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Ausgabe:

Juni/2022

Spalte:

519–534

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Günter Thomas

Titel/Untertitel:

Schöpfung, Risiko und Corona

Theologische Modelle der Desensibilisierung gegenüber der Gefährdung des Gefährders


I Die Grundfrage und die These

Die weltweite Covid-19 Pandemie hat in hohem Maße eine elementare medizinisch-biologische Gefährdung des Menschen sozial (weltweit), sachlich (wissenschaftlich eindeutig) und zeitlich (gleichzeitig) verobjektiviert. Die Pandemie erinnerte und erinnert immer noch mit Macht an ein sehr spezifisches Risiko bzw. eine Gefährdung des Menschen: das Risiko der gefährlichen Mutation von Viren, die den Selektionsdruck erhöhen.1 Es ist das Risiko einer Betroffenheit von den evolutionären Zufällen der Mutation in den natürlichen Umwelten des Menschen. Die vitale Gefährdung der naturalen Gestalt des Menschen durch die Natur konnten die Menschen durch eine begrenzende Intervention, d. h. durch Impfstoffe, reduzieren.

Warum haben die Kirchen und ihre Reflexionsinstanzen auf diese Gefährdung des Menschen weitestgehend (neben den lokalen diakonischen und seelsorgerlichen Initiativen) nur moralisch, nicht aber schöpfungstheologisch reagiert?2 Die zentrale These des Beitrages ist, dass sie es nicht konnten. Sie konnten es nicht, weil sie sich durch zumindest vier verschiedene theologische Modellkonstellationen für die Gefährdung des Menschen, die Gefährdung des Gefährders, gewissermaßen erfolgreich desensibilisiert haben. Theologie und Kirche entwickelten wirksame theologische De-sensibilisierungsstrategien gegenüber der biologischen und darin ganz und gar »natürlichen« Gefährdung des Menschen. Daher ist die Frage des folgenden Beitrags: Was sind die Modelle und was sind die in diese Modelle eingelagerten Strategien der Desensibilisierung gegenüber der Gefährdung des ökologischen Gefährders, die zu dem schöpfungstheologischen Schweigen führen?

Die Pandemie trat auf inmitten einer intensiven Beschäftigung der westlichen Staaten (OECD Staaten) mit Fragen des Klimawandels und der Ökologie. Die Theologie als Reflexionseinrichtung des organisierten Religionssystems erlebte in den letzten Jahrzehnten eine nicht mehr überschaubare Fülle an Publikationen zu diesem Thema.3 Für viele Angehörige der christlich-religiösen Reflexionselite an den Universitäten, in Kirchenleitungen und innerkirchlichen Bildungsorganisationen ist die ökologische Problematik die entscheidende Zukunftsfrage des Christentums geworden. Die Um­stellung auf Ökologie erreicht schon länger die Entscheidungsräume kirchlicher Organisationen und zielt für die Protagonisten auf einen Umbau aller theologischen Themen.4 Vor dem Hintergrund der vermeintlichen Intersektionalität aller Fragen der Ge­rechtigkeit wünschen sich viele Akteure eine Verbindung von Ökotheologie, feministischer Theologie und antikapitalistischer Befreiungstheologie. »Kein anderes Lehrstück der christlichen Dogmatik hat sich einen so wichtigen Platz in der Alltagssprache er­obert wie die ökologisch-emanzipatorisch umgestaltete Schöpfungslehre«, so die zutreffende Beobachtung von Reiner Anselm.5 Es zeigt sich: Die Pandemie hat mehrere fatale theologische Fehloptimierungen der ökologischen Schöpfungstheologie der letzten Jahrzehnte offengelegt. Die Gefährdung des Menschen innerhalb der Natur zu sehen und damit auch die Notwendigkeit innerhalb der Natur für ein gutes Leben zu kämpfen – theologisch: zu herrschen – ist weithin undenkbar geworden.

Angesichts der unübersehbaren Fülle an im weiteren Sinne schöpfungstheologischer Literatur soll methodisch eine Orientierung an idealtypischen Modellen vorgenommen werden. Wie in der Soziologie seit Max Weber die Bildung von Idealtypen für spezifische Forschungsfragen die Vielfalt des sozialen Lebens ordnet, so sollen im Folgenden die idealtypischen Desensibilisierungsmodelle und die in ihnen präsenten Strategien gebildet werden.6 Wie bei Idealtypen nicht anders erwartbar, reduzieren sie auf ihre Weise und auch ganz pragmatisch die Komplexität der empirischen Welt. Ihnen zugeordnete konkrete theologische Entwürfe werden immer auch vom Idealtypus abweichen.7 Wenn von idealtypischen Modellbildungen gesprochen wird, dann wird davon ausgegangen, dass theologische Entwürfe oder einzelne Texte den Modellen entsprechen und die Modelle in ihnen wirksam sind.8

Die vier Modelle sind auf markant unterschiedlichen Ebenen angesiedelt. Geht es im ersten Modell der »Nichtzuständigkeitserklärung« um einen sehr spezifischen Gesamtansatz für die Theologie, so stehen im zweiten Modell, dem Panentheismus, besondere theologische Entgrenzungen, Universalisierungen und Generalisierungen im Vordergrund. Im dritten Modell ist es ein eigentümlicher Imaginationsraum, der bestimmte anthropomorphe Leit-imaginationen und Assoziationen freisetzt und zugleich eigene Blindheiten erzeugt. Im letzten und vierten Modell sind es hoch selektive Muster des Zugriffs auf Teile der biblischen Traditionen, die zu einer systematischen Desensibilisierung führen.

In den folgenden Überlegungen bezieht sich die theologische Rede von Natur auf die naturalen Seiten des umfassenderen Ge­schehens der Schöpfung – innerhalb derer der Mensch in seiner leiblichen Konstitution existiert. Zwischen der theologischen Rede von Natur und den diversen Gebrauchsweisen von »Natur« in an­deren Wissenschaften bestehen je nach Kontext mehr oder weniger strikte Ähnlichkeitsbeziehungen.9 Die theologische Rede von Na­tur im Rahmen von schöpfungstheologischem Denken kann sich von biologischen und medizinischen Beschreibungen von Natur aus guten Gründen nicht vollständig entkoppeln.

II Modell 1

Religion als Deutung der Erfahrung der Welt anstelle einer Deutung der Welt


Hinsichtlich der Ausgangsfrage nach der theologischen Deutung des elementaren biologischen Ereignisses der Pandemie erklärt sich die Theologie in diesem ersten Modell einfach als nicht zuständig.

Es ist der mit der Philosophie Immanuel Kants und der Theologie Friedrich Schleiermachers anhebende breite Strom der Theologie, für den die religiöse Sprache sowohl in ihrer moralischen als auch in ihrer dogmatischen Abzweckung nicht die Welt interpretiert, sondern die spezifische menschliche Erfahrung der Welt. Religion und ihre Symbole wie Schöpfung oder die Erhaltung der Schöpfung artikulieren keine Welttatbestände, sondern das sinnhafte Erfahren der Welt in ihrer Ganzheit. Die wahrhaft »aufgeklärte« religiöse Rede von Schöpfung tritt daher entschlossen ne­ben eine naturwissenschaftliche Erfassung der biologischen Welt.10 Diese Verabschiedung einer pointiert auch kosmologischen Rede von Schöpfung befriedet, so die Hoffnung ihrer Protagonisten, das Verhältnis zu den Naturwissenschaften und verortet sie in einem Raum der Weltdeutung im Medium der Selbstdeutung.11 Eine im Kontext der Pandemie aufkommende Frage wie »Is nature evil or evil natural?« erscheint theologisch sinnlos, da an naturale Prozesse keine moralischen Maßstäbe heranzutragen sind.12 Die Schöpfungslehre wird, so die Binnensicht dieser Position, von den kosmologischen Ansprüchen befreit – sowohl in Blick auf eine Welterklärung als auch eine moralische Weltbewertung.13 Der Wirklichkeitsbezug der christlichen Aussagen zur Schöpfung und der in ihnen verhandelten Probleme ist über das Subjekt vermittelt, das sich als in einem Naturzusammenhang stehend begreift und wiederum darüber vermittelt in einem Gottesbezug. Selbstverständlich hat sich dieser Ansatz in den letzten Jahrhunderten weiter verzweigt. Unabhängig davon, ob man nun im Gefolge von Friedrich Schleiermacher einen eigenen Deutungsraum der Religion verteidigt, oder ob man eher wie Immanuel Kant die Religion in der Nachbarschaft zu Moral und ihrer Probleme ansiedelt, die Theologie ist die Deutung der in der Erfahrung sich vollziehenden Selbst- und Weltinterpretation – jenseits der theoretischen und empirischen Welterfassung. Dieses Modell entwickelte sich innerhalb der liberalen Theologie in den letzten Jahren in zwei Richtungen – in die Richtung reiner Selbstreferenzialität und in die Richtung von Resonanzfähigkeit – und wurde flankiert von Ansätzen hermeneutischer Theologie.

Den bemerkenswerten Endpunkt der Nichtzuständigkeit er­reicht die Entwicklung dieses Modells in der Annahme einer reinen Selbstreferenzialität religiöser Vorstellungen und der Zurückweisung jeglichen Verhältnisses der Repräsentanz in der Theologie des Wiener Dogmatikers Christian Danz.14 So ist dann die Rede von Schöpfung jeglichen kosmologischen, ja jeglichen empirischen Bezugs entkleidet. Der Gegenstand der dogmatischen Rede von Schöpfung ist der christliche Glaube selbst und seine Entstehung in der religiösen Kommunikation. Damit desensibilisiert sich die Theologie vollständig gegenüber empirischen Welten und ihren sozial, sachlich und zeitlich verobjektivierten Zumutungen. In der reinen Selbstreferenzialität der Deutung kann die Pandemie nur ein Nicht-Ereignis sein.

Eine doch auch gegenläufige Ausrichtung lässt sich in der Schöpfungstheologie des anderen liberalen Theologen Reiner Anselm beobachten.15 Für Anselm manifestiert sich in der Rede von der Schöpfung der »Versuch, die Welterfahrung des Menschen aus der Perspektive des christlichen Glauben zu interpretieren – und zwar mit einer die anderen Wahrnehmungen ›übersteigenden Interpretation‹«16. Diese Interpretation sollte sich aber nicht allzu sehr von der durch die Wissenschaften mit beeinflussten alltäglichen Wirklichkeitssicht entfernen.17 Dennoch verbleiben diese Korrekturen dem Leitmodell der Selbstinterpretation verhaftet. In dem Modell der religiösen Erfahrungsdeutung bleibt der naturale Sachverhalt der Virusmutation auch in seiner sozialen, sachlichen und zeitlichen Verobjektivierungsform außerhalb des Zuständigkeitsbereiches theologischer Aussagen.18

Innerhalb einer im weiteren Sinne hermeneutischen Theologie meint der Begriff der Schöpfung »eine Art und Weise der Wahrnehmung von Wirklichkeit […]. Der Begriff der Schöpfung soll zum Ausdruck bringen, dass alle Natur in einem bestimmten Licht, in einer bestimmten Perspektive des Verdanktseins verstanden wird.«19 Schöpfung ist, sprachphilosophisch formuliert, kein designativer, sondern ein perspektivischer und expressiver Begriff. Dies hat dann Folgen für das theologische Verstehen der Übel der Evolution und für die Beurteilung der Güte der Schöpfung im Angesicht der Corona-Pandemie.20 – Gott wird noch mitgeführt als eine wie auch immer alles bestimmende Wirklichkeit. Religiöse Praxis und ihre theologische Reflexion ist angesichts der Pandemie ein kosmologiefreies Erfahrungsmanagement. Zu dem der Erfahrung vorausliegenden, auf einer Sachebene angesiedelten biologischen Risiko oder – weniger realistisch, mehr konstruktivistisch formuliert – zu der nicht nur individuellen, sondern hochgradig verobjektivierten Risikoerfahrung muss die Theologie schweigen. Zu den Übeln und Risiken des evolutionären Prozesses lässt sich spezifisch theologisch nichts sagen.

III Modell 2

Panentheismus – Gott füllt die Welt oder die Welt ist in Gott


Das zweite Modell der Desensibilisierung eines theologischen Zu­gangs zur Gefährdung des ökologischen Gefährders Mensch ist der Panentheismus. In diesem im Raum der Ökotheologie enormdominierenden religionsphilosophischen Modell füllt Gott die ganze Welt, oder umgekehrt betrachtet, existiert die ganze Welt in Gott.21 Im Unterschied zum Pantheismus übersteigt die Wirklichkeit Gottes die Wirklichkeit der Welt. Daher kann die Transzendenz Gottes mit seiner intensiven Immanenz verbunden werden. Die Vorstellung einer radikalen Immanenz Gottes im Naturprozess prägt mit stark romantischen Anklängen eine Vielzahl gegenwärtiger Schöpfungstheologien – und ist doch Teil einer Verriegelungsstrategie gegenüber der Gefährdung des Gefährders. Im ökotheologischen Kontext fokussiert sich dieses Modell auf eine Präsenz Gottes speziell in der Natur. Blickt man auf die materiale christliche Symbolik in diesem Diskurs, so kann das Modell, darin besteht seine Elastizität in der Rezeption, nicht nur in vielfältigen Varianten auftreten, sondern auch anhand unterschiedlicher Leitsymbole ausgestaltet werden.22 Es kann eher theistisch, eher pneumatologisch oder christologisch ausgearbeitet werden oder zu einer Körper/Geist-Konstellation weiter entwickelt werden.23 Im Folgenden soll eine pneumatologisch akzentuierte, eine sakramentale und zuletzt als Weiterentwicklung eine posttheistische Vari­ante einer ›Dark Green Religion‹ angerissen werden.

1 Pneumatologischer Panentheismus


Im deutschsprachigen Raum ist es vor allem die als »Ökologische Schöpfungslehre« konzipierte Schöpfungstheologie Jürgen Moltmanns, die im Rahmen eines pneumatologisch ausgestalteten panentheistischen Modells entwickelt wird. Mit Verweis auf die Theologie Friedrich Oetingers erklärt Jürgen Moltmann in den 1984/85 gehaltenen Gifford Lectures (Edinburgh): »Gott der Schöpfer von Himmel und Erde ist in jedem seiner Geschöpfe und in ihrer Schöpfungsgemeinschaft durch seinen kosmischen Geist präsent. […] Gott ist nicht nur der Schöpfer der Welt, sondern auch der Geist des Universums. […] Die Geschichte der Schöpfung ist in dieser Hinsicht die Wirkungsgeschichte des göttlichen Geistes.«24 Der Geist ist »auf alles ausgegossen, was ist, […] auf die ganze Schöpfung«.25

Jürgen Moltmanns Panentheismus ist, wie die panentheistisch angelegten Schöpfungstheologien insgesamt, zutiefst »realistisch« angelegt und positioniert sich gezielt gegen eine die menschliche Existenz als hermeneutisches »Nadelöhr« begreifende, im weitesten Sinne hermeneutische Theologie. Dieser Realismus unterscheidet dieses Modell grundlegend von der hermeneutischen Distanz des ersten Modells. Den realistischen Anspruch formuliert Moltmann explizit: Insofern der »Evolution« der Schöpfung eine »Schöpfung der Evolution« entspricht, ist »der Begriff der Evolution […] als ein Grundbegriff der Selbstbewegung des Geistes zu verstehen.«26

Die wechselseitige Durchdringung von Gott und Welt spiegelt, so Moltmann, die innertrinitarische Perichorese Gottes. Der Ansatz bleibt panentheistisch und wird nicht pantheistisch, insofern sich Moltmann darum bemüht, eine eschatologische Spannung zwischen der gegenwärtigen Präsenz des Geistes Gottes in der Welt und der zukünftigen Präsenz zu erhalten, so dass im Resultat Gott der Welt immanent ist und transzendent bleibt. »Ist der schöpferische, Leben schaffende Geist Gottes in allen Dingen, dann ist er auch die Seele der Welt und wie die Seele über den ganzen Körper über alle materiellen Dinge ausgebreitet.«27 Die biblisch-theologisch zentrale Vorstellung der Schechina als spezifischer, d. h. beschränkter und begrenzter Einwohnung Gottes wird kosmisch entgrenzt.28 Diese Universalisierung der Geistesgegenwart in allen Dingen führt in der Folge zu großen Unbestimmtheiten im Lebensbegriff, der letztlich keine agonalen oder gar antagonistischen Elemente mehr enthalten kann und darf. Diesen Unterbestimmtheiten verdankt sich eine schwer zu übersehende Theodizeesensibilisierung. Ist z. B. der Sabbat die Darstellung der Vollendung der Schöpfung und Fest der Erlösung, so geschieht, so Moltmann, »die ganze Schöpfung um dieser Erlösung willen« – und dies bei einer engen Verflechtung von Evolution und »Geistesgeschichte«.29

Wie fragwürdig dieses Lebensverständnis ist, zeigt sich in Jürgen Moltmanns Schöpfungslehre bei der theologischen Thematisierung von Krankheit.30 So ist es der »Geist der Bejahung, der in die Lebensfreude und in die Todesschmerzen hineinführt«31. Die elementare biologische Dimension der Krankheit wird dabei weitestgehend, bis hin zur theologischen Bedeutungslosigkeit, in den Hintergrund gerückt, denn Krankheit ist inmitten aller Polemik gegen krankmachende Gesundheitsverständnisse vermeintlich zuallererst ein Sinnproblem. Als Sinnproblem steht die »Kraft des Menschseins« im Mittelpunkt, die »in der Annahme, der Begleitung und der Liebe des gebrechlichen und sterblichen Lebens liegt«32. Jegliches Motiv der kritischen und kämpferischen Auseinandersetzung mit lebenseinschränkenden Faktoren wird beim strikten Blick auf die »Schöpfungsgemeinschaft« und die »Daseinsfreude« übersehen. Dem Schöpfungsdank korrespondiert nirgendwo eine Schöpfungsklage. Selbst in der Krankheit ist Gott nicht gegen etwas agierend. Warum sollte es dann der Mensch tun? So bleibt hinsichtlich der vollständig geistdurchdrungenen Schöpfung die Herkunft des Chaos wie auch die »Tragik der nichtmenschlichen Natur«, die »Unerlöstheit des Leibes« im Dunkeln.33

Das Problem der Präsenz von Mächten des Chaotischen in der Schöpfung wird von Moltmann futurisiert. Wenn die Präsenz Gottes zur Einwohnung gesteigert wird, dann »wird die Präsenz Gottes alles erfüllen und die Mächte des Chaos und der Vernichtung werden aus der Schöpfung vertrieben« und dann ereignet sich die Neuschöpfung von Himmel und Erde. Während ein »einstelliger« theistischer Panentheismus schon mit der Frage ringt, wie in einer von Gott ganz erfüllten Welt Lebensabträgliches präsent sein kann, ohne den Charakter Gottes bzw. des Geiste als ambivalent zu verdunkeln, so steigern sich diese Probleme bei dem von Moltmann ins Auge gefassten trinitarisch »verbesserten« Panentheismus.

Wie kann etwas Gottes Intention nicht Entsprechendes in die Welt ›in Gott‹ kommen? Wenn Gott als Geist schon initial in allem ist, wie kann er dann gegen etwas sein? Warum bedarf die vom Geist durchdrungene Schöpfung der Erlösung? Anders formuliert: Gibt es Orte, Ereignisse und Prozesse, denen Gottes Widerwille gilt? Warum und wovon sollte eine vollständig und jederzeit geisterfüllte Welt noch erlöst werden? Im Horizont der Ausgangsfrage formuliert: Warum sollte man gegen das Corona-Virus vorgehen, wenn gilt: »Alles was existiert und lebt, manifestiert die Gegenwart dieser göttlichen ›Quelle des Lebens‹«34? Jedes Widersprechen gegenüber einer geschöpflichen Wirklichkeit würde zu einem Widerspruch in Gott führen. Wenn Gott in allem ist, dann kann die Theologie die Phänomene des Destruktiven, des Bösen und des Lebensabträglichen entweder um den Preis der Verdunklung des Gottesverständnisses ›umarmen‹.35 Die gesamte Ambivalenz der Welt- und Naturerfahrung wird dann auf Gott zurückgeführt. Oder aber es wird die tiefe Ambivalenz, d. h. auch die Gewalt in der Natur, abgeblendet, enthusiastisch maskiert oder geleugnet.36 Entsprechend leben, so Moltmann, die in einer Schöpfungsgemeinschaft lebenden Ge­schöpfe alle »miteinander, füreinander und ineinander« – und eben nicht voneinander oder gar gegeneinander.37 Die »kosmische Le­bensgemeinschaft zwischen Gott dem Geist und allen seinen Geschöpfen« zielt in der Gegenwart auf ein ökologisches Weltbewusstsein.38

Wie sich in diesem panentheistischen Modell der göttliche Geist als Belebung der ersten Schöpfung letztlich zum Geist als Kraft der Auferstehung, d. h. als göttlicher »Lebenskraft« verhält, bleibt dunkel.39 Existiert eine nicht aufzulösende Verbindung zwischen der Allgegenwart des Geistes und seiner Macht der Vergemeinschaftung, dann wird jede Logik der Unterscheidung, die Begrenzungen, Einhegungen und sonstige Formen der ›Herrschaft‹ denken lässt, als undenkbar oder illegitim erachtet.40 Die sich hier mit Macht anzeigenden Modellkonflikte zwischen einem pneumatologischen Panentheismus und einer klassischen Unterscheidung von Schöpfung, Versöhnung und Erlösung sind im Kern nicht überbrückbar und wurden auch von Jürgen Moltmann letztlich nicht aufgelöst.41 Gleichwohl hat sein Panentheismus einen exemplarischen Charakter.

2 Pansakramentalismus und tiefe Inkarnation


Die Allgegenwart Gottes im Gesamt der Schöpfung und damit auch der Natur kann, speziell im Schatten der ostkirchlichen Tradition, auch als räumliche, zeitliche und nicht zuletzt gegenstandsbezogene Generalisierung der Gegenwart Gottes im Sakrament begriffen werden. Innerhalb dieses Denkrahmens wird die Natur in einem der Inkarnation, dem Kreuz und der Auferstehung strikt entsprechenden Prozess gesehen. So können Leiden, Not und Ge­walt innerhalb der Natur als Leiden und Kreuz Jesu Christ gedeutet werden, wie auch schöne Phänomene als Auferstehung vor der Auferstehung.42 Unaufgeklärt bleibt allerdings das Problem, wie die solchermaßen göttliche Welt überhaupt in die ökologische Krise geraten kann und warum der Mensch als Gefährder zugleich in der Lage sein soll, sie zu retten. Ungeklärt bleibt auch, ob und wo der Mensch, z. B. durch Impfen, in die Natur gestaltend intervenieren darf.

Die von dem Kopenhagener Systematiker Niels Henrik Gregersen initiierte Denkrichtung der tiefen Inkarnation weist große Parallelen zu einem Pansakramentalismus auf und darf auch als spezifische Variante eines Panentheismus verstanden werden. So ist das Kreuz »an icon of God’s redemptive co-suffering with all sentient life as well as with the victims of social competition«43. Als Zeichen ist es Anzeige einer realen Präsenz des Logos in der gesamten Schöpfung, in dem gesamten evolutionären Prozess. Manifestiert sich aber in der Vorstellung eines in allem evolutionären Leiden präsenten Logos nicht eine religiöse Versöhnung mit dem Elend? Gegen welches Elend darf aktiv angegangen werden? Stellt die Anschlussvorstellung einer tiefen Auferstehung nicht eine Reduktion der Neuschöpfungshoffnung dar? In welchen Phänomenen der Evolution bezeichnet und erschließt sich der Logos? Und vor allen Dingen: Darf der Mensch und darf Gott gegen etwas im evolutionären Prozess sein – wie z. B. gegen eine gefährliche Mutation eines Virus? Darf hier mit Forschungen und Impfaktionen rebelliert werden? Dies sind einige wenige Fragen, die im Um­feld der tiefen Inkarnation weiterer Klärungen harren.

3 Heiligkeit der Erde und die tief grüne Religion als nachchristliche Naturreligion


»Die Erde ist heilig«, so formulierte programmatisch vor mehr als 20 Jahren Dorothee Sölle in ihrer Schöpfungstheologie.44 Speziell in der englischsprachigen Literatur mehren sich in den letzten zwei Jahrzehnten die Stimmen, die auf der Grundlage eines radikalen Naturalismus für eine Heiligkeit und damit eigene Religiosität der Natur plädieren.45 Insofern das Göttliche im Panentheismus der Welt nicht wahrnehmend, bewertend und intervenierend gegenübersteht, kann diese Heiligsprechung der Natur bzw. der naturalen Seiten der Schöpfung als gewissermaßen verlustfreie Weiterentwicklung dieses Panentheismus begriffen werden. Im Zeichen dieser religiösen Heiligkeitszuschreibung als Differenzmarker zum unheiligen Menschen vermischen sich ästhetische Aspekte der Er­fahrung des Erhabenen mit ethischen Aspekten des Schutzes und des Respekts.

Zwischen einer christlichen Heiligsprechung der Erde in einem im weitesten Sinne panentheistischen Modell oder einem christlich sakramentalen Verständnis einerseits und einem pointierten Erdglauben und einer Religion der Ökologie lässt sich ein gleitender Übergang beobachten.46 Im Anschluss an den norwegischen Philosophen Arne Næss entwickelte sich die Idee einer radikal ökozentrischen Philosophie der »Deep Ecology«.47 Im englischsprachigen Raum führte die Rezeption der »Deep Ecology« zur Entdeckung bzw. Konstruktion einer »Dark Green Religion«.48 Dies ist ein Sammelbegriff für eine Fülle an spirituellen Praktiken, die in ihrer Heiligung der Natur und in ihrer tiefen (zum Teil gewaltaffinen) Leidenschaft sozial auch traditionelle Religionen ersetzen. Die Dark Green Religion bringt radikale Umweltaktivisten, klassische New Age Anhänger, entschlossene Protagonisten biologischer Landwirtschaft und Vertreter einer kosmisch-ökologischen Psychologie zusammen – ob­wohl viele dieser Vertreter sich nicht explizit als religiös begreifen. Allen ist gemeinsam, eine gute und integre, mit einer sakralen Aura versehene Natur gegen die Menschen zu verteidigen. Dass sich auch umgekehrt die Menschen gegen die Natur verteidigen müssen, da­für gibt es in diesem Rahmen kein angemessenes Sensorium.

IV Modell 3

Anthropomorphe Imagination der Natur


Ohne Zweifel wurde im langen Schatten der Philosophie Francis Bacons die Natur nicht nur, aber doch auch als zu unterwerfende und von Seiten des Menschen als sich zu Nutzen machender Gegenstand betrachtet.49 Um die mit dieser Vergegenständlichung und für viele Beobachter zerstörerischen Verobjektivierung einhergehende negative Bewertung der Natur zu überwinden, wurde ab den 80er Jahren des 20. Jh.s ein neuer Imaginationsraum mit Macht in der öffentlichen Debatte eröffnet. Mit ihm wird dem anthropozentrischen Denken durch eine anthropomorphe Imagination der Natur begegnet. Die außermenschliche Natur wird in einen Imaginationsraum menschlicher Interaktion, Geselligkeit und Partnerschaft versetzt. Mit der Natur ist Frieden zu schließen und eine Versöhnung zu suchen, so exemplarisch und programmatisch der Titel des für die deutsche kirchliche Umweltbewegung wichtigen »Manifest zur Versöhnung mit der Natur«50. Im gleichen Imaginationsraum der sozialen Geselligkeit bewegt sich die Rede von einer Schöpfungsbefreiung und einem »Schalom« im Verhältnis von Mensch und Schöpfung.51 Auch der Motivkomplex der Gemeinschaft überträgt Vorstellungen kleinräumiger Interaktionsgemeinschaften in die Natur.52 Und dabei gilt: Am Familientisch wird nicht gestritten.

Zweifellos ist die Personalisierung bzw. Hypostasierung von nichtpersonalen Entitäten in poetischen und massenmedialen Dis­kursen nicht unüblich. Problematisch ist sie jedoch, wenn sie gewissermaßen realistisch an die Stelle analytischer Kategorien tritt und dann versucht, Spannungslagen unsichtbar zu machen. Der in eher familialen sozialen Bezügen verortete Imaginationsraum geht a) von einer grundsätzlich positiven und konfliktfreien Grundgestimmtheit aus. b) Darüber hinaus verführt die Orientierung an Partnerschaft und Geselligkeit dazu, dass die naturale Seite des Menschseins selbst ganz in den Hintergrund rückt. Die Natur ist nämlich bei diesem Blick das Andere, die nichtmenschliche Mitwelt. In der Folge fällt beispielsweise das Thema menschlicher Krankheit und somit auch die Corona-Pandemie aus dem Diskurs heraus. Ganz entsprechend gerät die Bedrohung der natürlichen Seite des Menschen durch die natürliche Mitwelt – ein Problem, das eine wesentliche Schubkraft des explorativen und nutzenorientierten Naturzugriffs im Paradigma von Francis Bacon war – ebenfalls aus dem Blick. c) Die anthropomorphe Naturauffassung erlaubt es, starke Brücken zu romantischen Vorstellungen zu bauen und zugleich die dunklen Seiten der Romantik, d. h. deren Thematisierung der Gewalt in der Natur und der moralischen Gleichgültigkeit naturaler Prozesse – »Nature red in tooth and claw« – abzublenden.53 Indem die Natur anthropomorph gedacht wird, wird sie zu einem Gesamtsubjekt, bei dessen Ge­samtbetrachtung die inneren Gewaltverhältnisse übersehen werden können. Dies dürfte nicht unwesentlich zur Rezeption der Gaia-These von James Lovelock im christlichen Umweltdiskurs beigetragen haben.54

Die implizite Paradoxie einer Überwindung eines Anthropozentrismus durch eine anthropomorphe Imagination der Natur kann zum offenen Widerspruch gesteigert werden, wenn es zur Aufgabe des Menschen erklärt wird, die Erde zu heilen.55 Die »ökologisch-emanzipatorisch umgestaltete Schöpfungslehre« ist, auch darin ist Reiner Anselm zuzustimmen, in Wahrheit »kein Gegenprogramm zur Moderne, sondern [führt] deren Grundeinsichten konsequent fort.«56 Ist die Erde ein Patient, so kann gewissermaßen in einer List der Geschichte die anthropomorphe Imagination mit einem hy­pertrophen Gestus eine Herrschaft der Heilung fordern bzw. aufrichten. Die im Bild der Heilung der Erde gegenwärtige Asymmetrie der Macht erzeugt offensichtlich eine Selbstgewissheit der Herrschaft, die die Selbstgefährdung ausblenden kann.57 Die Vorstellung der Heilung der Erde offenbart in einer ironischen Wendung der Ideengeschichte ein Pathos der überlegenen Herrschaft des Wissens und des Handelns und nicht zuletzt der eigenen Unverwundbarkeit.

V Modell 4

Die gute Schöpfung als der zu bewahrende Garten der Natur


Der kanadische Philosoph Charles Taylor hat für Vorstellungen, die eine größere Sozialität in ihren Wirklichkeitsannahmen und ihren moralischen Orientierungen formen, den Begriff der »social imaginaries« geprägt.58 Sozial gestützte und zugleich prägende kulturelle Leitimaginationen lassen sich aber nicht nur in epochalen Zeiträumen ausmachen. Sie finden sich gewissermaßen auch kleinfor­ma-tiger in Regionen theopolitischer Imagination und ins­besondere ökologischer Imagination. Eine nicht mehr zu fassende Fülle an schöpfungstheologischen Publikationen meint mit Verweis auf Gen 1,31 betonen zu müssen, dass die Schöpfung gut sei und dass sie, Gen 2,15 aufnehmend, zugleich zu bewahren sei. So entsteht für die religiöse Kommunikation ein »paradiesischer« Imaginationsraum, in dem die Motive Garten, Gutsein, Bewahren, Fruchtbarkeit, Blühen, Vielfalt, Einheit, Gottesnähe, Ungefährdetsein, Herrschaftsfreiheit, Gemeinschaft, Lebensbaum, Wasser, Geborgenheit und Einfachheit zu einer dichten Symboltextur miteinander verknüpft werden können. Die Symboltextur ist vielfältig anschlussfähig an romantisch-philosophische Fragmente wie Ganzheit, Gaia, Unschuld, Unversehrtheit und unberührte Wildnis.59 Das Motiv des Bewahrens einer guten Integrität durchzieht hunderte Veröffentlichungen im Horizont des oben erwähnten ökumenischen Prozesses »Justice, Peace, and Integrity of Creation«/»Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung«.60 Insofern dieser Paradies-Raum durch menschliche Handlungen verlassen bzw. beschädigt und krank gemacht wurde, legt es sich nahe, dass er durch Unterlassungshandlungen wiedergewonnen oder gar geheilt werden kann. Unter Zugrundelegung dieser Vorstellung einer vorgegebenen Harmonie und einer unbeschädigten Integrität kann die ökologische Ethik dann Selbstbegrenzung und Verzicht fordern.61

Wie unschwer zu erkennen ist, entsteht die Leitimagination, dass die gute Schöpfung wie ein zu bewahrender Garten sei, durch sehr eigentümliche Umgangsweisen mit dem Text des Buches Genesis. So wird zunächst ein Motiv des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts, das göttliche Urteil der Güte, mit dem Motiv des Bewahrens im Garten aus dem zweiten Bericht vermischt. Dadurch kann die innere Logik und die Notwendigkeit der Herrschaft in Gen 1,26.28 übersehen und das Herrschaftsmotiv pejorativ ausgeinselt werden.62 Hinzu kommt, dass die beiden Schöpfungserzählungen in Gen 1 und 2 weithin herausgeschnitten werden aus dem dramatischen narrativen Zusammenhang von Gen 1–11.63 Damit erspart sich die ökologische Theologie und Ethik die Einsicht, dass das Programm der Herrschaft und die Prädikation »Und siehe, es war sehr gut« umkippt in Gewalt in allem Lebendigen und der göttliche Blick auf die Erde in die Prädikation »Und siehe, sie war verderbt, denn alles Fleisch hatte seinen Weg verderbt« (Gen 6,12).64 »Die Erde füllte sich mit Gewalttat.«65 Zumindest in dem sogenannten priesterschriftlichen Erzählstrang geht die Gewalt explizit von Mensch und Tier aus.66 Ebenso nimmt die Rezeption des Motivs der Bewahrung des Gartens selten zur Kenntnis, dass in der narrativen Dramatik der zweiten Schöpfungserzählung der Mensch – und somit auch der gegenwärtige Mensch – aus dem Garten vertrieben ist und eine »utopische Erinnerung« vorliegt.67

Wie mächtig die Leitimagination der Bewahrung des guten Gartens der Natur ist, zeigt sich darin, dass noch in den Beiträgen, die über Gen 1 und 2 hinausgehen und die Gewaltproblematik in der priesterschriftlichen Erzählung wahrnehmen, die Gewalt – gegenläufig zum offensichtlichen exegetischen Befund – ausschließlich vom Menschen ausgeht.68

Durch diese Verengung der theologischen Imagination auf die vorhandene und zu bewahrende Güte des Gartens gibt es nur zwei Desensibilisierungsmöglichkeiten. Die Gefährdung des Gefährders kann schöpfungstheologisch beschwiegen werden und die Pandemie in ihren nicht-naturalen Seiten intensiv ethisch adressiert werden. Oder aber die Güte der Natur wird dadurch verteidigt, dass der Mensch ursächlich für das Aufkommen der Pandemie verantwortlich gemacht wird. So wird das Moment des Chaotischen nur mit dem die Herrschaft missbrauchenden Menschen verbunden und die Vorstellung des Schutzes der guten Natur vor dem Menschen kann aufrechterhalten werden.

VI Perspektiven


Die Covid-19-Pandemie hat vor Augen geführt, wie weitgehend und wie »erfolgreich« sich die meisten ökologischen Theologien gegenüber den Herrschaft erfordernden Härten der Natur desensibilisiert haben. Die Gefährdung des die Natur zweifellos auch ge­fährdenden Menschen durfte und konnte theologisch nicht gesehen werden. Es darf mit guten Gründen vermutet werden, dass die Konstellation paradox ist: Nur im Raum einer weitgehenden Beherrschung der Natur in westlichen Gesellschaften konnte sich die Vorstellung verbreiten, die Schöpfung sei nur zu bewahren und die Natur sei nur gut. An dieser Stelle ist die Schöpfungstheologie herausgefordert, einen theologischen und zugleich phänomenologischen Realismus zu entwickeln – zugunsten ihrer Sachgemäßheit und Glaubwürdigkeit. Die politischen Ereignisse des Frühjahrs 2022 verweisen noch auf andere Felder der Theologie, in denen ein theologischer und zugleich phänomenologischer Realismus wiedergewonnen werden muss.

Welche Modellkonstellationen der theologischen Reflexion sensibilisieren für die Gefährdung des Gefährders? Welche Diskursräume erlauben, die relative Ambivalenz der Natur theologisch aufzuschlüsseln? Es sind zumindest zwei Denkrichtungen, die zum Ab­schluss knapp anzudeuten sind.

Unter der Voraussetzung, dass Gott weder im klassisch theistischen Sinne allwirksam ist und auch nicht wie im panentheistischen Modell in allem ist, kann der Blick für Momente des Chaotischen und Gottwidrigen auch in geschöpflichen Zusammenhängen eröffnet werden. So ist neben dem schon erwähnten Motiv der ›Gewalt in allem Fleisch‹ zunächst der Motivkomplex des Chaotischen und der Nacht in den Vordergrund zu rücken.69 Auch die schöpfungstheologische Dimension der Krankenheilungen Jesu und nicht zuletzt das Seufzen der Schöpfung verweisen auf eine systematische Verschattung der Schöpfung.70

 Der zweite Diskursraum, in dem eine Gefährdung des Gefährders zumindest punktuell thematisch wird, ist die in der englischsprachigen Theologie intensiv geführte Debatte um die sogenannten Übel der Evolution und um eine Theodizee angesichts der hohen Kosten einer Evolution – eine evolutionäre Welt, die zutiefst von Zweideutigkeiten durchzogen ist und so nicht nur von Kooperation, Fruchtbarkeit und Schönheit geprägt ist. Sie ist auch bestimmt von Grausamkeit, Verlust und Aussterben, d. h. von Prozessen, die Raubbau, Wettbewerb um Ressourcen, Schmerz und Tod beinhalten.71 Da in diesem Zusammenhang eine hohe Sensibilität für die dunklen Seiten des evolutionären Prozesses und die agonalen Kräfte in der Natur vorhanden ist, kann auch die Gefährdung des Menschen in, durch und als Natur anerkannt werden.

Eine differenzierte Schöpfungstheologie, die »nach« der Pandemie die Gefährdung des Gefährders mit integriert, ist ein Desiderat. Ein solches Projekt wird gut daran tun, an die theologische Arbeit des britischen Theologen Christopher Southgate anzuschließen. Obwohl auch er nicht auf die Gefährdung des Menschen in und durch die Natur eingeht, verknüpft er auf wegweisende Weise das Problemfeld der Ökologie, der Evolution und deren Schattenseiten mit materialdogmatischen Reflexionen.72 Nur eine differenziert realistische Schöpfungstheologie wird auch die innere Dynamik zwischen Gefährdetsein und Gefährdersein erschließen.

Abstract


The Covid-19 virus posed an elemental threat to the natural foundations of human life. In relation to the natural aspects of creation, man proved to be an endangered danger. Based on the finding that the Corona pandemic has not been processed by theology and churches within the framework of an ecological theology of creation, the paper asks about the models and strategies of theological desensitization to the threat of humans as nature by nature. Ideal-typically, four models are identified: 1 the retreat of theology and religious language to the experience of the world; 2 panentheism, in which God knows no opposition; 3 an anthropomorphic imagination in which nature is thought with notions of sociability; and 4 an exegetical false abstraction that imagines nature as a good garden.

Fussnoten:

1) Die von Niklas Luhmann eingeführte und an anderer Stelle auch sinnvolle Unterscheidung von Gefahr und Risiko wird an dieser Stelle bewusst nicht angewandt. Zum Problem Niklas Luhmann, Risiko und Gefahr, in: Niklas Luhmann (Hg.), Soziologische Aufklärung 5: Konstruktivistische Perspektiven, Opladen 1990, 131–169, und Ders., Soziologie des Risikos, Berlin/New York 1991.
2) Exemplarisch für die ethische Orientierung der Kirchen ist die Positionierung der Gemeinschaft Europäischer Kirchen (GeKE). Vgl. Gemeinschaft Europäischer Kirchen, »Gemeinsam Kirche sein in einer Pandemie«–Reflexionen aus evangelischer Perspektive, in: GeKe Forum 29 (2021). Für eine Analyse, die auch den Zusammenhang zwischen Gottesverständnis und der Unfähigkeit zur Klage beleuchtet, siehe Günter Thomas, Endangerment and lament in the Covid Pandemic. Ways out of two theological impasses, Dialog 60 (2021), 360–368.
3) Zumindest für den englischsprachigen Raum ist das Erscheinen von Handbüchern Indikator einer Themenetablierung. Es waren in den letzten Jahren gleich vier: Willis Jenkins/Mary Evelyn Tucker (Hgg.), Routledge Handbook of Religion and Ecology, London/New York 2017; Bron Raymond Taylor (Hg.), Encyclopedia of Religion and Nature. 2 Vols., London/New York, NY 2008; Roger S. Gottlieb (Hg.), The Oxford Handbook of Religion and Ecology, New York 2006; John F. Hart (Hg.), The Wiley Blackwell Companion to Religion and Ecology, Chichester, West Sussex 2017. Vgl. auch die beiden neueren Literaturbesprechungen Sebastian Kistler, Bewahrung der Schöpfung, in: Verkündigung und Forschung 66 (2021), 67–79; Marion Grau, Theologische Beiträge zur Klimakrise und globaler Klimagerechtigkeit, in: Ebd., 153–158.
4) Im Raum steht die Forderung einer grünen Reformation, in deren Verlauf in der Tat alle Symbolbestände des Christentums ökologisch ›gewendet‹ werden. So der Tenor in Michael Biehl/Bernd Kappes (Hgg.), Grüne Reformation. Ökologische Theologie, Hamburg 2017, und explizit die Forderung in Louk Andrianos/Michael Biehl (Hgg.), Kairos for Creation. Confessing Hope for the Earth. The »Wuppertal Call« – Contributions and Recommendations from an International Conference on Eco-Theology and Ethics of Sustainability, Solingen 2019, 319: Die »ökologische Reformation des gesamten Christentums« soll sich beziehen auf alle »Aspekte des christlichen Lebens: auf Liturgie und Anbetung, auf das Lesen der Bibel, auf die Verkündigung und auf die Sakramente, auf die Gemeinden und ihr Glaubensleben, auf Beten, Fasten, Spiritualität, Lehre, Ethos, Bildung, Kunst, Musik, Ämter und missionarische Projekte.«
5) Reiner Anselm, Schöpfung als Deutung der Lebenswirklichkeit, in: Konrad Schmid (Hg.), Schöpfung, Tübingen 2012, 225–294, hier: 233.
6) Uta Gerhardt, Idealtypus. Zur methodologischen Begründung der modernen Soziologie, Frankfurt a. M. 2001. Zu betonen ist, dass in keinster Weise beansprucht wird, eine Rekonstruktion der schöpfungstheologischen Debatte zu bieten. Für einen instruktiven Rückblick auf die 70er bis 90er Jahre vgl. Ulrich H. J. Körtner, Solange die Erde steht. Schöpfungsglaube in der Risikogesellschaft, Hannover 1997; für die ökumenische Debatte vgl. Heinrich-Bedford Strohm, Schöpfung (Ökumenische Studienhefte 12), Göttingen 2001.
7) Wenn von idealtypischen Modellen gesprochen wird, dann wird davon ausgegangen, dass Modelle Beobachtungsinstrumentarien sind und zugleich Theologien Modellen entsprechen, weil diese in ihnen wirksam sind.
8) Modelle bewegen sich in dem Graubereich, in dem Findung und Erfindung sich treffen. Die theologischen Entwürfe lassen sich als Beleg, als Stütze und als Exemplar des idealtypischen Modells begreifen. Die Zweiseitigkeit des Modells (von/für) durchzieht die Modelltheorie. Siehe Reinhard Wendler, Das Modell zwischen Kunst und Wissenschaft, München/Paderborn 2013; Bernhard Thalheim/Ivor Nissen (Hgg.), Wissenschaft und Kunst der Modellierung. Kieler Zugang zur Definition, Nutzung und Zukunft, Berlin 2015, und Friedrich Balke/Bernhard Siegert (Hgg.), Modelle und Modellierung, Paderborn 2014, mit weiteren Verweisen.
9) Vgl. dazu Günter Thomas, Instabilitäten im Naturbegriff und Ambivalenzen der Natur. Einführende Beobachtungen zu den naturalen Seiten der Schöpfung, in: Bernd Janowski/Günter Thomas (Hgg.), Natur und Schöpfung (JBTh 34), Göttingen 2020, 1–24; Dirk Evers, Natur als Schöpfung, in: Thomas Kirchhoff/Brigitte Falkenburg (Hgg.), Naturphilosophie. Ein Lehr- und Studienbuch, Tübingen 2017, 23–31.
10) So die weit gefasste und zugleich programmatische Selbstbeschreibung in Ulrich Barth/Christian Danz (Hgg.), Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher – Troeltsch – Tillich, Berlin/Boston 2010.
11) So pointiert Ulrich Barth, Abschied von der Kosmologie. Welterklärung und religiöse Endlichkeitsreflexion, in: Ders. (Hg.), Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 401–426.
12) Zur Diskussion Cornel W. Toit (Hg.), Can Nature Be Evil or Evil Be Natural? A Science-and-Religion View on Suffering and Evil, Pretoria 2005, und Willem B. Drees (Hg.), Is Nature Ever Evil? Religion, Science, and Value, London/New York 2003.
13) Für eine konstruktive Verarbeitung der Krise dieses weiteren Problemfeldes des kosmologischen Redens siehe Christian Link, Schwierigkeiten des ›kosmologischen‹ Redens von Gott, in: Maurin Krzysztof/Enno Rudolph (Hgg.), Offene Systeme 2: Logik und Zeit, Stuttgart 1981, 245–283.
14) Christian Danz, Theology of Nature. Reflections on the Dogmatic Doctrine of Creation, in: HTS Teologiese Studies/Theological Studies 77 (2021), 1–7, mit Bezug auf die grundlegenden Überlegungen in Christian Danz, Jesus von Nazareth zwischen Judentum und Christentum. Eine christologische und religionstheologische Skizze, Tübingen 2020, und mit Verweis auf die religionstheoretischen Überlegungen in Folkart Wittekind, Theologie religiöser Rede. Ein systematischer Grundriss, Tübingen 2018, speziell 115–132, »Schöpfung und Wirklichkeit (Gegenstandsbereich religiöser Rede)«.
15) Anselm, Schöpfung (s. Anm. 5).
16) A. a. O., 225.
17) »… unbefriedigend ist […] auch eine Zuordnung von Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft, die beide Logiken als inkommensurabel beschreibt und sich sodann auf die Entfaltung bloß der eigenen Perspektive beschränkt.« (Reiner Anselm, Schöpfung [s. Anm. 5], 253). Für einen anderen Versuch, aus einem klassisch liberalen Ansatz heraus Brücken zu schöpfungstheologischen Diskursen zu schlagen, Georg Pfleiderer, Natur als ›Schöpfung‹. Zur Problematik und Produktivität theologischer Umweltethik, in: Daniela Demko/Bernice S. Elger (Hgg.), Umweltethik interdisziplinär, Tübingen 2016, 55–70.
18) Paradigmatisch, das Pandemieschweigen vorwegnehmend, ist die Behandlung der menschlichen Krankheit in der umfangreichen liberal-theologischen Studie Thorsten Moos, Krankheitserfahrung und Religion, Tübingen 2018.
19) Dirk Evers, Schöpfung bewahren oder verändern?, in: Gerald Hartung/ Thomas Kirchhoff (Hgg.), Welche Natur brauchen wir? Analyse einer anthropologischen Grundproblematik des 21. Jahrhunderts, Freiburg 2014, 417–428, hier: 423. Mit analogem Duktus Ingolf U. Dalferth, Radikale Theologie, Leipzig 2010, 240.
20) Zum Versuch, im Horizont hermeneutischer Theologie zwischen zumutbarem und unzumutbarem Leiden zu unterscheiden, Dirk Evers, Gott, der Schöpfer, und die Übel der Evolution, in: Berliner Theologische Zeitschrift 18 (2001), 60–75; zum religiösen Umdeutungsprozess von Krankheitsleiden Dirk Evers, Corona und die Güte der Schöpfung, in: Evangelium und Wissenschaft 42 (2021), 97–110, hier: 109. Für eine Anerkennung einer Integration von kognitiven, affektiven und evaluativen Komponenten in der Phänomenwahrnehmung auch im Kontext der Erfahrung des Malum, sozusagen einer relativen Begrenzung des strikt hermeneutischen Ansatzes, siehe Ingolf U. Dalferth, Malum. Theologische Hermeneutik des Bösen, Tübingen 2008, 23–28.
21) Philip Clayton, Panentheismus I. Zum Begriff und naturwissenschaftlich, in: Hans Dieter Betz et al. (Hgg.), RGG4 Bd. 6, Tübingen 2003, 848–849; Matthias Wolfes, Panentheismus II. Religionsphilosophisch, in: Ebd., 849; für eine instruktive religionswissenschaftliche tour d’horizon Loriliai Biernacki/Philip Clayton, Panentheism Across the World’s Traditions, New York 2014.
22) Zu den Varianten siehe exemplarisch Niels Henrik Gregersen, Three Varieties of Panentheism, in: Philip Clayton/Arthur R. Peacocke (Hgg.), In Whom We Live and Move and Have Our Being. Panentheistic Reflections on God’s Presence in a Scientific World, Grand Rapids, MI 2004, 19–36.290–293, und Philip Clayton, How Radically Can God Be Reconceived Before Ceasing to Be God? The Four Faces of Panentheism, in: Zygon 52 (2017), 1044–1059. Für einen instruktiven Überblick über das englischsprachige Feld Michael Brierley, Naming a Quiet Revolution. The Panentheistic Turn in Modern Theology, in: Philip Clayton/Arthur R. Peacocke (Hgg.), In Whom We Live (s. Anm. 22), 1–18. Eine enorm materialreiche, wenngleich weit ausholende Fundamentalkritik des Panentheismus aus einer reformierten Perspektive bietet John W. Cooper, Panentheism. The Other God of the Philosophers – From Plato to the Present, Grand Rapids, MI 2006.
23) Zu Letzterem und sich explizit dem Panentheismus zurechnend Sallie McFague, Life Abundant. Rethinking Theology and Economy for a Planet in Peril, Minneapolis, MN 2000, 141. »As the body of God, the world is a sacrament, the sacrament, the incarnation of God, so that while each thing is itself in all its marvelous particularity and uniqueness, it is a the same time and in and through its own specialness, the presence of God« (a. a. O., 150).
24) Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre, München 1985, 28.
25) A. a. O., 25: »Alles ist, lebt und webt in anderen, ineinander, miteinander, füreinander in dem kosmischen Zusammenhang des göttlichen Geistes.«
26) A. a. O., 32.
27) Jürgen Moltmann, Ethik der Hoffnung, Gütersloh 2010, 156 f.
28) Zu den historischen und biblisch-theologischen Hintergründen, die in ganz andere Richtungen weisen, Bernd Janowski/Enno Edzard Popkes (Hgg.), Das Geheimnis der Gegenwart Gottes. Zur Schechina-Vorstellung in Judentum und Christentum (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 318), Tübingen 2014.
29) Moltmann, Gott in der Schöpfung (s. Anm. 24), 280.
30) A. a. O., 273–278.
31) A. a. O., 273.
32) A. a. O., 277.
33) A. a. O., 81.
34) A. a. O., 25.
35) In diesem Sinne kann die prozesstheologische Schöpfungstheologie von Catherine Keller gelesen werden, die in pointierter Weise das Chaos zum kreativen Grund umgestaltet. Siehe Catherine Keller, Face of the Deep. A Theology of Becoming, London/New York 2003, mit einer deutlichen Verdunklung der Möglichkeiten in der apokalyptischen Lektüre der neutestamentlichen Apokalypse Dies., Facing Apocalypse Climate, Democracy, and Other Last Chances, Maryknoll, NY 2021.
36) Wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, ist eine Gestalt der Leugnung diejenige, welche die Gewalt – in der Folge einer reduktionistischen Exegese – ganz allein dem Menschen zurechnet.
37) Moltmann, Ethik der Hoffnung (s. Anm. 27), 157. Nur an einer Stelle geht Moltmann so weit, dass das Leben »voneinander« lebt (Moltmann, Gott in der Schöpfung, s. Anm. 24, 31).
38) Moltmann, Gott in der Schöpfung (s. Anm. 24), 28.
39) Vgl. dazu a. a. O., 80: »Der Heilige Geist ist die Kraft der Auferstehung. Die Kraft der Auferstehung ist der lebensschaffende Geist.« Dies wirft die Frage auf: Entwickelt oder wandelt sich der kosmische Lebensgeist?
40) An diesem Punkt bestehen Überschneidungen zu dem weiter unten vorgestellten Modell der anthropomorphen Imagination der Natur. Moltmann denkt sich die Schöpfungsgemeinschaft als konfliktfreie Geselligkeit. Die darin verborgenen Analysedefizite belasten auch seine politische Theologie.
41) Für einen neueren, faktisch mit ähnlichen Modellkonflikten ringenden Versuch siehe Jan-Olav Henriksen, The Experience of God and the World. Christianity’s Reasons for Considering Panentheism as Viable Option, in: Zygon 52 (2017), 1080–1097.
42) Exemplarisch prägnant und in der selektiven Kombinatorik beeindruckend John Chryssavgis, Creation as Sacrament. Reflections on Ecology and Spirituality, London/New York 2019, bes. 103–106.
43) Niels Henrik Gregersen, The Cross of Christ in an Evolutionary World, in: Dialog 40 (2001), 192–207, hier: 205. Die Varianten und Vertreter skizziert Denis Edwards, Deep Incarnation. God’s Redemptive Suffering With Creatures, Maryknoll, NY 2019, 1–27. Zur Darstellung und Diskussion des Konzeptes siehe Niels Henrik Gregersen (Hg.), Incarnation. On the Scope and Depth of Christology, Minneapolis, MN, 2015.
44) Dorothee Sölle, Lieben und arbeiten. Eine Theologie der Schöpfung, Hamburg 1999, 13.
45) Exemplarisch Donald A. Crosby, Nature as Sacred Ground. A Metaphysics for Religious Naturalism, Albany, NY 2015, der allerdings anders als viele andere eine tief abgründige Ambivalenz der Natur herausstreicht und darin faktisch den weiten Abstand zu vielen Traditionen des Christentums sichtbar macht. Siehe auch Ders., Living With Ambiguity. Religious Naturalism and the Menace of Evil, Albany, NY 2008, 20 f. Auf der deutschsprachigen Seite aus der Feder eines ehemals katholischen Universitätstheologen programmatisch Hubertus Mynarek, Ökologische Religion. Ein neues Verständnis der Natur, München 1986; analytisch kritisch Andreas Möller, Das grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird, München 2013.
46) Exemplarisch für den Übergang die Zusammenstellung in Catherine Keller/Laurel Kearns (Hgg.), Ecospirit. Religions and Philosophies for the Earth, New York 2007; Carol J. Adams, Ecofeminism and the Sacred, New York 1993; vielfältige Anschlüsse an vorchristliche und pagane Traditionen sucht die Dokumentation der von Heinrich Bedford-Strohm organisierten, gleichnamigen Bamberger Tagung, Sigurd Bergmann/Peter M. Scott u.a. (Hgg.), Nature, Space and the Sacred. Transdisciplinary Perspectives, Aldershot 2009.
47) Arne Næss/David Rothenberg, Ecology, Community and Lifestyle. Outline of an Ecosophy, Cambridge u. a. 1989; darauf aufbauend George Sessions (Hg.), Deep Ecology for the Twenty-First Century. Readings on the Philosophy and Practice of the New Environmentalism, Boston, MA 1995.
48) Bron Raymond Taylor, Dark Green Religion. Nature Spirituality and the Planetary Future, Berkeley, CA u. a. 2010; und Ders., Dark Green Religion. A Decade Later, in: Journal for the Study of Religion, Nature and Culture 14 (2020), 496–510.
49) Siehe dazu exemplarisch zum Programm und zu seinem relativen Recht Lothar Schäfer, Das Bacon-Projekt. Von der Erkenntnis, Nutzung und Schonung der Natur, Frankfurt a. M. 1993. Zum eingeschriebenen Utopiepotential Jerry Weinberger, Science, Faith, and Politics. Francis Bacon and the Utopian Roots of the Modern Age. A Commentary on Bacon’s Advancement of Learning, Ithaca, NY 1985. Für die in der deutschsprachigen Diskussion meist übersehene Verbindung zur Theologie ist instruktiv Stephen A. McKnight, The Religious Foundations of Francis Bacon’s Thought, Columbia, MO 2006.
50) Günter Altner/Gerhard Liedke, Manifest zur Versöhnung mit der Natur. Die Pflicht der Kirche in der Umweltkrise, Neukirchen-Vluyn 1984, darauf Bezug nehmend Jürgen Moltmann/Christian Link, Versöhnung mit der Natur?, München 1986. Eine vielfach zitierte Standardreferenz ist Klaus M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur. Praktische Naturphilosophie für die Umweltpolitik, München/Wien 1984.
51) Die Debatte um den ökumenischen Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung aufnehmend und mit reichen Belegen Ulrich Duchrow/Gerhard Liedke, Schalom. Der Schöpfung Befreiung, den Menschen Gerechtigkeit, den Völkern Frieden. Eine biblische Arbeitshilfe zum konziliaren Prozess, Stuttgart 1987; englisch Ulrich Duchrow/Gerhard Liedke, Shalom. Biblical Perspectives on Creation, Justice & Peace, Geneva 1989.
52) Wiederum pars pro toto Richard Bauckham, Bible and Ecology. Rediscovering the Community of Creation, Waco, TX 2010; Ders., Living with Other Creatures. Green exegesis and theology, Waco, TX 2011, 1–14. Für eine Leitfigur von Gemeinschaft und Verbundenheit ohne jegliches Moment des Agonalen siehe Peter Scott, A Political Theology of Nature, Cambridge 2003.
53) Michael J. Murray, Nature Red in Tooth and Claw. Theism and the Problem of Animal Suffering, Oxford/New York 2008; Alfred Tennyson, In Memoriam, in: Ders. (Hg.), The Complete Poetical Works of Tennyson, Cambridge 1898, 163–199; dazu kritisch Kenneth M. Weiss, »Nature, Red in Tooth and Claw«, So What? Tennyson Wrote His Famous Line With Evolution in Mind, But He Was Basically Wrong, in: Evolutionary Anthropology 19 (2010), 41–45.
54) James E. Lovelock, Gaia. A New Look at Life on Earth, Oxford 1979; zur Rezeption exemplarisch: Moltmann, Gott in der Schöpfung, (s. Anm. 24), und Ders., Die Erde und die Menschen. Zum theologischen Verständnis der Gaja-Hypothese, in: Evangelische Theologie 53 (1993), 420–438. Exemplarisch für die paradoxe Überwindung des Anthropozentrismus durch eine Entgrenzung der an­thropomorphen Imagination: »Die Gaja-Hypothese nötigt zur Auflösung des anthropozentrischen Selbstverständnisses und Verhaltens der Menschen und zu ihrer demokratischen Einordnung in das Gesamtleben der Erde« (429). Für Moltmann »gleicht die Ausbreitung menschlicher Zivilisation mit Massenstädten, Eisenbahnen, Autobahnen, Industriegebieten und Betonwüsten eher einem schädlichen Krebsgeschwür im Erdorganismus« (429). Hier zeigt sich, wie stark im problematischen Sinne romantisch geprägt, im Kern zivilisationsverachtend und, bedenkt man die reale Anzahl von zu versorgenden Menschen, letztlich faktisch lebensfeindlich dieses Denken ist.
55) So früh im ökofeministischen Diskurs Rosemary Radford Ruether, Gaia & God. An Ecofeminist Theology of Earth Healing, San Francisco, CA 1992; mit breiter kirchlicher Beteiligung und der Empfehlung für den Weltkirchenrat, eine Dekade zugunsten der Heilung der Erde auszurufen, Louk Andrianos/Michael Biehl (Hgg.), Kairos for Creation (s. Anm. 4).
56) So das treffende Urteil von Reiner Anselm, Schöpfung (s. Anm. 5), 233.
57) Außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses kann – wieder im anthropomorphen Denken – die Covid-Pandemie als Rache der Erde oder der Natur bzw. als ein Sprechen der Natur vorgestellt werden. So der damals noch amtierende Fußball-Bundestrainer Jogi Löw (www.kicker.de/loews_grosse_worte_die _ erde_wehrt_sich_gegen_die_menschen_-772409/artikel; abger. 20.01.2022); der Befreiungstheologe Leonardo Boff (https://leonardoboff.org/2020/10/28/coronavirus-gaias-reaction-and-revenge-3/; abger. 20.01.2022) und der deutsche Philosoph Navid Kermani, der den Missbrauch der Natur als Corona-Ursache überblendet mit Hölderlins Naturalleinheitsdenken (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/navid-kermani-zur-verleihung-des-friedrich-hoelderlin-preises-17039818.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2; abger. 20.01.2022). Für bemerkenswert bemühte Versuche, die Corona-Pandemie und die Umweltkrise auf der Ebene von Moral und Handlung zu verknüpfen, siehe https://www.ekd.de/coronakrise-okologische-krise-und-nachhaltigkeit-55144.htm#, abger. 10.01.2022.
58) Charles Taylor, Modern Social Imaginaries, Durham, NC/London 2004; in kurzer Vorform Ders., Modern Social Imaginaries, in: Public Culture 14 (2002), 91–124.
59) Siehe exemplarisch Laura Feldt (Hg.), Wilderness in Mythology and Religion. Approaching Religious Spatialities, Cosmologies, and Ideas of Wild Nature, Boston/Berlin 2012, ebenso John Gatta, Making Nature Sacred. Literature, Religion, and Environment in America From the Puritans to the Present, Oxford/ New York 2004, zur engen Verbindung von Schöpfungsdenken und Romantik in der literarischen und insbesondere auch theologischen Imagination (vgl. z. B. William Bertram, John Woolman, Jonathan Edwards, Emerson, Henry Thoreau). In der deutschsprachigen Literatur ist eine Brücke zur Romantik Friedrich Hölderlin. Dazu Luke Fischer, Hölderlin’s Mythopoetics. From »Aesthetic Letters« to the New Mythology, in: Rochelle Tobias (Hg.), Hölderlin’s Philosophy of Nature, Edinburgh 2020, 143–163. Dass ein zu bewahrender und zu bebauender Garten in der kulturellen Imagination immer schon eine Distinktion zwischen Ordnung und Wildnis darstellt, wird dabei übersehen.
60) Im Rückblick selbstkritisch bezüglich der Randständigkeit des Motivs des Bebauens: Gerhard Liedke, Ökologische Schöpfungstheologie. Eine Zwischenbilanz, in: Heinrich Bedford-Strohm (Hg.), Und Gott sah, dass es gut war. Schöpfung und Endlichkeit im Zeitalter der Klimakatastrophe, Neukirchen-Vluyn 2009, 34–40; siehe auch den Klassiker Gerhard Liedke, Im Bauch des Fisches. Ökologische Theologie, Stuttgart 1979.
61) Verantwortungsethisch Wolfgang Huber, Fortschrittsglaube und Schöpfungsgedanke, in: Ders. (Hg.), Konflikt und Konsens. Studien zur Ethik der Verantwortung, München 1990, 195–207, tugendethisch Celia Deane-Drummond, The Ethics of Nature, Malden, MA u. a. 2004.
62) Die von Lynn White vorgebrachten Vorwürfe wurden schon vielfach rezipiert und diskutiert. Exegetisch instruktiv und auch systematisch-theologisch erhellend Ute Neumann-Gorsolke, Herrschen in den Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie am Beispiel von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten, Neukirchen-Vluyn 2004, ebenso Jan Christian Gertz, Das erste Buch Mose Genesis. Die Urgeschichte Gen 1–11, Göttingen 2018, 63 ff. Eines der vielen Summarien der Debatte um die Rezeption und Wirkungsgeschichte des sogenannten Herrschaftsauftrags bietet Richard Bauckham, Living with Other Creatures (s. Anm. 52), Kapitel 2, 14–62. Eine phänomenologisch weithin unzureichend differenzierende Zurückweisung der Herrschaft ist Legion. Exemplarisch Christian Link, Schöpfung. Bd. 2. Schöpfungstheologie angesichts der Herausforderungen des 20. Jahrhunderts, Gütersloh 1991, 391–399; Ders., Schöpfung. Ein theologischer Entwurf im Gegenüber von Naturwissenschaft und Ökologie, Neukirchen-Vluyn 2012, 96–98; Jürgen Moltmann, Ethik der Hoffnung (s. Anm. 27), 154–156.
63) In der Reduktion für viele stehend Christof Hardmeier/Konrad Ott, Naturethik und biblische Schöpfungserzählung. Ein diskurstheoretischer und narrativ-hermeneutischer Brückenschlag, Stuttgart 2015; zum dramatischen Zusammenhang Bernd Janowski, Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte, in: Ders. (Hg.), Das hörende Herz. Beiträge zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments. Bd. 6, Göttingen 2018, 127–146; und Andreas Schüle, Die Urgeschichte (Gen 1–11), Zürich 2009.
64) Andreas Schüle, »And behold, it was very good … And behold, the Earth was corrupt« (Genesis 1:31, 6:12). The Prehistoric Discourse About Evil, in: Ders. (Hg.), Theology From the Beginning. Essays on the Primeval History and its Canonical Context, Tübingen 2017, 99–119, mit weiteren Verweisen.
65) Übersetzung von Gertz, Das erste Buch Mose Genesis (s. Anm. 62), 218, zur Stelle 246–248.
66) Selbst in der ersten Schöpfungserzählung verweist – gegenläufig zu dem Prädikat »sehr gut« – die Abwesenheit der Nacht am Sabbat darauf hin, dass mit der Nacht die »malign powers« gegenwärtig sind. Siehe Jon D. Levenson, Creation and the Persistence of Evil. The Jewish Drama of Divine Omnipotence (Mythos: The Princeton/Bollingen Series in World Mythology), Princeton, NJ 1994, 123 f.
67) Wiederum exemplarisch für den Neglect der Vertreibung aus dem Paradies, Celia Deane-Drummond, A Handbook in Theology and Ecology, London 1996, Kapitel 2.2. Wenn Dietrich Bonhoeffer in seiner 1933 veröffentlichten Schöpfungstheologie von einer »Welt zwischen Fluch und Verheißung« spricht, so markiert dies heute primär die Verschiebungen im Diskurs. Siehe Dietrich Bonhoeffer, Schöpfung und Fall (DBW 3), München 1989, 123–127. Zur utopischen Erinnerung Jürgen Ebach, Arbeit und Ruhe. Eine utopische Erinnerung, in: Ders. (Hg.), Ursprung und Ziel. Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit. Biblische Exegesen, Reflexionen, Geschichten, Neukirchen-Vluyn 1986, 90–110. Das Bebauen und Bewahren ist »keine gegenwärtige Möglichkeit, geschweige denn eine ›machbare‹. Es ist die Ausgewogenheit des verlorenen Paradieses« (a. a. O., 97).
68) Die Gewaltproblematik sieht als einer der wenigen sehr deutlich, aber nur als Gewalt gegenüber der Natur, Gerhard Liedke, Im Bauch des Fisches (s. Anm. 60), 171 ff.; Ulrich Duchrow/Gerhard Liedke, Schalom, Teil II (s. Anm. 51); Wolfgang Huber, Natur im Schatten der Gewalt (s. Anm. 61), 208–225. Für ein bemerkenswertes Übersehen der Gewalt innerhalb der Natur (Jes 11,6–9a; Jes 65,25) in einem weit ausgreifenden schöpfungstheologischen Diskurs siehe Othmar Keel/Silvia Schroer, Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, Göttingen 2002, 194–196. Irritierend ist, dass die ansonsten enorm umsichtige Studie von Link, Schöpfung (s. Anm. 62), an keiner Stelle auf das Problem der Krankheit als Krise der naturalen Dimension der Menschen stößt. Die Gewalt in der Schöpfung und die menschliche Gewalt gegenüber der außermenschlichen Natur, aber nicht die Rückbetroffenheit der Menschen im evo-lutionären Prozess durch Gewalt sieht Heinrich Bedford-Strohm, Schöpfung (s. Anm. 6), 198 f.
69). Exegetisch exemplarisch Jon D. Levenson, Creation (s. Anm. 66); Thomas Podella, Der ›Chaoskampfmythos‹ im Alten Testament. Eine Problemanzeige, in: Manfried Dietrich/Kurt Bergerhof (Hgg.), Mesopotamica – Ugaritica – Biblica. FS K. Bergerhof, Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1993, 283–329; Michaela Bauks, ›Chaos‹ als Metapher für die Gefährdung der Weltordnung, in: Bernd Janowski/Beate Ego (Hgg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte, Tübingen 2001, 431–464. Systematisch-theologisch einschlägig ist Karl Barths schöpfungstheologischer Zugriff auf das Phänomen der Krankheit. Siehe Karl Barth, Kirchliche Dogmatik. III/4. Die Lehre von der Schöpfung, Zürich 1951, 366–425.
70) Samuel Vollenweider, Seufzen statt Lobpreisen. Überlegungen zum Verhältnis von Schöpfung und Gebet in Römer 8, in: Bernd Janowski/Günter Thomas (Hgg.), Natur und Schöpfung (s. Anm. 6), 137–177, mit weiteren Verweisen. Systematisch Christopher Southgate, The Groaning of Creation. God, Evolution, and the Problem of Evil, Louisville, KY 2008; zu den Heilungen Jesu pars pro toto exegetisch und systematisch Jan-Olav Henriksen/Karl Olav Sandnes, Jesus as Healer. A Gospel for the Body, Grand Rapids, MI 2016.
71) Stellvertretend für eine Fülle an Beiträgen vgl. Willem B. Drees (Hg.), Is nature ever evil? (s. Anm. 12); Gaymon Bennett/Martinez J. Hewlett (Hgg.), The Evolution of Evil, Göttingen 2008. Beide Bände streifen zumindest die biologische Seite von Krankheit. Unter den deutschsprachigen Veröffentlichungen ragen heraus Hans Kessler (Hg.), Leben durch Zerstörung? Über das Leiden in der Schöpfung – ein Gespräch der Wissenschaften, Würzburg 2000; Ders., Gott und das Leid seiner Schöpfung. Nachdenkliches zur Theodizeefrage, Würzburg 2000. Michael Welker entwickelt das Motiv der Eigenmächte der Schöpfung weiter in Richtung zerstörerischer Seiten der Schöpfung. Vgl. Michael Welker, Schöpfung und Wirklichkeit, Neukirchen-Vluyn 1995, 64 ff.; Ders., Der erhaltende, rettende und erhebende Gott. Zu einer biblisch orientierten Trinitätslehre, in: Ders./Miroslav Volf (Hgg.), Der lebendige Gott als Trinität. Jürgen Moltmann zum 80. Geburtstag, Gütersloh 2006, 34–52.
72) Christopher Southgate, The Groaning of Creation (s. Anm. 70); Ders., Theology in a Suffering World. Glory and Longing, Cambridge 2018. Die Zeitschrift Zygon (53 [2018], Heft 3) hat dem Œuvre Southgates ein Sonderheft gewidmet.