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Ausgabe:

Mai/2022

Spalte:

496–497

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

McCormack, Bruce Lindley

Titel/Untertitel:

The Humility of the Eternal Son. Reformed Kenoticism and the Repair of Chalcedon.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2021. 350 S. = Current Issues in Theology. Geb. £ 29,99. ISBN 9781316518298.

Rezensent:

Petr Gallus

Mit diesem Band eröffnet der Systematiker Bruce Lindley McCormack aus Princeton sein dreibändiges Werk über eine »personale Ontologie des dreieinigen Gottes« (6), das später noch den erwählenden Gott und letztlich das Werk Christi behandeln soll.
Der erste Band soll eine reformierte kenotische Christologie bringen, indem er von der fundamentalen Einsicht ausgeht, dass in der zweiten Person der Trinität eine »essentielle Relation des ewigen Sohnes zum persönlichen Leben Jesu« bestehe, die laut McC. als »ontologische Rezeptivität« aufgefasst werden solle. Damit werde zugleich eine »Reparatur von Chalcedon« geleistet, die von der Einheit der Person Jesu ausgehe, zugleich den Dyotheletismus aufrechterhalte und eine »vorher nicht gehörte und nicht getestete« Lö­sung der chalcedonischen Unterscheidung von Gott und Mensch vorlege (11). Das Ziel sei eine »pneumatologisch getriebene Zwei-›Naturen‹-Christologie« (15), die das in der westlichen Christologie traditionell etablierte dyotheletische Schema umkehrt: Nicht der menschliche Wille in Christus ordnet sich gehorsam dem göttlichen unter, sondern es sei der von Ewigkeit rezeptive Sohn, der sich dem Menschen Jesus rezeptiv und demütig füge (22).
McC.s Denken speist sich vor allem aus drei Hauptquellen: aus der Bibel, aus der chalcedonischen Tradition und vor allem aus der Theologie Karl Barths. Entsprechend ist auch der Text strukturiert: Nach einer programmatischen Skizze seiner eigenen Auffassung (9–24) wendet sich McC. zuerst Chalcedon selbst zu und untersucht sein Umfeld (27–65). Er grenzt sich dabei radikal gegen den traditionellen Gedanken von Gottes Einfachheit und Impassibilität ab und gegen den Gedanken der enhypostasis, die es verbiete, dass der Mensch Jesus etwas zu der Konstitution der Person Christi beitrage (31), so dass Chalcedon letztlich zu Aporien führe. Das müsse repariert werden (58).
Danach geht er zur Kenotik über und widmet sich der Reformation (Chemnitz, die Reformierten), der Kritik von D. F. Strauss, der Antwort von I. A. Dorner und der deutschen und schottischen Kenotik des 19. Jh.s (Thomasius, Geß, Bruce, Mackintosh, 66–99). Hierbei wird vor allem jede Andeutung eines logos asarkos ohne jegliche Rückbindung an Jesus durchgehend kritisiert.
Danach kommen McC.s Favoriten an die Reihe: K. Barth, M. Bulgakov und H. U. von Balthasar, die den alten Kenotizismus überschritten und neue Schwerpunkte gesetzt haben sollen (100–158). McC. übernimmt von ihnen vor allem die Betonung, dass Inkarnation für Gott nichts Neues, keine Veränderung bedeuten dürfe, der logos asarkos also mit dem logos ensarkos identisch sein müsse. Der Sohn muss rezeptiv sein, um eine wahre Menschlichkeit Gottes zu ermöglichen. Diese Menschlichkeit kann es dann ihrerseits nur unter pneumatologischem Vorzeichen geben.
Hierauf folgt die Darstellung der Postbarthianer E. Jüngel, R. Jenson und P. Schoonenberg (159–195), die jedoch laut McC. den Sohn in den Menschen Jesus »kollabieren« lassen – d. h. den Sohn direkt mit Jesus identifizieren, wodurch kein Platz für einen Dyotheletismus bleibt – und dadurch auf die immanente Trinität in der Protologie verzichten. Angesichts dieser Konzepte will McC. vor allem drei Punkte vermeiden: Gott könne sich nicht mit der Inkarnation verändern, eine ontologische Möglichkeit zur Inkarnation muss er daher schon ewig in sich tragen; die Offenbarung des Sohnes in Jesus dürfe – gut reformiert – nicht direkt, sondern indirekt sein; die Ablehnung eines Dualismus in der Person Christi dürfe nicht die Beibehaltung einer legitimen dyotheletischen Dualität verhindern (194 f.).
Nach dieser kommentierten historischen Übersicht, die den Großteil des Werkes einnimmt, wendet sich McC. der Bibel zu und diskutiert christologisch-exegetische Fragen bei Paulus, im Hebräerbrief und in den Evangelien (200–245). Alle biblischen Texte werden von McC. stark ontologisch und auf die Präexistenz Jesu Chris-ti hin gelesen (238). Der wichtige Ertrag lautet: »der Sohn ist incarnandus« (220). Er sei kein Logos an sich, sondern stehe schon ewig »in Relation zu Jesus, der kommen soll« (243). »Jesus ist das Wort sowohl in der Ewigkeit (in Vorwegnahme) als auch in der Zeit (in der konkreten Realisierung).« Alle Rede vom Logos beziehe sich also auf den Menschen, der immer schon – wenn auch zuerst nur antizipierend – zur Identität des ewigen Gottes gehöre (244). Der Sohn sei also auch biblisch schon immer der Gott-Mensch (245).
Auf den letzten etwa 50 Seiten folgt die Ausführung von McC.s eigenem Vorschlag: seine »reformierte Version einer kenotischen Christologie« (249–296). Seine »Reparatur von Chalcedon« konzentriert sich vor allem auf die Präexistenz der zweiten Person der Trinität: Diese sei nur darin aktiv, dass sie »ontologisch rezeptiv« sei, d. h. indem sie die menschliche Aktivität Jesu in sich »absorbiert« (259). Dies sei die ewige Kenose des Sohnes, der nie anders als rezeptiv gewesen sei (263). »Ontologische Rezeptivität« mache also das Sein des Sohnes aus, gerade sie sei sein fundamentales göttliches Attribut (252). Seine Gottheit zeige sich also gerade in seiner Schwäche – er hat keine eigene »effective agency« (264.270). Der Sohn ist also als incarnandus von Anfang an auf die Inkarnation hingeordnet (282). Antizipatorisch gehöre auf diese Weise der Mensch Jesus schon von Ewigkeit zur Identität des Sohnes, der dadurch schon immer gott-menschlich sei, sogar noch vor der aktuellen Vereinigung (252 f.). Da der Sohn völlig rezeptiv sei (dies jedoch laut McC. auf eine aktive und eben nicht passive Weise), werde sein aktives Sein durch den Menschen Jesus ausgeübt, der seinerseits wiederum vom Heiligen Geist getrieben werde: »Der Gott-Mensch handelt nie anders als menschlich« (258). Der Sohn bleibe nur der »Grund« für die – gut reformiert durch den Geist vereinigte (272) – gott-menschliche Person (259); durch die Aufnahme der Menschlichkeit in sich werde er jedoch »erleuchtet« und »vervollständigt« (260). Dadurch sei Jesus Christus »ein einheitliches Subjekt mit zwei Gemütern [minds], Willen usw.«, jedoch mit nur einer Aktivität (261).
Das innovative Konzept erweckt natürlich auch Fragen: Die Rolle und das Sein des Sohnes ist ganz minimalisiert und seine innertrinitarische Identität bis zur Inkarnation eigentlich unvollkommen. Obwohl McC. Gegenteiliges behauptet (288), scheint die Gottheit des Sohnes deshalb eine andere als die des Vaters zu sein. Die Leerstelle der göttlichen Aktivität übernimmt dann der Geist, von dem die Menschheit Jesu voll geprägt wird, so dass sich fragen lässt, ob auch diese eigentlich nicht unterbestimmt ist. Darüber hinaus verlässt im Tode der Geist das menschliche Bewusstsein Jesu, so dass letztlich nur der Mensch stirbt, während der Sohn den mensch-lichen Tod nur »erfährt« (271). In diesem kritischen Punkt gelingt es McC. nicht, die vorher so betonte gott-menschliche Einheit beizubehalten, was mit dem dyotheletischen Ansatz zusammenhängen mag: Mit dem Dyotheletismus scheinen sich alle traditionellen Ap orien des angeblich einen Subjekts, das jedoch zwei Handlungszentren hat, zu wiederholen. Der wichtige chalcedonische Grundsatz, »Gott bleibt Gott und Mensch bleibt Mensch« (293), dürfte also bei McC. eigentlich in beiden Hälften hinterfragt werden.
Nichtsdestotrotz empfiehlt sich McC.s kenotische Christologie mit ihren treffenden historischen Beobachtungen und ihrer innovativen Lösung eindeutig zur Lektüre, da der Text einen wirklich systematischen Beitrag darstellt und dadurch zu eigenem Durchdenken und produktiver Auseinandersetzung zwingt.