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Ausgabe:

März/2022

Spalte:

185–186

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Awabdy, Mark A.

Titel/Untertitel:

Leviticus. A Commentary on Leueitikon in Codex Vaticanus.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2019. XVI, 475 S. = Septuagint Commentary Series. Geb. EUR 154,00. ISBN 9789004405523.

Rezensent:

Martin Vahrenhorst

Mark A. Awabdy legt einen Kommentar zum Septuagintatext des Levitikusbuches vor. Zugrunde liegt keine wissenschaftliche Ausgabe, die versucht aufgrund von Handschriftenvergleichen den wahrscheinlich ältesten Text zu rekonstruieren. Wie in der Reihe »Septuagint Commentary Series« üblich wird der Text einer Handschrift analysiert und besprochen, in diesem Fall der Levitikustext des Codex Vaticanus: »The present study […] is optimally concerned to read LeuB as a text on its own terms, with its own formatting, compositional shape and nuanced messages, as recieved by its earliest users.« (1) Dieser Satz beschreibt präzise das Programm und die Schwerpunkte des Kommentars: Es geht darum, das Levitikusbuch als Teil eines Kodex zu lesen, auf intertextuelle Bezüge zu achten und das Textverständnis anhand der Gliederungsmerkmale in der Handschrift zu präzisieren.
Dabei orientiert sich A. an der Ausgabe von Swete, deren Text er zuweilen an die öffentlich zugängliche (https://digi.vatlib.it/ view/ MSS_Vat.gr.1209) Fotoedition der Handschrift anpasst. Diese Textgestalt wird mit einem Apparat, der Emendationen benennt und auf andere Handschriften bzw. Editionen verweist, dem Kommentar vorangestellt. Ihn begleitet eine englische Übersetzung. Hierbei entscheidet sich A. im Grundbestand für die New English Translation of the Septuagint (NETS), von deren Text er nur dort abweicht, wo dieser nicht dem von LeuB entspricht.
Was können Leserinnen und Leser von diesem Kommentar er­warten? Einige Stichproben mögen das illustrieren. Bei der Auslegung von Lev 10,1 f. bespricht A. zunächst die Unterschiede zwischen dem Text der LXX und dem masoretischen Text. Für die textkritische Evaluation zieht er zudem 11QLevb heran, eine hebräische Handschrift, deren Text an dieser Stelle dem der LXX entspricht. Sodann macht der Kommentar auf intertextuelle Bezüge aufmerksam: Das Opfer der beiden Söhne Aarons spiegelt antithetisch dessen vorausgegangenes Opfer: »Und Feuer ging aus vom Herrn und verzehrte das, was auf der Opferstätte lag« (Lev 9,24) // »Da ging vom Herrn ein Feuer aus und verzehrte sie« (Lev 10,2). Außerdem ergeben sich Bezüge zu Lev 16,12 f. Nachdem Nadab und Abihu beim Darbringen eines Weihrauchopfers gestorben sind, wird dort dargelegt, wie der Hohepriester das Ritual auszuführen hat, damit er nicht stirbt (248 f.).
Bei der Besprechung von Lev 16,1 werden Leserinnen und Leser wiederum auf Differenzen zwischen LXX und MT hingewiesen, bevor A. sich der literarischen Funktion dieses Verses widmet: Die Erinnerung an Lev 10,1 f. »explains the reason for restricting priestly access into the Lord’s holy place« (304). Der Schreiber von LeuB hat diesen Vers vom vorangehenden Kontext abgegrenzt, indem er den Satzanfang ausgerückt hat. Die sich anschließende Beschreibung der rituellen Vollzüge des Sühnetages beginnt wieder mit ausgerücktem Satzanfang und markiert so den Beginn eines eigenen Sinnabschnitts, der Lev 16,29 endet (305). Diese Gliederungsmerkmale kann man in der Onlineedition gut nachvollziehen (Folien 120 f.).
Lev 16,2 erwähnt zum ersten Mal im Levitikusbuch das ἱλαστήριον. A. (306) zitiert Muraoka, der es wie folgt beschreibt: »place were cultic rites for appeasing a divine being are performed with an appropriate building attached« (T. Muraoka, A Greek-English Lexicon of the Septuagint, 2009, 340). Außerdem vermutet er unter Berufung auf J. A. L. Lee, dass dieses Wort eine Neuschöpfung der Pentateuchübersetzer sei, um einen eigentümlichen israelitischen Kultgegenstand zu bezeichnen (306). Nähere Überlegungen zum Weg vom hebräischen תרֶפּׂכַּּ hin zum ἱλαστήριον finden sich allerdings nicht. Das verhält sich anders bei der Besprechung der Übersetzung von Asasel (Lev 16,8). Im Hebräischen handelt es sich um einen Wüstendämon. In der LXX wird aus der Wendung לזאזעל τῷ ἀποπομπαίῳ (»for one that carries away«). Diese Übersetzung erklärt A. mit einer Lektüre, die לזאזעל in drei Worte aufgeteilt hätte: לזאזעל (»for the goat of departure« [307]). Zur lokalen Übersetzung des gleichen Wortes (»into the sending away«) äußert sich der Autor dann aber nicht mehr. Im Blick auf Lev 16,15 f. schlägt A. eine interessante Auslegung vor. Mit Dirk L. Büchner geht er davon aus, dass ἐξιλάσκομαι in der Koine immer eine Gottheit als Objekt habe. Daher sei die Übersetzung »propitiare« (besänftigen/milde stimmen) angemessen. Die LXX formuliere in Anlehnung an die Syntax des hebräischen Textes zwar nicht so, setze dieses Verständnis aber voraus. In Lev 16,16 hat das Verb nun τὸ ἁγιον als Objekt. Wenn man nicht annehmen möchte, dass die hebräische Bedeutung von ןמ + רפכ (A. referiert Wevers: »making atonement from […] means that atonement involves cleansing, purification« [310]) hier das Griechische dominiert hätte, müsse man folgern, dass die LXX die Vorstellung vertrete, das Heiligtum sei wegen der Unreinheiten erzürnt und müsse besänftigt werden (311). Büchners These ist sicherlich diskussionswürdig und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind es auch. Es ist ein Verdienst dieses Kommentars, seine Leserinnen und Leser in diese Diskussion einzubeziehen.
Nicht nur angesichts der Tatsache, dass A. mit der Kommentierung der LXX Übersetzung des Levitikusbuchs Neuland betritt, verdient dieser Band die Aufmerksamkeit aller derer, die sich mit dem Levitikusbuch beschäftigen.