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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

55–56

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kim, Hayeon

Titel/Untertitel:

Multiple Autorship of the Septuagint Pentateuch. The Original Translators of the Pentateuch.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2020. XIV, 207 S. = Supplements to the Textual History of the Bible, 4. Geb. EUR 94,00. ISBN 9789004420519.

Rezensent:

Holger Gzella

Die Wirkung der griechischen Wortwahl im Pentateuch der Septuaginta auf die Übersetzer späterer Bücher ist in der Forschung anerkannt, ebenso einige auffällige Abweichungen (wie erst nachpentateuchisch häufigeres δοῦλος »Diener«). Komplizierter wird es bei der Erklärung der Varianz zielsprachlicher Äquivalente eines Begriffs im Pentateuch selbst und mithin bei dessen Einheitlichkeit.
In seiner von Emanuel Tov betreuten und 2007 angenommenen, erst jetzt publizierten Dissertation nutzt Hayeon Kim Divergenzen bei der Wiedergabe desselben hebräischen Lexems für den Versuch, bei den ersten fünf Büchern je einen eigenen Übersetzer nicht nur zu vermuten, sondern nachzuweisen. Er wählt also einen Mittelweg zwischen buchübergreifender Homogenität einerseits und Heterogenität im Einzelbuch andererseits, will aber nicht sub-jektive Eindrücke oder isolierte Merkmale heranziehen, sondern das Übersetzungsvokabular insgesamt im Lichte wiederkehrender Ausdrücke, die Wiedergabe einiger typisch hebräischer Konstruktionen und einen Vergleich der doppelt überlieferten Priestereinsetzung in Ex 29/Lev 8. Eine statistische Auswertung soll allfällige buchinterne Inkonsistenzen relativieren.
Zuerst nimmt er nach der Einleitung (1–17) die lexikalischen Gemeinsamkeiten des Pentateuchs in den Blick (18–57), unterschieden in kurz gestreifte natürliche Äquivalente beim Grundwortschatz (»Bruder«, »Öl«, »Jahr« etc.: aber ist die Gleichsetzung etwa von שפנ und ψυχή bei ganz verschiedenen anthropologischen Voraussetzungen selbstverständlich?) und eine detaillierter erläuterte verbindende kultische Terminologie (meist Namen liturgischer Geräte und religiöser Feste). Sie bildete im Griechischen neue Wörter oder Bedeutungen, die durch die Praxis verstetigte wurden. (Hier stimmt nicht alles, so S. 26: Der ausweislich des Akuts auf der Antepänultima eindeutig kurze Auslautvokal in σάββατα entspricht sicher nicht dem aramäischen status emphaticus mit langem /-ā/, sondern ist gräzisierende Endung; weil ein Wort im Griechischen nur auf ganz wenigen Konsonanten enden kann, dürfte das auch für πάσχα [ebd.] und μάννα [101] gelten.) Der als Fallstudie ausgearbeitete Vergleich der vielbesprochenen Berichte über Auftrag und Ausführung des Baus der Stiftshütte in Ex 25–31 und 35–40 weise sowohl durch übereinstimmendes Vokabular als durch ähnlich viele Inkonsistenzen nicht auf mehrere, sondern auf denselben Übersetzer – das freilich nimmt vielen Divergenzen zwischen einzelnen Büchern die Beweiskraft!
Von solchen Gemeinsamkeiten werden im Hauptteil (58–158) 36 Unterschiede in Präferenz, Variation oder Vermeidung ausgewählter synonymer Übersetzungsäquivalente (für בוט z. B. überwiegt in Gen καλός, in Dtn ἀγαθός), in der Abbildung der Syndese bei יהיו sowie רמאיו und des paronomastischen Infinitivs und im Ge­brauch griechischer Partikeln, Temporalsätze und des historischen Präsens von λέγω vergleichend erhoben und quantitativ ausgewertet, doch ohne Kontext, Idiom oder wiederkehrende Formeln zu erfassen (daher die Häufung von δῆμος für החפשמ in Num oder von ὀρνίθιον für רופצ im technischen Sinne »rituell reiner Vogel« in Lev 14). Die Auswahl der Unterschiede wird nicht begründet; sie variieren von Fall zu Fall: oft sticht Gen gegenüber dem Rest heraus, mal Ex gegenüber Lev und Dtn, mal stimmen Gen bis Lev überein, mal Lev und Num, mal Ex, Lev und Dtn usw. Weder identifiziert K. also fünf verschiedene kohärente Übersetzungsstile noch beweist er deren eineindeutige Zuordnung zu je einem Buch; die abschließende Zusammenstellung der Merkmale (159–173) zeigt keine unverwechselbaren Eigenheiten an, sondern nur statistisch unbereinigte Häufungen.
Die Darstellung enthält allerlei Redundanzen und Inkonsequenzen (auf S. 142–146 werden zwei kontextbedingte Differenzen in der Wahl eines griechischen Pendants behandelt, sonst fast nie); auch in der Bibliographie klaffen Lücken (neben gräzistischen Studien z. B. I. Kislev in Biblica 90 [2009], 59–67, zu Num 27,15–23). Wer eine Dissertation nach 13 Jahren veröffentlicht, muss sie generalüberholen. Das schmale Buch bietet einen Katalog vieler Fälle von Variation im griechischen Pentateuch, führt aber wegen eklatanter methodischer Defizite nicht zu belastbaren Schlüssen über Zahl und Zuständigkeit der Übersetzer. Dafür sind die Kriterien zu statisch, zu punktuell und zu sehr auf die Wiedergabe von Einzelwörtern unter Ausschluss etwaiger Revisionen oder Entwicklungen im Stil desselben Übersetzers (dazu Th. van der Louw, VT 70 [2020], 270–284, am Beispiel von Gen und Ex) beschränkt. Die Berücksichtigung von Satzlänge, Wortstellung, Partizipialkonstruktionen etc. wäre ein notwendiges Korrektiv. Ohnehin hätte K. sich von der forensischen Linguistik wichtige Anregungen holen können.