Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2022

Spalte:

248–251

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hermanni, Friedrich

Titel/Untertitel:

Metaphysik. Versuche über letzte Fragen. 2., unveränd. Aufl.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. VIII, 251 S. = Collegium Metaphysicum, 1. Kart. EUR 29,00. ISBN 9783161552205.

Rezensent:

Philipp David

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

[Hermanni, Friedrich:] Gott und Denken. Zeitgenössische und klassische Positionen zu zentralen Fragen ihrer Verhältnisbestimmung. Für Friedrich Hermanni zum 60. Geburtstag. Hgg. v. Ch. König u. B. Nonnenmacher. Tübingen: Mohr Siebeck 2020. IX, 467 S. = Collegium Metaphysicum, 24. Lw. EUR 124,00. ISBN 9783161598401.


Um die inzwischen 27 Bände umfassende Reihe »Collegium Metaphysicum«, die von den im »Interuniversitären Forschungsverbund für Metaphysik und Religionsphilosophie München/Tübingen« zusammengeschlossenen Münchner Philosophen T. Buchheim und A. Hutter und den Tübinger Theologen F. Hermanni und C. Schwöbel (zuletzt St. Andrews) verantwortet wird (vgl. ThLZ 139 [2014], 620–622; ThLZ 140 [2015], 14–20), im Jahr 2011 an den Start zu bringen, hat Friedrich Hermanni zwischen 2002 und 2010 verstreut publizierte Beiträge zu einer Monographie, die mittlerweile als Studienauflage (2012) in zweiter Auflage (2017) erhältlich ist, mit dem Titel »Metaphysik« zusammengestellt und diese mit einer die Ergebnisse vorab bündelnden programmatischen »Einleitung« (1–11) versehen. Von der neuzeitlichen Krisengeschichte der Metaphysik zeigt sich H. unbeeindruckt. Weitere Rezeptionsstränge des metaphysischen Denkens in der evangelischen Theologie (W. Pannenberg u. a.) werden ausgeblendet; an Polemik gegen K. Barths »antirationalistische[] Offenbarungstheologie« wird nicht gespart (46–49).
H. nimmt den Faden der Debatten der analytischen Religionsphilosophie aus dem angelsächsischen Raum auf und verbindet diesen, bisweilen eigenwillig und spannungsvoll, mit der kontinentalen vorkantischen (Leibniz) und idealistischen Tradition. So erklärt sich H.s. Sachorientierung: »Metaphysik ist der Versuch, letzte Fragen mit Hilfe der Vernunft zu beantworten. Solche Fragen betreffen die Welt als ganze, den Grund der Welt und den Platz des Menschen in der Welt. Sie drängen sich unvermeidlich auf […]. Der Vernunft stellt sich am Ende deshalb nicht die Frage, ob sie überhaupt Metaphysik betreiben will, sondern nur in welcher Weise« (1). H. ordnet seine Weise in vier Teile (I: Der letzte Grund und der Gottesgedanke; II: Gott, Freiheit und Übel; III: Einheit und Zukunft der Person; IV: Die Wahrheit der Religionen) und dreißig fortlau fende Paragraphen. Wer sich genauer über den Vernunftbegriff informieren möchte, wird in diesen jedoch nicht fündig. Wer sich aber mit den in der evangelischen Dogmatik nur noch wenig traktierten »Gottesbeweisen« in Auseinandersetzung mit den englischsprachigen Debatten beschäftigen möchte, wird hier Trainingsstunden nehmen können.
Dass das Buch »klasse« sei, hat man bereits vernommen (MJTh XXIII [2011], 164–175), dass man getrost »das Collegium Metaphysicum samt seiner allerletzten Fragen sich selbst […] überlassen« könne, allerdings auch (ThR 78 [2013], 99–117, 117). Die Tübinger »Wiederkehr der Metaphysik« (ThLZ, 140 [2015], 14) polarisiert also in der evangelischen Theologie. Ihre Verabschiedung in Theologie (und Philosophie) war allerdings immer eine unvollständige, denn nie bedeutete sie das Ende »der« Metaphysik, sondern nur das einer bestimmten. Der Sinn des Wortes »Metaphysik« hat sich im Laufe der Geschichte und der theologischen Rezeptionsgeschichte ge­wandelt. Es ist richtig, dass auch die evangelische Theologie die existentiell relevanten Fragen der Metaphysik nicht hinter sich lassen oder sie gar durch ihren kritischen Gebrauch verabschieden kann (E. Jüngel). Vielmehr wird es um eine problembewusste Fortschreibung des metaphysischen Denkens gehen, die nicht ohne Kritik an den traditionellen und weitergedachten Positionen auskommen wird.
Bei H. reizt die (logische) »Lösung« des Theodizeeproblems (»No-Better-World-Defense«), die im Gottesverständnis mehr als fragwürdig bleibt, zum Widerspruch. Dass die »Irrlehre« vom leidenden Gott im 20. Jh. »fast zu einer neuen Orthodoxie« (121) geworden sei, trifft sicher zu, hätte aber auch einer zeitgeschichtlichen Be­merkung bedurft, denn theologisches Denken und »Philosophieren nach Auschwitz ist niemals mehr ein folgenloses intellektuelles Spiel mit hochabstrakten Begriffen in Vorspiegelung spekulativen Tiefsinns« (W. Janke; vgl. ThLZ 139 [2014], 237–239). Auch der »kritische Inklusivismus«, der im Anschluss an Hegel (und Schelling) von H. vertreten wird, fordert den Widerspruch heraus. Warum ein bleibend fragwürdiges Vereinnahmungsdenken die religionstheologische Debatte voranbringen soll, wenn im Grunde der Exklusivismus mit einem Inklusivismus verschleiert werden soll, erschließt sich nicht. Ein perspektivischer Pluralismus, der den Wahrheitsanspruch der anderen Religionen ambiguitätstolerant aushalten muss und auf einen Monismus verzichten kann, wäre hier vermutlich ehrlicher. Kurzum: Wer sich mit einer unverschleierten Selbstverständlichkeit auf Gott und den Gottesgedanken als Sache der Metaphysik einlässt, das ungebrochene »Licht der Vernunft« hell erleuchten lassen will, rechnet mit Widerspruch und Kritik, regt offenkundig auch vernünftiges und kritisches Denken an und fragt nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie.
Dieses Themenspektrum stand auch im Raum, als sich anlässlich von H.s 60. Geburtstag Schüler, Freunde und Weggefährten auf einem Symposium (23.6.2018) in Tübingen versammelt haben. Vier »in der Tübinger theologischen Löwenhöhle« (57) gehaltene Vorträge wurden in der Folge um fünfzehn weitere Beiträge zu einer stattlichen Festschrift »Gott und Denken« erweitert, die als Band 24 von »Collegium Metaphysicum« erschienen ist. Sie nehmen in Auseinandersetzung mit zeitgenössischen und klassischen Positionen zu der Frage Stellung, was das Denken mit Gott und Gott mit dem Denken zu tun habe. Die Beitragenden waren von den beiden Herausgebern aufgefordert, sich ins Gespräch mit H.s an Hegel orientiertem Verständnis von Systematischer Theologie und Religionsphilosophie (2 f.) entlang von sechs aufeinander aufbauenden Schwerpunktthemen zu begeben, um eine möglichst enge systematische Beziehung erreichen zu können (1). Diesen Zugriff, der auch als Gliederungshilfe des Bandes in sechs Sektionen dient, erläutern die beiden Herausgeber in ihrer Einleitung (1–27) und stellen o. g. Motto aus H.s Opus und der Reihe voran (2).
Sektion I (Gott und Denken in Theologie und Philosophie – Prinzipientheoretische Überlegungen) behandelt die Frage, inwiefern der Mensch Gott denken muss, und inwiefern er Gott denken kann. Den Auftakt macht E. Gräb-Schmidt mit einer humor- und gehaltvollen Würdigung des Wirkens von H. in Tübingen (31–35). C. Schwöbel stellt seinem Beitrag ein Bild von A. Rodins Bronzeskulptur Le penseur sowie eine »respektvolle Persiflage« von K. Barths Thesen aus »Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie« voran, erkundet vor dieser Folie Aspekte des spannungsreichen Verhältnisses von »Gott – Denken – Glauben« (37–56) und vertritt die Thesen: »Wer als Philosoph radikal denkt, muss [als innere Folgerichtigkeit der Freiheit] Gott [als den Grund der Freiheit] denken« (38–42) und »Gott kann aber nicht von Menschen gedacht werden, es sei denn Gott gibt sich selbst zu denken« (43–48). Begründet werden diese mit der von M. Luther aufgenommenen Einsicht, dass der dreieinige Gott ein Gespräch sei, das nicht in sich bleibt, sondern schöpferisch eine Welt ins Sein spricht (48–53), und dass menschliches Denken insofern verdanktes und begabtes Denken und der christliche Glaube als unbedingtes Vertrauen auf Gott immer denkender Glaube sei, der durch die Unverfügbarkeit Gottes und des Glaubens vor Fideismus und Dogmatismus bewahrt werde (53–57). T. Buchheim beschließt diese Sektion mit einem »unglaublichen Erweis Gottes«, der in der von einer »schellingschen Anregung« herkommenden gedachten Hypothese besteht, dass es die Tat Gottes selbst ist, die den Menschen aus seiner selbst herbeigeführten mythologischen Verstrickung befreit (57–71).
Sektion II (Der Gottesgedanke und die Frage nach seiner Wahrheit) fragt nach der Bedeutung der Gottesbeweise für die denkende Vernunft und den interdisziplinären Dialog. H. Tetens (75–87) nimmt seinen Ausgang bei N. Reschers »theistischem Minimalismus« mit der methodologischen Maxime, Gott in der Metaphysik nicht zu schnell und leichtfertig »als letzte Antwort« ins Spiel zu bringen, und prüft diese an den Arbeiten von U. Meixner und H. zu den kosmologischen Argumenten für das Dasein Gottes. Mit M. Mendelssohns »Morgenstunden« will C. König (89–131) zeigen, dass Gottesbeweise, hier verstanden als Selbsterweise Gottes in der menschlichen Vernunft, auch nach der kantschen Vernunftkritik gefährlich und unvermeidlich seien, denn der Gottessucher riskiere, nicht nur der eigenen Vernunft, sondern auch, Gott selbst zu begegnen. Hegel und H. sieht König in dieser Linie. In Auseinandersetzung mit »H.s onto-kosmologischem Gottesbeweis« fragt G. Melichar: »Gibt es etwas, weil es etwas geben soll?« (133–155). J. W. Lücke sieht in seinem Beitrag »Vernunft, Gottesglaube und intellektuelle Redlichkeit« (157–180) die Überzeugung von der Existenz Gottes als »das Zentrum und Fundament des ganzen Überzeugungssystem gottesgläubiger Personen« (178).
Sektion III (Der Gottesgedanke und die Frage nach seiner Be­stimmtheit) beginnt mit der Frage A. F. Kochs »Lässt sich Gott[, der Individuen erkennt und im Gedächtnis behält,] widerspruchsfrei denken?« (183–194), die Koch in Auseinandersetzung mit H.s Kapitel zu »Tod und Auferstehungshoffnung« (§§ 23–27) zu beantworten sucht. F. Schick thematisiert Hegels Sicht auf die Selbstbestimmung des Begriffs zur Objektivität und den ontologischen Gottesbeweis (195–215). B. Nonnenmacher zeichnet Hegels Kritik (»leere Abstraction«) am vernunfttheologischen Begriff Gottes als ens realissimum vor Kant nach und sieht diese auch für die Vernunfttheologie nach Kant als berechtigt an, etwa in Bezug auf J. Hicks »beyond ultimate reality« (217–258).
Sektion IV (Das Verhältnis von Gott und Denken in Gott und im Menschen) startet mit dem Beitrag von J. Brachtendorf (261–283), der Fichtes Wissenschaftslehre von 1801/02 als »Werk des Übergangs« interpretiert, weil sie »aus der Immanenz des absoluten Ich herausführt und einen Weg zu einem gehaltvollen Gottesbegriff öff-net« (282). S. Büttner-von Stülpnagel (285–291) präsentiert Spinozas Ideen einer Vernunftreligion, die eine moralische Lesart von Ge-nesis 2,16 ff. abweisen. Eine von Husserl und Descartes angeregte und mit Verbesserungen und Klarstellungen versehene »carte-sianische Meditation« (»Dubitare, Cernere: Zweifeln, Entscheiden«) entfaltet E. Herms in zwanzig Punkten (293–336) anhand der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit allen sinnvollen Zweifelns überhaupt.
Sektion V (Zur Frage nach der Transzendenz Gottes) fragt danach, ob es eine theologische Metaphysik geben kann. Die Frage einer Identität zwischen Sein und Gott verfolgt V. Leppin mit der Interpretation des Satzes »Esse est Deus« aus Meister Eckharts Predigten (»Gottesgeburt«) und verteidigt Eckharts existentiell nachvollziehbaren mystischen Durchbruch gegen Häresievorwürfe (339–358). C. Danz spricht sich gegen einen metaphysischen Freiheitsbegriff aus und plädiert für einen strikt religiösen, in dessen Zentrum Luthers Verständnis des christlichen Glaubens steht (359–372), in dem die metaphysischen und kosmologischen Bestandteile des überlieferten Gottesgedankens hinter die soteriologische Fassung zurücktreten. O. Bayer sieht die zentrale Aufgabe der Theologie, die er zwischen Metaphysik und Mythologie verortet, gegenüber der reinen Metaphysik im Bedenken der Selbstzusage der Gegenwart Gottes (373–393). J. Schwanke erinnert an Gottes Unberechenbarkeit, die er als Zugeständnis eines göttlichen Handlungsspielraums versteht und an der Paradox-Christologie und dem autonomen Geistwirken festmacht (395–415). J. Halfwassen stellt die Weite und Liberalität der Religionsphilosophie des Metaphysikers K. Jaspers im Kontext der Diskurskonstellationen seiner Zeit und in ihrer gegenwärtigen Relevanz heraus (417–433).
Mit einem »Fitnesstraining« beschließt die VI. Sektion (Ausblick) den Reigen der Festgaben: V. Hösle geht der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Abwesenheit des Gottesgedankens in einer Auseinandersetzung mit Aphorismen von N. Gómez Dávila nach (437–455), denn der »Aphoristiker ist der Physiotherapeut des Systematikers« (437). Ein Verzeichnis der »Literatur« beschließt jeden Einzelbeitrag. Angaben »Zu den [zwei] Autorinnen und [17] Autoren« (457–460), ein »Personenregister« (461–463) und ein »Sachregister« (465–467) sind beigefügt, auf ein Schriftenverzeichnis des Jubilars wurde verzichtet.
Dass man sich, auch wenn in der »Tübinger theologischen Lö­wenhöhle« derzeit metaphysisch »gut gebrüllt« wird, der »Königsdisziplin« immer auch mit angemessenem Misstrauen und besonnener Demut annähern sollte, zeigen die Stimmen, die die rela-tionale Schöpfungs- und Gesprächstheologie, Mystik und Religionstheorie, die weisheitliche Skepsis und Mythologie, die Grenzen menschlichen Denkens und die Liberalität des Chiffern-Denkens betonen, nicht weil sie Gott nicht denken, sondern weil sie angesichts des mutmaßenden »Wissens des Nichtwissens« und der Gebrochenheit des Lichts der Vernunft nicht unbedingt Gutes vom »im Sterben liegenden alten Löwen« erwarten. Sich selbst überlassen sollte man klugerweise die Raubkatze jedoch nicht, sondern sie diskursoffen, lernbereit und urteilsfähig einhegend »Höhlenausgänge«, »Fluchtlinien« und »Restitutionen« erwägen, denn den biblisch-christlichen Glauben und den »Gott der Vernunft« kultur- und geschichtsbewusst rational zu durchdenken, sind gemeinsame Aufgaben aller theologischen Strömungen im Strudel von Nihilismus, Positivismus und Relativismus.