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Ausgabe:

März/2022

Spalte:

219–220

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Usacheva, Anna, Ulrich, Jörg, and Siam Bhayro [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Unity of Body and Soul in Patristic and Byzantine Thought.

Verlag:

Paderborn: Brill | Schöningh 2021. XIV, 278 S. m. 1 Tab. = Contexts of Ancient and Medieval Anthropology, 1. Geb. EUR 99,00. ISBN 9783506703392.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Zum patristischen Verständnis der Seele halten sich hartnäckige Vorurteile. Sie sei ein dem biblischen Glauben wesensfremder Import in das Denken des frühen Christentums, gespeist vornehmlich aus platonischen Ideen. Während beide Teile der Bibel von einem ganzheitlichen Menschenbild ausgingen, habe sich in der unter hellenistischem Einfluss stehenden frühchristlichen Epoche eine dualistische Theorie durchgesetzt, für die neben der unsterblichen Seele wenig Raum blieb für eine genuin christliche Reflexion über Tod und Auferstehung. Dass diese Sichtweise mit der historischen Wirklichkeit wenig zu tun hat, ist heute in der Patristik unstrittig.
Dass der Mensch aus Leib und Seele besteht, wurde von der alten Kirche allerdings konsensuell akzeptiert; der Grund hierfür bestand freilich nicht zuletzt darin, dass sich Hinweise auf beide in den biblischen Schriften fanden. Wenn es in diesem Zusammenhang Meinungsverschiedenheiten gab, dann bezogen sich diese auf die Frage, ob man nicht – unter Bezug auf Paulus – statt von einer Zweiteilung in Körper und Seele von einer Dreiteilung des Menschen in Körper, Seele und Geist sprechen müsse. Die eigentliche Debatte aber entzündete sich an der Frage, wie diese Bestandteile des Menschen so aufeinander zu beziehen seien, dass die leib-see-lische Einheit als das wahre Subjekt des Menschen verstanden werden kann, durch das die persönliche Identität des Individuums von der Zeugung bis zur Auferstehung erklärt wird. Hierzu geben die patristischen Autoren eine große Vielfalt von Antworten und fechten scharfe Kontroversen aus. Es kommt zu Lehrverurteilungen, deren folgenschwerste sicherlich das Anathema gegen Origenes ist, das vom 6. Ökumenischen Konzil von 553 verhängt wurde. Während die Grundlinien dieser Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten geklärt werden konnten, bestehen in zahlreichen Details weiterhin erhebliche Forschungsdesiderate.
An diesem Punkt setzt der vorliegende Band an. Die Grundthese der Herausgeber wird in der Einleitung präzise zum Ausdruck gebracht. Zu oft habe die bisherige Forschung die patristischen Antworten auf die Fragen nach Seele und Körper einzig als Verlängerung und Modifizierung früherer philosophischer Ansichten zu diesem Thema begriffen. Dabei seien aber andere wesentliche Kontexte vernachlässigt worden, nicht zuletzt die medizinische Diskussion, die in den Jahrhunderten der Spätantike intensiv geführt wurde. Gleichzeitig wurde durch einen weitgehend geistesgeschichtlichen Zugang die affektive Dimension dieser Diskussionen vernachlässigt, die sich exemplarisch im Zusammenhang mit dem entstehenden Mönchtum zeige. Damit sind zwei Forschungsrichtungen benannt, die Wissenschaftsgeschichte und die Affect Theory, die im vergangenen Jahrzehnt enorm an Bedeutung gewonnen haben. Dass diese daher auf die frühchristliche Anthropologie an­gewandt werden, ist unmittelbar einleuchtend.
Die im Band vereinten Beiträge decken chronologisch ein enormes Spektrum ab. Jörg Ulrich stellt exegetische Annäherungen an die Leib-Seele-Problematik in Texten des 2. Jh.s und damit in der allerersten Anfangszeit christlicher Theologie vor. Die letzten Kapitel beschäftigen sich mit Maximus dem Bekenner und fallen damit in die Periode der arabischen Eroberung weiter Teile des byzantinischen Reiches im 7. Jh. Geographisch beschränken sich die Texte bewusst auf den östlichen Mittelmeerraum mit einem Schwerpunkt auf Ägypten, wobei der syrisch-sprachige Teil des östlichen Christentums bewusst auch mit einbezogen ist.
Die Kapitel lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: eine erste Gruppe umfasst Texte, die klassisch patristische Themen behandeln: Probleme der Exegese von Gen 1,27 und 2,7 (Jörg Ulrich), das Verständnis von Leib und Seele bei Origenes (Samuel Fernández, Ilaria Ramelli) und die Anthropologie Gregors von Nyssa (Ilaria Vigorelli). Eine zweite Gruppe steht dieser ersten nahe, beschäftigt sich aber mit deutlich späteren Texten. Hierzu gehört David Bradshaws faszinierende Untersuchung zur patristischen Ablehnung einer Buße nach dem Tod sowie zwei Kapitel, die sich speziell mit Maximus Confessor beschäftigen (Andrew Summerson und Vladimir Cvetkoci). Die dritte Gruppe bilden diejenigen Kapitel, die das Problem von Leib und Seele jenseits der traditionellen Herangehensweisen der Patristik zu verorten versuchen. Hierzu gehören eine Reihe spannender Beiträge, die anthropologische Fragen im Zu­sammenhang des ab dem 4. Jh. sich ausbreitenden Monastizismus kontextualisieren (Kuo-Yu Tsui, Andrew Crislip, Samuel Kaldas), sowie das äußerst erhellende Kapitel von Anna Usacheva, die einen Überblick über christliche Theorien der Beseelung gibt. Auch Siam Bhayros Beitrag gehört in diese Gruppe, da er syrisch-mesopotamische Autoren (Bardaisan und Sergius von Reshaina) in den Kontext ihrer eigenen wissenschaftshistorischen Tradition stellt.
Die Einleitung spricht pointiert von einem »vibrant interdisciplinary dialogue« unter den Autoren der Spätantike, die von der »Dichotomie von Naturwissenschaft und Religion« noch nichts wussten (VII f.). Das ist in der Tat richtig, dennoch löst es nicht das Problem, wie in der heutigen Zeit diese verschiedenen Stimmen tatsächlich in ein wissenschaftliches Gespräch gebracht werden können. In dieser Hinsicht indiziert der Band ein Problem mehr, als dass er es löst. Denn die Frage, wie diese diversen Kontexte aufeinander bezogen sind, bleibt am Ende doch außen vor. Die einzelnen Beiträge sind, wie es angesichts der heutigen Spezialisierung unvermeidlich ist, im Diskussionszusammenhang ihrer jeweiligen Disziplin verortet und enthalten wenig, was auf einen tatsächlichen Austausch zwischen ihnen hindeutet.
An diesem Punkt hätte man sich eine Antwort auf die entscheidende Frage gewünscht, wie sich die medizinischen und allgemein naturwissenschaftlichen Überlegungen zum Ursprung und Wesen des Menschen zu den eher philosophischen oder theologischen Ideen verhalten. Von gewichtigen Ausnahmen abgesehen (insbesondere dem Text von Anna Usacheva) bleibt die Beantwortung dieser Frage weitgehend dem Leser bzw. zukünftiger Forschung überlassen. Letztlich bestätigt der Band so den Eindruck, dem er sich ge-rade entgegenstemmen will, dass die diversen Stränge der Erforschung des spätantiken Christentums nebeneinanderher verlaufen.
Gleichwohl ge­bührt den Herausgebern und der sehr diversen Gruppe von Beiträgern Dank für die faszinierenden Einblicke in die spätantike Diskussion über ein bis heute relevantes Thema.