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Ausgabe:

Mai/2022

Spalte:

417–418

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Banman, Joel

Titel/Untertitel:

Reading in the Presence of Christ. A Study of Dietrich Bonhoeffer’s Bibliology and Exegesis.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2021. 240 S. = T & T Clark New Studies in Bonhoeffer’s Theology and Ethics. Geb. £ 76,50. ISBN 9780567698599.

Rezensent:

Dennis Dietz

Die Monographie von Joel Banman stellt eine leicht überarbeitete Fassung einer an der Universität Otago (Neuseeland) vorgelegten Dissertation dar, in der Dietrich Bonhoeffers Bibel- und Auslegungsverständnis in einem werkgeschichtlichen Durchgang analysiert wird. Die bündige Studie folgt der Grundannahme, dass für Bonhoeffers Exegetik eine früh profilierte Theologie der Bibel prägend ist, die sukzessive weiterentwickelt wird. Dementsprechend ist auch die Studie selbst aufgebaut. Nach einer kurzen Einleitung ist der erste Hauptteil einer Rekonstruktion der frühen Bibliologie gewidmet, während der zweite Hauptteil die Exegetik Bonhoeffers ab Mitte der 30er Jahre untersucht.
Das erste der zwölf Kapitel enthält einleitende Hinweise zur Bedeutung der Bibel in Bonhoeffers Werk. Danach setzt die Studie mit zwei Kapiteln zur Offenbarungstheologie der frühen Schriften ein. Zunächst kommt seine theologische Formation in den Blick (Kapitel 2), besonders der Einfluss der Theologie Karl Barths. An­schließend werden die Qualifikationsarbeiten ausgewertet (Kapitel 3). Bonhoeffer verstehe Gottes Offenbarung als konkretes Ereignis in der Geschichte und spreche ihr sozialen Charakter zu: »the revelation of Christ is present in a personal-communal form« (36). In der Habiliationsschrift vertiefe Bonhoeffer diesen Gedanken epistemologisch und komme zu einer »occasionalist bibliology« (48). Offenbarung geschehe in der historischen und personalen Form der Gemeinde, wo die Heilige Schrift »as the ground of the church’s preaching and sacraments, is the occasion for God’s word« (51). Die folgenden Kapitel skizzieren, wie dieses okkasionalistische Verständnis später aufbricht. Bonhoeffer rekonfiguriere in der Christologie-Vorlesung (Kapitel 4) die Christus-praesens-Figur, indem er die Struktur des pro-me einzieht: »Christ is there pro-me as the word pro-me.« (69) Zugleich weise er der Bibel nun einen Zeugnischarakter zu, was sich auch in den homiletischen Arbeiten aus Finkenwalde zeige (Kapitel 5). Die Heilige Schrift sei nicht unmittelbar Offenbarung, aber »God has bound his self-revealing word to the witness of the prophets and apostels« (84). Mit der Neukonfiguration und dem pneumatologisch akzentuierten Zeugnischarakter stehe eine doppelte Frage im Zentrum der Schriftlehre Bonhoeffers, die auch am Ende des ersten Hauptteils der Untersuchung steht: »I propose that Bonhoeffer […] expresses two essential exegetical questions for the reading of Scripture: Who is speaking, and what is being said?« (86)
Diese Doppelfrage ist Ausgangspunkt der weiteren Analyse, die mit Bonhoeffers Psalmenauslegung ansetzt (Kapitel 6). Jesus selbst wird als Beter imaginiert und zugleich als Gegenstand, der durch die Psalmen bezeugt wird, betrachtet. Diese Perspektivierung ermögliche eine Form innerlicher, persönlicher Auseinandersetzung mit dem Text, die Bonhoeffer u. a. in Gemeinsames Leben als »Schriftmeditation« beschreibt, die allerdings nicht als exegetische Methodik konzipiert werde (Kapitel 7). Nach dieser Differenzierung kommt die Bibelarbeit zu Esra und Nehemia von 1936 in den Blick (Kapitel 8), wo Exegese als »spiritual, prayerful activity« aufgefasst werde. Auslegung ziele nicht auf eine ›richtige Interpretation‹ des Vergangenen, sondern auf ein ›richtiges Wort‹ für die Gegenwart. Dieses Anliegen dokumentiere auch Bonhoeffers Nachfolge (Kapitel 9). Indem er dort eine »evangelische Hermeneutik« (vgl. 156) praktiziere, werde sie als exegetisches und nur nachgeordnet ethisches Werk ausgezeichnet (vgl. 163). Die folgenden Kapitel gelten der Ethik (Kapitel 10) und den Briefen aus der Haft (Kapitel 11). Schlüssel der Untersuchung ist erneut der Offenbarungsbegriff: »ethics concern the becoming-real of the reality of revalation […]. What God does with Scripture in speaking his word by the Spirit is to teach reality.« (183) Aus der Schrift lasse sich nicht exegetisch bestimmen, was gutes Handeln sei, aber sie bezeuge die Wirklichkeit des Guten. In der Analyse der Haft-Briefe werden schließlich prominente Motive unter exegetischen Vorzeichen interpretiert. Dabei gelingt es, anhand interessanter Leitfragen Kontinuitäten sowie letzte Weiterentwicklungen in Bonhoeffers Schriftverständnis anzuzeigen. Den Schluss der Monographie bilden ein als »Conclusion« überschriebener Vergleich von Bonhoeffers Programm mit Gegenwartsentwürfen (Hans Boersma, Robert Jenson, Hans Frei) sowie ein knapper Vergleich mit der patristischen Exegese.
Bonhoeffers Offenbarungsverständnis wird in der Studie früh als »framework for his theology of Holy Scripture« (49) ausgewiesen und christologisch präzisiert. Der im geschriebenen, gelesenen und verkündigten Wort gegenwärtige Christus wird als Mittler und Fluchtpunkt der Heiligen Schrift aufgefasst, wobei das Offenbarungsgeschehen insgesamt trinitarisch beschrieben wird. Das dient zugleich der Untersuchung selbst als roter Faden. Bei der Lektüre der konsis-tenten Studie fällt auf, dass einige prominente Bibelarbeiten kaum bzw. keine Berücksichtigung finden (z. B. Schöpfung und Fall oder die Schrift über Versuchung). Teilweise nennt der Vf. dafür Gründe, etwa dass in diesen Stücken keine relevanten Veränderungen des Programms Bonhoeffers zu beobachten seien (vgl. 54). Ähnlich wird auch die Tatsache, dass er in den späten Schriften kaum noch explizit pneumatologisch argumentiert und der Geistbegriff weitreichend ausbleibt, zwar genannt, aber nicht bearbeitet.
Das lesenswerte Buch bietet am Ende der meisten Kapitel konzise Zusammenfassungen und lässt sich sowohl durchgängig als auch kapitelweise lesen. Die Studie schreitet relevante Schriften und Themen des Werks Bonhoeffers ab und ermöglicht durch die schrifthermeneutische und exegetische Fragestellung interessante und teils neue Zugänge. Die Arbeit schließt mehrfach an bestehende Forschungskonsense an, setzt aber zugleich eigene Akzente und lädt zu einer dezidierten Perspektive ein, nämlich die Theologie Bonhoeffers im Lichte seines Bibel- und Auslegungsverständnisses einmal konsequent als »Schrift-Theologie« zu lesen.