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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

91–92

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Melanchthon, Philipp

Titel/Untertitel:

Opera Omnia. Lat./engl. Hgg. v. G. Frank, V. Leppin, H. J. Selderhuis, W. Sparn. Opera Philosophica: Schriften zur Dialektik und Rhetorik, Bd. 2. Hgg. v. G. Frank, W. Sparn. Part 2: Principal Writings on Rhetoric. Hgg. v. W. P. Weaver, S. Strohm, V. Wels.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2017. LIV, 594 S. Lw. EUR 133,95. ISBN 9783110559552.

Rezensent:

Nicole Kuropka

Der Band eröffnet die neue, historisch-kritische Melanchthon-Edition, die von der Europäischen Melanchthon-Akademie Bretten, dem Institut für Spätmittelalter und Reformation (Universität Tübingen) und der Theologischen Universität Apeldoorn unter der Leitung von Günter Frank und Hermann Selderhuis verantwortet wird. Dieser Quellenband zur Rhetorik gehört zu der Abteilung »Opera Philosophica«, die im Sinne von Melanchthons universalwissenschaftlichem Philosophiebegriff (XX) u. a. sprachwissenschaftliche, historische, naturwissenschaftliche, moralphilosophische und ju-ristische Schriften umfassen wird (XXI f.).
Eine ausführliche Einleitung erläutert zuerst auf Deutsch die wissenschaftlichen Absichten und Editionsgrundlagen der philosophischen Werke Melanchthons. Erstmalig solle »eine verlässliche Ausgabe der philosophischen Schriften« bereitgestellt werden, wobei durch eine editorische Kommentierung »die Bedeutung Melanchthons in ihren rezeptiven und produktiven Aspekten im Kontext der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur veranschaulicht werden« (XII) soll. Daher arbeitet diese Edition mit einer leserfreundlichen Textgestalt, die zum einen die originalen Seitenangaben als Marginalie bietet und zum anderen mit drei Apparaten arbeitet, welche Angaben zur Textkritik, zu (Druck-)Varianten und Sachanmerkungen (Zitatnachweis und inhaltliche Erläuterungen) anführen. Dass »Melanchthon« in der Einleitung gleich im zweiten Satz falsch getrennt wird (IX, und auch XIII.XIV.XIX, ) erweckt leider einen falschen Eindruck der sonst sehr sorgfältigen Edition. Eine zweite Einleitung auf Englisch durch W. P. Weaver führt sodann in die rhetorischen Arbeiten Melanchthons ein und zeigt sowohl die Entstehungsgeschichte als auch die Veränderungsprozesse der rhetorischen Lehrbücher auf. Weaver führt eindrücklich aus, dass die Genese der melanchthonischen Ar­beiten zur Rhetorik in dieser Edition in ihrer vielfältigen Text- und Druckgestalt erschlossen und editorisch abgebildet wird. Angesichts der großen Anzahl an Drucken unterschiedlichster Versionen und Auflagen ist das ein ambitioniertes Projekt, das in überzeugender und richtungsweisender Qualität gelingt.
Vier Hauptarbeiten Melanchthons zur Rhetorik werden in diesem Band aufbereitet: Die noch in Tübingen begonnene »De Rhetorica Libri Tres«, die Vorlesungsmitschrift »Institutiones Rhetoricae«, die ausführlichen »Elementa Rhetorices« sowie die »Dispositiones Aliquot Rhetoricae«. Damit legt der Band eine umfassende Studie zu allen rhetorischen Schriften vor und leistet damit eine nicht zu überschätzende Grundlagenarbeit, auf der alle zukünftigen Studien zu Melanchthons Rhetorik fußen werden. Die historisch-kritische Edition der jeweiligen Texte ist von unterschiedlichen Autoren verant wortet, die in einem »Editorischen Bericht« ausführlich Rechenschaft über die Ausgaben, Textgrundlagen, Eigenarten und Besonderheiten geben sowie Literatur- und Quellenverzeichnisse anführen.
Die erste Hauptschrift Melanchthons mit ihren elf Drucken von 1519 bis 1529 hat Stefan Strohm editorisch aufbereitet. Dabei stellt er nicht nur die Text- und Druckgeschichte sowie die inhaltlichen Besonderheiten vor, sondern zeichnet die Entstehungsgeschichte differenziert auf, so dass deutlich wird, welche Teile bereits zu Melanchthons Tübinger Zeit entstanden und was erst in Wittenberg ergänzt wurde. Die zweite Fassung der Rhetorik (1521) – eine autorisiert herausgegebene Vorlesungsmitschrift – stellt William P. Weaver vor, was text- und druckgeschichtlich eine besondere Herausfor-derung darstellt, da sie über mehrere Jahrzehnte immer wieder neu aufgelegt bzw. nachgedruckt wurde. Weaver führt den Erfolg auf den Bedarf eines klaren, kurzen und einführenden Lehrbuchs (195) zurück. Die dritte Fassung der Rhetorik (1531) ist die einzige, die bislang bereits kritisch ediert worden ist und in dieser Ausgabe vom selben Verfasser Volkhard Wels leicht überarbeitet dargeboten wird. Die letzte Fassung von 1553 bietet schließlich eine überarbeitete Edition der Ausgabe von Hanns Zwickau aus dem Jahre 1911.
Jede dieser kritisch edierten und kommentierten rhetorischen Arbeiten bietet neben grundlegenden Erläuterungen in den Apparaten einen beeindruckenden Schatz an detaillierten Anmerkungen zur Textgeschichte, zu (Hintergrund-)Informationen und Zita­ten/ Belegstellen. Dieser reiche Fundus an Erklärungen be­zeugt, welche komplexe und intensive Beschäftigung mit Texten, Drucken und Inhalt jeder dieser Editoren auf wissenschaftlich hohem Niveau geleistet hat. Die reichhaltigen und detaillierten Informationen in den Apparaten auszuwerten wird die Aufgabe zukünftiger Forschungen zu Melanchthons Rhetorikverständnis sein. Anknüpfungspunkte zur Geschichte der Rhetorik, zur Philosophie, zur Theologie und zur Entwicklung Melanchthons – um nur einige zu nennen – werden reichhaltig geboten, so dass dieser Quellenband nicht nur für die Erforschung der Rhetorik, sondern auch für die angrenzenden Disziplinen von großem Interesse sein wird.
Jeder, der die komplexe Text- und Entwicklungsgeschichte me­lanchthonischer Arbeiten kennt, wird diese detaillierte und historisch-kritische Edition begrüßen und sich über die fachkundige, um­fassende und detailgetraue Umsetzung freuen. Die Melanchthon-forschung wird von dieser und von den weiteren angekündigten Editionen nachhaltig profitieren.