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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

574 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Steinmeier, Anne M.

Titel/Untertitel:

Wiedergeboren zur Freiheit. Skizzen eines Dialogs zwischen Theologie und Psychoanalyse zur theologischen Begründung des seelsorglichen Gesprächs.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 220 S. gr.8 = Arbeiten zur Pastoraltheologie, 33. Kart. DM 78,-. ISBN 3-525-62355-0.

Rezensent:

Yorick Spiegel

Ein sehr anregendes Buch liegt vor, weil Anne M. Steinmeier zwar von vornherein viele Autoren zitiert, aber doch immer gleich ihre eigenen Vorstellungen mit ins Spiel bringt und ihre Gedanken vor dem Leser ausbreitet. Behandelt wird das Problem, "daß gegenwärtig das im kirchlichen Kontext geäußerte Lebensverstehen vielfach und in nicht mehr übersehbarem Maße für das eigene lebendige, alltägliche Leben als irrelevant wahrgenommen wird" (13).

Die Untersuchung setzt bei zwei Theologen, Joachim Scharfenberg und Paul Tillich, und vier Psychoanalytikern und Psychoanalytikerinnen an, mit denen sich die Vfn. intensiv unterhält, um ihre eigene theologische Auffassung herauszustellen. Die Vfn. geht davon aus, dass auch in der Seelsorge das Subjekt zum Dauerthema in der Moderne geworden ist und sich zusammen mit der ihm zugeordneten Freiheit zum ausschlaggebenden Wirklichkeitsverständnis entwickelt hat. Wie aber kann die theologische Auffassung realisiert werden, wenn nicht mehr Gott, sondern das Subjekt es ist, das die Welt bestimmt?

Der Einstieg mit dem Thema Freiheit als theologisches Problem bei Joachim Scharfenberg wird rasch verlassen und von neuem auf Sigmund Freud zurückgegriffen. Nach ihm ist die Freiheit "verständige und so bewußt resignierende Einsicht ins Notwendige und Unausweichliche der Realität" (37). Aber er sieht auch, dass es der Eros ist, der trotz der Anpassung an die Realität von dem Über-Ich geliebt werden will. Warum sollte daher ein Gottesglaube nicht leisten können, dass das Subjekt auch geliebt wird (was in der Psychoanalyse "Überdeterminierung" genannt wird)?

Die Vfn. wendet sich nun Paul Tillich und vor allem seinem "Mut zum Sein" zu. Dabei stößt sie auf den Gottesnamen "Macht des Seins" und erläutert anhand von "Der Mut zum Sein" jenen Mut als denjenigen, "sich zu bejahen als bejaht" (85). Dieser Prozess wird von der Vfn. als "mutige Freiheit" bezeichnet. Über Paul Tillichs Symboltheorie findet sie dann heraus, dass Gott die Liebe ist und dass er das Endliche so erfüllt, "daß es als es selbst mehr werden und wachsen kann" (91). Dazu gleich noch mehr.

In einem zweiten Teil untersucht die Vfn. Melanie Klein, derzufolge in der frühesten Kindheit die schreckenerregenden den "guten" Objekten gegenüberstehen, nicht aber dem Selbst, das sich erst später entwickelt, und Margaret S. Mahler, die eine Loslösung von der Mutter als psychischen Prozess, eine "Individuation", beobachtet. Diesem Prozess stellt die Vfn. Daniel N. Stern entgegen, der die Präsenz des Selbst von Geburt an vertritt. Das ist ihr wichtig. Das Selbst ist von Anfang an bedeutsam, aber auch die damit verbundene Freiheit: "Freiheit gründet darin, daß ein Mensch als ein Selbst geboren wird" (195). Erst im Prozess der Selbstwerdung kann ein Mensch auch seine Angst und andere Kräfte der Zerstörung kennenlernen.

Aber, und das ist meine Anfrage, was für eine Bedeutung hat Gott dann? Der Vfn. zufolge hatte Tillich Angst, Gott zu vergegenständlichen und seine Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Hinter dieser Sorge um Gott kann aber der Mensch selbst in seiner erlebten Fragwürdigkeit und Unausgemachtheit stehen. Das gelte nicht nur für Tillich, es gelte eher selbst noch für Tillich. "Wo immer Gott abstrakt bleibt, in einer leeren Transzendenz geschützt wird, wird er vergegenständlicht, wird er in Sätzen ,versichert’, zu Theorien erhoben" (93). Der lebendige Gott aber kann seine Nachweisbarkeit aufheben, und erst im Symbol ist zu erfahren, dass er der in Wirklichkeit Mächtige und Gute ist. Ob Gott wirklich ist, das lässt sich theologisch argumentativ nicht auflösen. "Gott wirklich zu glauben, bedeutet theologisch ernstzunehmen, daß Gott nicht zu garantieren ist" (93). Die Vfn. verweist dabei auf Traugott Koch: Mit Gott leben (Tübingen 1989). - Damit zusammenhängend schlägt die Vfn. die christologische Variation vor, nämlich dass Gott Mensch geworden ist und alles Tötende und Lebensverneinende "im Kampf durchlitten und durch den Tod bestanden und darin überwunden" habe (198). Damit fällt sie aber wieder in eine Christologie zurück, nach der Christus alle Leiden und den Tod auf sich genommen hat. Aber vielleicht war ihr dieser Exkurs von zwei Druckseiten auch nicht so wichtig.

Am Schluss habe ich noch einige Fragen zu stellen: 1. Wenn die Vfn. vom Subjekt spricht, dann ist dies doch eine Fragestellung, die sich erst mit der Neuzeit ausgebildet hat. Ist ihr das bewusst? 2. Ausgangspunkt bleibt der Gottesbegriff, auch wenn er nicht abgesichert werden kann und vom Menschen kaum zu unterscheiden ist. Ist diese minimale Differenz noch nötig? 3. Könnte Theologie (und die christliche Religion) sich nicht so einrichten, dass sie zum modernen Menschenverständnis beiträgt, aber sich nicht eine dominierende Rolle zuspielt, die sie heute ohnehin nicht mehr hat? 4. Paul Tillich redet zwar von dem Individuum und seiner Freiheit, aber auch vom Schicksal, unter dem jeder Einzelne steht und das er annehmen muss. Hat die Vfn. das bedacht oder verfällt sie nicht dem neuzeitlichen Freiheitsbegriff? Und schließlich: 5. Ist eine solche Christologie noch tragfähig angesichts der historischen Exegese und müssen wir nicht neue Wege suchen?

Einleuchtend ist dagegen, wie die Vfn. immer wieder auf das Subjekt samt seiner Freiheit zurückkommt, das im Prozess seiner Entwicklung dann mit dem Anderen, aber auch mit Gott konfrontiert wird: "Darum kann Menschliches in der Beziehung zu Gott verstanden werden, ohne dass es als Menschliches unterginge, sondern als es selbst lebendig sein und Gott-erfüllt ins Menschlich-Lebendige wachsen" kann (200).