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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

115–117

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Gasser, Georg, Kreiner, Armin, u. Veronika Weidner[Hgg.]

Titel/Untertitel:

Verborgenheit Gottes. Klassische und aktuelle Beiträge aus Theologie und Religionsphilosophie.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2020. 366 S. Kart. EUR 30,00. ISBN 9783170331365.

Rezensent:

Wolfgang Schoberth

Der Titel des Bandes nimmt ein für die biblische Gottesrede we­sentliches Moment auf, das auch in der theologischen Tradition immer wieder bedacht wurde. Das Zentrum des Bandes bildet freilich die Diskussion um die These des kanadischen Philosophen John L. Schellenberg, der unter dem Stichwort der divine hiddenness (göttliche Verborgenheit) bereits 1993 ein religionskritisches Ar-gument vorgelegt hat, das sich in aller Kürze so zusammenfas-sen lässt: Ein liebender Gott werde alles daransetzen, dass jeder Mensch, der sich ernsthaft um eine Gottesbeziehung bemühe, davon überzeugt sein werde, dass Gott existiert. Nachdem es aber mindestens einen solchen Menschen gebe, der nicht von Gottes Existenz überzeugt ist, sei die logische Folge, dass Gott nicht exis-tiere.
Es liegt auf der Hand, dass dieses Argument mit der Rede von Gottes Verborgenheit in der theologischen Tradition wenig zu tun hat; Schellenberg bezieht sich auch nicht auf die theologische Diskussion. Das führt dazu, dass der vorliegende Band eine klare Dreiteilung aufweist: Nach einem Überblick von Veronika Weidner (9–16) und einer knappen Einleitung der Herausgeber in die Diskus-sion (17–25) wird im ersten Teil mit Ausschnitten aus klassischen Texten von Luther, Nikolaus von Kues, Barth und Rahner ein Einblick in die theologische Rede von der Verborgenheit Gottes gegeben (29–93). Der bei Weitem größere Teil des Bandes ist dann der Diskussion des hiddenness-Arguments gewidmet: Der zweite und zugleich umfangreichste Teil (95–268) dokumentiert die aktuelle religionsphilosophische Debatte um Schellenbergs Argument, während der dritte Teil »Interreligiöse und mystische Lesarten« bietet (271–360).
Die Beiträge des zweiten und dritten Teils sind durchweg Übersetzungen englischsprachiger Texte, die hier erstmalig auf Deutsch erscheinen. Damit gibt der Band einen Überblick über die in der deutschen Theologie kaum wahrgenommene religionsphiloso-phische Diskussion; es hängt mit diesem spezialisierten Diskussionskontext zusammen, dass in den Beiträgen des zweiten Teils auf die klassischen theologischen Texte des ersten Teils kein Bezug genommen wird, und auch der dritte Teil diese Traditionen nicht explizit aufnimmt.
So stehen die Themenblöcke weitgehend unverbunden nebeneinander, weshalb der Eindruck nicht zu vermeiden ist, »Verborgenheit Gottes« bedeute hier und dort etwas gänzlich Verschie-denes. Hier liegt auch das sachliche Grundproblem der Zusammenstellung des Bandes: Schellenberg spricht zwar von divine hid­denness, will aber ein Argument für den Atheismus vorlegen. Er verwendet also einen eigentlich irreführenden Ausdruck: Verborgen kann nur etwas sein, das ist; Schellenbergs Argument soll aber die Nichtexistenz Gottes belegen und nicht sein Verborgensein bedenken. Die Herausgeber versuchen dem Rechnung zu tragen, indem Veronika Weidner in ihrem Überblick über die Beiträge und alle gemeinsam in der Einleitung ein »wörtliches« und ein »nicht-wörtliches« Verständnis von »Verborgenheit Gottes« unterscheiden (20 f.) und sie auch im Blick auf die Schellenberg-Debatte den Ausdruck hiddenness unübersetzt lassen. Diese Differenzierung kann natürlich beim Abdruck der Texte nicht markiert werden.
Schellenbergs Position wird mit einem Text von 2016 dokumentiert, in dem er zusammenfassend und verstärkend seine Überlegungen präsentiert. Die anderen Beiträge des zweiten Teils prüfen auf verschiedenen Wegen die Stichhaltigkeit der Argumentation Schellenbergs. Travis Dumsday bestreitet, dass es (außer den Heiligen) wirklich Menschen gibt, die sich hinreichend um Gotteserkenntnis bemühen würden; die »Verborgenheit Gottes« sei also »verdient«, auch im Sinne Schellenbergs. Paul Moser verweist darauf, dass Gotteserkenntnis nicht ein bloßes Wissen sein könne: Gott aufrichtig zu suchen, ist keine Sache des Abwägens von Propositionen wie bei Schellenberg. Auch Jeff Jordan bestreitet, dass der Gedanke eines nonresistant nonbelief stichhaltig ist, weil Glaube und Entscheidung zusammengehören; eine Entscheidung im­pliziert aber immer Offenheit. Michael Murray erkennt in der »Verborgenheit Gottes« die Voraussetzung für die moralische Freiheit des Menschen, während Paul Draper angesichts der Ambivalenz der Evidenzen für oder gegen einen Theismus für eine milde agnostische Haltung plädiert. Robert McKim wiederum gesteht Schellenberg zu, dass die »Verborgenheit Gottes« dem Theismus Schwierigkeiten bereite; daraus folge aber kein schlüssiges Argument für den Atheismus.
Die Beiträge des dritten Teils dokumentieren, dass in den religiösen Traditionen das Thema der Verborgenheit Gottes immer wieder wahrgenommen wurde und geradezu elementarer Teil dieser Traditionen ist. Sarah Coakley (neben der Herausgeberin die einzige im Band vertretene Autorin) demonstriert an Johannes vom Kreuz, wie in der mystischen Tradition die »Verborgenheit Gottes« als integraler Teil des spirituellen Weges erfahren werden kann. Jon McGinnis zeigt, dass das hiddenness-Argument von spezifischen Voraussetzungen etwa in der Vorstellung einer (anthropomorphen) Personalität Gottes ausgeht, die etwa für den mittelalterlichen Islam nicht gegeben sind; das Argument könne also auch nicht den »Theismus« insgesamt treffen. Für die jüdische Theologie zeigt Jerome Gellman, dass Offenbarung und Verborgenheit Gottes untrennbar sind: Gott offenbart sich als der in seiner Heiligkeit den Menschen immer auch Verborgene. In diesem Beitrag findet sich übrigens keine Referenz auf das Argument Schellenbergs, was der theologischen Kohärenz des Beitrags sicher nicht schadet. Der abschließende Beitrag von Yujin Nagasawa betont mit dem Verweis auf die grausame Christenverfolgung im Japan des 17. Jh.s den grundlegenden Unterschied des »erfahrungsbezogenen Problems« der Verborgenheit Gottes, das sich dem Glauben stellt, von der intellektuellen Frage nach der logischen Vereinbarkeit von Gottesprädikaten.
Mit der Heterogenität seiner drei Teile und auch in den Spannungen zwischen den Beiträgen der einzelnen Teile dokumentiert der Band die grundsätzliche Problematik der Debatte um das Argument Schellenbergs: Sein Argument basiert auf einem Gottesbegriff, der zuvor nach seinen philosophischen Prämissen konstruiert wurde und von dem er voraussetzt, »Theisten« müssten ihn vertreten, ohne die Komplexität der Gottesrede in Glaube und Religionen wahrzunehmen. Dieses Manko ist vor allem in der analytisch geprägten Religionsphilosophie oft anzutreffen, was es schwer macht, sich theologisch auf diese Diskussionen zu beziehen. Das ist freilich nicht dem vorliegenden Band anzukreiden, sondern eben der aktuelle Stand eines Gesprächs, das erst noch zu einem werden müsste. Mit der Dokumentation der verschiedenen Diskussionsgänge und -kontexte bietet der Sammelband Material für ein weiteres Nachdenken über die Verborgenheit Gottes und dokumentiert zugleich die Disparatheit der Fragestellungen.