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Ausgabe:

März/2022

Spalte:

216–217

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Fürst, Alfons [Ed.]

Titel/Untertitel:

Freedom as a Key Category in Origen and in Modern Philosophy and Theology.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2019. 295 S. = Adamantiana, 14. Geb. EUR 49,00. ISBN 9783402137314.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Die Frage, wie das Denken der christlichen Autoren der Spätantike mit neuzeitlichen Ideen verbunden werden kann, ist ebenso bedeutungsvoll, wie sie kompliziert ist. Wenig Zweifel unterliegt die Tatsache, dass keine zweite historische Epoche das Christentum so geprägt hat wie die ersten Jahrhunderte seiner Geschichte. Wenn man also den immer auch strittigen Ort dieser Religion in der Moderne bedenkt, lässt sich kaum umgehen, auch diese historische Tiefendimension in die Betrachtung einzubeziehen. Eine zunächst einmal naheliegende Fragerichtung zielt auf die Wirkungsgeschichte. Sofern die Neuzeit als Ganze im historischen Schatten der christlichen Tradition steht, sollte man annehmen, dass auch patristische Ideen in ihr ihren Niederschlag gefunden haben. So sehr aber diese Annahme als solche plausibel klingt, so schwer ist es doch, solche Einflüsse im Einzelnen festzumachen. Sieht man einmal von Augustinus ab, dessen gedankliche Spur sich durch die gesamte Neuzeit verfolgen lässt, dann ist die Identifikation patris-tischer Einflüsse außerhalb der theologischen Fachliteratur seit dem 18. Jh. eine Detektivarbeit.
Umso wichtiger ist daher die Existenz von Einrichtungen wie der Forschungsstelle Origenes in Münster, deren Arbeit zum Großteil dem Einfluss des sicherlich wichtigsten griechischen christlichen Schriftstellers der Spätantike auf die Neuzeit gewidmet ist. Der hier zu besprechende Band geht auf eine Tagung zurück, die 2018 zum zehnten Bestehen der vom Herausgeber Alfons Fürst begründeten und geleiteten Forschungsstelle veranstaltet wurde. Die einzelnen Beiträge versuchen sich am Thema der Freiheit als einer Klammer, die das Denken des Origenes mit neuzeitlicher Philosophie und Theologie verbindet. Das Thema ist geschickt ge­wählt. Es unterliegt ja keinem Zweifel, dass der Freiheitsgedanke von zentraler Bedeutung für die Moderne ist, und zwar oft genug gerade dort, wo diese sich traditionell in Konflikte mit den Kirchen verwickelt sah. Die Berufung auf Origenes in diesem Zusammenh ang kann daher beide Seiten zur Korrektur traditioneller Sichtweisen motivieren, sofern deutlich wird, dass ein Kernanliegen neuzeitlichen Denkens seinerseits christliche Wurzeln hat. Gleichzeitig steckt im Bezug auf Origenes eine zumindest implizite Warnung vor einer Engführung der christlichen Tradition auf den strikten Prädestianismus des Augustinus.
Gleichzeitig jedoch zeigt der Band auch die Schwierigkeiten, denen sich ein solcher Versuch ausgesetzt sieht. Denn zu einem Gespräch im eigentlichen Sinn zwischen Origenes und der neuzeitlichen Freiheitsidee kommt es nur gelegentlich. Die Mehrzahl der Beiträge bleibt doch in der Perspektive des jeweiligen Faches, beschäftigt sich also primär oder ausschließlich mit Origenes (so z. B. der eindrückliche Text von Christian Hengstermann) oder mit wichtigen modernen Autoren, sei es Kant (Christian Pelz), Fichte oder Hannah Arendt (Saskia Wendel). Ein Brückenschlag gelingt dort am einfachsten, wo moderne theologische Autoren mit einem spezifischen Interesse an Origenes in den Blick kommen, paradigmatisch in Elisa Zocchis Kapitel zu Hans Urs von Balthasar. Welche weiteren Optionen es gibt, zeigen andere Beiträge exemplarisch. Das eindrücklich recherchierte Kapitel von Vito Limone forscht nach Spuren der Origenesrezeption bei F. W. J. Schelling, muss freilich konstatieren, dass selbst bei einem Autor wie Schelling, der zweifellos substantielle Kenntnisse der patristischen Tradition besaß und sich generell gern auf historische Autoritäten berief, die textliche Ausbeute bescheiden bleibt.
Martin Breul und Julian Tappen versuchen sich an systematischen Verknüpfungen zwischen Origenes einerseits, Jürgen Habermas bzw. Hannah Arendt andererseits. Während hier hermeneutisch einfühlsam auf eine Horizontverschmelzung hingearbeitet wird, vermittelt der Beitrag von Johannes Grössl einen Einblick in die schematische und ahisto-rische Anwendung von Kategorien und Distinktionen der analytischen Philosophie auf historische Autoren, wie sie in der sogenannten »analytic theology« zurzeit populär ist.
Die Beiträge sind also divers und heterogen. Der Wert und das Verdienst des Bandes bestehen darin, einen Eindruck von den vielfältigen Richtungen zu geben, in denen nach dem Einfluss patristischen Denkens in der Neuzeit gefragt werden kann. Er zeigt aber auch die Schwierigkeiten, die solchen Versuchen bis heute entgegenstehen. Gerade deshalb gibt er Gelegenheit für die Existenz und die Arbeit der Münsteraner Forschungsstelle dankbar zu sein.