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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

83–85

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Huttunen, Niko

Titel/Untertitel:

Early Christians Adapting to the Roman Empire. Mutual Recognition.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2020. X, 282 S. = Novum Testamentum. Supplements, 179. Geb. EUR 104,00. ISBN 9789004426153.

Rezensent:

Matthias Becker

Die Frage, wie das Verhältnis der frühen Christen zum Imperium Romanum zu bestimmen sei, wurde von Neutestamentlern, Kirchen- und Althistorikern oft gestellt und unterschiedlich beantwortet. Die Forschungstendenzen fasst Niko Huttunen im Einleitungskapitel seiner Monographie (1–11), die in Teilen auf bereits veröffentlichten Aufsätzen basiert (VII f.), am Beispiel der Paulusforschung unter den Kategorien anti-imperialer und pro-imperialer Deutungsansätze zusammen. Dieses von ihm selbst so bezeichnete »paradigm of polar opposites« stellt H. infrage (8), indem er die These der »Anerkennung« ( recognition) als Vermittlungsoption ins Spiel bringt. Das Konzept übernimmt H. von dem lutherischen Ökumeniker Risto Saarinen, der in seinem Werk Recognition and Religion (Ox­ford 2016) religiöse Anerkennung in historischer und systematischer Perspektive untersucht hat. Demnach ist »recognition« als eine im Vergleich zur Toleranz weniger distanzierte Form der Relation zweier Parteien zu begreifen, die in zwei Richtungen verlaufen könne: von unten nach oben, wenn eine unterlegene Partei sich einer Autorität unterordnet, oder von oben nach unten, wenn eine Minderheit Anerkennung für sich erwirkt. Außerdem könne Anerkennung durch Dritte (d. h. durch Personen oder Regelwerke) vermittelt werden (8–9). Saarinens Theorie dient H. als heuristisches Werkzeug, um auf dem Spektrum möglicher Deutungen des Verhältnisses der frühen Christen zum Imperium die Grauzonen zwischen »totaler Ablehnung« ( full denial) und »totaler Akzeptanz« (full acceptance) auszuleuchten (9). Wie sich die Anerkennung unter kulturellen, politischen und praktischen Aspekten darstellt, führt H. in drei Kapiteln aus (12–228).
Das zweite Kapitel befasst sich mit der Anerkennung der Chris-ten durch pagane Philosophen des 2. Jh.s sowie mit der Frage, ob Christen selbst bereits im 1. Jh. nach philosophischer Anerkennung strebten (12–98). Das Augenmerk gilt zunächst den Erwähnungen der Christen bei Epiktet, Marcus Aurelius, Lukian von Samosata und Galen. Im Vergleich zu Tacitus, Sueton und Plinius dem Jüngeren bieten diese Autoren laut H. nicht nur ein wohlwollenderes Bild der Christen, sondern sie lassen trotz Kritik oder satirischer Persiflage auch die Tendenz erkennen, christliche Gruppierungen in Relation zur Philosophie wahr- oder sogar ernstzunehmen. Besonders ausführlich diskutiert H. die in der Forschung umstrittenen Nennungen von Christen und deren Furchtlosigkeit bei Epiktet (Diss. 4,7,6; 2,9,19–21), die er als die frühesten verhalten-positiven Zeugnisse über die Christen seitens der paganen Philosophie deutet (14–46). Komplementär zum paganen Fremdbild be­leuchtet das Kapitel dann philosophische Tönungen im Selbstbild früher Christen: Ausgehend von einer Kritik der tertullianischen Antithese zwischen Athen und Jerusalem zeigt H. anhand einer Kontextualisierung der von Tertullian selbst zur Unterstützung seiner These herangezogenen neutestamentlichen Belegstellen Kol 2,8 und Apg 17,17–18 auf, dass entgegen der Deutung des karthagischen Kirchenvaters sowohl der Autor des Kolosserbriefes als auch Lukas deutlich positiver gegenüber der Philosophie eingestellt ge­wesen seien (70–82). Philosophische Elemente erkennt H. zudem in der Theologie des Paulus, wie er exemplarisch an 1Kor 1,1–2,16; 7,17–24 unter Rekurs auf Platon, Xenophon und vor allem Epiktet herausarbeitet (82–96). Justins Selbstverständnis als christlicher Philosoph, mit dem H. das Kapitel beschließt, markiert vor diesem Hintergrund keinen Einschnitt, sondern Kontinuität in einer Entwicklung, die mit Paulus begonnen habe.
Die intellektuelle Ebene der Anerkennung verlassend, widmet sich das dritte Kapitel der politischen Seite der recognition am Beispiel des paulinischen Denkens (99–137). Der vieldiskutierte Schlüsselpassus Röm 13,1–7 wird im Kontext antiker politischer Philosophie als monotheistisch-christliche Variante einer Legitimation des Römischen Reiches gedeutet. Da Paulus in diesem Text das soziale Faktum einer vorherrschenden imperialen Machtüberlegenheit mit der göttlichen Begünstigung römischer Herrschaft korreliere, sei Röm 13 vornehmlich deskriptiv, nicht so sehr präskriptiv zu lesen. Paulus argumentiert laut H. als politischer Realist, der Obrigkeit vom Recht des Stärkeren her denkt, woraus sich Bezüge sowohl zur paganen Philosophie (z. B. Platon, Stoa) als auch zum hellenistischen Judentum (Josephus) ergeben (113–118). Dem oft erhobenen Vorwurf, dass die Ausführungen des Apostels in Röm 13 einer Staatshörigkeit das Wort reden und Gott als Garant gesellschaftlicher Macht- und Repressionsstrukturen präsentieren, begegnet H. mit dem Hinweis, dass im antiken Diskurs mit dem Recht des Stärkeren auch ethische Verantwortung gegenüber dem Schwächeren einhergehe (118–127). Ferner unterstreicht er die Überzeugung des Paulus von der Vergänglichkeit der Welt (1Kor 7,31) sowie seine Hoffnung auf die Entmachtung aller Autoritäten im Eschaton (1Kor 15,24).
Eng verbunden mit der politischen Ebene ist der Gegenstand des vierten Kapitels (138–228). Schwerpunkte liegen auf den Soldaten- und Centuriodarstellungen der kanonischen Evangelien, auf militärischen Metaphern im Neuen Testament und in frühchristlichen Schriften sowie auf der Rolle christlicher Soldaten im römischen Heer der vorkonstantinischen Zeit. Hierbei ist die These leitend, dass frühe Christen trotz manch einer kritischen Stimme wie z. B. derjenigen Tertullians in De corona militis entweder durch ihre Nicht-Abwertung oder durch ihre Praxis, d. h. ihre Zugehörigkeit zum Soldatenstand, das Imperium anerkannten. Wenngleich aus der Militärmetaphorik keine Rückschlüsse auf reale Soldatenexistenzen von Christen gezogen werden könnten (ein eigentlich selbstevidenter Sachverhalt, der in H.s Ausführungen einen er­staunlich breiten Raum einnimmt; vgl. 184–198), gehe bereits aus den positiven literarischen Centuriodarstellungen der Synoptiker (vor allem des Lukas) ein Porträt des römischen Militärs hervor, das nicht nur (wie bei den Soldatenporträts der Passionsgeschichte) von Ablehnung geprägt sei. Einzig Johannes lasse antimilitaristische Tendenzen erkennen, wie sie auch in philosophischen Diskursen der Zeit sowie bei späteren christlichen Autoren anzutreffen seien. Allerdings dürfe, wie H. auch durch epigraphische und archäologische Zeugnisse über christliche Soldaten aufzuzeigen versucht (214–219), aus diesem Antimilitarismus nicht ohne Weiteres auf die tatsächliche Praxis rückgeschlossen werden.
Alles in allem legt H. ein begrüßenswertes Plädoyer gegen vorschnelle Schwarz-Weiß-Interpretationen bei der Beurteilung des Verhältnisses der frühen Christen zum Römischen Reich vor. Gleichwohl ist zu fragen, ob die etwas plakativ konstruierte Polarität anti- und pro-imperialer Deutungsansätze den Facettenreichtum vergangener und aktueller Forschungen zutreffend widerspiegelt, in denen die Denkfigur der Ambivalenz auch eine Rolle spielt. Fraglich bleibt überdies, ob sich der Begriff der »mutual re-cognition« wirklich eignet, um dem Untersuchungsgegenstand angesichts der asymmetrischen Quellenlage gerecht zu werden. Das im Untertitel angekündigte Element des Mutuellen kommt jedenfalls insgesamt zu kurz.
H.s Einzelinterpretationen sind dennoch gewinnbringend, wenn es darum geht, das Spektrum frühchristlicher Positionierungen zum Imperium jenseits schroffer Ablehnung weiter auszudifferenzieren. Außerdem leistet H. einen willkommenen Beitrag zur Analyse von Bildung im frühen Christentum, der zwar exemplarisch bleibt und nicht immer zu neuen Ergebnissen gelangt (vgl. 78–82 zur Areopagrede), der jedoch an­hand einschlägiger Beispiele darlegt, wie bereits neutestament-liche Autoren – und nicht erst die theologischen Bildungseliten ab dem 2. Jh. – auf vielfältige Weise an den Diskursen gebildeter paganer Zeitgenossen partizipierten (9.73–76.83.87.195 u. ö.).