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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

69–70

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ferguson, Samuel D.

Titel/Untertitel:

The Spirit and Relational Anthropol-ogy in Paul.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. XIII, 301 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 520. Kart. EUR 84,00. ISBN 9783161590764.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

Samuel D. Ferguson, gegenwärtig Rektor der Falls Church Anglican in Virginia, veröffentlicht hier seine unter der Betreuung von Andreas Köstenberger (Kansas City) im Jahr 2019 angenommene Dissertation am Southeastern Baptist Theological Seminary. Die Untersuchung hat einen stark pastoralen und auf die Gegenwart bezogenen Grundzug: »What this study has shed light on that is rather unique, is a facet of the Spirit’s day-to-day work that involves relationships« (262). F. wirbt dafür, die in den Briefen des Paulus beschriebenen geistgewirkten Relationen zu sehen und anzunehmen, was eine Tendenz zur aktualisierenden Nacherzählung der Texte begünstigt, gleichzeitig aber die hermeneutische Aufgabe s chwächt. Eine Begeisterung für das Thema einer geistgewirkten christlichen Anthropologie jedenfalls wird man F. nicht absprechen können.
Wogegen F. sich forschungsgeschichtlich absetzen möchte, wird gleich auf den ersten Seiten deutlich und mit klaren Thesen angezeigt. Es ist einerseits die durch Rudolf Bultmann eingetragene existentiale Interpretation, andererseits die Substanzontologie der monism and dualism debate, denen zufolge der Mensch als autonom oder ›individual qua individual‹ betrachtet worden sei. »Authentic existence is ultimately a matter of self-understanding and self-possession – decision« (25). Demgegenüber lautet die eigene, weithin überzeugend vorgetragene These, die Anthropologie des Paulus sei relational zu denken, eingebunden in ein Netz an Beziehungen, wesentlich begründet durch das Wirken des Heiligen Geistes (8). F. bewegt sich damit in der Linie, die bereits Susan Grove Eastman (Participatory Personhood), Volker Rabens (Spirit-Generated relationships) und Emmanuel L. Rehfeld (Relational Ontology in Paul) in ihren ebenfalls in den zurückliegenden Jahren in WUNT publizierten Dissertationen eingeschlagen hatten, was auch durch häufige Bezugnahmen auf diese Autoren zum Ausdruck kommt. Unbedingt nachträglich zu berücksichtigen gewesen wäre noch Friederike Portenhauser, Personale Identität in der Theologie des Paulus, Tübingen 2020, Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 79, insofern auch Portenhauser die relationale Verfasstheit des Menschen im Vergleich mit klassischen substanz- oder subjektontologischen Varianten erarbeitet und sich überdies gedanklich auf hohem Niveau bewegt.
Etwa die Hälfte der Dissertation nehmen Untersuchungen zu Römer 8 und 1. Korinther 12 ein (Kapitel 4 und 5), um in diesen Texten das Wirken des Heiligen Geistes innerhalb des Konzepts einer relationalen Anthropologie sowohl in seiner vertikalen als auch in seiner horizontalen Dimension darzulegen. Vorgeschaltet ist beiden Kapiteln eine sehr knappe Annäherung an das Verständnis des Heiligen Geistes, die sich vor allem der alttestamentlichen und frühjüdischen Literatur zuwendet. Eingeleitet wird die Studie mit einem ausgewählten, bewusst eklektisch (43) angelegten Forschungsüberblick zur Anthropologie des Paulus (Kapitel 1), der vor allem Rudolf Bultmann und Ernst Käsemann bespricht, denn »they represent the polarities between a nearly autonomous individuality, on the one hand, and an individual (seemingly) swallowed by cosmology on the other« (16). Die Darstellung Bultmanns erkennt wohl den philosophischen Rahmen der existentialen Interpretation, kritisiert jedoch, dass hier Philosophie über der Exegese stehe (17).
Unbestreitbar vorhandene relationale Elemente in Bultmanns Paulus-Darstellung wie die Antwort auf das Kerygma oder das Stehen vor Gott werden wie Fremdkörper behandelt (25). Dass dieses forschungsgeschichtliche Kapitel in eine nur 1,5 Seiten lange Me­thodologie der eigenen Dissertation mündet, verwundert doch. Hier wäre deutlich mehr Theoriearbeit zu leisten gewesen. Hernach leitet Kapitel 2 über zu dem Turn to Relational Anthropology allgemein, Kapitel 3 sodann zu deren Bezug auf Paulus. F. möchte einerseits verstehen, welche Beziehung der personal verstandene Geist (139) zu Gott und Christus eröffnet, andererseits richtet er sein Augenmerk auf Identität, Handeln und Herz des Menschen und er unterscheidet personale und nicht-personale, statische und dynamische Beziehungen. Sodann werden Typen der Beziehungen vorgestellt (der Mensch im Verhältnis zu Schöpfung und Schöpfer, zu seinem eigenen Körper, zu Menschen, dem Kosmos und den Mächten, zu Christus und zu anderen Glaubenden bzw. der Kirche). F. erweitert nun diese Typologie um die Relation des Glaubenden zum Heiligen Geist. Abgeschlossen wird die Arbeit durch eine Zusammenfassung in Kapitel 6, eine recht umfangreiche und der internationalen Forschungslandschaft gerecht werdende Bibliographie und mehrere Indizes.
Römer 8 wird als erster Text einer Spirit-shaped relational an­thropology (255) vorgestellt. Diese besteht zunächst in der Vorstellung der Einwohnung des Heiligen Geistes in den Glaubenden (Röm 8,9–11), sodann in der Adoptions- und Kindesvorstellung (Röm 8,14–17). Während F. die in Röm 8 beschriebenen Relationen als vertikale Wirkungen des Geistes aufnimmt, ordnet er die in 1Kor 12 beschriebenen Charismen einer horizontalen, d. h. vorwiegend ekklesialen Dimension des Geistes zu. Beide Dimensionen leiten zu einem Verständnis des Christen als in seiner Identität, seinem Handeln und seinem Herzen durch das Wirken des Geistes erneuerter Person über. Im Gegenüber zu allen Positionen, die im Blick auf den alten Adam, auf Inkongruenzen des eigenen ethischen Verhaltens, auf Fleisch/Geist-Modelle im Sinne einer doppelten oder gespaltenen Existenz verweisen, betont F. die alles überragende und irreduzible (206) Verankerung des Glaubenden in Gott und Christus (257). Die Identität des Glaubenden ist nicht in der Autonomie des Selbst verankert, sondern in Christus.
Man muss natürlich anfragen, ob die Beschränkung auf Röm 8 und 1Kor 12 nicht von vornherein solche Perspektiven und Ergebnisse, die F. als relationale Anthropologie (RA) vorstellt, begünstigt. Ich sehe jedenfalls nicht, dass diese Textauswahl bei gleichzeitiger Vernachlässigung der weiteren pneumatologischen Aussagen des Paulus etwa in dem 1. Thessalonicherbrief, dem Galaterbrief und im Römer- und 1. Korintherbrief insgesamt in seiner Studie begründet wird. Es will scheinen, als habe die Vorgabe der relationalen Anthropologie den Fokus der Betrachtung auf diese beiden ausgewählten Textkomplexe gelenkt, um der Sache hier ihre Bestätigung zu geben, was gleichzeitig eine Verengung und Begrenzung der pneumatologischen Aussagen impliziert. Damit ist dann aber auch gesagt, dass in dieser Dissertation nicht all das, was zu einer christlichen Anthropologie im Sinne des Paulus auszuführen wäre, zur Sprache kommt.