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Ausgabe:

Mai/2022

Spalte:

487–488

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schiller, Hans-Ernst

Titel/Untertitel:

Ähnlichkeit und Analogie. Zur Erkenntnisfunktion des mimetischen Vermögens.

Verlag:

Berlin: Frank & Timme 2021. 120 S. = Philosophie, 3. Geb. EUR 24,80. ISBN 9783732907670.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Folgende, sehr einfache Typologie an Formen des Unterscheidens sei vorgeschlagen: 1) das Denken in Eindeutigkeiten, d. h. in Identität oder Alterität samt den meist unversöhnlichen clear cuts sauberer Differenzen; sodann 2) die Gegenbewegung, die einmal ge­troffene Trennungen ihrer Klarheit entnimmt, labilisiert und Überlappungen, Implikationen, Allianzen zwischen den Elementen erkennt; und schließlich 3) das Denken in »Zwischengliedern«, Übergängen, des Mimetischen, das je nach Kontext des Erkennens und Erkannten Schwerpunkte im Spektrum zwischen Fremdheit und Verwandtem setzen kann. Kierkegaard war ein Vertreter der ersten Gruppe: »Entweder/Oder«; Derrida und, auf ganz andere Weise, Niklas Luhmann dürften vielleicht als Mitglieder der zweiten Fraktion gelten; der späte Wittgenstein, aber auch »kritische« Theoretiker wie Benjamin und Adorno personalisieren die dritte Spielart.
Das Denken in Identität und alternem Gegenpol, aber auch noch Figuren wie die dekonstruktivistische différance, ebenso der re-entry der gesetzten Unterscheidung auf beiden Seiten der Differenz sind zumeist binär kodiert. Erst die dritte Gruppe unterhält ein – etwas salopp gesagt – entspannteres Verhältnis zum Sprachspiel des Unterscheidens. Hier nun dominieren die grauen Zwischentöne und Nuancen. Ähnlichkeiten sind graduell, um sich in bestimmte Hinsichten zu differenzieren, ohne den unähnlichen Widerpart ausschließen zu müssen. Analogien ruhen nun auf der similitudo, sofern eine Eigenschaft unterschiedlichen Objekten zugesprochen wird (analogia attributionis: x → a,b,c, …) oder eine Ähnlichkeit in Verhältnissen festgehalten wird (analogia proportionalitatis: a:b ~ x:y; und dies als Proposition oder als Schlussverfahren).
Zwar ließe sich (mit Albrecht Koschorke) sagen, Ähnlichkeit und Analogie seien Kategorien der Entdramatisierung, weil sie das Fluide, Kontextuelle, ja Relative zuließen; sie sind nicht einmal darauf festgelegt, ihre Ergebnisse als dem Gegenstand »objektiv« abgelesen (entis) oder kognitiv nur zugesprochen (nominum) zu präsentieren. Doch auch das Mimetische hat seine Limitierungen, zumal das Behaupten von Ähnlichkeiten auch in paternalistische Vereinnahmung übergehen kann. In diesen Fällen gilt in der Tat: »Wer unterscheidet, hat mehr vom Leben.«
Dieser das Leben intensivierenden Denkfigur des Ähnlichen (und, weniger direkt, des Analogen) nimmt sich Hans-Ernst Schiller, bis 2018 Professor für Sozialphilosophie und Ethik an der Hochschule Düsseldorf, in einem kurzen Büchlein an. Einige der obigen Erwägungen zum Thema kommen in dieser Studie auch zum Zug. Die knappe Vorrede erinnert an den »Akt der Wahrnehmung«, welcher die skizzierte Doppeldeutigkeit von Ähnlichkeiten zwischen bestehenden Eigenschaften und nur postulierten Beziehungen einfängt (9 f.). Es folgen 15 essayistische Vignetten zum Thema, die der Erkenntnisfunktion des mimetischen Vermögens – und Begehrens – nachgehen. Es beginnt mit Benjamin, der die Mimesis als Gabe betrachtet, Ähnlichkeiten hervorzubringen, insbesondere im Blick auf die Sprache. Es folgt ein Text zur Herrschaftskritik, wobei die Verdrängung des mimetischen Impulses der modernen Rationalisierung zugeschrieben wird (25), während eine revoltierende Mimesis als kritischer Modus gegen die allein instrumentelle Vernunft gelte (30). Auch auf Foucaults bekannte Taxonomie (in Die Ordnung der Dinge, Kapitel 2) zu verschiedenen Vorstellungen von Ähnlichkeit im 16. Jh. kommt S. zu sprechen, um dann eigens die Marginalisierung der Ähnlichkeit und Analogie im Übergang vom Empirismus Bacons zum Rationalismus Descartes’ zu thematisieren (77 f.). Erst in der Hegelschen Dialektik komme es zu einer vorsichtigen Rehabilitierung der Analogie, die den Mangel induktiven Denkens zu verarbeiten helfe (83). Der 15. und letzte Kurztext nimmt sich der »Politik der Ähnlichkeit« an, um sich die Frage vorzunehmen, wie es um ein sich der Natur anpassendes Denken in Zeiten kapitaler und kapitalistischer Naturzerstörung stehe (108). Dabei gelte jedoch, dass sich der Mensch erst in der bereits bearbeiteten Natur mit dieser versöhnen könne (so 110).
Sicher ist damit das letzte Wort in dieser Sache kaum gesprochen. Es gibt nun einmal Bücher, die eher geschlossen und final auftreten, und, neben allen literarischen »Zwischengliedern«, solche, die andeuten, um hier und dort einen Blick auf (Un)Bekanntes zu öffnen. S.s kleine Schrift ist Exemplar dieser Gattung und damit gehört sie – wie die Ähnlichkeit und Analogie auch – zu einer »Hermeneutik des Vorläufigen«, um es noch einmal mit Koschorke zu sagen.