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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

82–83

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Arnd

Titel/Untertitel:

Angst und Angstbewältigung bei den Apostolischen Vätern gegenüber den philosophischenKonzepten ihrer Zeit.

Verlag:

Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2020. 184 S. = THEOS – Studienreihe Theologische Forschungsergebnisse, 149. Kart. EUR 85,80. ISBN 9783339114884.

Rezensent:

Bernhard Mutschler

Arnd Herrmann hat ein spannendes Buch geschrieben. Es fokussiert das Thema Angst bei den Apostolischen Vätern vor dem Hintergrund ihres historischen und literarischen Umfelds. H. ist Teil der Evangelischen Seelsorge am Uniklinikum Aachen und veröffentlichte 2011 seine Bonner Dissertation, eine biblisch-herme-neutische Studie zum Thema Versuchung im Markusevangelium (BWANT 10.F. 17 [= 197]).
Einführend wird das »Thema Angst« entfaltet (9–15). So verschiedene Stimmen wie Fritz Riemann, Paul Tillich, Sören Kierkegaard oder Oskar Pfister kommen zu Wort. Kritisch wird notiert, dass Kirchen in ihrer Geschichte »nicht selten ein Ort der Angsterzeugung« waren anstatt der Angstbewältigung (14). Als historische Einführung werden »Lebenswirklichkeit und Lebensgefühl zu Beginn des 2. Jahrhunderts« skizziert (17–24). Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts fragten Menschen zunehmend nach dem »angemessenen Platz im Leben, nach Orientierung, Geborgenheit und einer Perspektive, die über das irdische Dasein hinausweist« (19). Mit Hilfe »alter« Gottheiten, »neuer« Mysterienkulte, der Gnosis und der Philosophie wurden »Orientierung und Lebenshilfe« ge­sucht, eine »Einübung in die praktische Lebenskunst« (23).
Nun beginnt ein konziser Gang durch den Umgang mit Angst in der frühen kaiserzeitlichen Philosophie der Stoa, des Epikureismus und des Mittelplatonismus (25–43), in Weisheitstraditionen und Apokalyptik des antiken Judentums (45–54) sowie in den verschiedenen Abschnitten des Neuen Testaments (55–68), angefangen von Johannes dem Täufer bis zur Johannesapokalypse und der Schrift An die Hebräer (»Hebräerbrief«). Dies mündet in eine knappe Einführung zur »Situation der christlichen Gemeinde in der ers­ten Hälfte des 2. Jahrhunderts« (69–74). Die bereits bekannten fünf Grundängste vor Schicksal, Sinnlosigkeit, Leiden, Tod und gött-lichem Gericht bzw. Strafen spielen auch hier eine wichtige Rolle (25 f.69).
In einem längeren Gang durch die verschiedenen Schriften der Apostolischen Väter, die auf die Zeit zwischen 90 und 170 n. Chr. datiert werden, werden diese zunächst kontextuell verortet und charakterisiert, ehe jeweils das Thema Angst beleuchtet wird (75–129). Um das Wichtigste zusammenzufassen, findet sich hier am Ende jedes Unterabschnitts ein kursiv gedrucktes, sehr hilfreiches »Fazit«. Auf diesem breiten Hintergrund wird das »Spektrum der Angst in den Schriften der Apostolischen Väter« systematisierend beleuchtet (131–154). Besonders fokussiert werden Ängste, Deutungen, Ethos und Trostpotenziale gegenüber Leid und Verfolgung (bis hin zum Martyrium) in der Endzeit sowie Erwartungen, Warnungen, Drohungen, Trost und Ethos angesichts des göttlichen Endgerichts. Nolentes volentes legten die Verfasser dabei zugleich »den Grund für eine Art ›Schuldkultur‹« (154), die im Laufe der Kirchengeschichte zunehmend die Gewissen der Gläubigen belastete.
Ein Vergleich zwischen den Apostolischen Vätern und der frühen kaiserzeitlichen Philosophie (155–164) zeigt grundlegende Differenzen: Während Letztere eine hier und jetzt wahrnehmbare Existenzangst als zur Erreichung von Lebensglück sozusagen hinderlichen Affekt zu überwinden sucht, gehört sie für die Aposto-lischen Väter »zum Leben dazu« (158 f.). Entsprechend verschieden ist trotz ähnlicher Ausgangssituation der »Umgang mit der Angst« (160–164). Glaube an Gott als Person und an Jesus Christus bildet das Fundament für einen signifikanten Unterschied im Umgang mit Angst und motiviert diesen (164).
In den Epilegomena wird die »bleibende Bedeutung der Apostolischen Väter« besonders für Organisation, Lehre und Glaubensethos der Gläubigen unterstrichen (165). Die in den Schriften der Apostolischen Väter oft wiederholte »Aufforderung, sich in der Glaubens- und Lebenspraxis am Vorbild Christi zu orientieren« und der »Ap­pell, in Wort und Tat Zeugnis für den Glauben abzulegen« bleiben bis heute »für das kirchliche und persönliche Leben« gültig (166). Dasselbe gilt für die letztliche Bejahung von Leid und Tod: »Leiden und Sterben trennen nicht von Gott bzw. Christus, sondern führen im Gegenteil in die engste Verbindung mit ihm hinein« (ebd.), resümiert der Klinikseelsorger. Im Gegensatz dazu werden endzeitliche Schreckensvisionen, Gerichtsängste, der Drang nach dem Marty-rium sowie seine Heroisierung kritisch betrachtet.
H. führt luzide in die Angstthematik zur Zeit der Apostolischen Väter ein. Das Bändchen ist überschaubar, gut lesbar und auch für versierte Nicht-Fachleute verständlich geschrieben. An seinem Ende findet sich ein elfseitiges Literaturverzeichnis, jedoch kein Stellen- oder Autorenregister. Alles in allem handelt es sich um eine gelungene und empfehlenswerte Einführung in das Thema Angst und Angstbewältigung in dem für das entstehende Christentum so wichtigen zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung.