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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

119–121

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Welker, Michael

Titel/Untertitel:

Zum Bild Gottes. Eine Anthropologie des Geis-tes. 2., korr. u. erw. Aufl.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2021. 120 S. Kart. EUR 20,00. ISBN 9783374070435.

Rezensent:

Lukas Ohly

Michael Welkers »Anthropologie des Geistes« hält gelassenen Ab­stand zu gegenwärtigen anthropologischen Debatten (Transhumanismus) und knüpft stattdessen an seinen eigenen befreiungstheologischen und pneumatologischen Ansatz an. Hatte man an seinen älteren Publikationen eine biblische Theologie kritisiert, so will er nun geradezu entgegengesetzt eine natürliche Theologie des Geistes entwickeln (9) und damit auch den Menschen besser verstehen (96). Mit dem Ziel einer natürlich-theologischen Anthropologie wollen die vorliegenden Gifford Lectures eine Verbindung zwischen göttlichem und menschlichem Geist rekonstruieren, die sich unabhängig von einem offenbarungstheologischen Rahmen nachvollziehen lässt (89).
Dabei schimmert der Rahmen eher via negationis durch: Denn »Großbegriffe« wie »die Natur« (56 f.) sollen ebenso wenig einen neuen Rahmen setzen wie das Naturrecht (5 ff.) oder eine natürliche Theologie, die auf spekulativer Metaphysik aufbaut (91 f.). Soll stattdessen die Erfahrung den Rahmen setzen, weil das Denken »Gegenstände in sich aufnimmt, auch sich selbst« (34)? Der Geist ist nämlich nach W. »evident wirksam« und »in zahllosen […] Wahrnehmungs- und Kommunikationsprozessen am Werk« (57). Diese Feststellung führt jedoch nicht zu einem phänomenologischen Ansatz, sondern eher zu einer von Empirie begleiteten Reflexion, was etliche empirische Befunde belegen (z. B. 52.75 f.).
Auch der Titelbegriff »Bild Gottes« bedarf der Klärung: Weder ein Analogie- oder Abbildmodell noch ein offenbarungstheologischer Rahmen stehen zur Klärung zur Verfügung, aber auch kein metaphysischer Naturbegriff. Solche Modelle sind »bipolar« (22), und gegen sie setzt W. die Beschreibung des multimodalen und multipolaren Geistes (30). Beide Begriffe bedürfen der Näherbestimmung, doch scheint W. den Geist mit der Nähe des Multipo-laren zur politischen Sphäre als Macht zu verstehen (29.33, vgl. zum Verhältnis von Macht und Geist, 20.80). An die Stelle bipolarer Ge­genüberstellungen treten nun multimodale Überschneidungen von Beziehungen, »emergente Entwicklungen« (31). Sie münden in eine politische Ethik der Gerechtigkeit (3. Vorlesung), Freiheit (4.), Wahrheit (5., politisch-ethisch verstanden, 85 f.) und des Friedens (6.). W. benutzt den Begriff der Governance nicht, offenbar weil er auf starke Institutionen des Rechts setzt (46.50 f.). Aber zu einer politischen Ethik der Multimodalität gehört eben auch der dialektische Machtverlust von Government (Donald Trump, 85 f.), indem sich aus der Diffusion eines pluralen Zusammenspiels zielgerichtete Prozesse entwickeln, die »nicht durch einfache Eingriffe ge­steuert« werden können (31).
Durch die Multimodalität lassen sich göttlicher und mensch-licher Geist nicht getrennt voneinander beschreiben. Die Gefahr der Überidentifikation menschlicher Erfahrungen mit göttlichen Erscheinungen muss dennoch gebannt werden. Achtet man darauf, welche Gegenbegriffe W. gegen das bipolare Denken verwendet, so fallen Entwicklungsausdrücke auf: Der multimodale Geist zeigt sich in der menschlichen »Suche« nach Wahrheit (84.101) oder Gerechtigkeit und im Streben nach Freiheit (96). Mit Hegel spricht W. von der »Erhebung des Menschen« (42 f.), und mit Erhebung endet auch das Buch: »In diesem Geist des Friedens in der Nächstenliebe wird jeder Mensch, wird die ganze Menschheit zur Würde einer umfassenden Humanität erhoben.« (112) Die anthropologische Frage, was der Mensch sei, wird in diesem Buch nie gestellt, aber beantwortet: Der Mensch ist, indem er sein Ziel findet. Und er findet es in der Humanität, indem er in den multimodalen Geist integriert wird. Durch diese teleologische Differenz wird eine produktive Spannung zwischen göttlichem und menschlichem Geist gehalten.
Ein weiterer paradigmatischer Gegenbegriff zum bipolaren Denken ist Hannah Arendts »Natalität« (22 f.). W. bescheinigt dem Kleinkind: »Was muss alles an multimodaler geistiger Vernetzung […] vorgehen […]!« (36) Ebenso wie Arendt überführt W. Natalität in die politische Sphäre. Eine Ethik der Fürsorge beginnt mit der menschlich ursprünglichen Hilflosigkeit, muss aber zugleich von Patriarchat und Viktimisierung befreit werden (49.106 f.). Man kann rückfragen, woher aus einer natürlichen Theologie so treff-sicher die richtigen Entwicklungen von den falschen unterschieden werden können. Wenn doch in der Natur das Recht des Stärkeren gilt und jedes Leben ein Raub ist (32.53 f.), dann ist der Verweis auf die evolutionsgeschichtliche Basis der Kooperation (106) ebenso wenig vertrauenserweckend wie die an sich schlüssigen Phänomene freier Selbstzurücknahme (105). Vielmehr hilft, die Finalität menschlicher Entwicklung in der Exzentrizität der Person zu finden, um darin die Überschneidung menschlicher Selbstentzogenheit und göttlicher Modalität auszumachen: »Eine Erweiterung der Person oder Instanz und eine Lösung von sich selbst erfolgen zugleich.« (102)