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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

53–55

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Choi, Dongbin

Titel/Untertitel:

The Use and Function of Scripture in 1 Maccabees.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2020. XV, 268 S. = The Library of Second Temple Studies, 98. Geb. £ 90,00. ISBN 9780567695420.

Rezensent:

Michael Tilly

Im 1. Buch der Makkabäer, das von der Vorgeschichte und vom Verlauf der makkabäischen Erhebung erzählt, begegnen zahlreiche inhaltliche und formale Bezugnahmen auf Tora, Propheten und (insbesondere) biblische Geschichtsbücher. In seiner bereits 2017 dem Department of Theology and Religious Studies an der University of Nottingham vorgelegten und von Roland Deines betreuten Dissertationsschrift unternimmt Dongbin Choi »a close analysis on the ways in which Scripture is used in the book and it’s function within the author’s compositional purpose« (2).
Das erste Kapitel der Arbeit (1–26) enthält Ausführungen zu ihrer Fragestellung und Zielsetzung, eine Zusammenstellung markanter Positionen in der neueren und aktuellen Makkabäerforschung, hermeneutische und methodologische Darlegungen zur »erinnernden« Wahrnehmung sowohl der makkabäischen Krise und des Aufstiegs der Hasmonäerdynastie als auch der biblisch vermittelten Heilsgeschichte Israels durch den antiken Autor sowie Anmerkungen zum Aufbau der Untersuchung. Im ausführlichen zweiten Kapitel (27–95), das Einleitungsfragen behandelt, geht es zunächst um die Klärung und Sicherung der Textgrund-lage. Ne­ben der griechischen Texttradition seien hierfür auch die (alt)lateinische Übersetzung und die (an vielen Stellen stark modifizierende) Paraphrase des 1. Makkabäerbuches bei Josephus, Ant. 12,242–13,212, zu konsultieren. Als wahrscheinlich gelten könne die Existenz eines verschollenen hebräischen Originals, dessen charakteristische (parataktische) Syntax und eigentümliche Begrifflichkeit auch seine griechische Übersetzung widerspiegelt. Zwar habe der antike Übersetzer bei seiner Arbeit an zahlreichen Stellen auf vorliegende griechische Versionen jüdischer heiliger Schriften zu­rückgreifen können, was eine weitgehende Rekonstruktion des semitischen Ausgangstextes durchaus ermögliche, aber die Heterogenität und Fluidität dieser Versionen ließen eben keine durchgängige Erfassung eines »ursprünglichen« hebräischen Wortbestandes des 1. Makkabäerbuches zu (44).
Hinsichtlich der Entstehungszeit der Schrift warnt C. davor, diese zu spät anzusetzen: »The best possible date for the composition was around the last phases of Hyrcanus’ life« (55). Was die Verbreitung der jüdischen heiligen Schriften bereits in der ersten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. anbelangt, geht er davon aus, dass diese in vorhasmonäischer Zeit auch im palästinischen Mutterland verfügbar waren und nicht nur von religiösen Sondergruppen tradiert und gelesen wurden: »They were perceived as playing a part in forming the Jewish collective identity« (64). Nicht nur auf zeitgenössischen judäischen Münzprägungen, sondern auch im 1. Makkabäerbuch sei zu beobachten, dass der Hellenisierungsprozess während der Hasmonäerzeit im Wesentlichen eine selegierende und modifizierende »Interpretatio Iudaica« griechischer Kulturformen, Traditionen und Symbole bedeutete: »Judaism in the Hellenistic period appropriated ideas and topics but in such a way that they became Jewish ideas, compatible with their Hellenistic surroundings but, nevertheless, identifiable Jewish.« (76) Charakteristisch für die zeitgenössische jüdische Wahrnehmung der Heilsgeschichte Israels sei deren Deutung im Sinne einer konventionellen deuteronomistischen Geschichtstheologie, welche zugleich eine theologisch fundierte Erfassung und Beurteilung der eigenen Gegenwart ermöglichte (92).
Das philologisch ausgerichtete dritte Kapitel (96–155) nimmt die biblischen Referenzen und Allusionen im 1. Makkabäerbuch in den Blick. C. bezieht sich hier grundlegend auf Armin Langes und Matthias Weigolds Zusammenstellung der erkennbaren Bezugnahmen auf die hebräischen heiligen Schriften in den alttestamentlichen Apokryphen und Pseudepigraphen (Göttingen 2011). Dabei bietet er zu jedem hier fortlaufend aufgeführten, expliziten oder impliziten morphologischen Schriftbezug im 1. Makkabäerbuch zunächst eine tabellarische Übersicht seiner Erwähnung (bzw. positiven Identifikation) in der modernen Kommentarliteratur und sodann eine philologische Analyse des Verhältnisses von griechischer Übersetzung und hebräischer Vorlage, die jeweils in eine Bewertung der Plausibilität einer intertextuellen Beziehung mündet. Als Gesamtresultat lasse sich festhalten, dass im 1. Makkabäerbuch zumeist Formen und Inhalte aus dem Prätext in den Text (bzw. in den Handlungsverlauf der Erzählung) eingetragen werden, dass an einer Reihe von Stellen nur die hebräische Diktion übernommen werde und dass in einigen Zweifelsfällen die Annahme einer Be­zugnahme zwar möglich, aber eben nur undeutlich und wohl nicht intentional begründet sei. Dass die meisten dieser Allusionen gerade in den ersten fünf Kapiteln der prohasmonäischen Propagandaschrift begegnen, die von der Vorgeschichte und dem Verlauf der Krise unter Antiochos IV., dem Widerstand der frommen Judäer unter der Führung des Mattatias und seiner Söhne sowie der geglückten Befreiung und erneuten Einweihung des Jerusalemer Tempels handeln, führt Ch. darauf zurück, dass die Absicht ihres Verfassers in der literarischen Gestaltung einer »strong imagery of Torah-abiding Hasmoneans with the implication that one’s success depends on their faithfulness to the covenant with God« zu finden sei (146).
Mit thematischen Verbindungslinien zwischen dem 1. Mak­kabäerbuch und dem Bibeltext, insbesondere mit dem Deuteronomium und dem Richterbuch, beschäftigt sich das vierte Kapitel(156–180). C. weist zum einen darauf hin, dass die standhafte Bun-destreue der Hasmonäer mittels der Integration des deuteronomis-tischen Bundeskonzeptes (insbesondere Dtn 28–30) in die Darstellung der makkabäischen Erhebung integriert worden sei, und zeigt zum anderen auf, dass gerade das Richterbuch aufgrund seiner theologischen Nähe und seines ähnlichen Erzählinhaltes als nar-rative Blaupause herangezogen werden konnte: »The numerous similarities on morphological and semantic grounds sufficiently suggest that the role of the Hasmonean family is quite similar to that of the biblical judges.« (180)
Im fünften Kapitel (181–225) werden das Preisgedicht auf Judas (1Makk 3,3–8) und der Hymnus auf Simon (1Makk 14,4–15) analysiert. Die beiden poetischen Texte bilden gemeinsam eine erzählerische Klammer um die Erzählung vom siegreichen Kampf der Aufständischen um die Befreiung Israels. Während C. in der heroisierend aufwertenden Darstellung des Judas als geschichtswirksamer Held nur Allusionen mit relativ niedriger kommunikativer Relevanz vorfindet, was seines Erachtens mit der Vermeidung davidisch-messianischer Assoziationen zusammenhängt (201), entspreche die montageartige Zusammenstellung zahlreicher (morphologischer und thematischer) biblischer Zitate, Paraphrasen und Anspielungen in dem Preisgedicht auf Simon, das den letzten überlebenden Makkabäerbruder als einen idealen Herrscher im Sinne der deuteronomistischen Geschichtstheologie kennzeichnet und dabei vor allem seine Siege, seine Gesetzestreue und seine Bedeutung als Stifter andauenden Friedens und Wohlstands in Jerusalem und Judäa hervorhebt, dem Spannungsbogen der Erzählung und auch den Statusansprüchen der Nachkommen Simons (224 f.). Eine Zusammenfassung der Einzelergebnisse bietet das sechste Kapitel (226–232). C. hält als Gesamtresultat seiner Untersuchung fest, dass im 1. Makkabäerbuch sowohl politische als auch religiöse Intentionen zum Ausdruck gelangten: »[It] presents quasi-contrasting interests simultaneously; the deliberately pro-Hasmonean writing, with obvious legitimizing aims for the Hasmonean institution, nevertheless emphatically presents and promotes religious values which would have attracted any conservative Jewish audience.« (231 f.) Beigegeben sind ein Literaturverzeichnis (233–250) und Indizes der Stellen (251–264) und modernen Autoren (265–268).
Die Lektüre der lesenswerten Monographie demonstriert eindrücklich die Menge und Intensität der Bezugnahmen auf Tora, Propheten und biblische Geschichtsbücher im 1. Makkabäerbuch, deren Bedeutungsgehalte und Funktionen C. in ebenso umfassender wie präziser Weise nachzeichnet. Sie lässt dabei auch den vorläufigen Charakter der aktuell verfügbaren Zusammenstellungen der Schriftzitate in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit erkennen, welche sich mittels einer klassifizierenden Beschreibung der in den Allusionen und indirekten gedanklichen intertextuellen Bezügen zum Ausdruck kommenden und im Leseakt erfassbaren (illustrierenden, begründenden oder legitimierenden) literarischen Relationen sicher noch erweitern und präziser be­schreiben ließen.