Faktor der Konstruktion von Identität und der Artikulierung von Macht. Kapitel 4 (»Jewellery and Personal Religion«, 121–150) nimmt die Rolle von Schmuck für die Repräsentation und Manifestation von Identität und sozialem Status in den Blick. Kapitel 5 (»Adornment and the Other«, 151–180) widmet sich schließlich der sozialen und rituellen Funktion von Kosmetik.
Nicht überall lassen sich die in den Texten mit Kleidung, Schmuck und Kosmetik verbundenen Aspekte mit dem von Q. zugrunde gelegten Körperkonzept verbinden, wobei die Reflexion der konzeptionellen Differenzen ausbleibt. Anders akzentuiert ist die Beziehung von Körper und Kleidung etwa im Bereich der Amtskleidung, einem der qualitativ wie quantitativ relevantesten Aspekte des Themas im Alten Testament: Hier geht nicht die Persönlichkeit des Trägers auf die Kleidung über, sondern die Kleidung transformiert den Körper. So wird etwa das Hohepriesteramt (103–120) durch die hohepriesterliche Kleidung definiert, nicht durch das Individuum, das sie trägt (vgl. Ex 28). Wenn der Hohepriester seinen Ornat anlegt, agiert er nicht als Individuum, sondern als »corporate body«, der Israel vor Jahwe repräsentiert. Die Kleidung unterdrückt in diesem Fall die Individualität ihres Trägers.
In vielen Fällen erhellt die Herangehensweise jedoch obskure Passagen und führt zu originellen und überzeugenden Deutungen. Stellvertretend seien hierfür zwei Stellen im Ruthbuch genannt, an denen Q. die mit Kleidung bzw. Kosmetik verbundenen Körperpraktiken nicht wie üblich als Verführungsversuche deutet, sondern als Zeichen für die Heiratsfähig- bzw. -willigkeit Ruths: Die in Ruth 3,1–4 erwähnten Riten (Bad, Einölung und Anlegen eines Gewandes) zielen nach Q. nicht auf die Verführung des Boas, sondern beenden Ruths Trauerzeit und markieren ihren neuen Status, den einer heiratsfähigen Frau (168–171). Dazu passt die Interpretation von Ruth 3,9, wo Ruth Boas auffordert, sie mit seinem Gewandsaum ( kānāp, häufig fehlinterpretiert als Flügel; vgl. Ruth 2,12, dort aber im Plural) zu bedecken. Nach Q. hat die erbetene Aktion keine erotische Konnotation, sondern drückt vor dem Hintergrund altorientalischer Quellen einen Besitzanspruch aus (39–41), d. h. Ruth bittet darum, durch Heirat in Boas Besitz übergehen und unter seinem Schutz stehen zu dürfen.
In einigen Fällen ergänzen die von Q. vorgeschlagenen Deutungen etablierte Interpretationen um interessante Aspekte. Dass David in 1Sam 24 Sauls Gewandsaum abschneidet, deutet Q. vor dem Hintergrund der gut belegten Praxis des Zerschneidens von (königlicher) Kleidung überzeugend als Verletzung seiner königlichen Integrität und als Symbol für das nahende Ende seiner Herrschaft (36–39). Entgegen Q.s Auffassung steht diese Deutung der geläufigen Interpretation der Tat im Sinne einer Verschonung Sauls durch David (die dieser in 1Sam 24,11 f. selbst vorbringt) jedoch nicht entgegen, sondern ergänzt sie: David hat Sauls Leben verschont, seine königliche Identität jedoch verletzt.
Gelegentlich führt die Interpretation der biblischen Texte vor dem Hintergrund der zugrunde gelegten Körperkonzeption schließlich dazu, dass eher unwahrscheinlichen Deutungen der Vorzug gegeben wird. Die Übertragung von Autorität und Macht durch die Übergabe des königlichen Siegelrings dürfte z. B. nicht darin be­gründet sein, dass die Persönlichkeit des Trägers auf den Siegelring übergeht (u. a. 33), sondern darin, dass der Siegelring das Instrument ist, mit dem der König seine Herrschaft ausübt. Wenig überzeugend ist auch Q.s Interpretation der Bestimmung, dass ein Priester beim kultischen Vollzug eine Unterhose tragen solle (u. a. Ex 28; 39; Ez 44). Ihr zufolge soll der Priester dadurch als third gender ausgewiesen werden. Dadurch würden die Gendergrenzen verschwimmen und der Körper zu einem offenen Körper, wodurch die Vermittlung zwischen heiliger und profaner Sphäre begünstigt werde (114–120). Weniger voraussetzungsreich und daher plausibler ist verglichen damit die geläufige, aber von Q. verworfene Deutung, wonach das Tragen einer Unterhose die Entblößung des Priesters verhindern solle.
In der Summe hat Q. eine wichtige und sehr materialreiche Studie vorgelegt, die die Bedeutung und die verschiedenen Funktionen von Kleidung, Schmuck und Kosmetik im Alten Testament vor dem Hintergrund der altorientalischen Evidenz sorgfältig und nachvollziehbar herausarbeitet. Das Werk profitiert in besonderer Weise von der notwendigen, aber keineswegs üblichen gendersensiblen Perspektive auf das Thema, die eine differenziertere Wahrnehmung der sozialen und rituellen Implikationen von Kleidung, Schmuck und Kosmetik ermöglicht.