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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

65–67

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zundler, Dorothee

Titel/Untertitel:

Dekalog und Tefillin im Ijobbuch?Eine sprach- und literaturwissenschatliche Studie zu Ij 31.

Verlag:

Sankt Ottilien: EOS Verlag 2020. 504 S. = Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament, 107. Kart. EUR 39,95. ISBN 9783830680383.

Rezensent:

Daniela Opel-Koch

Das zu besprechende Buch von Dorothee Zundler wurde im Wintersemester 2019/20 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde die Studie geringfügig überarbeitet und aktualisiert. Die Arbeit wurde betreut von Hans Rechenmacher.
Z. widmet sich in ihrem Werk ausführlich der Analyse des 31. Kapitels des Hiobbuches. Bereits mit ihrer Einleitung springt sie mitten ins Thema. Wer sich mit der Abhandlung befassen möchte, sollte also exegetisches Wissen über das Hiobbuch präsent haben, da alle nachfolgenden Ausführungen sehr speziell sind. Z. konzentriert sich in ihrer Einleitung erstens auf die Darstellung der Forschung über den Zusammenhang zwischen Hiob 31 und den Zehn Geboten bzw. der Tora und zweitens der Deutung des »Zeichens Hiobs« in Hiob 31,35 als Dekalogamulett, Unterschrift oder Tefillin. Im Blick auf den zweiten Punkt bleibt ihre vorläufige Feststellung: »Eine direkte Bezugnahme auf den Dekalog oder Tefillin durch Ijob wird […] zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.« (16) Hinsichtlich der von einigen Forschenden dargelegten Zusammenhänge zwischen dem Hiobbuch bzw. der alt testamentlichen Weisheit und Tora vor Jesus Sirach bietet Z. einen forschungsgeschichtlichen Einblick. Ziel ihrer Untersuchung soll sein, »im Interesse des Textes selbst zu fragen, was er aussa-gen will und ob eine Verbindung zum Dekalog und Tora besteht« (25).
Nach der Darstellung ihrer Methodik (25 f.) folgt eine 52 Seiten umfassende Text- und Literarkritik, die in eine Arbeitsübersetzung mündet (80 ff.). Auf weiteren 140 Seiten widmet sich Z. einer extrem kleinteiligen Analyse der Textstruktur und Textsemantik. Als Textziel arbeitet sie heraus, Hiob ringe um Gottes Aufmerksamkeit, wolle diesen zum Eingreifen bewegen und die Wiederherstellung der Gerechtigkeit erreichen (300). Es folgt die ausführliche formale, motivische und thematische Analyse, die in dem nicht überraschenden Ergebnis mündet, Hiob 31 stehe sowohl auf sprachlicher als auch auf inhaltlicher Ebene der Weisheitstradition nahe und lasse sich dieser zuordnen (400). Da es für die Gesamtargumentation entscheidend ist, sei darauf hingewiesen, dass Z. annimmt, der Autor von Hiob 31 habe »sehr genaue Kenntnisse über das ägyptische Totengericht«, die er aber nicht im Sinne einer literarischen Abhängigkeit verarbeite (399). Es erfolgt die Einordnung in die nachexilische Epoche, so sei Hiob 31 als zusammenhängende Einheit (außer dem redaktionellen V. 40c) im 5. Jh. v. Chr. in Jerusalem verfasst worden und Teil der ursprünglichen Hiobdichtung (410 f.). Im Folgenden ordnet Z. das 31. Kapitel in den Kontext der dama-ligen Entstehungssituation ein – und zwar als Spiegelbild einer damals herrschenden »ungerechten Gesellschaftsordnung« (415). Hiob 31 sei quasi eine Motivation an die »frommen Reichen«, sich trotz erlittenen Unrechts unter der Herrschaft der Perser weiterhin gesellschaftsförderlich und gottesfürchtig zu verhalten (416). Die vielfachen Verknüpfungen des 31. Kapitels mit dem Rest des Hiobbuches werden aufgezeigt und die von der Forschung bereits vielfach festgehaltene Funktion von Hiob 31 als Höhepunkt der Hiobdichtung wird unterstrichen (424).
Schlussendlich werden die drei eingangs formulierten Fragen auf den Punkt beantwortet: Z. bleibt bei einer schon lange vorliegenden Deutung des »Zeichen Hiobs« als Unterschrift unter der Klageschrift, die Gott als Ankläger in einem Rechtsstreit vorgelegt habe. Eine Rezeption des Dekalogs sei aufgrund der Motivik und der Entstehungszeit ausgeschlossen (437). Der anhängende Textvergleich soll diese Feststellung untermauern. Doch ereignet sich Rezeption ja nicht nur in Zitatform, sondern modifiziert und gebrochen. Vielmehr handle es sich um allgemeine soziale Regeln, die sich auch in anderen Kulturkontexten nachweisen lassen (456). Schlussfazit Z.s ist, dass in Hiob 31 weder der Dekalog rezipiert werde noch eine Verwendung von Tefillin belegt sei. Auch eine Verbindung von Weisheit und Tora sei damit ausgeschlossen (457), was aber dem gesamten Forschungszweig der letzten 20 Jahre, der die Weisheitsliteratur im Licht einer Torarezeption in den Blick nimmt, seine Berechtigung absprechen würde.
Die umfassende Analyse des 31. Kapitels ist Z. durchaus ge­glückt. Die Vielfalt der verschiedenen methodischen Herangehensweisen beeindruckt, ebenso die Sorgfalt der sprachlichen Analysen, die sich allerdings nur Spezialisten erschließen wird. Im Bereich der Motivik und Metaphorik wird das Werk auch einer breiteren Leserschaft zugänglich, ebenso in der zeitgeschichtlichen Gesellschaftsanalyse, die durchaus einen interessanten Blick auf Hiob 31 wirft. Freilich fehlt dieser konstruierten Zuordnung zu einer frommen, reichen Elite, die natürlich einer plausiblen Annahme entspringt, eine sozialgeschichtliche Konkretion und Verifizierung.
So wie Z. anderen Forschern eine gewisse Willkür ihrer Thesen unterstellt, herrscht diese genauso in manchen ihrer Schlussfolgerungen bzw. zieht sie am Ende die gleichen Schlüsse, die bereits seit Beginn der alttestamentlichen Forschung im Blick auf Hiob 31 getroffen wurden. Gewiss ist sie damit dem Ziel, »im Interesse des Textes selbst zu fragen, was er aussagen will« nahe gekommen, eine echte Innovation im Blick auf den Hiobtext allerdings fehlt. Mit ihrer Arbeit ist Z. in einen Fragezirkel eingestiegen, der in sich geschlossen logisch ist, doch wäre es interessant, einen solchen Zirkel z. B. durch die Erweiterung des Methodenkanons – wie ansatzweise geschehen – aufzubrechen und durch ein höheres Reflexionsniveau einen wirklich neuen Blick auf einen alttestamentlichen Text zu werfen.