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Ausgabe:

April/2022

Spalte:

291–293

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gerhards, Simone

Titel/Untertitel:

Konzepte von Müdigkeit und Schlaf im alten Ägypten.

Verlag:

Hamburg: Buske Verlag 2021. V–X, 389 S. m. Tfn. 1–9b. = Studien zur Altägyptischen Kultur. Beihefte, 23. Geb. EUR 186,00. ISBN 9783967690705.

Rezensent:

Stefan Bojowald

Die Publikation geht auf die Dissertationsschrift der Autorin zurück, die 2020 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz verteidigt wurde. In der Studie werden Schlaf und Müdigkeit im alten Ägypten untersucht. Die herangezogenen Quellen können in die Zeit des Alten bis Neuen Reiches datiert werden. Der Inhalt des Buches lässt sich auf die folgende Formel bringen:
In Kapitel 1 wird in Thema und Gegenstand eingeführt. In der ägyptologischen Forschung wurden kultursoziologische Fragestellungen zum Schlaf bisher meist ausgeklammert (11). Die Arbeit greift auf schriftliche Zeugnisse, archäologische Hinterlassenschaften und rund-/flachbildliche Darstellungen zurück (29).
In Kapitel 2 wird die Bedeutungsanalyse der Lexeme zum Gebiet Schlaf und Müdigkeit vorgenommen. In die Betrachtung fließen insgesamt 13 Lexeme ein. Die Arbeitsmethode schließt die Untersuchung der Wortwurzeln, Lehnwörter, Kollokationen und Satzkontexte ein. Die relevanten Textstellen werden in Transkription und Übersetzung aufgeführt und mit Angaben zur Datierung, Herkunft und Standort versehen. Die Metapher »Tod ist Müdigkeit« kommt bereits in den Pyramidentexten vor (67). Der sich abmühende Sonnengott lässt sich während und nach der Amarnaz eit nachweisen, wo sich das Motiv u. a. auf den Schöpfungsakt bezieht (68). Das Lexem »b3gi« zeichnet sich durch die größte semantische Nähe zum Schlafprozess aus (127). Das Lexem »b3ni« gibt vielleicht ein Zwischenstadium zwischen Leben und Tod wieder, wobei der Fokus auf dem Erwachen liegt (142). Das eigens hervorgehobene Verhältnis der Lexeme »nqm« und »nm‘« (153) ist vielleicht phonetisch über den bekannten Lautwandel zwischen »‘« und »q« zu erklären. Das allgemeinste Wort für »schlafen« wird durch »śḏr« gebildet (182). Die pauschale Datierung der Jenseitsführer ins Alte und Mittlere Reich (189) ruft ohne nähere Details leichte Irritationen hervor.
In Kapitel 3 erfolgt die Beschreibung der bildlichen Quellen. Die Zahl der ägyptischen Darstellungen und rundplastischen Objekte von schlafenden/müden Individuen fällt deutlich geringer als die der schriftlichen Quellen aus (199). Im Alten Reich tauchen die einschlägigen Beispiele ausschließlich bei Hirtenszenen auf (201). Im Neuen Reich wurde der schattenspendende Baum als wichtiges neues Element hinzugefügt (202). In der Zeit seit Amenophis III. lässt sich das Motiv des müden Streitwagenfahrers beobachten (202). In der Amarnazeit sind die dösenden Türwächter vor den Portalen des Palastes und auf Matten schlafende Männer bekannt (203–204). Das Rundbild steuert für den fraglichen Zeitraum keine offensichtlichen Belege für müde oder schlafende Personen bei (206). Die Typologie der »Frau auf Bett« setzt sich aus den Facetten a) Frauen auf Bett ohne Kind, b) schwangere Frauen und c) Frauen auf Bett mit Kind zusammen (207).
In Kapitel 4 werden Konzeptbestandteile und Metaphern von Müdigkeit behandelt. Die Assoziation der Müdigkeit mit Krankheit kommt nur in einem Beleg vor (218). Die Gründe für die Müdigkeit wurden in den Quellen selten direkt genannt (219). Die Müdigkeit konnte auch auf Götter übertragen werden (223–226). Die Müdigkeit kehrt bei Naturphänomenen insbesondere beim Wasser und Sonnenlauf wieder (226).
In Kapitel 5 werden die Konzeptbestandteile und Metaphern des Schlafes angesprochen. Die Körperwahrnehmung und Interaktion des schlafenden Körpers mit der Umwelt spielen dabei eine prominente Rolle (233). Der Schlaf der Ba-Seele, die zu den ägyptischen Körperbestandteilen gehört, wurde mit deren Vereinigung mit dem Leichnam gleichgesetzt (236). Die regenerative Funktion des Schlafes ist seit den Pyramidentexten attestiert (239). Der Schlaf konnte auch der Heilung von Krankheiten dienen (242). Der Schlaf wurde durch Alkohol oder andere stimulierende Substanzen beeinflusst (244). Der Zusammenhang zwischen dem Schlaf und der Möglichkeit zum Empfang von Träumen ist schon im Mittleren Reich dokumentiert (253). Der Schlaf wurde mit sexuellen Aktivitäten in Verbindung gebracht (268). Die Schlafqualität wurde durch Hunger und Durst verschlechtert (272). Der Schlaf wurde wegen der Schutzlosigkeit des Schläfers als gefährliche Zeit empfunden (274). Die Aussage, dass die reguläre Schlafzeit am Abend begann und über die Nacht dauerte (277), grenzt an eine Trivialität.
In Kapitel 6 wird ein Fazit gezogen. Die ägyptischen Quellen selbst wenden sich nur selten der Nähe zwischen Müdigkeit und Schlaf zu (282).
In Kapitel 7 werden Verzeichnisse mit dem Vorkommen ausgewählter Lexeme in den verschiedenen Sprachepochen sowie Verzeichnisse der Tabellen und Belegstellen präsentiert. Das Literaturverzeichnis (308–375) schließt das Kapitel ab.
In Kapitel 8 folgen die Indizes zu ägyptischen Wörtern (377–378), Metaphern (378), Quellen (378–387), Sachen (387–388) und Zeichen (388–389).
Der Tafelteil (1a-9b) wartet mit Diagrammen und Originalobjekten auf.
Das Gesamturteil des Rezensenten ist positiv. Die Argumentation besitzt die nötige Klarheit. Die Übersetzungen sind durch eine große Genauigkeit charakterisiert. Die Sekundärliteratur wird in ausreichendem Maße verwertet. Die chronologische Reihenfolge bei der Anordnung der Belege hätte zum Teil weiter systematisiert werden können. Der Hintergrund der Klassifikatoren wurde wohl namentlich beim »Schlechten Vogel« ein wenig überschätzt. Das Navigieren im Buch wäre in manchen Fällen durch eine übersichtlichere Makrostruktur erleichtert worden. Die Lektüre ist trotz dieser kleinen Kritikpunkte zu empfehlen.