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Ausgabe:

Mai/2022

Spalte:

477–479

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Yagi, Takayuki

Titel/Untertitel:

A Gift from England. William Ames and his Polemical Discourse against Dutch Arminianism.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020. 202 S. m. 1 Abb. = Reformed Historical Theology, 60. Geb. EUR 110,00. ISBN 9783525522073.

Rezensent:

Marc Bergermann

Warum der in seiner britischen Heimat geschasste, puritanisch geprägte Theologe William Ames (1576–1633) als ein Geschenk aus England für die durch den Arminianismus in turbulente Zeiten gestürzte reformierte Orthodoxie der Niederlande (und Europas insgesamt) aufgefasst werden sollte, das möchte Takayuki Yagi den Lesern und Leserinnen mit seiner 2020 veröffentlichten kirchengeschichtlichen Monographie und Dissertationsschrift »A Gift from England« (2019, Universität Edinburgh) nahebringen und damit zugleich einen korrigierenden und präzisierenden Beitrag zur Wahrnehmung der Theologie Ames’ und seiner Relevanz für die Arminianische Kontroverse leisten.
Y. outet sich bereits in seiner Danksagung als passionierter Lateiner – wer nun aber fürchtet, zum Verständnis das eigene Lexikon für neuzeitliches Latein hervorholen zu müssen, kann beruhigt werden: Y. bietet sämtliche Zitate aus den lateinischen, antiarminianischen Schriften Ames’, welche die Hauptquellen sei-ner Untersuchung darstellen, in englischer Übersetzung und er­schließt diese Texte, die im Schatten des theologischem Hauptwerks Ames’, dem mehrfach wiederaufgelegten Lehrbuch Medulla Theologicae (Marrow of Theology), stehen, damit einer breiteren Leserschaft.
Die Lektüre erfolgt zudem erfreulich voraussetzungsfrei auch für all diejenigen, die sich bislang wenig mit der Gestalt Ames’ befasst haben: Innerhalb der Einleitung skizziert Y. kompakt und ohne Abschweifungen die wichtigsten Stationen in Ames’ Lebenslauf mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Dordrechter Synode (13–30). Einen Großteil seines Lebens verbrachte der englische Theologe mit puritanischer Erziehung und Prägung im niederländischen Exil, wo er sich durch seine Schriften Renommee in der reformierten Orthodoxie verschaffte. Ames’ Ruf führte zu seiner Ernennung zum theologischen Berater des Präsidenten der Synode von Dordrecht, wodurch er, so eine These Y.s, keinen geringen Ein fluss auf deren theologische Weichenstellungen gehabt habe. Nachdem die Interventionen englischer Behörden und Amtsträger Ames mehrere Karrierewege verstellt oder beendet hatten, fand er schließlich bis zu seinem Tod 1633 mit niederländischer Unterstützung Anstellung als Professor der Theologie an der der reformierten Orthodoxie verschriebenen Universität Franeker.
Bezeichnenderweise benennt Y. im Anschluss an diese biographische Skizze zwei seiner maßgeblichen Forschungsinteressen noch vor der Beschreibung von Zweck, Methode und Struktur der Untersuchung: zum einen die Frage, inwiefern die Behauptung, Ames sei selbst Arminianer gewesen oder hätte diesen zumindest nahegestanden, tragfähig sei (30–34) – eine These, die insbesondere auf voluntaristischen Aussagen in seinem Hauptwerk Marrow of Theology fußt und von R. T. Kendall in Calvin and English Calvinism to 1649 (Eugene, OR, 2006) vorgetragen wurde; zum anderen die Frage, inwiefern Ames’ Argumentation in seinen antiarmianischen Schriften von mittelalterlichen scholastischen Traditionen, insbesondere der Thomisten und Scotisten, geprägt ist – und mit welcher Gewichtung und Priorität diese Schulrichtungen bei ihm präsent seien. Letztere Frage beschreibt Y. zwar als sekundär für die Zielsetzung seiner Studie (37), dennoch zieht sie sich wie ein zusätzlicher Roter Faden durch das Werk, ohne dass Y. dadurch dessen primäres Ziel aus dem Blick verliert.
Dieses sieht Y. darin, Ames’ Argumentation gegen den Arminianismus nachzuvollziehen und dessen spezifischen Beitrag für die Arminianische Kontroverse herauszuarbeiten (37). Erfreulicherweise bemüht Y. hierzu keine einem derzeitigen Trend unterworfene Methode, sondern betreibt konservative Quellenstudien, bei denen Ames’ bislang vernachlässigte polemische Schriften im Fokus stehen und Marrow of Theology in deren Licht gelesen wird (38). Die Struktur der Untersuchung richtet Y. an vier dogmatischen Themenkomplexen aus, die wiederum durch die Artikel der Remonstratie von 1610 aufgeworfen und bei der Synode von Dordrecht 1618–19 diskutiert und in ihrer arminianischen Interpretation verworfen wurden: die hitzig umstrittene Prädestinationslehre (Kapitel 2, 41–74), die Frage nach der Wirksamkeit des Erlösungswerks Christi für alle oder nur für die Erwählten (Kapitel 3, 75–111), die Bestimmung des Verhältnisses von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit im Prozess der Bekehrung (Kapitel 4, 113–148) und zuletzt die Frage nach der Beharrlichkeit der Heiligen im Glauben (Kapitel 5, 149–182). Zwischenzusammenfassungen und Fazit (183–190) erleichtern die Er­tragssicherung und erneutes Anknüpfen für die Leser.
Y. gelingt es innerhalb dieser dogmatisch orientierten Struktur zu verdeutlichen, warum er in Ames einen wichtigen Vordenker und Zuarbeiter der Dordrechter Synode sieht, und niederländische Zeitgenossen Ames als ein Geschenk aus England für die reformierte Orthodoxie im Kampf gegen den Arminianismus und für einen Primat der göttlichen Allmacht wahrnehmen konnten. Insofern löst sich für Y. mittels seiner Quellenstudie auch der mitunter aufgeworfene Vorwurf mancher seiner Zeitgenossen und späterer Forscher, Ames sei selbst aufgrund eines Primats des Willens, wie in Marrow of Theology sichtbar, der Arminianischen Sache verpflichtet gewesen, als absurd auf.
Immer wieder wird zudem Y.s allgemeines Forschungsinter-esse an den mittelalterlichen Hintergründen der reformierten Scholastik deutlich – aus Sicht des Rezensenten aber zu Recht und keineswegs bemüht: Unverkennbar sind im logischen Argumentationsgang Ames’ die aus den jeweiligen Schulen stammenden Be­grifflichkeiten und Gedankengebäude, wobei Y. der Theologie von Ames in Bezug auf die aufgeworfenen Themen ein scotistisches Fundament mit thomistischen Aufbauten zuschreibt. Gerade für einen reformierten Theologen mag dieses Fundament befremdlich erscheinen, so dass sich Y. auch immer wieder bemüht zeigt, daneben die Relevanz der Exegese Ames’ für seinen Argumentationsgang starkzumachen (u. a. 88–95.161–167). Tatsächlich zeigt sich hier aus der Sicht des Rezensenten eine deutliche Schwäche Ames’: Wohingegen seine arminianischen Widersacher dem wörtlichen Sinn und Kontext der für die Argumentation jeweils relevanten Bibelstellen große Bedeutung zuschreiben, zeigt sich Ames mit den Worten Y.s als »flexible« (167) in seiner Exegese, insbesondere im Umgang mit alttestamentlichen Zitaten. »Flexible« könnte hier aber auch zu Recht mit »biegsam« übersetzt werden. In manchen Punkten steht Ames seinen Widersachern zudem nicht an be­grifflicher Haarspalterei nach. Auch manche strukturelle Redundanzen Ames’ in Form sich wiederholender Argumentationsmuster werden anschaulich sichtbar.
Diese Schwächen Ames’ mindern jedoch nicht den Wert der Studie Y.s, obwohl dieser eine wohlgesonnene Grundhaltung gegenüber dem reformierten Theologen einnimmt. Y. verwahrt sich nämlich geflissentlich und bescheiden gegenüber dem Anspruch mancher Sparten- und Lokalhistoriker, mit seiner Darstellung Ames’ einen universellen Deutungsschlüssel für die Dordrechter Synode zu bieten, die fortan nicht mehr ohne den Beitrag des Engländers verstanden werden könne. Es sind eher kleine Reparaturen Y.s, die den Rahmen der Synode sinnvoll ausbessern, und wohlgesetzte Pinselstriche, die ihrem Hintergrund mehr Tiefe und An­schaulichkeit verleihen, dogmatisch wie personell.
Es sei erwähnt, dass Y. drei Desiderate seiner Untersuchung be­nennt und damit zugleich zu vertiefenden Studien einlädt (189): So seien die mittelalterlich scholastischen Wurzeln Ames’ näher zu betrachten und die Fragen zu klären, inwiefern Ames’ Ansehen als Geschenk aus England auch über seine antiarminianischen Bemühungen hinaus Begründung findet, und wie seine antiarminianschen Schriften in seiner englischen Heimat wahrgenommen wurden.
Zu monieren bleibt an dieser kompakten Studie nur das Fehlen eines Bibelstellenregisters, welches sich angesichts der Vielzahl der zu Feld geführten biblischen Zitate für die in der Arminianischen Kontroverse aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von gött-licher Allmacht und menschlichem Willen aufgedrängt hätte – gerade da den jeweiligen Argumentationen und Interpretationen Ames’ und seiner arminianischen Widersacher auch für heutige Diskurse noch große Aktualität beigemessen werden kann.
Y. verdeutlicht mit seiner Quellenstudie einmal mehr rund um den 400. Jahrestag der Synode zu Dordrecht, dass dort keine bloße nationale Partikularsynode der niederländischen Reformierten tagte, sondern weitreichende Entscheidungen gefällt wurden, die internationale Einflüsse aufgriffen – wie in Gestalt der Theologie von William Ames.