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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

124–126

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kranich-Rittweger, Jutta

Titel/Untertitel:

Vom Umgang mit der Todesangst. Empirische Untersuchungen und ihre praktische Relevanz. Unter Mitarb. v. S. Kranich u. W. Langer.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020. 188 S. m. Abb. Kart. EUR 38,00. ISBN 9783374066452.

Rezensent:

Thomas Schnelzer

Die Angst vor dem Tod als Angst vor dem unwiderruflichen Ende der Existenz ist unausweichlich, denn mit dem Tod wird dem Menschen alles, was ihm lieb und teuer war, aus der Hand geschlagen. Daher ist diese Angst, wie die Autorin Jutta Kranich-Rittweger mit Recht im Anschluss an Paul Tillich formuliert, eine existentielle und keineswegs eine pathologische Angst; sie manifestiert sich in der »Vorwegnahme des eigenen Todes«, aber auch in der »Erfahrung des Todes von jemand anderen« (126).
Der vorliegenden Studie der promovierten evangelischen Theologin und approbierten psychologischen Psychotherapeutin K.-R. ist es gelungen, sich dem Thema Todesangst auf methodisch und inhaltlich hochkomplexe, im besten Sinn interdisziplinäre und zugleich innovative und berührende Weise zu nähern.
Als das konkrete Ziel ihrer Arbeit gibt sie an, auf der Grundlage empirischer Befunde »individuelle methodische Ansätze gemeinsam mit den Patienten zu entwickeln, die einerseits eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben und Tod ermöglichen, an-dererseits über individuelle Vorstellungen und Bilder die eigene Angst/Todesangst […] reduzieren« (12). Dabei sollte ausdrücklich das kreative Potential der Betroffenen genutzt werden, denn laut der Psychoanalytikerin Verena Kast ist Kreativität die Antwort des Menschen auf das Sterbenmüssen (vgl. 12).
In einem 1. Teil (17–35) gibt K.-R. auf der Grundlage des sozialpsychologischen Begriffs der »Einstellung« einen fundierten theoretischen Überblick über Inhalt und Entstehung von möglichen affektiven, kognitiven und handlungsbezogenen Positionierungen zu Sterben und Tod.
Dieser theoretische Teil dient als Grundlage für den 2. Teil (39–63), der eine quantitative sowie eine qualitative empirische Untersuchung zur Einstellung zu Tod und Sterben von Psychotherapiepatienten und Gesunden bietet. Diese werden auf detaillierte und methodisch nachvollziehbare Weise vorgestellt. Als konkrete methodische Instrumente dienten ein Fragebogen sowie ein Satzergänzungstext von A. Klug zu Sterben, Tod und Danach. Die Stichprobe bestand insgesamt aus 282 Personen (Psychotherapiepatienten und Gesunde als Kontrollgruppe; vgl. 42 f.)
Die einzelnen Methoden, die darüber hinaus kreative Prozesse bei den Untersuchungsteilnehmern beim »Umgang mit Todesangst« induzieren sollten, werden im 3. Teil (67–117) präsentiert. Dabei beeindruckt die Vielfalt der angewandten Verfahren: Äußerungen im Rahmen psychotherapeutischer Gespräche; Material aus Träumen, geführten Imaginationen und Hypnosen; Biographiearbeit und Lebensrückblick; kreative Äußerungen verschiedener Art (Briefe, Erzählungen, bildhafte und künstlerische Gestaltungen). Was das so hervorgebrachte Material selbst anbelangt, wird dieses in Auswahl, aber doch in anschaulicher Vielfalt und Breite dargeboten. Der Leser, der sich darauf einlässt, wird angesichts von dessen bestürzender Offenheit tief beeindruckt sein.
Psychologisch und theologisch gleichermaßen wertvoll sind der 4. Teil (»Existentialanalyse«; 121–148) sowie der abschließende 5. Teil (»Diskussion«; 151–154), die sich um eine Zusammenfassung und zugleich umfassende Deutung der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit bemühen. Dabei wird der zeitlos gültigen korrelationalen Theologie P. Tillichs, die eine Antwort auf die existentiellen Fragen des Menschen geben möchte, mit Recht ein zentraler Stellenwert zugewiesen.
Was die Ergebnisse der Studie anbelangt, zeigte sich durchgängig, dass kranke Menschen größere Angst vor dem Tod haben als Gesunde. Dies ergab sich anhand des Fragebogenverfahrens, aber auch anhand des mittels kreativer Prozesse hervorgebrachten Materials. Das Danach zeigte sich jedoch »frei von Angst« (129): Wenn transzendente »Vorstellungen über das Danach entwickelt werden, die über das ›Nichts‹ hinausgehen, sind diese durchweg positiv« (147).
Bereits die Fragebogenuntersuchung ergab: »Je stärker die religiöse Orientierung der Probanden ausgeprägt ist, desto weniger Angst vor dem Tod haben sie.« (152) Das Gleiche gilt für die Ergebnisse der kreativen Verfahren: »Die Angst wird geweitet, wenn ein Danach, welches über das Nichts hinausgeht, in den Blick genommen wird.« (148) Auch wenn explizite religiöse Bezüge nur selten auftreten, kommt das Hoffnungssymbol der Auferstehung der Sache nach immer wieder vor; es wird freilich »hochvariabel ge­füllt« (140). Dies wird greifbar in kreativen Symbolen von Übergang und Verwandlung, Heil und Hoffnung sowie von Verbindung der Wirklichkeiten, etwa im Sinne der Möglichkeit mit Verstorbenen in Kontakt zu bleiben (vgl. 132–148).
Insgesamt handelt es sich bei der Studie K.-R.s um eine für Seelsorge und Psychotherapie wertvolle und hilfreiche Publikation, die entgegen dem gegenwärtigen Trend dazu in der Lage ist, Theologie/Seelsorge und Psychologie/Psychotherapie auf fundierte Weise ins Gespräch zu bringen: Zugleich zeugt sie von dem Mut, deutlich zu machen, dass Religion und Glaube an den Grenzen des Lebens eine wichtige, um nicht zu sagen konkurrenzlose Hilfe sein können.