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Ausgabe:

April/2022

Spalte:

370–372

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther [Hg.]

Titel/Untertitel:

Die Christologie Wolfhart Pannenbergs.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020. 351 S. = Pannenberg-Studien, 6. Geb. EUR 100,00. ISBN 9783525560341.

Rezensent:

Jürgen Werbick

Wolfhart Pannenbergs Theologie hat eine vielfältige Wirkungsgeschichte, und dies gerade auch in die Diskussionen der katholischen Theologie hinein. Man mag es da als deutliches Zeichen ansehen, dass die von Gunther Wenz geleitete Wolfhart Pannenberg-Forschungsstelle an die von den deutschen Jesuiten unterhaltene Hochschule für Philosophie angebunden ist. Gerade Pannenbergs Christologie ist katholischerseits vielfach rezipiert und als Beispiel für eine Theologie verstanden worden, die sich ihren metaphysischen Verpflichtungen nicht entzieht. So stammen fünf der sechzehn Beiträge im sechsten, der Christologie gewidmeten Band der Pannenberg-Studien aus der Feder katholischer Theologen und Philosophen.
Ins Gerede gekommen und in die Kritik geraten ist Pannenbergs Frühwerk »Grundzüge der Christologie«, weil man in ihm eine konsequente Christologie von unten entwickelt und die trinitarisch formatierte Christologie von oben vernachlässigt sah. Diese Wahrnehmung war schon angesichts der in den Sechziger-Jahren von Pannenberg vorgelegten Arbeiten inadäquat und hat in der »Systematischen Theologie« eine detailliert ausgearbeitete Widerlegung gefunden. Das Missverständnis von Pannenbergs Christologie mochte sich festgesetzt haben, weil er den von Karl Barth forcierten Gedanken der Selbstoffenbarung Gottes konsequent geschichtlich aufnahm und so von der Offenbarungs-Gegenwart Gottes in der Geschichte Jesu Christi sprechen konnte, an der Gott erkannt und im Glauben ergriffen werden wollte. Gottes Selbstoffenbarung geschah im geschichtlichen Dasein Jesu, eines Menschen, der sich in Gott und seinen guten Willen hineingab, sein Leben aus dieser göttlichen Fülle schöpfte und so zu der Menschen-Wirklichkeit wurde, in der Gott mit seiner ganzen Fülle wohnen wollte (Kol 1,19; vgl. die Beiträge von Klaus Vechtel zu Pannenbergs Auseinandersetzung mit der Zweinaturenlehre und den Beitrag Wolfgang Greives zur Christologie von 1964). Die christologische Konsequenz, diese Lebenseinheit als Wesenseinheit zu verstehen, beruht auf Voraussetzungen, die Pannenberg mit dem Gedanken einer Selbstunterscheidung verband, die erst die Möglichkeit einer geschicht-lichen Beziehung des Menschen Jesus zu Gott, seinem Vater, im Heiligen Geist eröffnete. Eine Reihe von Beiträgen spürt der theo-logischen Schlüsselbedeutung dieses Theorems nach (so die von Thomas Oehl, Georg Bruder, Klaus Vechtel, Josef Schmidt und Friederike Nüssel). Die Selbstunterscheidung des Menschen Jesus von seinem göttlichen Vater ist der Vollzug der Unterscheidung seines Selbstsein von dem, woraus und woraufhin es lebt, schließlich von dem, dem es sich ganz übergeben muss, um von ihm als das antizipativ-endgültige Geschehen seines guten Willens – in der Auferweckung des Gekreuzigten – identifiziert zu werden (vgl. den Beitrag von Malte Dominik Krüger). Dieses Geschehen erweist das im Heiligen Geist ganz aus Gott und auf ihn hin gelebte Dasein des Menschensohns als Gottes eigene Wirklichkeit, mehr noch: Es verwirklicht sie proleptisch im Sinne einer »rückwirkenden Konstitution« (vgl. den Beitrag von Joachim Ringleben). Pannenberg kann in seinen späteren Schriften hier von der »Selbstverwirklichung Gottes« sprechen.
Gottes Selbstverwirklichung bringt das Geschehen der immanenten Selbstunterscheidung und Selbstidentifikation Gottes – der Selbstunterscheidung des Sohnes vom Vater und des Vaters vom Sohn, die im Heiligen Geist in wechselseitiger Bezogenheit an dem einen göttlichen Wesen teilhaben und sich so mit einander, durch einander, als göttliche »Personen« identifizieren – als geschichtliches Geschehen zugunsten der Rettung des Todverfallenen zur Geltung. Beim spekulativen Nachvollzug dieses ewigen und zeitlichen Geschehens spielt – wie etwa die Beiträge von Thomas Oehl, Georg Bruder und Josef Schmidt herausarbeiten – der Hegelsche Gedanke des wahrhaft Unendlichen eine entscheidende Rolle. »Wahrhaft« unendlich ist das (der) Unendliche nur, wenn das Endliche nicht sein Anderes, ihm Entgegengesetztes ist, vielmehr als von ihm selbst gesetzt und einbegriffen gedacht werden kann; das heißt in christologisch-trinitarischer Konsequenz: wenn das (der) Unendliche im Geschehen des Endlichen als es (er) selbst da sein – geschehen – kann. Das Endlich-Menschliche ist nicht das dem Göttlichen Entgegengesetzte, sondern die Wirklichkeit, der Gott sich in seiner ganzen Fülle mitteilen und so Wirklichkeit werden kann; damit auch als die Wirklichkeit, in der das radikale Bezogensein des Endlichen auf das Göttliche in freier Selbsthingabe und Selbsttranszendenz an das (und den) gelebt werden kann, aus dem und auf den hin endliches Menschsein lebt, wenn es seinem Ge­schöpfsein entspricht und sich nicht – in der Sünde – gegen seinen Grund verselbständigt.
Dieser Rückgriff auf den Gedanken des wahrhaft Unendlichen ist von hohem theologischen Reiz, auch wenn er brisante Folgeprobleme aufwirft, die Pannenberg durchaus gesehen und bearbeitet hat. Man wird etwa zu fragen haben, inwiefern dieser Gedanke die immanente Trinität wie die geschichtliche Selbstverwirklichung Gottes als interpersonales Freiheitsgeschehen nachvollziehbar machen kann. Pannenberg selbst spricht hier von den drei göttlichen Personen als Aktzentren, problematisiert aber zugleich, ob Jesus Christus sich tatsächlich im Sinne der Wahlfreiheit zu seinem Aus-Gott- und Auf-Gott-hin-Sein verhalten konnte, was ihm die Kritik von Georg Essen eingetragen hat (vgl. die Darstellung der Problematik bei Vechtel, 130 ff.). Man wird dieser Kritik nicht leichten Herzens zustimmen, wenn man im Blick behält, dass eine forcierte Verselbständigung der personalen Aktzentren Gottes zum Tritheismus führen kann. So hängt alles von einem angemessenen Freiheits-Verständnis ab, das anthropologisch wie theologisch nicht letztlich vom Modell der Wahlfreiheit bestimmt sein kann.
Das Motiv der Selbstunterscheidung (des Menschen Jesus) trägt bei Pannenberg auch die für ihn tragende soteriologische Intuition. Am Kreuz ist sie zur Selbstentäußerung radikalisiert, in der der Gekreuzigte stellvertretend für die Menschheit die äußerste Konsequenz der sündigen Selbst-Verabsolutierung durchlebt und die Möglichkeit öffnet, in der Gemeinschaft mit ihm zu jener heilvollen Selbstunterscheidung zu kommen, die Gott Gott sein und sich zur endgültigen Gottesgemeinschaft berufen lässt. Georg Sans ordnet den Pannenbergschen Gedanken in die spannungsreiche Ge­schichte des Stellvertretungsgedankens von Kant bis Hegel ein und präzisiert so das in der Tradition vielfach kritische Verhältnis von exklusiver und inklusiver Stellvertretung; Dirk Ansorge lotet aus, wie Pannenbergs Intuition von der tiefen Zwiespältigkeit des bei ihm aufgegriffenen Redens von der stellvertretend erlittenen Strafe für das gotteslästerliche Dasein der Menschheit freigehalten werden müsste.
Zu nennen sind weiterhin die Beiträge des Herausgebers Gunther Wenz, die Pannenbergs theologische Anfänge als Schüler von Heinrich Vogel in Erinnerung rufen und Motive der Theologie Pannenbergs alttestamentlich perspektivieren. Ekkehard Mühlenberg formuliert dogmengeschichtliche An- ­fragen an Pannenbergs Rezeption der frühchristlichen Christologie. Felix Körner diskutiert ausgehend von Pannenbergs religionstheologischen Überlegungen und auf dem Hintergrund des islamisch-christlichen Ge­sprächs die Möglichkeiten, »Andersgläubigen« theologisch eine Heilsmöglichkeit zuzuerkennen – nicht nur wegen eines »anonymen« Christusbezugs, sondern auch aufgrund der authentischen Realisierung ihres eigenen Glaubens in der Liebe.
Meine Hinweise zu diesem höchst empfehlenswerten Band schöpfen nicht annähernd den Reichtum der Interpretationen und Weiterführungen Pannenbergscher Christologie aus, konnten aber vielleicht Problemschwerpunkte identifizieren, an denen die Diskussion weitergeführt werden sollte.