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Ausgabe:

März/2022

Spalte:

196–198

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schücking-Jungblut, Friederike

Titel/Untertitel:

Macht und Weisheit. Untersuchungen zur politischen Anthropologie in den Erzählungen vom Absalomaufstand.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020. 256 S. = Forschungen zur Religion und Literatur des Al-ten und Neuen Testaments, 280. Geb. EUR 65,00. ISBN 9783525571446.

Rezensent:

Stefan Seiler

Das wechselseitige Verhältnis von institutionalisierter Macht und dem Einfluss weisheitlicher Beratung wird in dieser Studie von Friederike Schücking-Jungblut, die im Wintersemester 2014/15 als Dissertationsschrift von der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angenommen wurde, paradigmatisch anhand der Erzählungen über den Absalomaufstand untersucht. Diesen Textkomplex betrachtet die Vfn. zusammen mit seiner Vorgeschichte als Größe sui generis und grenzt ihn auf 2Sam 13,1–19,40 ein. Da bei der Darstellung der Vorgänge im Umfeld des königlichen Hofes verschiedene Berater auftreten, lasse sich hier eine Schnittstelle von Macht und Weisheit erkennen. Dabei gilt das Interesse der Vfn. insbesondere der Beschreibung der handelnden Figuren, die sie einer »politisch-anthropologischen Analyse« unterzieht. Der Problematik der Übertragung neuzeitlicher Kategorien auf einen antiken Text ist sie sich bewusst. Sie legt einen weit gefassten Politikbegriff zugrunde, der menschliches Handeln be­schreibt, das sich strukturell, prozessual oder inhaltlich auf ein größeres Gemeinwesen bezieht bzw. Folgen hierfür zeitigt. Politische Anthropologie als Subkategorie der philosophischen Anthropologie frage nach universellen menschlichen Eigenschaften, die Auswirkungen auf das soziale Zusammenleben hätten. In diesem Zusammenhang spielt in ihrer Studie der Machtbegriff eine zentrale Rolle, den sie als – verbale oder non-verbale – Einwirkung auf das Handeln anderer Personen begreift und der somit – anders als der Terminus der »Herrschaft« – auch auf Ratgeber und Weise angewendet werden könne. Der Weisheitsbegriff beschränke sich im Rahmen der untersuchten Texte auf praktisches Umsetzungswissen im Sinne der »Politikberatung«, was nicht immer terminologisch benannt werden müsse, sondern auch narrativ beschrieben werden könne.
Die dargestellten Leitlinien werden in der Einleitung der Studie (11–32) entfaltet. Deren Hauptteil (33–207) befasst sich in fünf Ab­schnitten mit dem Absalomzyklus (Ratgeberszene [2Sam 15,30–37; 16,15–17,23], Vergewaltigung Tamars und Ermordung Amnons [2Sam 13,1–36.37b], Absaloms Rückkehr nach Jerusalem [2Sam 13, 37a.38b–14,33], Beginn des Aufstands [2Sam 15,1–12], Ende der Re­bellion [2Sam 17,24–19,9]; im letztgenannten Kapitel wird auch auf die Fluchterzählung [2Sam 15,13–16,14] und die Rückkehrerzählung [2Sam 19,10–40] eingegangen.) Die Textanalysen erfolgen nach einem festen Schema, wobei zunächst deren Struktur sowie literarkritische bzw. redaktionsgeschichtliche Fragestellungen im Mittelpunkt stehen, woran sich Überlegungen zu den Konturen polit ischer Anthropologie anschließen, die – unter Berücksichtigung der literarhistorischen Entwicklung – auf die in den besprochenen Abschnitten auftretenden Akteure bezogen sind.
Der Absalomzyklus hat nach der Vfn. eine mehrstufige literargeschichtliche Entwicklung durchlaufen: Die Grundschicht setze in 2Sam 15,7–12* mit der Absichtserklärung Absaloms, ein Gelübde, das er in Hebron abgelegt habe, erfüllen zu wollen, ein. Zu diesem Textstratum seien auch Teile der Fluchterzählung Davids zu rechnen (2Sam 15,13–16a.17b–18.23; 16,5–10.13 f.). Dessen Ankunft in Mahanajim, die Vorbereitungen zur Schlacht, der Tod Absaloms sowie die Klage des Königs um seinen Sohn (2Sam 17,24–19,9*) seien ebenfalls weitgehend Bestandteil der ursprünglichen Erzählung. Sie zeuge von der Projektion eines alternativen Modells der Herrschaftssukzession in die Frühzeit des Königtums, das letztlich aber verworfen werde. Wahrscheinlich sei eine Entstehung am Hof des Königs Asarija/Usija Mitte des 8. Jh.s v. Chr. Ihre umfangreichsten Ergänzungen habe die Aufstandserzählung durch die Vorschaltung der »Vorgeschichte« (2Sam 13,23–14,33*) sowie die Einfügung der von derselben redaktionellen Hand stammenden (Grundschicht der) Ratgeberszene (2Sam 15,30–37*; 16,15–17,23*) erfahren. Habe sich der König nach der Grundschicht noch um Absalom gesorgt (2Sam 18,5) und ihn nach dessen Tod betrauert (2Sam 19,1–8), betrachte er diesen nun als (potentiellen) militärischen Gegner, dessen Handlungsspielraum es einzuschränken gelte (vgl. 2Sam 14,24.28; 15,30–37*).
Die indirekte Einflussnahme auf eine andere Person durch eine Figur, die der Sphäre der Weisheit zuzuordnen sei (Huschai, weise Frau von Tekoa), verbinde beide Abschnitte, deren Verfasser in höfisch-weisheitlichen Kreisen zu suchen sei. Diese Schicht dürfte der Vfn. zufolge zeitlich nicht allzu weit von der Abfassungszeit der Grundschicht anzusiedeln sein. Ebenfalls ohne große zeitliche Distanz hierzu lasse sich eine erste Ergänzungsschicht der Ratgeberszene herausarbeiten, die Huschai vom Spion zu einem Ahitofel ebenbürtigen Ratgeber an Absaloms Hof mache und damit zu­gleich den Einfluss Davids auf seinen politischen Gegner verstärke (2Sam 15,34b; 16,20*; 17,8–13.14a.15b). Hier werde deutlich, dass ein Ratgeber nicht nur zum Wohl eines politisch Herrschenden, sondern auch zu dessen Schaden auf ihn einwirken könne, was die Macht des Ratgebers sichtbar erweitere. Daher gelte es, die zur Verfügung stehenden weisheitlichen »Ressourcen« angemessen einzusetzen, was darauf hindeute, dass diese Bearbeitung auf die Ausbildung weisheitlicher Eliten im Umfeld des Königs ziele. Die zweite Ergänzungsschicht zur Ratgeberszene beziehe sich auf die sogenannte »Nebenfrauen-Episode« (2Sam 15, 16.17*; 16,21–23; 17,5–7; 20,3), die ebenfalls auf höfisch-weisheitliche Kreise zurückgehen könne. Diese Bearbeitung verstärke die einflussreiche Rolle des Ratgebers (vgl. 2Sam 16,23). Eine letzte um­fangreiche Ergänzungssc hicht findet die Vfn. in der Vorschaltung von zwei Erzählabschnitten, die das nachfolgend geschilderte Geschehen narrativ plausibilisieren sollen. Dabei handle es sich um die Erzählung von der Vergewaltigung Tamars (2Sam 13,1–22.32b.33; 14,25–27) und die Darstellung von Absaloms Werben um einen Unterstützerkreis (2Sam 15,1.2–6.11). Werde durch die erstgenannte Erzählung ein Grund für Amnons Ermordung durch Absalom angegeben, führe die zweite narrativ aus, warum der Rebellion ein so rascher Erfolg vergönnt gewesen sei. Von Einzelglossen abgesehen betrachtet die Vfn. die theologischen Deutestellen 2Sam 15,31b; 17,14b als Einfügungen, durch die die immanent verantwortete Handlungskette an JHWHs Wirken rückgebunden werde.
Während auf der Ebene der Grundschicht die Thematik der Weisheit noch kaum präsent sei, verstärke sich deren Bedeutung im Blick auf den politischen Einfluss entsprechender Handlungsträger zunehmend über die Redaktionsschichten. Bereits ansatzweise in der Grunderzählung, besonders aber in den von der Vfn. herausgearbeiteten Ergänzungsschichten werde deutlich, dass po­litisch Mächtige auf weisheitliche Unterstützung in Form von konstruktiven Ratschlägen (2Sam 16,20–17,14) oder der (Wieder-) Herstellung ihrer Handlungsfähigkeit (2Sam 19,1–9) angewiesen seien. Tragfähiges politisches Handeln entstehe erst im Zusammenwirken von Weisheit und Herrschaft. Was das Ethos der königlichen Berater betreffe, so stehe hier freilich der (kurzfristige) Erfolg des Beratenen an oberster Stelle, während die (längerfristigen) Konsequenzen des Ratschlags (wie bei der Rückkehr Absaloms) oder die Wahl »fairer Methoden« nicht im Blick seien. Deutlich werde auch, dass der Rückgriff auf solche Berater – wie am Beispiel Absaloms erkennbar – ins Verderben führen könne, weshalb sich die Darstellung auch als Warnung an politische Machthaber lesen lasse. Die Studie wird durch eine Übersetzung der untersuchten Textabschnitte abgeschlossen, wobei die einzelnen literarischen Schichten entsprechend voneinander abgehoben sind. Ein Literaturverzeichnis und ein Bibelstellenregister sind beigefügt.
Mit der Untersuchung des Verhältnisses von Macht und Weisheit, die sich durch das Auftreten verschiedener Repräsentanten beider Bereiche (die – wie Joab – auch eine »Doppelrolle« einnehmen können) nahelegt, hat die Vfn. einen interessanten Zugang zur Erzählung des Absalomaufstandes gewählt, der dessen zentrale Thematik unter politisch-anthropologischen Gesichtspunkten überzeugend entfaltet und zugleich ein erhellendes Licht auf die narratologische Darstellung der dort auftretenden Akteure wirft. Die Struktur der Texte wird detailliert herausgearbeitet. Die literarkritischen Entscheidungen sind nachvollziehbar. Wünschenswert wäre eine vertiefende und weiterführende Einordnung des untersuchten Abschnitts in den größeren Kontext der David-Salomo-Erzählungen – gerade unter der Perspektive von Macht und Weisheit. So ließe sich die Rolle Natans in 1Kön 1 unter ähnlichen Gesichtspunkten analysieren, wie dies bei den Repräsentanten der Weisheit im Absalomzyklus geschehen ist. Zu fragen wäre auch, wie sich das in 1Kön 2,28 ff. geschilderte weitere Ergehen Joabs vor dem Hintergrund der Thematik der Macht zu dessen Darstellung im Rahmen des Absalomaufstandes verhält.
Insgesamt ist die Studie sehr anregend und liefert einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des untersuchten Textabschnitts.