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Ausgabe:

Mai/2022

Spalte:

485–488

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

Titel/Untertitel:

Initia Philosophiae Universae. Erlanger Vorlesungen WS 1820/21. 3 Bde. Hgg. v. A. Bilda, A.-L. Müller-Bergen u. Ph. Schwab. Unter Mitarb. v. Ph. Höfele, P. Rezvykh, S. Sartori u. S. Wulf.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2020. XXX, 1444 S. m. 6 Abb. = Schelling: Historisch-Kritische Ausgabe. Reihe II: Nachlaß, 10,1–3. Lw. EUR 894,00. ISBN 9783772825934.

Rezensent:

Georg Neugebauer

In der ersten Dekade des 19. Jh.s ging Schellings akademische Karriere steil bergauf. Nachdem er drei Jahre in Würzburg gelehrt hatte, trat er im Jahre 1806 in den bayerischen Staatsdienst ein, wurde Mitglied der bayerischen Akademie der Wissenschaften und Generalsekretär der Akademie der bildenden Künste. Gleichwohl waren diese ersten Münchener Jahre für ihn zwiespältig. Nicht zuletzt gesundheitliche Probleme führten 1820 zu dem Entschluss, beim bayerischen König einen Wechsel von München nach Erlangen zu ersuchen. Mit diesem Wechsel erhoffte sich Schelling eine bessere körperliche Verfassung, aber auch die »›geist- und zeitzersplitternde Einwirkung einer Hauptstadt‹« (60) hinter sich zu lassen. Sieben Jahre sollte er in Erlangen verbringen, bevor er dann wieder nach München zurückkehren würde.
Nach Erlangen gegangen zu sein, bedeutete vor allem auch, nach 14 Jahren wieder im Rahmen des universitären Lebens Vorlesungen zu halten. Den Anfang machte eine propädeutische Vorlesung unter dem Titel Initia philosophiae universae, die Schelling im Wintersemester 1820/21 hielt. Das Programm einer geschichtlichen Philosophie, an dem er sich schon so lange abgearbeitet hatte, sollte noch einmal von ihren Anfängen her genetisiert werden. Damit einhergehende Verschiebungen des Begriffsinstrumentariums zeichnen sich in den Initia ab. Am bekanntesten dürfte die Konzeptualisierung des Begriffs der »Ekstase« (202 ff.) sein, der an die Stelle des Ausdrucks »intellektuelle Anschauung« tritt.
Zugänglich war diese Vorlesung bislang als Teilabdruck in den Sämmtlichen Werken, wo sie unter dem Titel Ueber die Natur der Philosophie als Wissenschaft aufgenommen worden war. Des Weiteren hatte Horst Fuhrmans eine Nachschrift von Friedrich Leonhard Enderlein gefunden und 1969 veröffentlicht. Mit der nun vorliegenden Edition hat sich die Quellenbasis erheblich erweitert und verbessert. Denn sie umfasst auch das bislang nicht veröffentlichte Manuskript Schellings, das im ersten der drei Teilbände ediert ist. Der zweite Teilband beinhaltet sodann Neueditionen der bereits genannten Vorlesungs-Varianten aus den Sämmtlichen Werken und von Enderlein. Aber er bietet auch eine bislang unveröffentlichte anonyme Vorlesungsnachschrift (eine in der Universitätsbibliothek Breslau erhaltene Nachschrift wurde erst nach Abschluss der Edition bekannt, vgl. 4, Anm. 1). Ergänzt werden die vier Editionen durch weitere, teilweise noch nicht veröffentlichte Texte, die Schellings Vorlesungstätigkeit in Erlangen dokumentieren. Sie sind ebenfalls im zweiten Teilband enthalten. Der dritte Teilband schließlich umfasst die erklärenden Anmerkungen, die Register und die Verzeichnisse. Gerade die Erklärungen sind für die Auseinandersetzung mit den hier vorliegenden Quellen ausgesprochen hilfreich. Das gilt nicht zuletzt für die ausgewiesenen Bezüge zu Schellings Weltalterprojekt.
Der enorme Umfang der Edition lässt bereits die Schwierigkeiten und Herausforderungen erahnen, die mit diesem ambitionierten Unternehmen verbunden waren. Dazu gehört das schwer leserliche Manuskript Schellings genauso wie die teilweise erheblichen Abweichungen der drei anderen Vorlesungsquellen. Es ist das große Verdienst dieser Edition bzw. ihrer Herausgeber, ein komplexes Verweissystem zwischen den vier Quellen entwickelt zu haben. Dabei bildet Schellings eigenes Manuskript den Referenztext. Jede Manuskriptseite ist hier in drei Segmente unterteilt worden (a, b, c). Diese Angaben werden in den anderen Vorlesungsdokumenten kenntlich gemacht, so dass die Parallelen leicht zu finden sind. Ebenso werden jeweilige Fehlstellen typographisch ausgewiesen. Schellings Manuskript ist jedoch kein vollständig ausformulierter Text, sondern enthält mehrere Textarten: ausformulierte Haupttexte, Stichworte und Konzepte, die innerhalb einer Vorlesung teilweise in unterschiedlichen Fassungen vorliegen und zusätzlich synoptisch wiedergegeben werden. Die minutiös aufbereiteten Quellenbestände helfen, sich in den schwer zugänglichen und teilweise abgründigen Gedankenfluchten der Initia-Vorlesung orientieren zu können.
Aber auch der editorische Bericht sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt. Schellings Wechsel von München nach Erlangen sowie die Entstehungsgeschichte der Vorlesung werden hier ausführlich thematisiert und dokumentiert. Diese Ausführungen sind allein schon insofern lesenswert und aufschlussreich, als darin bislang nicht veröffentlichtes Quellenmaterial Eingang gefunden hat.
Bei der vorliegenden Edition handelt es sich insgesamt um eine hochelaborierte Aufarbeitung der Quellenbestände zur Initia-Vorlesung. Das Resultat ist schlichtweg beeindruckend. Die Herausgeber und ihre Mitarbeiter haben hier Kärrnerarbeit geleistet und ihnen gebührt großer Dank für diese herausragende Leistung.