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Ausgabe:

März/2022

Spalte:

189–181

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Edelman, Diana, Rossi, Benedetta, Berge, Kåre, and Philippe Guillaume[Eds.]

Titel/Untertitel:

Deuteronomy in the Making. Studies in the Production of Debarim.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2021. X, 430 S. m. 19 Tab. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 533. Geb. EUR 99,95. ISBN 9783110713053.

Rezensent:

Eckart Otto

Dieser Band ist das Ergebnis eines Projekts an der Universität Oslo zu »Production, Purpose, and Ideology of Deuteronomy«, an dem die Herausgeber sowie der inzwischen verstorbene Philip R. Davies beteiligt waren, wobei die Beiträge aus Workshops der Jahre 2017/18 stammen und meist auf diesem Stand belassen wurden. Diana Edelman nennt als Ausgangspunkt die Feststellung, es gebe kaum Arbeiten zur Logik der Sammlung der Rechtssätze in Dtn 12–26. So sollen sich die Beiträge auf Dtn 12–26 konzentrieren und die Frage klären, ob diese Kapitel ein Urdtn abgaben. Philip R. Davies nimmt eine These von A. Welch von 1924 auf und sieht in Dtn 12–26 nicht ein Manifest der Josiareform, sondern das Ergebnis einer Identitätskonstruktion in Samarien nach 722 v. Chr., so dass das Dtn ein samarisch-postkönigliches Projekt des 8. Jh.s gewesen sei. Alternativ bietet er die These an, dass das Dtn bereits auf die Zeit Jerobeam (II.) zurückgehe und der Integration ethnisch fremder Gruppen gedient habe. In einem »Interactive Editorial Summary« zu diesem Beitrag wird angemerkt, dass Argumente wie das Fehlen königlicher Rechtskompetenz, die gegen eine Verbindung des Dtn mit Josia sprechen sollen, auch für Jerobeam gelten müssten. Vor allem darf man fragen, wer die Fremden des Dtn sein sollen, wenn es sich an nicht-israelitische Umsiedler der Assyrer nach 722 v. Chr. wenden soll. A. Welch hat 1924 seine These aus der Taufe gehoben, um der de Wetteschen Hypothese als Ausgangspunkt für J. Wellhausens Spätdatierung von P den Boden zu entziehen, was seit einhundert Jahren ohne durchschlagende Resonanz geblieben ist.
Dieser Frühdatierung setzt Diana Edelman eine pauschale Spätdatierung des Dtn als literarisch einheitlich von einem Autor verfasst entgegen, wozu in kritischer Diskussion mit M. Weinfeld und S. D. McBride die These vertreten wird, dass das Dtn weder vertragsrechtliche Züge der neuassyrischen Zeit aufweise noch der Verfassung einer Theokratie. Mit Hinweis auf D. L. Christensen lehnt Edelman pauschal eine literarische Differenzierung zwischen Kern und Rahmen ab. Vielmehr sei das Dtn unter Nutzung von altorientalischen Instruktionen und Autobiographien als literarisch einheitlich nachexilisch verfasst worden. Sie nennt ihre These einen »very minority view, which I am told is unlikely to be found per-suasive«. Doch ist ihr insoweit recht zu geben, als das Dtn in nachexilischer Zeit in nicht geringem Umfang fortgeschrieben wurde, doch verzichtet sie auf jede literaturhistorische Differenzierung, wenn »Occam’s razor« das vornehmliche exegetische Werkzeug bleibt.
Differenzierter will Kåre Berge nachexilische Züge im Dtn benennen und sieht sie in einer Tendenz zur Resilienz in achämenidischer Zeit. So sollen die Gebote gegründet in mosaischem Charisma Israel erneuern, ohne mit der persischen Administration in Konflikt zu geraten. Eine nachexilische Datierung wird dabei nur vorausgesetzt. Auch zeigen gerade nachexilische Rahmenkapitel wie u. a. Dtn 1–3 in den »antiquarischen Notizen« eine kritische Auseinandersetzung mit der achämenidischen Reichsideologie. Wo also Resilienz im Dtn endet und Kritik beginnt, bleibt offen. Im Gegensatz zu diesen Beiträgen unterstreicht Baruch Halpern in einem sozialgeschichtlich sehr wichtigen Beitrag die Gültigkeit der de Wetteschen Hypothese der Verbindung eines Urdtn mit der Josiareform, da alle Versuche, diese Hypothese zu erschüttern, gescheitert seien. Das josianische Dtn als Blaupause der Reform habe keine literarische, wohl aber eine traditions- und sozialgeschichtliche Vorgeschichte von einhundert Jahren der Erfahrung mit den Assyrern. Es sei nicht in Israel nach 722 v. Chr. verfasst worden, sondern zeige vielmehr die Pläne, die Josia mit dem nördlichen Nachbarn gehabt habe. Doch schlägt das exegetische Pendel zu weit in Richtung auf das 7. Jh. aus, wenn Berge dem josianischen Dtn »D622« pauschal wahlweise Dtn 5–28 oder gar Dtn 1–33 zuschreiben will.
Die auch in diesen Beiträgen zurücktretende literaturhistorische Arbeit am Text des Dtn tritt in dem Beitrag von Bill T. Arnold in den Vordergrund, doch nicht basiert auf eigener Textarbeit. Vielmehr bedient er sich der Dissertation von B. Kilchör (BZAR 21, 2015), die sich zum Ziel gesetzt hat, J. Wellhausens Datierung der Priesterschrift mittels des Nachweises der Abhängigkeit des Dtn vom Heiligkeitsgesetz aus den Angeln zu heben. B. Arnold nutzt diese These, um auf ihrem Hintergrund das inhaltliche Proprium eines Urdtn zu erfassen, welches er nicht überraschend in der These des einen Heiligtums, einen Israels, einen Landes und der einen Tora sieht. Das Urdtn in Dtn 12–26 sei ein »real reform program for late pre-exilic Judah« gewesen. Einzelne »Sepharim« seien im 8. Jh. mit antiassyrischem Affekt redigiert und josianisch erweitert worden.
Philippe Guillaume ersetzt in seinen beiden Beiträgen die exegetische Textarbeit am Dtn durch ökonomische Hypothesen, die darüber entscheiden sollen, welche Gestalt ein Urdtn gehabt habe. Dazu dient die Zehntgesetzgebung in Dtn 14,22–29 als Schlüssel. Sei dort der māqôm von den »Toren« als Orte des Zwangs der Steuereintreibung getrennt, so werde diese Trennung stufenweise durch die Einfügung von Dtn 12,1–14,21 mit den Leviten aus den Toren am Zentralheiligtum und dann in Dtn 16 und Dtn 18; 26 aufgehoben. Ohne diese Kapitel sei es im Dtn nur um Nahrungserzeugung und -verteilung, Kredite und Handel gegangen. Auch habe der māqôm regelmäßig seinen Ort gewechselt, um so eine Gleichbehandlung der Wallfahrer zu gewährleisten. Doch wenn theologische Motive jenseits einer am »supply-demand-equilibrium« orientierten māqôm-Ökonomie Eingang erst mit den Leviten am māqôm ins Dtn gefunden haben sollen, so ist das ein Zirkelschluss. Ähnliches gilt für die These Guillaumes in seinem zweiten Beitrag, für den die Bruderethik von Dtn 23,8 (2,4.8) her interpretiert die Edomiter einschließe. Brüderlichkeit sei als ökonomische Partnerschaft zu verstehen, so dass Dtn 15–25 darauf abziele, »to preserve the economic viability of partnership«. Ethnisch entkernt wird der Bruder zum Geschäftspartner. Dem stehen die zahlreichen Texte im Dtn gegenüber, in denen der Bruder als Israelit verstanden wird. Ökonomische Gesichtspunkte in die Exegese einzubeziehen ist von Gewinn, doch sollte das nicht auf Kosten der literaturgeschichtlichen Arbeit geschehen und nicht ein Teilaspekt des Dtn als sein Ganzes ausgegeben werden.
Graeme Auld will das Dtn aus dem von ihm postulierten »Book of Two Houses«, das auch dem DtrG und ChrG als Quelle gedient habe (cf. dazu zuletzt L. Maskow, FRLANT 274, 2019, 34 f. und passim), ableiten. Megan B. Turton untersucht anhand des Prophetengesetzes in Dtn 18,15–22 den Zusammenhang von Gesetz in Dtn 12–26 mit Erzählung in den Rahmenkapiteln. Dtn 18,15–16 bediene sich eines narrativen Rückbezugs auf Dtn 5,22–23 und Ex 20,18–21, so dass die Unterscheidung von gesetzlichem Kern in Dtn 12–26 und erzählender Rahmung zu einfach sei, doch wird eine so simpel gestrickte Entgegensetzung auch kaum vertreten.
Martijn Beukenhorst thematisiert »Kriegsgesetze« in Dtn 20,1–20; 21,10–14; 23,10–15; 24,5 und fragt, ob sie ohne die Rahmenkapitel verständlich seien und also Teil eines Urdtn sein könnten, mit dem Ergebnis, dass Dtn 20,15–18; 23,12–14 inkompatibel mit einem Ur-Dtn sei, während andere Gesetze durchaus in einem Urdtn gestanden haben könnten. Ob Dtn 12–26 als Urdtn existiert habe, lasse sich aufgrund der »Kriegsgesetze« nicht entscheiden. Daniel Graber fragt nach den »Fremden« im Dtn mit dem Ergebnis, dass der ger weder generell sozial als Außenseiter jenseits einer Kernfamilie noch ethnisch als Nicht-Israelit oder -Judäer interpretiert werden könne. Der vielschichtige Text des Dtn lasse kein einheitliches Verständnis zu.
Im Unterschied zu mehreren Beiträgen in diesem Band macht sich Benedetta Rossi in ihren beiden Beiträgen die Mühe exegetischer Detailarbeit und kann so für die weitere Deuteronomiumsforschung bedenkenswerte Ergebnisse vorlegen, wenn sie zeigt, dass die levitischen Priester sich im Dtn als eine schriftgelehrte Elite präsentierten und, so zeige Dtn 10,6–9; 18,1–2.8, nachexilisch als homines novi zu einem kritischen Gegenüber der aaronidischen Priesterschaft wurden, indem sie für sich Kompetenz in rechtlichen, politischen und religiösen Fragen beanspruchten. Rossi in­terpretiert überzeugend die Literaturgeschichte des Dtn als kritische Diskursgeschichte, was langfristig Fortschritte in der Deuteronomiumsforschung verspricht. Das gilt auch für den zweiten Beitrag Rossis, der zeigt, dass die in der Jeremiaforschung oft vertretene These, in Jer werde das Dtn als autoritativer Gesetzestext zugrunde gelegt, der Revision bedarf. Stattdessen sei nachexilisch in Jer eine subversive Rezeption des Dtn zu beobachten. Zeige ge- rade die nachexilische Rahmung des Dtn die mosaische Tora als exklusiven Weg zur Wiederherstellung Israels nach der Katastrophe, so werde neben Jer 31,31–34 u. a. in Jer 3,1; 29,3–14.17; 30,18 der Tora diese Funktion bestritten. Diese These verdient eine intensive Diskussion gerade auch in der Jeremiaforschung; cf. dazu H. Knobloch, BZAR 12, 2009.
Die Beiträge zeigen recht dramatisch auseinanderstrebende Fa­cetten der Deuteronomiumforschung, ohne dass eine Richtung der Vermittlung der Widersprüche durch das Projekt erkennbar wird. Der Leser konstatiert nur enttäuscht und betroffen, der Vorhang zu und viele Fragen offen.