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Ausgabe:

März/2022

Spalte:

224–225

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Henrich, Rainer, u. René Specht [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Johann Conrad Ulmer (1519–1600). Vollender der Reformation in Schaffhausen. Referate der Jubiläumstagung zu seinem 500. Geburtstag Schaffhausen, 28.–30. März 2019. Hgg. im Auftrag des Historischen Vereins des Kantons Schaffhausen.

Verlag:

Zürich: Chronos Verlag 2020. 304 S. m. Abb. Geb. EUR 48,00. ISBN 9783034015950.

Rezensent:

Frank Jehle

Bei Tagungsbänden stellt man gelegentlich fest, dass die Beitragenden teilweise aneinander vorbei reden, sich wenig oder überhaupt nicht abgesprochen haben. Das hier vorzustellende, nicht genug zu lobende Buch gleicht im Gegensatz dazu fast einer Mo-nographie. Die elf sorgfältig auf einander abgestimmten Vorträge und zwei weitere Texte laden dazu ein, den professionell redigierten und prächtig illustrierten Band in einem Zug durchzulesen. Es entsteht ein geschlossenes Gesamtbild. (Für das Inhaltsverzeichnis vgl. https://www.chronos-verlag.ch/sites/default/files/ihvz_978-3-0340-1595-0.pdf.)
Zunächst erhalten Leserinnen und Leser ein Bild der nicht nur im reformierten Schaffhausen vorherrschenden Stimmung in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts. Die Aufbruchsstimmung war abgeflaut. Innere und äußere Widerstände verzögerten die flächendeckende Umgestaltung des Kirchenwesens. Noch lange nach der offiziellen Einführung der Reformation kam es in Schaffhausen vor, dass Familien zur Taufe eines Kindes einen Rosenkranz mitbrachten. Vorreformatorisches Brauchtum war nicht über Nacht verschwunden. Bedrohlich meldete sich die Ge­genreformation. Die Bartholomäusnacht in Frankreich mit der Ermordung Tausender von Reformierten führte vielerorts zu einer apokalyptischen Stimmung.
Beinahe noch belastender war der gehässige Streit zwischen Lutheranern und Reformierten. Wie scharf es tönen konnte, zeigt der Buchtitel »Spiegel der offenbaren unverschämbten Calvinischen Lügen« des Tübinger Theologen Jakob Andreae.
Und damit zum Protagonisten des hier anzuzeigenden Bandes, zu Johann Conrad Ulmer: Nachdem man das Buch gelesen hat, ist man erstaunt darüber, dass dieser bedeutende Kirchenmann und Theologe bis vor Kurzem fast völlig vergessen war. Geboren 1519 in einer regimentsfähigen Schaffhauser Familie (sein Vater war Zunftmeister), gehört er zur dritten, wenn nicht sogar vierten reformatorischen Generation. Er war Jahrgänger von Théodore de Bèze, Calvins Nachfolger in Genf, und von Rudolf Gwalther, Zwinglis Nachnachfolger in Zürich, mit denen er freundschaftlich verkehrte.
Um den damals noch neuen Beruf eines evangelischen Pfarrers zu ergreifen, studierte Ulmer zuerst in Basel, dann in Straßburg, wo er Bucer und Calvin kennenlernte, und zuletzt in Wittenberg, wo Melanchthon und Luther seine großen Fähigkeiten erkannten. Als Graf Philipp III. von Rieneck in Lohr am Main die Reformation vorantreiben wollte, bat er die Wittenberger Theologen um Hilfe. Diese schickten ihm den erst 25-jährigen Ulmer als »Hofprediger«, der sich in dieser nicht einfachen Position bewährte.
Erst 1566 kehrte Ulmer in seinen Vaterstadt zurück. Auch wenn ein Teil der Pfarrerschaft ihn anfänglich verdächtigte, nicht »orthodox«-reformiert zu sein, gelang es ihm bald, das Vertrauen nicht nur des Rats, sondern auch weiter Kreise in der Bevölkerung zu gewinnen. Ab 1569 war er faktisch, ab 1574 auch juristisch das Haupt der Schaffhauser Kirche, die er bis 1596 in vielen Funktionen (Prediger, Mitglied des Rats der Schulherren, Leiter der Pfarrbibliothek, Herausgeber eines Katechismus, eines Gesangbuchs und der Kirchenordnung) nachhaltig prägte.
Ulmer war sowohl ein praktischer als auch ein sein Leben lang wissenschaftlich arbeitender Theologe mit stupenden Literaturkenntnissen. Und er trat auch mit poetischen Werken hervor – mit Liedern und mit der gereimten deutschsprachigen Fassung eines biblischen Schauspiels über die Auferweckung des Lazarus, das 1596 (kurz nach Ulmers offiziellem Rücktritt) von Schülern auf dem Platz vor der Stadtkirche St. Johann aufgeführt wurde. Von Ulmers gedruckten Werken am berührendsten ist wohl seine »Trostgeschrifft für angefochtne und betrübte hertzen« von 1579. Ulmer erweist sich hier als Lutherschüler im besten Sinn. Trost ist etwas anderes als billige Vertröstung.