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Ausgabe:

März/2022

Spalte:

268–270

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hilpert, Anne

Titel/Untertitel:

Tanz im Dazwischen. Neuformulierung einer performativen Religionsdidaktik.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2020. 346 S. = Religionspädagogik innovativ, 36. Kart. EUR 39,00. ISBN 9783170396487.

Rezensent:

Florian Dinger

Die katholische Religionspädagogin Anne Hilpert beschäftigt sich in dieser Studie, die als Dissertationsschrift von Mirjam Schambeck in Freiburg betreut wurde, mit einem Diskurs, der die Religionspädagogik beider Konfessionen seit nunmehr 20 Jahren intensiv beschäftigt: Es geht um die Fragen, ob Religionspädagogik und -didaktik zukünftig als »performativ« gedacht werden sollten – und wie performatives Lehren und Lernen in den Bildungsfeldern von Religion zu gestalten wäre. H. setzt sich in dieser Arbeit nicht nur sorgfältig mit den sprach- und kulturwissenschaftlichen Ursprüngen des Performanzbegriffes und dessen unterschiedlichen Verwendungen in religionsdidaktischen Entwürfen auseinander, sondern verspricht schon im Titel nicht weniger als eine eigene »Neuformulierung« jener performativen Didaktik.
Im Kontext des religionspädagogischen Fachgesprächs setzt H. einen erfreulichen Trend fort. Anders als zu Beginn der Debatte viel zu häufig üblich, nimmt sie sowohl die Ansätze evangelischer als auch katholischer Religionspädagoginnen und Religionspädagogen in den Blick, prüft sie durchgehend kritisch und bezieht sie schließlich auf eigene Einschätzungen. Gerade diese eigenen Überlegungen heben sich zudem insofern von den bisher vorgelegten Arbeiten zu diesem Thema ab, als H. praxisnah anhand der Kunstform Tanz exemplarisch ausführt, auf welche Weise jene »Zwischenräume er­öffnet werden können, die eine performative Didaktik kennzeichnen« (303). Ihre Zielsetzung begrenzt H., selbst ausgebildete Tanzpädagogin, also nicht auf theoretische Auseinandersetzungen mit den vorliegenden Schriften zum Thema, sondern erweitert sie um praxisbezogene Konkretionen für verschiedene Kontexte religiöser Bildung, vornehmlich in gemeindlichen Zusammenhängen. Aus diesem Grund dürfte das Buch nicht nur bei Leserinnen und Lesern auf Interesse stoßen, die Diskussionen zu religionsdidaktischen Grundsatzfragen verfolgen, sondern auch Anregungen für all diejenigen bereitstellen, die in unterschiedlichen Praxisfeldern religiöse Bildung selbst gestalten.
H. strukturiert ihre Dissertation in vier Kapitel, deren erstes sich grundsätzlichen Begriffsklärungen im Zusammenhang mit »Performativität als Wirklichkeitszugang« (1.) widmet. In diesem Teil der Arbeit rekurriert H. umfassend auf nahezu alle Diskursstränge, die den Performative Turn der Kulturwissenschaften be­einflusst haben: sprachphilosophische Arbeiten (Austin, Searle), dekonstruktivistische Theorien (Derrida, Butler), die ethnologische Ritualtheorie Turners, theaterwissenschaftliche Verwendungen des Performanzbegriffs und einige mehr. Während Klärungen zu Bedeutungskonnotationen des Performativen schon an anderer Stelle vorliegen, etwa im ersten performativ-didaktischen Sammelband »Schauplatz Religion« (2006, darin Schroeter-Wittke) oder in der Studie des Rezensenten (»Religion inszenieren«, 2018), überzeugt H.s erstes Kapitel vor allem an dessen Schluss durch pointierende »Begriffsklärungen in heuristischer Absicht« (82–100).
Im zweiten Schritt nimmt H. die religionspädagogische Debatte um eine performative Neuorientierung in den Blick (2.). Sie ordnet einzelnen Ansätzen performativer Religionsdidaktik sachgerecht mehrere »Spielarten« zu – und bestätigt damit trotz kleinerer Änderungen bereits früher festgestellte Unterscheidungen: So ließe sich etwa eine Spielart, die auf »probeweise Ingebrauchnahme religiöser Zeichen« (125) abzielt, eher der evangelischen Diskussion zuordnen, während eine prominente Spielart aus dem katholischen Kontext performative Didaktik eher als »Einladung zum Vollzug ernsthafter Praxis« (147) gestalte. Das später entfaltete Konzept H.s selbst bezieht sich am ehesten auf die hier zuletzt vorgestellte Spielart, deren Zielsetzung sie im Eröffnen von »Reflexions- und Erfahrungsräumen« (161) sieht. Diese Spielart geht maßgeblich auf Mirjam Schambecks Überlegungen zum mystagogischen Lernen zurück. In ihrem Zwischenfazit stellt H. schließlich zu Recht fest: »Im Durchgang durch den religionspädagogischen Diskurs fällt auf, dass das Paradigma des Performativen von der Mehrheit der Vertreter*innen nur vage bestimmt wird.« (173) Dieses Desiderat belastet den Fortschritt der Fachgespräche zwar schon lange und ist nicht als neue Erkenntnis zu werten, gleichwohl wird dieses Desiderat in H.s Ausführungen mit anschaulichen Beispielen und plausiblen Zuspitzungen unmissverständlich unterstrichen.
Das dritte Kapitel widmet sich der Verhältnisbestimmung von »Performativität und Pädagogik« (3.). Hierfür werden zunächst verschiedene Forschungstendenzen in den Erziehungswissenschaften referiert, bevor didaktische und pädagogische Konsequenzen eines potentiellen Performative Turn der (Religions-)Pädagogik benannt werden. Auch kommen am Schluss dieses Abschnitts erstmals Konturen der im Titel angekündigten »Neuformulierung einer performativen Religionsdidaktik« in den Blick. Im Kern rückt H. darin »die Vollzugskomponente des Bildungsbegriffs« (214) ins Zentrum des Bildungsinteresses, wohingegen der ihrer Beobachtung nach bis heute dominierende Fokus auf Output und »Bildungsresultate« (ebd.) als inzwischen überholt bezeichnet wird. Während der Bildungsprozess als gleichsam leiblicher, kognitiver, ästhetischer, sozialer und evaluativer Vorgang den Menschen und die Gruppe betreffend beschreibbar wird, erscheint »die Vorrangstellung von t heoretisch-kognitionsbasierten […] Verstehensprozessen nicht mehr haltbar« (ebd.). Eine performative Religionsdidaktik hat stattdessen – so die zentrale Metapher – »in die Zwischenräume der Wirklichkeit vorzudringen« (223), was nach H. vornehmlich bedeutet, sich auf uneindeutige Lern- und Denkprozesse einzulassen. Auch am Schluss dieses Kapitels gelingt es H., Erträge des Performanzdiskurses für die Religionspädagogik erhellend zuzuspitzen. Die hier auf lediglich 14 Druckseiten überaus knapp ausgeführte Skizze des eigenen didaktischen Ansatzes überzeugt. Ob diese Ausführungen aber bereits als »Neuformulierung einer performativen Religionsdidaktik« zu bezeichnen sind, sei der künftigen Diskussion überlassen.
Im letzten Untersuchungsschritt wird schließlich die Kunstform Tanz als beispielhafter Zugang im Kontext der zuvor skizzierten eigenen religionsdidaktischen Vorstellungen dargestellt (4.). Als genuin performative Kunstform könne der Tanz selbst als »performativer Möglichkeitsraum« (264) verstanden werden und als solcher genau diejenigen Lernprozesse anregen helfen, um die es H.s performativer Didaktik im Kern geht.
Insbesondere weil H.s tanzpädagogisch reflektierte Praxisbeispiele durch offenkundiges praktisches Know-how überzeugen, leuchtet schließlich auch ihre These Dance really can make religion easier to understand (323) uneingeschränkt ein. Zweifellos, so macht H. deutlich, kann Tanz als performative Kunstform in performativen Lernsettings sinnvoll eingesetzt werden. Mehr noch: Es gelingt ihrer Arbeit durch das am Schluss ausgeführte »Exempel« zumindest anzudeuten, wie performatives Lehren und Lernen gleichzeitig auf religiöse Engführungen verzichten und trotzdem religionsoffen gestaltet werden könnte. Die praktischen Anstöße auch auf andere Zugänge als den Tanz – etwa im Hinblick auf schulischen Religionsunterricht – zu konkretisieren, bleibt hingegen späteren Arbeiten vorbehalten.