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Ausgabe:

März/2022

Spalte:

193–196

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Renz, Thomas

Titel/Untertitel:

The Books of Nahum, Habakkuk, and Zephania.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2021. XXXIX, 703 S. = The New International Commentary on the Old Testament. Geb. US$ 56,00. ISBN 9780802826268.

Rezensent:

Walter Dietrich

Der Aufbau dieses Kommentars von Thomas Renz ist wie folgt: Knapp 40 (römisch paginierte) Seiten enthalten eine Liste der Exkurse, die Vorworte des Hauptherausgebers und des Autors, Abkürzungen und Auswahlbibliographie; auf 22 Seiten wird eine Einführung in die drei Prophetenschriften Nah-Hab-Zef in ihrem Zusammenhang geboten; 170 Seiten gelten der Auslegung von Nah, 225 Seiten der von Hab, 220 Seiten der von Zef (Warum Nah so viel kürzer abgehandelt wird als Hab und Zef, ist nicht ersichtlich). Bei jeder Perikope gibt es vier Auslegungsschritte: 1. Übersetzung mit textkritischen Noten (immer sehr gründlich); 2. »Composition« (mit viel Form- und gelegentlich auch Literarkritik); 3. »Commentary« (mit vielen detaillierten Wort- und Sacherklärungen); 4. »Reflection« (Erwägungen zur Kernaussage des Abschnitts). Den Abschluss des Bandes bilden 50 Seiten mit Autoren-, Sach- und Stellenregister.
Der Autor zeigt sich im Vorwort (XV–XVI) eng verbunden mit der Church of England. Er möchte sowohl den »pastors« als auch den »academics« gerecht werden. So will er »technische« Details (vor allem die Textkritik) in Text- und Fußnoten konzentrieren und den Text lesbar halten (was, trotz gelegentlich ermüdender Einzelerörterungen, gelungen ist).
Die internationale Forschung ist breit rezipiert. Die Bibliographie (XXV–XXXIX) enthält nicht nur eine große Anzahl wichtiger und zum Teil entlegener englischer Titel, sondern auch die relevante deutschsprachige Literatur. Die zahlreichen Fußnoten und das Autorenregister beweisen, dass diese Literatur auch benutzt worden ist.
Die Einführung zu Nah-Hab-Zef (1–20) äußert sich zur Natur prophetischer Bücher, zum Dodekapropheton im Kanon, zur Einheit des Zwölfprophetenbuchs (dabei ein Exkurs über die unterschiedlichen Textformen in Antike und Mittelalter), zu Nah-Hab-Zef im Zwölfprophetenbuch, zum Aufbau von Nah-Hab-Zef, zur Geschichte des späten neuassyrischen und des frühen neubabylonischen Reichs. Im Einzelnen erfährt man: Den prophetischen Schriften liegen Botschaften konkreter Propheten zugrunde, die sorgfältig aufgenommen und nur zurückhaltend redigiert wurden. Dafür, dass das Dodekapropheton als ein Buch zu sehen ist, sprechen eine durchgehende story line und Stichwortverknüpfungen zwischen den Schriften; im Übrigen bleibt doch der Eindruck einer Anthologie. Diese ist im Wesentlichen geschichtlich geordnet, wobei Nah der assyrischen Epoche zufällt und Hab und Zef der babylonischen. (Später wird der Vf. sagen, dass Zef in Wahrheit der spätassyrischen Epoche angehört.) Das Textmaterial der drei Bü­cher stammt weitestgehend aus der Zeit zwischen 660 und 600 (eine relativ konservative Einschätzung).
In der Einleitung zu Nahum (23–58) liest man: Nah dürfte von Anfang an schriftlich verfasst worden sein. Die Schrift gliedert sich in zwölf Einheiten. Bei Textdifferenzen ist die hebräische der griechischen Version in der Regel vorzuziehen. Die Sprache von Nah ist höchst kunstvoll; es gibt sound effects, Alliterationen, Assonanzen, Wortspiele, Metaphern, dazu ironische und satirische Züge. Entstanden ist das Buch vor, nicht nach 612 v. Chr. Es ist eine Entstehung peu-à-peu anzunehmen; das älteste Material dürfte in Kapitel 3 stecken, doch könnte das Gedicht 1,2–8 noch älter sein (eine gewagte Annahme). Zur Zeit seiner Entstehung war Nah ein schriller Ruf vom nahen Ende des scheinbar allmächtigen Ninive. Jhwh wird dieses ganz allein herbeiführen, ohne jede Hilfe aus Juda. Seine Gegner sind nicht assyrische Götter, sondern Ninive. Der Vorwurf sexistischer Gewaltphantasien trifft nicht zu. Ninive wird erleiden, was es »untreuen« Vasallen angedroht hat. Die Stadt steht für das Böse überhaupt. Nah weist mancherlei Berührungen mit anderen Schriften des Dodekapropheton auf (Hos, Joel, Am, Jona, Mi, Hab), hat aber eine ganz eigene Botschaft. Kritik an Großreic hen findet sich aber auch anderswo in der Prophetie sowie im Neuen Testament, der Kampf gegen das Böse ist ein Thema der ganzen Bibel – im Neuen Testament allerdings ohne gewalttätige Züge, mit einem Gott, der sich selbst zum Opfer macht. Die Chris­tenheit hat viel zu oft auf eigene Macht und Gewalt gesetzt, während in Nah beides nur Gott zugeschrieben wird. Die Botschaft von einem Gott, der Unrecht rächt, kann zum Trost werden für Menschen, die unter Unrecht leiden.
Aus der Kommentierung von Nah (59–192) sei Kapitel 1 näher betrachtet. Die Überschrift 1,1 ist nicht aufzuteilen in eine »Last« für Ninive, zu beziehen auf Kapitel 2–3, und eine »Vision« des Na-hum, zu beziehen auf Kapitel 1; vielmehr sind alle drei Kapitel »Schauung« und betreffen »Ninive«. (Hier gibt der Vf. einen Schlüssel zum Buch vorschnell aus der Hand.) Der Akrostich in 1,2–10 war nie vollständig und nie perfekt und wurde nicht sekundär nachgetragen (was man sehr wohl anders sehen kann). Die Drohungen in 1,11–14 richten sich gegen Assur und den Assyrerkönig (die Möglichkeit, dass Juda und der judäische König gemeint sein könnten, wird nicht erwogen). Die Heilszusagen in 1,12b und 2,1 sind nicht sekundär und nicht von Deuterojesaja inspiriert (m. E. eine Fehleinschätzung). Die Vernichtung Assurs bringt die Befreiung Judas mit sich (womit Nahum einseitig zu einem nationalen Heilspropheten wird).
Die Einleitung zu Habakuk (195–219) nimmt folgende Festlegungen vor: Die Schrift besteht aus 18 Einheiten. Nirgendwo gibt es »pro-Babylonian material«, vielmehr sei von Anfang bis Ende alles »critical of the empire« (was aber ist mit 1,5–10?). Kapitel 1 ist nicht ein Dialog zwischen Prophet und Gott, sondern eine einzige prophetische Anfrage unter Rückgriff auf frühere Prophezeiungen (wohl eine Fehldeutung von 1,5–10). In Kapitel 2 wird das Handeln Babylons transparent auf jedes unterdrückerische Verhalten – auch innerhalb Judas (der Hypothese, dass in den Weherufen 2,5 ff. eine Grundschicht innerjudäische Kritik enthielt, folgt der Vf. nicht). Das Gebet in Kapitel 3 stammt von Habakuk selbst (es wird meist für zugesetzt gehalten) und verwendet eventuell älteres Material. Der Prophet und das Buch gehören in die Zeit um 600 v. Chr. Dass Hab nicht hinter Zef eingeordnet wurde, liegt nicht daran, dass es eine Zweiprophetenschrift Nah-Hab gab (wofür aber vieles spricht!), sondern daran, dass den Sammlern die Chronologie nicht so wichtig war. Hab fand starkes Echo in der christlichen Tradi-tion, nicht nur wegen Hab 2,4 (vgl. Röm 1,17; Gal 3,11), sondern wegen seines Ringens mit einem scheinbar untätigen Gott und seiner Verurteilung imperialer Gewalt.
Aus der Kommentierung von Hab (221–419) soll 2,5–20 als Beispiel dienen. Wichtig ist schon einmal, dass 2,5 nicht zu den nachfolgenden Weherufen gehört, sondern zur zentralen Offenbarung 2,4 f., die besagt, dass der Gerechte leben, das ungerechte Babylon aber untergehen wird. (Diese Deutung steht textlich auf unsicheren Füßen, und sie adressiert vorschnell Babylon.) Im ersten Weheruf 2,6–8 (der aber nicht durch ein »Wehe« eröffnet wird) geht es um die Opfer babylonischer Expansionspolitik (obwohl von »Völkern« erst in 2,8 die Rede ist). Folgerichtig sprechen in 2,9–11 die Völker (obwohl hier nur ein Sätzchen in 2,10 über einen judäischen Horizont hinausweist), und wie das Holz dem Stein, so antwortet Gott ihren Klagen (eine allegorische Deutung). Die nächste Texteinheit ist 2,12–14 (obwohl der Vf. selbst feststellt, dass die drei Verse je selbständig wirken und jedenfalls 2,14 aus der Spruchkette herausfällt); wieder ist Babylon der Adressat (obwohl der Vf. selbst die Parallele zu Mi 3,10 bemerkt, wo eindeutig Jerusalem gemeint ist). 2,15–17 richtet sich nicht gegen Party-Exzesse in Jerusalem, sondern gegen Babylon, das wie alle Aggressoren sexuelle Gewalt übt und zudem die Völker trunken macht, um sie ihrer Population und Vegetation zu berauben (eine Art Allegorese). 2,18–20 handelt von babylonischem Götzendienst (was stimmen mag, da dieser Passus wohl sekundär ist, vgl. die Götzenpolemik in sekundären! Deuterojesaja-Passagen).
Die Einleitung zu Zefanja (423–450) vertritt folgende Positionen: Die Schrift setzt sich aus zehn Einheiten zusammen, von denen 3,14–17 und 3,18–20 als Brücke zu Hag-Mal sekundär zugesetzt sind. Teil eines deuteronomistischen Vierprophetenbuchs war Zef nicht, es hat ein solches nicht gegeben (was doch sehr viele Forschende anders sehen). Viel Mühe verwendet der Vf. auf die Relation zwischen Zefanja und Joschija. Zef ist größtenteils vor 622 v. Chr. (dem Zeitpunkt der joschijanischen Reform) entstanden. 1,2–18 ist nach dem Schema A-B-B’-A’ aufgebaut: In 1,2 f. und 1,14–18 geht es um die ganze Menschheit, in 1,4–6 und 1,7–13 um Jerusalem und Juda. (Es gibt gute Gründe, in diesem Abschnitt einige Passagen – vor allem die universal ausgerichteten in 1,3 und 1,17 f. – nicht authentisch zu finden und 2,1–3 zu dieser Komposition noch hinzuzunehmen.) Zef sieht den Zusammenbruch des politischen Systems nicht nur in Jerusalem, sondern in der gesamten Region voraus, erwartet aber für die »Demütigen« Heil jenseits des Ge­richts.
Aus der Kommentierung von Zef (451–646) sei 2,5–15 näher be­leuchtet. Eine wichtige Entscheidung ist schon, zu diesem Zyklus 3,1–8 nicht hinzuzunehmen, so dass nicht, wie in Am 1–2, die Un­heilsankündigungen gegen Nachbarvölker auf eine solche ge­gen das eigene Volk zulaufen. 2,5–15 ist komplett authentisch und passt in die Zeit um 630 v. Chr. Dies gilt auch für die Ansagen in 2,7.9b.10, dass Juda die verwüsteten Landstriche Philistäas, Moabs und Ammons erben werde, und zwar nicht, weil Zefanja die Expansionspolitik Joschijas unterstützte (eine solche bestreitet der Vf. mit gutem Grund), sondern weil nach der »regionalen« Katastrophe einem Rest Judas durchaus wieder Gutes bevorstehe. (Wie verträgt sich dies mit der radikalen Tag-Jhwhs-Prophetie in Zef 1?) Die in 2,11 angekündigte universale Anerkennung Jhwhs setzt die Depotenzierung der fremden Götter voraus und fügt sich so in eine national-jahwistische Perspektive. (Muss ein Satz mit derart weiter ökumenischer Perspektive nicht sehr viel später formuliert worden sein?) Das Wort gegen Kusch in 2,12 ist kein eigenes Orakel, auch nicht das Torso eines solchen, sondern blickt zurück auf den Untergang der kuschitischen Dynastie in Ägypten um 664 v. Chr. und ist nur der Auftakt zum Spruch gegen Ninive 2,13–15.
Der vorstehende Bericht kann nur ungenügend zeigen, wie gründlich dieser Kommentar ist und dass er den Rang eines Standardwerks beanspruchen darf. Textliche und philologische Details erwägt er sorgfältig (nicht ohne gelegentliche Redundanzen), die zeitgenössische Forschung nimmt er umfassend (wenn auch etwas eklektisch) auf, in seinem Urteil ist er immer sehr (manchmal: zu) vorsichtig und in seinen Ergebnissen, namentlich den (literar-) historischen, recht konservativ (m. E. oft zu konservativ). Wer sich mit den drei in ihm ausgelegten Prophetenschriften näher befassen will, wird kaum umhinkommen, ihn zu Rate zu ziehen.