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Ausgabe:

April/2022

Spalte:

295–297

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Yogev, Jonathan

Titel/Untertitel:

The Rephaim. Sons of the Gods.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2021. XII, 216 S. = Culture and History of the Ancient Near East, 121. Geb. EUR 118,00. ISBN 9789004460850.

Rezensent:

Stefanie Rudolf

Das von Jonathan Yogev vorgelegte Werk ist die erste umfassende Monographie zu den biblisch und außerbiblisch belegten Rephaim seit der Arbeit von P. Karge, Rephaim. Die vorgeschichtliche Kultur Palästinas und Phöniziens, Paderborn 1917. Hervorzuheben ist be­reits die gründliche Sichtung der schier unendlichen Literatur zu den Rephaim (s. die 26 Seiten umfassende Bibliographie). Besonders von den einzelnen Quellen ausgehend ist ihre Funktion schwer zu greifen. Zumeist werden sie, besonders in Beschwörungen, als Totengeister verstanden, daneben aber auch als eine »Liga« Verstorbener, als Ahnen, Heiler, Könige, Herrscher oder Richter, Helden oder Kämpfer, (Fruchtbarkeits-)Götter oder Halbgötter, als ethnische Gruppierung, als Teraphim oder auch nach der Übersetzung des Begriffs in der LXX als Giganten oder Titanen. Das Ziel der Monographie ist, erstmals alle vorhandenen Quellen zusammenzustellen und in einer Synopse dieser Quellen zu einem plastischeren Bild und dem dieses Bild formierenden historisch-kulturellen Narrativ zu gelangen.
Den breitesten Raum unter der Abhandlung der ugaritischen, phönizischen und biblischen Quellen nehmen mit beinahe 100 Seiten die ugaritischen Texte ein (5–100), die wohl auch abgesehen von der Frage der Identität der Rephaim die größten Schwierigkeiten bei Übersetzung und Interpretation bereiten. Die verschiedenen Lesarten der acht Quellentexte, die mit Angaben zu Fundort, Quellmaterial und Forschungsliteratur versehen sind, werden sehr ausführlich diskutiert. Die Texte sind unterschiedlichster Gattung und umfassen die sogenannten Rpum-Texte, drei in ihrer Zusammengehörigkeit umstrittene und für die Rekonstruktion der ugaritischen Vorstellung des Jenseits zentrale Texte (KTU 1.20–1.22), den Baal-Zyklus (KTU 1.6), das Aqhat-Epos, das Keret-Epos, eine Gedenkzeremonie für Niqmaddu (KTU 1.161), ein Lied für einen neuen König (KTU 1.108), eine Beschwörung (KTU 1.82) und einen nur fragmentarisch überlieferten Text (KTU 1.166). Die Rpum-Texte werden als mögliche fehlende Passagen des Aqhat-Epos gesehen, was hinsichtlich der wörtlichen Übereinstimmung der Formel ǵzr mt hrnmy »Held, Mann aus Harnam«, mit der Da-n‘ilu im Epos mehrfach eingeführt wird, plausibel scheint. Jedoch bleiben der Inhalt der Fragmente und ihre Reihenfolge enigmatisch.
Neu an der Interpretation von Y. ist, dass er Rpu im Sg. dezidiert nicht als Gottesname liest, wie es allgemeinhin in der Forschung, u. a. wegen der Häufung der Wurzel in Eigennamen, geschieht (z. B. als theophores Element in ‘mrpi/‘Ammu-rapi’/). Dem wi­derspricht Y. mit dem Argument, dass der Name (seiner Deutung zufolge) nie isoliert oder in Götterlisten auftauchen würde, sondern auch im Singular als einzelner Vertreter der Gruppe der R. zu verstehen sei. Problematisch wird diese Deutung vor allem an zwei Stellen: Im Text KTU 1.108, in dem Rp’u als erster in einer Reihe von Götternamen genannt wird, deutet er ihn als Epitheton für den neuen König, der mit diesem »Hymnus« inthronisiert und bereits vor seinem Ableben in die vergöttlichte Ahnenreihe aufgenommen wird (84 f.). Im Aqhat-Epos wird Da-n‘ilu als mt rp’i eingeführt, was Y. schlichtweg mit »man/hero of Rp’i« übersetzt (40), ohne da­bei die Singularform zu diskutieren.
Einen angemessenen Raum erhält die Diskussion der Wortwurzel rp’. Das Problem bei der Übersetzung des Begriffs liegt am unklaren Zusammenhang zwischen der semitischen Wurzel rp’ »heilen« (im Ugaritischen – mit nur einem Beleg (!), dem Aramäischen, Hebräischen, Phönizischen und Punischen) und den Re­phaim/Rpum, die nirgends mit einer heilenden Tätigkeit in Verbindung stehen. Die Deutung als »Heiler« sei daher als Fehldeutung zu sehen (98.120), da die R. (im Ugarit.) nur als eine zu be­stimmten Zeiten anzurufende Ahnenreihe in Erscheinung treten würden. Tropper unterscheidet bereits zwischen /rāpi’u/ »der Heiler« und /rapī’u/ »der Heile« als Bezeichnung der verstorbenen Ahnen des Königshauses (J. Tropper, Kleines Wörterbuch des Uga-ritischen, Wiesbaden 2019, 107). Y. kommt zu einem ähnlichen Schluss, indem er versucht, eine andere Grundbedeutung der Wurzel rp’ im Semitischen zu konstruieren, nämlich »in eine komplette Form überführen« (99). Auch wenn eine kausative Bedeutung für einen Grundstamm im Semitischen eher unwahrscheinlich ist, liest sich die Lösung ansprechend. Der Kollektivbegriff ließe sich dann mit einem Adjektiv »whole, intact« wiedergeben und würde gut zu dem hebräischen Adjektiv םת »gesund; rechtschaffen, redlich« passen, welches als Attribut für die Beschreibung von Helden gebraucht wird, z. B. Ps 18,26 (99).
Die phönizisch-punischen Quellen umfassen lediglich drei Texte: die Tabnit-Inschrift (KAI 13), die Eschmunazar-Inschrift (KAI 14) und die bilinguale lateinisch-neopunische Inschrift von El-Amrūnī (KAI 117). Auch ist bei den Phöniziern die Wurzel nicht in EN vertreten außer evtl. im Gottesnamen Šdrp’ (112–4), und im Monatsnamen mrp’. Die beiden Grabinschriften sind von Bedeutung, da dort die eindeutig positive und substantielle Rolle der Rephaim bei den Phöniziern deutlich wird.
Die interpretatio judaica der Rephaim steht den ugaritischen und phönizischen Darstellungen diametral entgegen. Y. deutet die Rephaim als ursprünglichen Teil einer gemeinlevantinischen Mythologie, in der sie den Platz halbgöttlicher Wesen ausfüllten. Er zeigt, dass die Rephaim zunächst zum israelitischen Glaubenssystem gehörten, dann aber, zusammen mit den Giganten bzw. Gottessöhnen, als mit dem Monotheismus konfligierendes Element verbannt werden mussten (124 f.).
Zwei Traditionen werden weiter unterschieden: die Rephaim des Transjordanlandes (131–140) und die Rephaim westlich des Jordans (140–150). Von der ersten Gruppierung ist die Rede in Dtn 2,10–11.20–21, wo sie mit den Riesen (Anakitern) und den Emitern gleichgesetzt werden (dies sei ihr moabitischer Name), außerdem heißt es von ihnen, dass sie einst das Land der Ammoniter bewohnt hätten und von diesen Samsummiter genannt würden (vgl. Gen 14,5).
Y. verweist auf eine Parallele in der Vorstellung von Gott: Ebenso wie die Rephaim stamme auch Gott vom Bašān, was mit Ps 68,16 f. (»Ein Berg Gottes ist der Berg Baschans«) begründet wird. Hier handelt es sich aber um den Gott Ilu, mit dem YHWH später identifiziert wird. Ebenso wie die Herkunft des »fremden« Gottes muss die Herkunft der Rephaim, die göttlicher Abkunft sind, verschleiert werden (86 f.139).
Die Rephaim westlich des Jordans tauchen in Gen 15,20 innerhalb einer Gruppe von Ethnien auf, die das Abraham verheißene Land vor den Israeliten bewohnen, des Weiteren Jos 17,15; 2Sam 21,16; 1Chr 20,4 sowie Jos 15,8 u. a. Belege, in denen vom »Tal der Rephaim« die Rede ist.
Den beiden Traditionen ist gemeinsam, dass die Rephaim als Feinde Israels auftreten, dargestellt als Riesen oder durch Missbildungen erschreckende Gestalten, Krieger und Helden, die besiegt werden und somit auf die Macht Israels verweisen (149).
Davon abgegrenzt wird die Gruppe der »dead Rephaim«. Allen Belegen (Is 14,9; 17,5; 26,14; Ps 88,11; Hiob 26,5; Prov 2,16; 9,18; 21,16) ist gemeinsam, dass die Rephaim als »worst of the dead« kategorisiert werden, im Gegensatz zu den ugaritischen und phönizischen Quellen, die sie als »best of them« charakterisieren (150.169). An diesen Passagen, in denen die Rephaim als Führer verschiedener Völker, die sich selbst vergöttlichten und zur Strafe für ihren Hochmut fallen müssen, beschrieben werden, wird ersichtlich, dass die Vermengung mit den Riesen nicht in allen Schriften des Alten Testaments durchgeführt ist und daher kein festes Konzept bildet (150). – Die Gleichsetzung der Rephaim mit den Teraphim kann Y. als Fehlinterpretation zurückweisen (169–71).
Für jeden, der sich mit dem Thema künftig beschäftigt, wird kein Weg an dieser Monographie vorbeiführen.