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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

67–69

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Alkier, Stefan, u. Thomas Paulsen [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Der Seher und seine Septuaginta. Studien zur Intertextualität der Johannesapokalypse.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020. 240 S. = Kleine Schriften des Fachbereichs Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, 11. Kart. EUR 28,00. ISBN 9783374066704.

Rezensent:

Martin Meiser

Dieses Buch ist der zweite Band aus einer die Fächer Gräzistik und Neues Testament übergreifenden Lehrveranstaltung, die der Wahrnehmung der vielfältigen intertextuellen Bezüge der Johannesoffenbarung gewidmet ist.
Stefan Alkier, »Jerusalem, Sodom, Babylon und ihre intertextuellen Bezüge zu Schriften der LXX. Auch ein Beitrag zur Raumästhetik der Apk« (15–47), fragt am Beispiel der literarischen Inszenierung der im Titel genannten Städte rezeptionsorientiert, welche Sinnverschiebungen und Sinnverdichtungen sich im Rezeptionsvorgang der Apk durch die Wahrnehmung der Bezüge zu Schriften der LXX ergeben. Innerhalb der kosmologischen Raumcodierung der Apk ergibt sich: Die Insel Patmos, inmitten des als Chaosmacht verstandenen Meeres gelegen, ist ein gefährdeter Anders-Ort, der all den in Apk 2–3 genannten Städten gleichermaßen als Gegenüber in Szene gesetzt wird (24–26). Der Name Jerusalem wird semantisch verdoppelt, das Attribut »neu« insinuiert inmitten der Kontinuität eine Diskontinuität. Indem das irdische Jerusalem als »Sodom« und »Ägypten« (Apk 11,2.8) bezeichnet wird, ergibt sich durch intertextuelle Verknüpfung mit Gen 19 (»Sodom«); Ez 16 (»Ägypten«); 24,8 (»Stadt der Bluttaten«); Dan 4,30 (»die große Stadt Babylon«), dass das irdische Jerusalem durch seine u. a. anhand von Josephus, Bell I 97 f. konkretisierte Blutgeschichte nicht mehr als Heilsort infrage kommt. In Apk 14,8 wirken u. a. Jer 28,7b; Ez 16; Ez 37,32–36 nach; die Leserinnen und Leser der Apk werden dabei an ihre eigenen Großstädte wie Ephesus gedacht haben. Dementsprechend werden alttestamentliche Hoffnungsbilder wie Jes 60,11 in Apk 21,24–26 nicht für das irdische, sondern für das himmlische Jerusalem namhaft gemacht.
Thomas Paulsen, »Die Danielischen Tiere in der Apokalypse des Johannes« (49–80), stellt u. a. die Tempus- und Sinndifferenz zwischen Dan 7,21 und Apk 12,7 f. heraus (der Aorist ist konstatierend, enthält nicht mehr das Moment der Mühsal des Kampfes; aus dem Sieg des Bösen im Hypotext wird im Hypertext dessen Niederlage; 59 f.). In Apk 13,5–8 erweist das Zitat von Dan 7,8, dass der Verfasser der Apk sowohl den Septuaginta- als auch den Theodotiontext des Danielbuches kannte (63–66). In Apk 12,7 wird die nach Dan 12,7 dem Menschensohn-Ähnlichen gegebene Macht dem gottfeindlichen Tier eingeräumt, was Gott umso mehr als souveränen Herrn der Geschichte erweist.
Simon Dittmann, »Thanatos und der Engel des Herrn. Die Todesbringer in der Siegelvision der Johannesapokalypse und bei der Volkszählung Davids« (81–104), verhandelt Apk 6,8. Der Begriff Θάνατος referiert in Apk 6,8a wohl auf den Todesgott griechischer Mythologie, der aber in der Hierarchie wieder unter dem »Böcklein« (= Christus als ἀρνίον) und den vier Wesen von Apk 4,6 zu stehen kommt. Für die Reitervision kann neben Sach 1,7–11 die Tradition der Volkszählung Davids (2Sam 24; 1Chr 21) als Hypotext gelten, geeignet aufgrund der großen Zahl der Betroffenen sowie der Perspektive, dass die Strafe nicht das Letzte sein wird, sofern die Adressaten der Apokalypse zur Umkehr bereit sind.
Lukas Grill, »Ὁ ἔχων οὖς ἀκουσάτω. Die Johannesoffenbarung als polyphone Musikkomposition. Eine kulturhermeneutische Annäherung« (105–151), fragt nach der Rolle der Musik in der Apokalypse und bespricht zwei Vertonungen ihrer Texte. Die Motive »Gott« und »Gewitter« sind Leitmotive, Apk 15,3 ist eine Doppelfuge, mit Ex 15; 34,10 zu korrelieren. Die »Stimme«, häufig als übermenschlich laut intoniert, ist Symbol der Macht (Apk 18,22), doch wird in Apk 14,10 das herkömmliche akustische Kriterium laut/leise außer Kraft gesetzt. Im Mozartrequiem symbolisiert im Tuba Mirum das Apk 10,7 entsprechende Miteinander von Instrument und menschlicher Stimme das Verwischen der Grenzen zwischen Göttlichem und Menschlichem. Eine eindringende Analyse von Olivier Messiaens Quatuor pour la Fin de Temps mit dem Interméde als Herzstück zeigt, wie Messiaen unter Anregungen durch Augustins Lehre von den acht Weltaltern die Eschatologie als Unterbrechung alles Endlichen inklusive der Zahlensymbolik musikalisch verständlich macht.
Johannes Waller, »Gottes Gericht im Bild der blutigen Kelter. Jes 63,1–6 im Vergleich mit Apk 14,17 f.« (153–177), zeigt das Weiterwirken des Jesajatextes im Apk-Text in der doppelten Gerichtsperspektive auf (Gericht über die Gegner des Gottesvolkes wie über die Abtrünnigen in den eigenen Reihen).
Sabine Ackermann, »Sechshundertsechsundsechzig« (179–201), diskutiert u. a. 3Reg 10,14 als Hypotext für Apk 13,18; die Entstehungsvoraussetzungen für Salomos Reichtum lassen auch Apk 13,18 zur sozialökonomisch wie feministisch orientierten Königskritik werden; doch sind, wie Apk 14,12 zeigt, auch christliche Gemeinschaften »anfällig für eine Kollaboration mit JHWH-fernen Machtstrukturen« (199).
Eine Übersicht über die »Forschungsliteratur zur intertextuellen Schreibweise der Johannesapokalypse« (203–225) und ein Stellenregister (227–237) beschließen das Buch.
Der Band ist nur bedingt eine »klassische Studie« zum Thema »Johannesoffenbarung und die Septuaginta«, enthält aber mancherlei multiperspektivische Anregungen zur Beschäftigung mit der Apk. Der Erkenntnisgewinn der einzelnen Beiträge ist unterschiedlich; die Diskussion mit der manchmal ungenau bibliographierten (158) Sekundärliteratur wird bisweilen eher verhalten geführt.