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Ausgabe:

April/2022

Spalte:

354–356

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Deiters, Maria, u. Ruth Slenczka [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Häuslich – persönlich – innerlich. Bild und Frömmigkeitspraxis im Umfeld der Reformation.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2020. XIV, 423 S. m. zahlr. Abb. Geb. EUR 99,95. ISBN 9783050051642.

Rezensent:

Martin H. Jung

Der im Jahre 2020 erschienene Sammelband geht zurück auf eine Leipziger Tagung des Jahres 2010, die in Vorbereitung des Reformationsjubiläums »Bereiche der privaten Frömmigkeitsausübung im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit« (V) beleuchtete. Veranstaltet wurde sie vom Kunsthistorischen Institut der Universität Leipzig, beteiligt waren neben Kunsthistorikern auch Historiker und Theologen. Für die Tagung und den Sammelband zeichnen Maria Deiters, Kunsthistorikerin an der TU Berlin, und Ruth Slenczka, Kunsthistorikerin und Museumsleiterin in Wittenberg, verantwortlich.
Die siebzehn Beiträge, teilweise in englischer Sprache, sind alle gehaltvoll und bereichern die Forschung. Zeitlich reichen sie vom 15. bis in das 17. Jh. und behandeln gleichermaßen Reformation und Gegenreformation bzw. Katholische Reform. Die meisten be­leuchten die Verwendung von und den Umgang mit Bildern, einige die Frömmigkeitspraxis unabhängig von der Bilderfrage. Die vor-gestellten und interpretierten Bilder werden überwiegend in hervorragenden, fast ausnahmslos farbigen Bildtafeln abgedruckt.
Im Reformationsjahrhundert, aber beginnend schon im späten Mittelalter privatisierte, individualisierte und verinnerlichte sich die Religionsausübung. Dem dienten im Druck zur Verfügung stehende Texte, aber auch Bilder. Wie Texte so förderten auch Bilder ferner die äußerliche Formierung und Normierung von Religion. Früher hätte man von Konfessionalisierung gesprochen, der Sammelband verwendet diese einmal so gängige Deutungskategorie aber nicht mehr.
Der Ertrag der Tagung und des Sammelbandes lässt sich nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen, auch dem Vorwort der beiden Herausgeberinnen, das sich auf die Bilderthematik konzentriert, gelingt dies nicht. Dafür sind die Themen und die Blickwinkel zu unterschiedlich. Auf jeden Fall zeigt sich aber, dass die Auseinandersetzung mit Bildern sowie der Frömmigkeitspraxis neue, noch nicht behandelte Perspektiven ermöglicht, die das Gesamtbild von Reformation, Gegenreformation und Katholischer Reform erheblich bereichern. Die Lektüre der Texte des Sammelbandes und die Betrachtung seiner Bilder sind nicht nur bereichernd, sondern wirklich faszinierend. Man liest mit Genuss und Begeisterung. Wegen der nicht möglichen Synthese bleibt dem Rezensenten aber leider nur, im Folgenden eine kleine, an den wesentlichen Inhalten orientierte Übersicht über die Beiträge zu geben.
Der evangelische Kirchenhistoriker Berndt Hamm behandelt die spätmittelalterliche Frömmigkeit, die von lebhaftem Heilsverlangen geprägt war, anhand von Passion, Kreuz und Leid thematisierenden Einblattdrucken, dem »innovativste[n] religiöse[n] Medium« (29) des ausgehenden Mittelalters, aus der Reichsstadt Ulm. Jörg Jochen Berns, Literaturhistoriker in Marburg, untersucht die Auseinandersetzung mit auf Bilder ausgerichteten Andachtsformen anhand der konfessionellen Kontroversliteratur des 16. Jh.s; auch in der »Papstkirche« (sic!) wurde über die neueren Entwicklungen in der sakralen Kunst gestritten (55). Einem Massenmedium des 16. Jh.s, dem illustrierten Flugblatt, wendet sich die Kölner Kunsthistorikerin Susanne Wegmann zu; konkret erörtert wird ein seltenes, bislang nicht behandeltes Bild, das ein Gespräch zwischen einem Juden und einem Christen über den »Eckstein Christum« (65) zeigt. Maria Deiters untersucht den Umgang mit Bibeln in der evangelischen Hausfrömmigkeit am Beispiel einer Nürnberger Patrizierfamilie und eines Seidenstickers aus Halle. Die Familienbibeln enthalten Familienporträts, Familienstammbäume sowie Bibeltexte kommentierende handschriftliche Eintragungen der Familienoberhäupter.
Andreas Gormans, Kunstgeschichtler in Aachen, wendet sich zwei Gemälden des niederländischen Malers Emanuel de Witte aus dem Jahre 1678 zu, die einen Predigtgottesdienst in der Amsterdamer Oude Kerk sowie eine Familie in einem Wohnzimmer zeigen, wobei teilweise die gleichen Personen abgebildet sind. Ruth Slenczka nimmt sich die gemalten Selbstzeugnisse der beiden Cranachs vor, in denen sich die Künstler der Reformations-, ja der biblischen Heilsgeschichte zuordnen und sich somit selbst religiös deuten. Der evangelische Kirchenhistoriker Volker Leppin untersucht die Entwicklung von der mittelalterlichen Ars-moriendi-Literatur zur re­formatorischen Leichenpredigt. Die prominente evangelische Reichsstadt Nürnberg wird erneut von Christine Sauer, Kunsthistorikerin an der dortigen Stadtbibliothek, in den Blick genommen, wenn sie sich dort in der Frühzeit der Reformation verwendeten, für den persönlichen Gebrauch gedachten sowohl handschriftlichen als auch gedruckten Erbauungsbüchern mit Bildzyklen zuwendet. Das Gebet unterstützende Grafiken aus Deutschland und den Niederlanden im 15. und frühen 16. Jh. thematisiert Ulrike Heinrichs, Kunsthistorikerin in Paderborn. Sie untersucht im Detail, wie Kunsttechniken gezielt zum Erreichen und zur Verstärkung spiritueller Wirkungen eingesetzt wurden.
Luther und seine Reflexion über den Zusammenhang von Herz und Gebet in seiner Einleitung zu einer Predigt über Joh 17 ist das Thema der in den Niederlanden wirkenden Theologin Sabine Hiebsch. Walter Melion, Kunsthistoriker in Atlanta, lenkt den Blick auf Benito Arias Montano, einen katholischen spanischen Theo-logen, und seine 1571 im reformierten Antwerpen erschienenen »Humanae salutis monumenta«, die 71 von niederländischen Künstlern geschaffene Kupferstiche zu biblischen Szenen enthalten. Der belgische Kirchenhistoriker Wim François beschäftigt sich mit dem Bibelgebrauch von Kartäusern und der Devotio Moderna sowie den mundartlichen Bibeln in den Niederlanden zwischen 1350 und 1550. Evangelische und katholische Katechismen des 16. Jh.s und die in ihnen teilweise enthaltenen Bildprogramme untersucht Lee Palmer Wandel, Historikerin an der University of Wisconsin. Wie altgläubige Heiligenlegenden in der privaten Frömmigkeitsübung durch Luthers Betbüchlein sowie die Martyrologien von Ludwig Rabus ersetzt wurden, nimmt sich die Kunsthistorikerin Birgit Ulrike Münch, Bonn, vor.
Im Nachlass der Herzogin und Nonne Philippa von Geldern (gest. 1547), die im Klarissenkloster von Pont-à-Mousson nördlich von Nancy lebte, befindet sich eine persönliche Sammlung von Gegenständen zum devotionalen Gebrauch. Diesen originellen Objekten wendet sich der Kunsthistoriker Christoph Brachmann, University of North Carolina, zu und zeigt, wie diese religiös engagierte Frau »letztlich immer noch den Traditionen und Vorstellungen spätmittelalterlicher Frauenmystik folgte und in ihrer festgefügten Glaubenswelt Neuerungen lediglich in Nuancen zuließ« (377). Der Maria-Regina-Kult in Trastevere in Rom von den antiken Anfängen bis in das späte 17. Jh. ist das Thema von Grażyna Jurkowlaniec, Kunsthistorikerin in Warschau. Abschließend wird von Kai Wenzel, Kunstgeschichtler am Kulturhistorischen Museum Görlitz, noch einmal ein evangelisches Bürgerhaus in den Blick genommen, und zwar in Görlitz, wo sich ein »konfessioneller Bilddiskurs« (397) erhalten hat, der vermutlich um 1555–1560 geschaffen wurde. Neben biblischen Szenen, vor allem zum Thema Gesetz und Gnade, finden sich Bilder mehrerer Herrscherpersönlichkeiten der Reformationszeit.
Im Anhang finden sich die erforderlichen Abbildungsnachweise, aber leider keine Register. Register der Personen und Orte wären möglich und für die Verwertung des Bandes sehr hilfreich gewesen. Verzichtet wird ebenfalls auf eine Vorstellung der Autorinnen und Autoren. Dennoch: Ein lesens- und betrachtenswerter später Beitrag zum Reformationsjubiläum von bleibendem Wert!