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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

130–132

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Graulich, Markus, u. Johanna Rahner [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Synodalität in der katholischen Kirche. Die Studie der Internationalen Theologischen Kommission im Diskurs.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020. 389 S. = Quaestiones disputatae, 311. Kart. EUR 52,00. ISBN 9783451023118.

Rezensent:

Jan-Philipp Behr

Durch den Anstoß von Papst Franziskus wird sich die nächste Bischofssynode dem Thema der »Synodalen Kirche« widmen. In Vorbereitung auf diese Bischofssynode veröffentlichte die Internationale Theologische Kommission (ITC) das Dokument »Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche« (2018) mit dem Ziel, »die theologische Bedeutung der Synodalität aus der Perspektive der katholischen Ekklesiologie zu vertiefen« (7). Die im vorliegenden Band versammelten Beiträge römisch-katholischer Theologinnen und Theologen aus dem deutschsprachigen Raum verfolgen dasselbe Ziel: Sie setzen sich aus exegetischer, systematisch-theologischer und praktisch-theologischer Perspektive mit »Synodalität« und der genannten Studie auseinander, die sich ebenfalls im Band findet. Besondere Aktualität erhalten die Beiträge durch die bleibend offene Frage, wie sich der Synodale Weg in Deutschland mit seinen Reformbemühungen mit dem Synodalen Weg der Weltkirche verbinden lässt.
Die ersten Beiträge klären Hintergründe von »Synodalität« aus biblischer und kirchengeschichtlicher Perspektive: Katharina Pyschny stellt einerseits heraus, dass auch das Alte Testament etwas zur Theologie der Synodalität beitragen könne. In der Analyse un­terschiedlicher biblischer Belegstellen entwickelt sie das hermeneutische Axiom, nach dem unterschiedliche Modelle der Führung des Volkes Gottes schriftgemäß seien, die im Gespräch zu halten seien. Thomas Söding stellt die Grundlagen von Gestalten späterer Synodalität, wie sie das Neue Testament bezeugt, dar und kommt für die römisch-katholische Gestaltung zu dem Schluss, dass das gesamte Gottesvolk nicht nur an Beratungen, sondern auch an den Entscheidungen zu beteiligen sei. Die kirchengeschichtlichen Beiträge rekonstruieren den Beitrag von Synoden in der Antike und im Mittelalter für das Leben der Kirche, insbesondere für die Kollegialität der Bischöfe, denen stets das alleinige Stimmrecht zukam – auch wenn andere Angehörige des Klerus oder Laien an Synoden teilnahmen. Im Gegensatz dazu beschreibt Stephan Knops die überwiegend positiven Erfahrungen, die von der für die Umsetzung der Beschlüsse des II. Vatikanums in Deutschland eingerichteten Würzburger Synode (1970) ausgingen, indem an ihr Kleriker und Laien mit Stimmrecht beteiligt waren.
Die systematisch-theologischen Beiträge setzen sich auf unterschiedliche Weise mit der ITC-Studie auseinander. Während Karl-Heinz Menke die Aussagen der Studie in einem Vergleich zu Küngs Definition der Kirche als Synode verteidigt, kommentiert Julia Knop das Dokument der ITC kritisch: Synodalität »auf katholisch« ziele zwar auf eine Kultur des Zuhörens, werde im Grunde aber immer vom hierarchischen Amt her verstanden: »Synodalität wird […] zur Bekräftigung geltender römisch-katholischer Ekklesiologie herangezogen« (168). In gewisser Weise bestätigt der ökumenische Beitrag von Kurt Kardinal Koch diese Lesart. Er scheint mit seinen Ausführungen, die auf eine Versöhnung von Primat und Synodalität zielen, vor allem die Orthodoxie im Blick zu haben. Das mag evangelische Lesende enttäuschen, ist aber auch Ausdruck des Dissenses in der Amtsfrage und korrespondiert mit der Unterscheidung von »Kirche« und »kirchlichen Gemeinschaften« durch das II. Vatikanum. Johanna Rahner fordert in ihrem Beitrag mit Verweis auf den sensus fidelium und dessen Rezeption durch das II. Vatikanum eine Demokratisierung der Kirche, die im Anschluss an Karl Lehmann nicht als bloße Form der Entscheidungsfindung, sondern als Lebensform verstanden werden muss. Knop, Rahner und Söding machen auf besonders instruktive Weise deutlich, dass unter dem Stichwort der Synodalität die Frage nach römisch-katholischer Identität und darin inbegriffen auch die Frage nach der Zusammenbestehbarkeit von römisch-katholischer Kirche und Spätmoderne verhandelt wird.
Die praktisch-theologischen Beiträge sind zunächst durch kirchenrechtliche Perspektiven gekennzeichnet: Markus Graulich zeichnet am Beispiel der den Papst beratenden Bischofssynode Akzentverschiebungen in der Funktionsbestimmung dieser Synode nach. Diese seien zwar auch Ausdruck der Kollegialität der Bischöfe in Einheit mit dem Papst. Indem die Bischöfe aber in Sorge für die ganze Kirche in institutionalisierten Konsultationsprozessen auf den sensus fidelium zu hören hätten, stünde die Bischofssynode im Kontext der Synodalität. In Spannung zu Knop formuliert Graulich: »Synodalität wird zum Schlüssel des Verständnisses dessen, wie die hierarchische Gemeinschaft zu interpretieren ist« (253). Sabine Demel macht in ihrem Beitrag Vorschläge, wie auf der Diözesanebene »Synodalität als gemeinsame Verantwortung und Leitung« (275) von Klerikern und Laien institutionell abgebildet werden kann. Hierbei gebe es eine besondere Verantwortung der Bischöfe, die »durch eine Art vorauseilenden Gehorsam« (296) den Reformprozess beschleunigen könnten: Sie könnten sich freiwillig an den Rat der diözesanen synodalen Gremien binden, wobei diese Selbstbindung bei einem Verstoß gegen Recht oder Lehre der Kirche dispensiert sei. Zuletzt untersucht Sebastian Kießig die Bedeutung von Empirie für die Synodalität. Ergebnisse empirischer Forschung leisteten mit der Erfassung der Wirklichkeit einen Beitrag für synodale Versammlungen. Ihnen komme aber keine Normativität zu. Denn zum Gepräge von Synoden gehörten die »beständigen Annäherungen des sensus fidei an die Offenbarung Gottes« (361), die der empirischen Erfassung entzogen sei.
Die Herausgebenden verstehen den Band auch als Beitrag, an­stehende Reformen auf ein theologisches Fundament zu stellen. Dabei sind es insbesondere die Beiträge von deutschen Hochschullehrenden, die stärker auf Reformen zielen und sich kritischer mit der hierarchischen Struktur der römisch-katholischen Kirche auseinandersetzen, die für derzeitige »Akzeptanz- und Legitimationsprobleme« (43) in der Spätmoderne verantwortlich gemacht werde. Im Vergleich mit den Beiträgen, die von Verfassern aus dem Um­kreis des Vatikans stammen, zeigt sich auch hier die Spannung zwischen Weltkirche und römisch-katholischer Kirche in Deutschland, die die Kirchenreformdebatte insgesamt prägt.
Auch ökumenisch interessierte Evangelische können den als innerkatholischen Diskurs angelegten Sammelband mit Nutzen lesen: Denn am Gegenüber des römischen Katholizismus lassen sich eigene Konfessionsspezifika reflektieren. So lässt sich zwar die Forderung nach einer stärker funktionalen Ausrichtung des Amtes beobachten (vgl. 93), allerdings ohne dabei die dem römischen Katholizismus grundlegende Unterscheidung von Klerus und Laien aufzugeben. Diese angemahnte funktionalere Ausrichtung des Amtes – und auch der Kirche als Ganzer auf den Dienst am Wort Gottes – erreicht so nicht das Maß, das die evangelischen Kirchentümer als notwendig erachten, um zwischen sich selbst und göttlichem Grund zu unterscheiden und damit auch die königliche Freiheit der Getauften auszudrücken. Die Befürchtung einer »Protestantisierung« des römischen Katholizismus durch angezeigte Reformen erscheint damit verfehlt. Eindrucksvoll ist zuletzt: Während in evangelischer Praxis die Gefahr besteht, dass es durch die Gleichsetzung von Synoden mit »Kirchenparlamenten« zu einer profanierten Politisierung kommt, nimmt der Sammelband Synoden dezidiert als Versammlungen mit einer geistlichen Dimension in den Blick. Davon ist evangelischerseits zu lernen.