Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

541–544

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Voges, Katja

Titel/Untertitel:

Religionsfreiheit im christlich-muslimischen Dialog. Optionen für ein christlich motiviertes und dialogorientiertes Engagement.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2021. 386 S. = Beiträge zu einer Theologie der Religionen, 21. Kart. EUR 44,00. ISBN 9783290183868.

Rezensent:

Klaus Vellguth

In dem hier vorgelegten Band setzt sich die Theologin Katja Voges, Referentin im Fachbereich »Religionsfreiheit und Menschenrechte« beim Internationalen Katholischen Missionswerk missio in Aachen, mit dem Thema Religionsfreiheit sowohl aus christlicher als auch aus muslimischer Perspektive auseinander und fokussiert dabei insbesondere den Ansatz des sunnitischen Theologen Abdullah Saeed, dessen Werk sie theologisch reflektiert, um die Ergebnisse der Reflexion auf die Praxis zu übertragen. Indem die vorgelegte Arbeit »Optionen für einen christlich motivierten, dialogorientierten Einsatz für Religionsfreiheit entwickelt, zeigt sie einen neuen Weg auf, das Thema Religionsfreiheit im christlich-muslimischen Dialog zu behandeln. ›Christlich motiviert und dialogorientiert‹ bedeutet dabei, eine dezidiert christliche Perspektive auf Reli-gionsfreiheit einzunehmen, die die gewonnenen theologischen Er­kenntnisse des Gesprächs mit Abdullah Saeed für die Praxis fruchtbar macht, und Optionen zu erarbeiten, die dazu beitragen, den interreligiösen Dialog im Einsatz für Religionsfreiheit zu nutzen und zu stärken.« (3)
In einem ersten Kapitel (10–41) ordnet V. die Thematik der Religionsfreiheit zunächst einmal als ein universales Menschenrecht ein und stellt deren ideengeschichtliche Entwicklung – ausgehend von einem christlich geprägten Kulturkreis hin zu einer weitgehenden globalen und religionsverbindenden Anerkennung – sowie deren Verankerung in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 dar. Einen besonderen Akzent setzt sie mit dem Verweis auf den völkerrechtlich relevanten Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) aus dem Jahr 1966. Anschließend beleuchtet sie kulturelle Differenzierungen und hält diesbezüglich fest: »Allgemein sind heute die Menschenrechte als internationales Anliegen in der Krise, nicht zuletzt wegen einer Betonung nationaler Souveränität, auch in Staaten und Regionen, die wirtschaftlich und machtpolitisch unabhängig und erstarkt sind.« (22) Daran anschließend geht V. auf die Religionsfreiheit als ein »umkämpftes Menschenrecht« ein und beschreibt hier die ideengeschichtliche Entwicklung im Rahmen der europäischen Toleranzgesetzgebung insbesondere im Zeitalter der Aufklärung so-wie ihre Kodifizierung im 19. und 20. Jh. Dabei differenziert V. zwischen positiver sowie negativer Religionsfreiheit und zeigt auf, dass das Recht auf Religionsfreiheit auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene fortdauernd erkämpft und ausgehandelt werden muss.
Im zweiten Kapitel geht V. auf die Frage ein, inwiefern der Einsatz für die Religionsfreiheit – entgegen der Wahrnehmung, dass die Religionsfreiheit von Christen gerade in muslimischen Ländern oftmals nicht gewährt wird – eine religionsverbindende Herausforderung und Chance für den islamisch-christlichen Dialog darstellt. Dabei beschreibt sie zunächst den geschichtlichen Verlauf der Anerkennung der Menschenrechte und der Religionsfreiheit durch die katholische Kirche. Zusammenfassend hält V. fest:
»Die Anerkennung der Religionsfreiheit ist das Resultat differenzierter theologischer Reflexionsprozesse. So verurteilte die Kirche zunächst die Forderung individueller Freiheiten und wies insbesondere das Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit zurück. Der Irrtum, so die offizielle Lehre, hat gegenüber der Wahrheit kein Recht, und der Staat muss die Durchsetzung der Wahrheit garantieren. Die Toleranz wird dabei als ein notwendiges Übel angesehen, das akzeptiert werden muss, um das Gemeinwohl zu wahren. […] Erst im Kontext des Zweiten Vatikanischen Konzils nahm die katholische Kirche schließlich eine neue Perspektive ein, in der das Recht der Person auf Religionsfreiheit im Mittelpunkt steht und der absoluter Vorrang der Wahrheit zurückgestellt wird, ohne damit auf den Wahrheitsanspruch der Kirche zu verzichten oder die Wahrheit selbst in ihrer Bedeutung zu relativieren.« (99)
Parallel zur historischen Darstellung der Anerkennung der Menschenrechte und Religionsfreiheit durch die katholische Kirche beschreibt V. die Auseinandersetzung mit den Menschenrechten im Islam und geht u. a. auf die Islamisierung der Menschenrechte – z. B. in der Kairoer Menschenrechtserklärung – ein. Sie kommt zu dem Schluss, dass sich das Christentum und der Islam mit Blick auf die Forderung der Umsetzung universaler Menschenrechte an unterschiedlichen Punkten eines ähnlichen Prozesses befinden, und leitet so auf die Herausforderung einer Anerkennung der Religionsfreiheit im Islam über. Unter Bezugnahme auf Heiner Bielefeld stellt sie dar, wie Muslime sich innerhalb ihres islamischen Referenzrahmens im Spannungsfeld von Islam und Religionsfreiheit verorten können.
Ein wesentlicher Schwerpunkt der Publikation – und auch eine ihrer Stärken – ist die Auseinandersetzung mit dem Ansatz des Islamwissenschaftlers Abdullah Saeed im dritten Kapitel. V. setzt sich intensiv mit dem Werk dieses »neuen Denkers« auseinander und vollzieht damit eine wesentliche Perspektiverweiterung, wenn sie als katholische Theologin nun die Frage der Religionsfreiheit aus der Perspektive eines islamischen Theologen reflektiert. Dabei sieht sie ihre Auseinandersetzung mit dem Werk von Saeed als exemplarisch an für die Argumentation weiterer muslimischer Denker, die sich bewusst als Muslime für das Recht der Religionsfreiheit einsetzen. V. wählt Saeed als Referenzperson, weil es ihm ein besonderes Anliegen ist, moderne Freiheitsrechte mit der islamischen Tradition zu versöhnen. Sie geht deshalb zunächst einmal auf die Grundansätze dieser neuen Denker des Islam ein, stellt dann Abdullah Saeed vor, beschreibt den kontextbezogenen Ansatz des Islamwissenschaftlers (gerade auch mit Blick auf dessen Interpretation von Koran und Sunna), erläutert dessen Offenbarungsverständnis und analysiert schließlich dessen theologische Anthropologie, um abschließend festzuhalten, dass Saeed sich für eine positive Wertung religiöser Diversität ausspricht, wobei er von der Gleichheit und Würde des Menschen ausgeht.
Damit ist ein wesentlicher Ansatzpunkt für eine Reflexion des Ansatzes von Saeed aus christlicher Sicht herausgearbeitet worden, die im vierten Kapitel erfolgt. Hier wählt V. – anknüpfend an die Überlegungen von Dupuis – eine inklusivistische Perspektive und verbindet sie argumentativ mit einem komparativen Ansatz, wenn sie schreibt:
»Mit der Wahl der inklusivistischen Perspektive nimmt die vorliegende Arbeit die Standortgebundenheit christlicher Theologinnen und Theologen ernst und ist zugleich darauf bedacht, den positiven Wert des Anderen für sich und die Entwicklung gemeinsamer Perspektiven fruchtbar zu machen. Zudem erscheint der gewählte Ansatz besonders passend, um das Anliegen der Arbeit zu verfolgen: Letztlich geht es darum, aus der theologischen Reflexion heraus Optionen für einen spezifisch christlich motivierten und dialogorientierten Einsatz für Religionsfreiheit zu entwickeln.« (167)
Mit dieser Aussage argumentiert V. für die von ihr gewählte Perspektive nicht nur theologisch, sondern darüber hinaus auch teleologisch mit Blick auf das von ihr mit ihrer Arbeit verfolgte Ziel. Sie zeigt auf, inwiefern Saeed insbesondere mit seinem Offenbarungsverständnis, seiner Koranhermeneutik und seinem Blick auf den Anderen Anknüpfungspunkte für einen aufrichtigen Dialog bietet– und wie christliche Theologie dieses Gesprächsangebot an­nehmen kann. Einen eigenen Fokus setzt sie auf den Dialog des Handelns, den Saeed als religionsübergreifende bzw. religionsverbindende Option bzw. Herausforderung betrachtet, um die Würde des Menschen zu verteidigen.
Im abschließenden fünften Kapitel formuliert V. schließlich Optionen für einen christlich motivierten dialogorientierten Einsatz für Religionsfreiheit. Sie zeigt auf, dass der Menschenrechtsansatz durch den Einsatz für die Religionsfreiheit aller Menschen, durch die Verteidigung der Religionsfreiheit als individuelles Recht und durch den Einsatz für die Universalität der Religionsfreiheit und Menschenrechte theologisch vertieft wird. Sie plädiert dafür, ganzheitliche islamisch-christliche Begegnungen zu fördern und das Ringen um Religionsfreiheit zu würdigen – gerade auch mit Blick auf die im islamisch-christlichen Dialog vielleicht schwierigste Frage des verantwortlichen Umgangs mit Mission und Konversion. Hier zeigt sich wiederum eine Stärke der vorgelegten Arbeit. V. verweist mit Blick auf die in der Praxis schwie-rigste Herausforderung auf ein hilfreiches Beispiel aus Algerien. Damit verortet sie ihre theoretischen Auseinandersetzungen in den gesellschaftlichen Kontext der arabischen Welt, so dass sie tatsächlich realitätsgedeckt sind. Schließlich geht sie auf die Bedeutung ein, kommunikative Grundlagen im islamisch-christlichen Dialog und ein religionsverbindendes Handeln zu schaffen, und kommt so zu ihrem zusammenfassenden Fazit, in dem sie mit Blick auf die von ihr vorgelegten Analysen festhält:
»Die Entwicklung von Optionen für einen christlich motivierten und dialogorientierten Einsatz für Religionsfreiheit ist ein neuer Weg, das Thema Religionsfreiheit im christlich-muslimischen Dialog zu behandeln. Aus den theologischen Reflexionen sind konkrete Handlungsoptionen erwachsen. In diesem Zusammenhang hat der Blick auf Praxisbeispiele gezeigt, wie die Religionsfreiheit durch den interreligiösen Dialog gestärkt wird und wie in diesem gemeinsamen Einsatz weiterführendes Dialogpotential entstehen kann. Die interreligiöse Zusammenarbeit ist nicht nur notwendig, um in pluralen Gesellschaften den Frieden zu sichern, sondern sie entfaltet auch ein besonderes Potential im Einsatz für Religionsfreiheit. Wer dialogorientiert auf die Lage der religiösen Freiheit schaut, der wird sich im Einsatz für dieses Menschenrecht beständig die Frage danach stellen, wie interreligiöse Koalitionen initiiert und gestärkt werden können.« (272)
Im vorgelegten Buch entwickelt V. Optionen für einen christlich motivierten dialogorientierten Einsatz für Religionsfreiheit. Dabei zeigt sie einen neuen Weg auf, das Thema Religionsfreiheit im christlich-muslimischen Dialog zu behandeln. »Christlich motiviert und dialogorientiert« bedeutet dabei eine dezidiert christliche Perspektive auf Religionsfreiheit einzunehmen, die die gewonnenen theologischen Erkenntnisse des Gesprächs mit Abdullah Saeed für die Praxis fruchtbar macht, und Optionen zu erarbeiten, die dazu beitragen, den interreligiösen Dialog im Einsatz für Religionsfreiheit zu nutzen und zu stärken. Der interreligiöse Dialog bezeichnet dabei nicht nur das Gespräch, sondern auch das religi onsverbindende gesellschaftliche Engagement. V.’ Ansatz stellt einen eigenständigen wissenschaftlichen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Frage der Religionsfreiheit im islamisch-christlichen Dialog dar und zeigt Perspektiven auf, wie der interreligiöse Dialog als performativer Prozess mit religionsverbindendem Charakter gestaltet werden kann.