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Ausgabe:

Januar/2022

Spalte:

3–26

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Thomas Martin Schneider

Titel/Untertitel:

Kirchliche Zeitgeschichte – evangelisch*

Entwicklung, Probleme, Aufgaben

»Historisch bin ich überzeugt, dass wir die ersten sechzig Jahre sowieso nie etwas verstehen. Alle Beteiligten müssen tot und alle Quellen zugänglich sein, und dann brauchen wir immer noch viel Zeit, um alles zu durchdenken.«1 Dieses Zitat des US-amerikanischen Historikers Timothy Snyder zeigt im Grunde die ganze Problematik, wenn nicht gar Unmöglichkeit zeitgeschichtlicher Forschung. Andererseits: Man stelle sich vor, man hätte mit der historischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Zeit erst im Jahre 2006 begonnen und vorher, etwa in den Schulen, darüber geschwiegen. Die nahezu alle Lebensbereiche erschütternde »Grundlagenkrise« nach dem Ende des »Dritten Reiches« 1945 erforderte notwendigerweise eine »Bewältigung der jüngsten Vergangenheit«2. Das ging natürlich nicht ohne einen substantiellen Beitrag der Historiographie. Und dieser Beitrag konnte nicht einmal den An­spruch der Wertneutralität erheben, denn angesichts des quantitativen und qualitativen Ausmaßes der nationalsozialistischen Staats- und Kriegsverbrechen mussten sich die Historiker – damals fast ausschließlich Männer – nolens volens positionieren: anklagend oder apologetisch, relativierend oder verabsolutierend, exkulpierend oder fatalistisch. Außerdem musste frühzeitig Quellenmaterial erschlossen, gesammelt und gesichert werden, und selbstverständlich ist auch diese Grundlagenforschung nicht wertfrei zu haben.

Die Zäsur 1945 markiert den Zeitpunkt, nach dem sich die Zeitgeschichte als wissenschaftliche Disziplin herausbildete. Eine bis heute viel zitierte Definition stammt von dem Historiker Hans Rothfels aus dem Jahre 1953. Zeitgeschichte – nach Rothfels eine der »Wortbildungen, die logisch wie philologisch unbefriedigend sind und trotzdem sich aufdrängen«3 – ist danach die »Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung«4. Im Anschluss daran hat der Kirchenhistoriker Wolf-Dieter Hauschild das Spezifikum der »Gleichzeitigkeit« herausgestellt:

»Es geht also um eine grundsätzlich noch nicht abgeschlossene Geschichtsperiode bzw. um die Vorgeschichte der Gegenwart, die sich von der vorangegangenen Geschichte […] dadurch unterscheidet, daß ihr eine Gleichzeitigkeit eignet, d. h. eine existentielle Verbindung oder eine sachliche Kontinuität im Sinne eines unmittelbar fortwirkenden Betroffenseins.« Und diese »Gleichzeitigkeit« bringt es eben mit sich, »daß hier das – grundsätzlich aller Beschäftigung mit jedweder historischen Periode inhärierende – Problem der Deutung, Wertung und Beurteilung besonders massiv begegnet.«5

Auf Rothfels geht auch die chronologische Fixierung des Epochenbeginns der Zeitgeschichte auf die Jahre 1917/18 zurück, weil man die Zeit des Nationalsozialismus nicht ohne ihre unmittelbare Vorgeschichte verstehen kann, die zweifellos mindestens bis in die Endphase des Ersten Weltkrieges mit ihren revolutionären Umbrüchen zurückreicht.6 Weil das Hauptinteresse jedoch der NS-Zeit galt, drohte die Gefahr, dass die Zeit der ersten deutschen Demokratie von 1918 bis 1933 lediglich als eine Art Inkubationszeit des »Dritten Reiches« wahrgenommen wurde und mancherlei Aufbrüche und Impulse aus der Zeit der »Weimarer Republik«, die über die Zeit von 1933 bis 1945 hinauswirkten, übersehen werden konnten.7

Rothfels’ Definition der Zeitgeschichte als »Epoche der Mitlebenden« brachte es mit sich, dass sich ihr Schwerpunkt im Laufe der Jahre immer weiter verschob. Die Nachkriegszeit, die Zeit des Kalten Krieges, die Zeit der neuen sozialen Bewegungen ab den 1960er Jahren und – schon kurz nach der Wende 1989/90 – die Geschichte der DDR gerieten nach und nach in den Fokus. Gleichzeitig blieb eine Historisierung der NS-Zeit, wie sie von einigen Historikern gefordert wurde, weitgehend aus; man verwies auf die besonderen politisch-moralischen Aspekte dieser Zeit und auf die Notwendigkeit einer entsprechenden – bleibenden – Erinnerungskultur. Analog zur Zeit der »Weimarer Republik« drohte auch hier die Gefahr, dass die historische Entwicklung nach 1945 allzu einseitig als bloße Wirkungsgeschichte der NS-Zeit wahrgenommen wurde.

Sämtliche angesprochenen Probleme begegneten den Kirchenhistorikern (auch hier gab es lange Zeit kaum Frauen) in ganz besonderer – verschärfter – Weise. Die »Grundlagenkrise«, die es nach dem Ende des »Dritten Reiches« allgemein zu bewältigen galt, bedeutete für die – überwiegend protestantische – Christenheit in Deutschland, wie Hauschild es ausgedrückt hat, geradezu eine »moralische Katastrophe«, der man sich zu stellen hatte.8 Das Problem der »Gleichzeitigkeit« war in der Kirchengeschichtsschreibung deswegen so gravierend, weil nicht nur politische Einstellungen, sondern auch theologische Positionen, Glaubensüberzeugungen und Bekenntnisse auf dem Prüfstand standen: Inwiefern hatten bestimmte theologische Positionen und Glaubensinhalte dem NS-Regime den Weg bereitet oder es gar mehr oder weniger unterstützt? Umgekehrt: Welche Glaubensrichtungen hatten sich als immun, resistent oder gar widerständig erwiesen? Einflussreiche theologische Richtungen wie die Dialektische Theologie und die Lutherrenaissance waren erst in der Zeit der »Weimarer Republik« entstanden bzw. wirkmächtig geworden. Im »Dritten Reich« standen sich nicht nur die nationalsozialistische Glaubensbewegung der »Deutschen Christen« (DC) einerseits und die Bekennende Kirche (BK) andererseits unversöhnlich gegenüber, sondern es ging auch ein Riss quer durch die BK, die 1936 in einen radikaleren uniert-reformierten und einen gemäßigteren lutherischen Flügel auseinanderbrach. Im Übrigen waren auch die DC eine sehr heterogene Bewegung, die bereits ab Ende 1933 zersplitterte, und zwischen DC und BK gab es eine – nicht selten übersehene – neutrale »Mitte«, die sich aus dem »Kirchenkampf« herauszuhalten versuchte und vermutlich eine größere Anzahl von Pfarrern und Gemeindegliedern umfasste als jeweils die DC und die BK. Auch diese »Mitte« war äußerst heterogen. Galten die DC nach dem Ende der NS-Herrschaft als gründlich desavouiert und waren die Vertreter der »Mitte« im Wesentlichen um Apologie bemüht, so setzten sich die Konflikte zwischen den beiden Teilen der BK auch nach 1945 mit unverminderter Heftigkeit fort. Ja, sie nahmen nach dem Wegfall der Repressalien im NS-Staat vermutlich sogar noch an Heftigkeit zu. Für die Zeit nach 1945 sollten angesichts der neuen politischen Herausforderungen die richtigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen wer den: Welche theologischen Positionen und Glaubensüberzeugungen hatten sich bewährt bzw. worauf konnte man aufbauen, um die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, die Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen und die Zukunft zu gestalten? Solche Fragen stellten sich für die katholischen Kirchenhistoriker nicht oder zumindest nicht in gleichem Maße wie für die evangelischen. Die hierarchische Kirchenstruktur und das päpstliche Lehramt sorgten in der katholischen Kirche für eine ungleich größere Homogenität als in der evangelischen Kirche und Theologie.9

I Zur Entwicklung der Erforschung der Evangelischen Kirchlichen Zeitgeschichte10

1. Die Anfänge – am Beispiel Wilhelm Niemöllercontra Friedrich Baumgärtel


Die erste Phase der evangelischen Kirchlichen Zeitgeschichte von 1945 bis zum Ende der 1960er Jahre war geprägt durch »Deutungskämpfe der Erlebnisgeneration«11. Die Akteure hatten sich in der BK engagiert. Längst nicht alle waren Wissenschaftler bzw. (Kirchen-)Historiker. Sie implementierten erfolgreich das Narrativ, dass die dem Glauben treu gebliebene BK dem antichristlichen NS-Staat trotz allen Repressionen widerstanden habe.

Vor allem ein Name sticht unter den ersten Akteuren hervor: Wilhelm Niemöller, der jüngere Bruder Martin Niemöllers. Neben seinem Bielefelder Gemeindepfarramt widmete er sich mit enormem Fleiß der Aufarbeitung des »Kirchenkampfes«. Seine Sammlung, die er 1963 dem Landeskirchlichen Archiv in Bielefeld verkaufte, umfasst ca. 48 laufende Meter.12 Hinzu kommen Dutzende von Publikationen mit zum Teil hohen Auflagen.

Etliche Wissenschaftler haben mittlerweile auf die Fragwürdigkeiten der Arbeiten Wilhelm Niemöllers hingewiesen. Die Einwände lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Niemöllers Sicht beschränkte sich fast ausschließlich auf die BK und mehr noch auf deren radikalen Flügel, während er andere Gruppierungen nahezu vollkommen ausblendete. Nach Robert Ericksen repräsentierte er damit nicht nur »a minority position«, sondern vielmehr »a minority within a minority«13.

2. Niemöller pflegte, wie Christiane Kuller es formuliert hat, »eine familiennahe Hagiografie«14; er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sein Bruder Martin »geradezu als Inkarnation der BK gilt«15.

3. Niemöller machte keinen Hehl daraus, dass er parteiisch war und sich ganz der Theologie Karl Barths verschrieben hatte. Er wollte eigentlich auch gar kein Historiker sein, sondern Glaubenszeuge.16 Bei Niemöller selbst las sich das etwa im Vorwort eines seiner Bücher so: »Als ich dieses Buch zu schreiben begann, gedachte ich nicht unter die Historiker zu gehen. […] Ich wollte vielmehr bezeugen, daß Gott heute noch Wunder tut.«17

4. Niemöller blendete nicht nur die NS-Staatsverbrechen, die durchaus auch kritische Fragen an die Repräsentanten der radikalen BK aufwarfen, nahezu völlig aus, sondern auch sein eigenes Engagement für den Nationalsozialismus.

Norbert Friedrich hat gezeigt, wie stark aktuelle kirchenpolitische Interessen, vor allem in Westfalen, sich mit Wilhelm Niemöllers Vergangenheitsbewältigung verbanden. Als in dem traditionell überwiegend lutherischen Westfalen starke Tendenzen sichtbar wurden, die neue Landeskirche wieder deutlicher auf eine lutherische Bekenntnisgrundlage zu stellen, positionierte sich Niemöller etwa als Vertreter des uniert-reformierten Flügels der BK dagegen und berief sich auf die Barmer Theologische Erklärung, die dann auch als eine Art Unionsbekenntnis in die Ordinationsverpflichtung der westfälischen Pfarrer aufgenommen wurde.18 In diesem Zusammenhang war er auch daran beteiligt, zu verhindern, dass der erklärte Lutheraner Hermann Kunst das oberste geistliche Amt in der neuen westfälischen Landeskirche übernehmen konnte.19

Es ist bemerkenswert, dass viele Einwände gegen Wilhelm Nie­möllers Geschichtspolitik bereits unmittelbar nach dem Erscheinen seiner Publikationen erhoben wurden. Schon 1958 verfasste der Erlanger Alttestamentler Friedrich Baumgärtel eine scharfe Kritik: »Wider die Kirchenkampflegenden«. Mit Hilfe von zahlreichen Quellenzitaten wies Baumgärtel auf »die anfängliche Verstricktheit [auch] bedeutsamer Führer der Bekennenden Kirche in das nationalsozialistische Gedankengut und ihre teilweise erhebliche […] Aktivität für Hitlers Sache« hin.20 Hierbei war ihm wichtig herauszustellen, dass prinzipiell nicht zwischen den beiden Flügeln der BK unterschieden werden könne. Ja, mehr noch, Hans Meiser und Theophil Wurm – also die Repräsentanten der lutherischen BK– hätten entgegen Niemöllers Vorwurf die Nazis nicht erst »zu spät« durchschaut, sondern sich »[z]um Teil […] niemals [so] zu Hitler bekannt […], wie das […] die Brüder Niemöller und andere […] getan« hätten.21 Auch die Vertreter der sogenannten neutralen Mitte nahm Baumgärtel u. a. mit dem Hinweis auf notwendige Differenzierungen in Schutz.22 Ganz im Gegensatz zu Wilhelm Niemöller verstand sich Baumgärtel als Historiker; es gehe »um historische Feststellung des abgelaufenen Geschehens, nicht um mo­ralische, ethische, religiöse Qualifizierungen!«23

So nachvollziehbar Baumgärtels Kritik ist, vor dem Hintergrund seiner eigenen Biographie hatte sie auch deutlich apologetische Züge.24 Es spricht allerdings für Baumgärtel, dass er das Problem seiner eigenen Befangenheit zumindest ansatzweise selbst reflektierte.25

Bemerkenswert ist der theologische Hintergrund der heftigen Auseinandersetzung. Baumgärtel lehnte die für den radikalen Flügel der BK so einflussreiche Theologie Karl Barths ab. Entgegen dem Anspruch Barths sah Baumgärtel in dieser Theologie auch ein Phänomen des – von den Barthianern so viel gescholtenen – »Zeitgeist[es]« mit »totalitäre[m] Anspruch«26. Konkret warf Baumgärtel den Barthianern u. a. vor: »das Führungsprinzip machte sich breit, Unduldsamkeit gewann Raum; religiös-theologische Hoffart gegenüber Andersdenkenden wurde schon bei den Studenten […] geweckt […] Machtstreben verdrängte brüderliche Haltung«27. Mit dieser Kritik, die sich durchaus mit der späteren Barth-Kritik der sogenannten Münchner Schule um Trutz Rendtorff und Friedrich-Wilhelm Graf berührt,28 traf Baumgärtel bei Niemöller offenkundig einen Nerv. »Wer ist Professor Baumgärtel, daß er Karl Barth attackiert«29, schleuderte Niemöller Baumgärtel entgegen – und bestätigte damit ja in gewisser Weise dessen Anwürfe der »Unduldsamkeit« und »Hoffart gegenüber Andersdenkenden«. Baumgärtel zahlte mit gleicher Münze heim: »Wer ist Wilhelm Niemöller, daß er seinem Mitbruder zu sagen wagt: Schweig und beuge dich, wenn Karl Barth gesprochen hat!«30

Die wechselseitige Polemik zeigt sehr deutlich, dass es nicht nur um Vergangenheitsbewältigung, sondern auch um Positionierungen in der Gegenwart und um Zukunftsgestaltung ging. Bezeichnend war, dass Baumgärtel sich genötigt fühlte zu dementieren, dass seine Schrift etwas »[m]it dem durch das Atomwaffenproblem innerhalb der evangelischen Kirche aufgebrochenen Zwiespalt« zu tun haben könnte.31 Damit reagierte Baumgärtel auf entsprechende Vorwürfe, dass es ihm weniger um die Geschichte als vielmehr um die aktuelle politische Debatte ging. Hier hatten sich die sogenannten »Linksbarthianer«, allen voran Martin Niemöller, klar positioniert, und dieser Linksprotestantismus sollte ab den 1960er Jahren in der evangelischen Kirche noch stark an Einfluss gewinnen. Es fragt sich, ob das von Wilhelm Niemöller so vehement verfochtene Narrativ von der heldenhaften radikalen BK nicht auch deswegen so nachhaltig erfolgreich sein konnte, weil es sich als besonders anschlussfähig erwies für theologische und politische Optionen, die in der evangelischen Kirche im Zusammenhang der gesellschaftlichen Auf- und Umbrüche der 1960er bis 80er Jahre wirkmächtig wurden. Dabei ist zu beachten, dass viele Akteure aus der Zeit des »Kirchenkampfes« in hohem Lebensalter auch die Debatten dieser Jahrzehnte – gewissermaßen als »graue Eminenzen« – noch maßgeblich mitbestimmten.

2. Die Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes bzw. die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte


1955 berief der Rat der EKD eine »Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes in der nationalsozialistischen Zeit«. Die Geschichte dieser Kommission ist mehrfach ausführlich dargestellt worden;32 ich beschränke mich auf einige wesentliche Aspekte. Der Anstoß für die Gründung ging von staatlicher Seite aus. Mit finanzieller Unterstützung des Staates nahm dann die EKD die Erforschung ihrer jüngsten Geschichte in eigene Regie. Bei der personellen Besetzung der Kommission war man um Ausgewogenheit bemüht. Ursprünglich sollten drei Lutheraner drei Unierten – unter ihnen Wilhelm Niemöller – gegenüberstehen. Für den Vorsitz einigte man sich auf den auf Ausgleich bedachten Hamburger Kirchenhistoriker Kurt Dietrich Schmidt.33 Da ein lutherischer Kandidat aus persönlichen Gründen auf seine Mitarbeit in der Kommission verzichtete und stattdessen mit Ernst Wolf ein entschiedener Vertreter des radikalen BK-Flügels nachberufen wurde, verschoben sich die Gewichte zugunsten dieser Richtung, vor allem, als Wolf nach dem Tode Schmidts 1964 den Kommissionsvorsitz übernahm.

Die Leistungen der Kommission sind durchaus beachtlich. Der erste Kommissionsvorsitzende Schmidt hatte eine breit angelegte Konzeption vorgelegt, die sukzessive abgearbeitet wurde. Diese Konzeption umfasste:

1. die Zusammenstellung einer möglichst vollständigen Bibliographie;

2. die Erfassung des einschlägigen Archivmaterials, einschließlich des in Privatbesitz befindlichen Materials;

3. die Befragung von Zeitzeugen und deren Dokumentation;

4. die Anregung von landes- und territorialgeschichtlichen Do­kumentationen und Darstellungen;

5. die repräsentative Edition kirchlicher Quellen von überregionaler Relevanz und eine breite Dokumentation zur nationalsozialistischen Kirchenpolitik.34

Sichtbares Ergebnis dieser Konzeption waren die 45 Bände der Reihe »Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes« (AGK 1–30) einschließlich der Ergänzungsreihe (AGK.E 1–15).

Ex post sind die ersten anderthalb Jahrzehnte der Kommissionsarbeit freilich auch scharf kritisiert worden. Christiane Kuller etwa urteilte:

»Der Kirchenkampfkommission ging es um die öffentlichkeitswirksame Implementierung eines bestimmten Geschichtsbildes im kulturellen Gedächtnis des Nachkriegsdeutschlands. Eine wissenschaftlich-kritische Aufarbeitung hat sie in dieser ersten Phase nicht initiiert.«35

So zutreffend dieses Urteil auch ist, so ist doch zu konzedieren, dass die Kommission die heftigen Deutungskämpfe einerseits mo­derierte und andererseits durch ihre Publikationen einen gewis-sen Deutungspluralismus abbildete, der spätere Forschungen anstoßen oder befruchten konnte. Jochen-Christoph Kaiser etwa urteilte:

»Es ist schon ein kleines Wunder, dass die Kommission […] im Streit über die ›richtige‹ Deutung […] nicht zerbrochen ist. Im Gegenteil, sie produzierte einen Band nach dem anderen und ließ hier unterschiedliche Positionen zu Wort kommen […] So wirkte die Kommission wie ein ›Puffer‹ und konterkarierte durch ihre Arbeit letztlich die Intention ihrer Mitgliedsfraktionen, dem eigenen Geschichtsbild Allgemeingültigkeit zu verleihen.«36

Eine Zäsur in ihrer Geschichte erlebte die Kommission 1970, als sie in Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte umbenannt wurde. Hinter dieser Umbenennung stand zunächst kein ausdrückliches Konzept. Man folgte vielmehr der allgemein-historischen Begrifflichkeit sowie der Bezeichnung der entsprechenden Kommission der katholischen Kirche und intendierte eine Ausweitung des Forschungsgegenstandes auf die Zeit vor 1933 und nach 1945. Gleichwohl kam es im Laufe der folgenden Jahre zu einigen einschneidenden Neuerungen. Nach dem Tode von Ernst Wolf 1971 übernahm der Münchner Kirchenhistoriker Georg Kretsch mar den Vorsitz, der selbst nicht mehr unmittelbar in den »Kirchenkampf« involviert gewesen war. Auch sonst fand, wie Jens Holger Schjørring es treffend analysierte, ein »behutsam durchgeführter Generationswechsel« statt, jedoch »ohne jeden scharfen Traditionsbruch«, da einzelne Vertreter der Zeitzeugengeneration, so auch Wilhelm Niemöller, weiterhin aktiv waren.37 Die Aufnahme von Allgemeinhistorikern wie des Göttinger Neuzeithistorikers Rudolf von Thadden und des Archivars am Koblenzer Bundesarchiv Heinz Boberach »ermöglichte nicht nur den Anschluss der Kirchlichen Zeitgeschichte an die inhaltlichen und methodischen Diskussionen der modernen Geschichtswissenschaft, sondern bekräftigte auch ihren Anspruch, interdisziplinär die konfessionellen Prägungen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu beleuchten«< /span>38.

Inzwischen ist es selbstverständlich, dass etwa eine Religionspädagogin, eine Kunsthistorikerin und eine Soziologin in der Ar­beitsgemeinschaft mitarbeiten, ebenso ein Diakoniehistoriker und ein ausländischer Kirchenhistoriker.39 Auch die Arbeitsgemeinschaft war ausgesprochen produktiv. Zu nennen sind u. a.:

– die seit 1975 erscheinende neue Reihe »Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte« (AKiZ bzw. AKZG) mit bislang 21 Bänden der Reihe A: Quellen und 79 Bänden der Reihe B: Darstellungen;

– die seit 2017 hinzugekommene, für ein breiteres Publikum bestimmte Taschenbuchreihe »Christentum und Zeitgeschichte« (CuZ), bislang sieben Bände;

– die sechs Bände umfassende Edition der »Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches« (DKPDR), erschienen 1971 bis 2017;

– die seit 1978 in der Regel jährlich erscheinende Zeitschrift »Mitteilungen zur Kirchlichen Zeitgeschichte« (MKiZ);40

– die seit Ende 2011 freigeschaltete Online-Ausstellung »Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus«41, ebenfalls für einen breiteren Interessentenkreis gedacht.

Maßgeblichen Anteil an den genannten Publikationen und weiteren Aktivitäten hatte die an der Universität München angesiedelte und sukzessive erweiterte Forschungsstelle der Arbeitsgemeinschaft, deren langjähriger Leiter Carsten Nicolaisen das Ideal unbestechlicher und präziser »historiographische[r] Wissenschaftlichkeit« geradezu personifizierte.42 Nach einer schwierigen Übergangsphase war er dann von 2000 bis 2003 auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft.

1988 hatte der Tübinger Kirchenhistoriker Joachim Mehlhausen den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft von Georg Kretschmar übernommen. Formal war Mehlhausen bis zu seinem Tode im Jahre 2000 Vorsitzender, konnte seine Aufgaben aber nach einer schweren Erkrankung im Jahre 1998 nicht mehr wahrnehmen.

Gleich zu Beginn der Amtszeit Mehlhausens entbrannte ein bislang versäumter, dafür jetzt umso leidenschaftlicher ausgefochtener Theoriediskurs über die angemessene Methodik. Der Kreis um den Kirchenhistoriker Gerhard Besier und die 1988 gegründete Zeitschrift »Kirchliche Zeitgeschichte« (KZG) verfolgte einen dezidiert theologischen Ansatz:

»Ein volles Verstehen geht – jenseits und getrennt von der bloßen historischen Deskription – davon aus, daß es eine Moral in der Geschichte gibt. […] Hierin liegt eine der Besonderheiten Kirchlicher Zeitgeschichte: das Gespräch mit den Christen vergangener Generationen als Christen in ihrem Selbstverständnis und ihrer Auslegung des christlichen Glaubens zu führen.«43

Demgegenüber forderte der Kreis um den Allgemeinhistoriker Anselm Doering-Manteuffel und die Kirchenhistoriker Martin Greschat, Jochen-Christoph Kaiser und Kurt Nowak, die ebenfalls 1988 die Schriftenreihe »Konfession und Gesellschaft« (KoGe) gründeten, einen interdisziplinären Anschluss an die sozial- und gesellschaftswissenschaftlichen Methoden der allgemeinen Geschichtswissenschaft. Der Fokus sollte ausgeweitet werden auch auf »Ausprägungen christlicher Identität und Sozialisation außerhalb der Kirche«. Deswegen zog man die Begriffe Christentums- oder Konfessionsgeschichte dem Begriff Kirchengeschichte vor.44

Die Heftigkeit des innerhalb, aber auch außerhalb der Arbeitsgemeinschaft ausgetragenen Methodenstreits45 stand in keinem Verhältnis zu seinem tatsächlichen Ertrag. Wolf-Dieter Hauschild urteilte, dass sowohl »die zeithistorischen Darstellungen Besiers und anderer« als auch »die konkreten Untersuchungen in der Reihe ›KoGe‹« ihre jeweils eigenen Ansprüche »nicht« bzw. »nur selten« berücksichtigt hätten.46 Hauschild hat darüber hinaus aber auch auf die Schwächen beider methodischen Ansätze hingewiesen. Bei der Konzeption des Kreises um Besier kritisierte er u. a., dass »ein von positionellen Vorgaben abhängiger geschichtstheologischer Beurteilungsmaßstab angelegt« werde.47 Bei dem sozialgeschichtlich orientierten Programm dagegen bemängelte er, dass es »die Institution Kirche nicht adäquat erfasst und den Begriff Konfes-sion in einem unspezifischen Sinn verwendet, der dessen theologische Prägung […] verkennt«48. Ähnlich wie die alte Kirchenkampf-Kommission im Hinblick auf den Deutungsstreit der frühen Nachkriegszeit war die Arbeitsgemeinschaft ein moderierendes Forum für die Austragung des Methodenstreits. Das galt insbesondere auch für den pragmatischen Kurs des Vorsitzenden Mehlhausen,49 der von seinen Nachfolgern beibehalten wurde. Thematisch-in­haltlich lässt sich die Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft wie folgt kurz skizzieren:50

Bei der Erforschung der NS-Kirchengeschichte ergab sich ein Paradigmenwechsel, indem der missverständliche Begriff des »Kirchenkampfes« durch neutralere Bezeichnungen ersetzt wurde.51 Nachdem lange Zeit der radikale Flügel der BK im Mittelpunkt des Interesses gestanden hatte,52 wurden jetzt verstärkt auch andere Aspekte in den Blick genommen. Im Hinblick auf die Zeit der »Weimarer Republik« war insofern ein Perspektivwechsel zu konstatieren, als diese Zeit nunmehr auch als eine eigenständige Epoche wahrgenommen wurde.53

Auf Initiative des Rates der EKD begann die Arbeitsgemeinschaft im Frühjahr 1993 ein Forschungsprojekt »Kirche und Staat in der DDR«, das eine Reihe von gründlichen Spezialuntersuchungen hervorbrachte, die ein differenziertes Bild zeichneten.54 Sie korrigierten die These der kirchlichen »Kumpanei« mit der DDR-Diktatur, die Gerhard Besier sehr pauschal und öffentlichkeitswirksam gleich nach dem Mauerfall vorgetragen hatte.55

Ende 1996 erfuhr das Forschungsprojekt eine sinnvolle Ausweitung.56 Unter dem Titel »Die Rolle der Evangelischen Kirche im geteilten Deutschland« wurde nunmehr die Geschichte des Protes-tantismus in Ost- und Westdeutschland vergleichend betrachtet.57

Sodann erkannte man die Notwendigkeit, auch die bundesrepublikanische Kirchengeschichte historisch-kritisch aufzuarbeiten, und wandte sich dabei zunächst den von den neuen gesellschaftlichen Aufbrüchen und Bewegungen geprägten 1960er und 70er Jahren zu.58

Schließlich ist die Rezeption der NS-Kirchengeschichte nach 1945 inzwischen selbst Gegenstand der Kirchlichen Zeitgeschichtsforschung. Dabei ist vor allem ein Zusammenhang mit der Diskussion um die deutsche Erinnerungskultur und insbesondere um ein evangelisches Märtyrergedenken59 erkennbar.

Verschiedene weitere wichtige Themenbereiche seien hier nur kurz benannt: die sukzessive Einführung der Frauenordination seit den 1960er Jahren,60 die Neubestimmung des Verhältnisses zum Judentum nach dem »Holocaust«,61 die kirchlich-konfessionellen Implikationen der Eingliederung von Vertriebenen und Flüchtlingen62 und die globale Christentumsgeschichte.63

II Herausforderungen und Probleme


1. Auftragsforschung?


Von Allgemeinhistorikern ist der Kommission bzw. der Arbeitsgemeinschaft immer wieder mangelnde Objektivität vorgeworfen worden. Es handele sich im Grunde um interessegeleitete Auftragsforschung mit apologetischen Zügen, weshalb Arbeiten aus dem Bereich der Kirchlichen Zeitgeschichte von Allgemeinhistorikern auch kaum rezipiert würden.64 Das entspricht dem umgekehrten Vorwurf von Kirchenhistorikern wie Gerhard Besier, Allgemeinhistoriker begnügten sich mit der oberflächlichen »Veri-fizierung geschichtlicher Phänomene«, während Kirchenhistoriker tiefgründiger zusätzlich »zusammen mit der Gottesfrage die Wahrheitsfrage« stellten.65 Damit ist natürlich zugleich die weite Frage nach dem Recht der Kirchengeschichte als theologischer Disziplin aufgeworfen, die hier nicht erörtert werden kann.66 An dieser Stelle nur einige wenige Hinweise und Überlegungen:

– Die neue Satzung von 2003 bestätigte ausdrücklich die »wissenschaftliche Unabhängigkeit« der Arbeitsgemeinschaft, die auch selbstständig über Forschungsprojekte und Publikationen entscheidet67 und seit etlichen Jahrzehnten neben Kirchenhistorikern Allgemeinhistoriker und andere Wissenschaftler in ihren Reihen hat bzw. mit diesen auf verschiedenen Gebieten zusammenarbeitet. Allerdings werden die Mitglieder der Kommission vom Rat der EKD gewählt, freilich auf Vorschlag der Kommission,68 und sie sind in der Regel Angehörige einer EKD-Mitgliedskirche.

– Auch Allgemeinhistoriker sind nicht per se objektiv, zumal sich unter ihnen Menschen jeglicher Religions- und Weltanschauungszugehörigkeit befinden. Kritisch kann man bei Zeithistorikern jeglicher Art fragen, welche Rolle Zeitgeistphänomene – zu nennen wären da etwa Säkularismus, antikirchliche Affekte, sensationsheischender Enthüllungs- und Entmythologisierungsdrang etc. – spielen.

– Der Protestantismus zeichnet sich von jeher durch ein hohes Maß an Pluralität aus. Das ist zugleich sein Problem und seine Stärke. Dieser Umstand verhindert jedenfalls eine einheitliche Geschichtsdeutung. Auch über die Institution Kirche und ihre Lehre, nicht zuletzt über die Ekklesiologie, wird im Protestantismus von jeher gestritten.

– Kirchengeschichte als theologische Disziplin bleibt relevant, wenn es um die Analyse und Interpretation theologiegeschichtlicher Fragen geht.69 Kirchenhistorikerinnen und -historiker verfügen über theologischen Sachverstand (zumindest sollten sie es) und bringen in das Konzert der Vielzahl an historiographischen Perspektiven die christliche bzw. konfessionelle mit ein, angefangen damit, dass sie auch die Religion als einen eigenen geschichtsmächtigen Faktor (und nicht nur z. B. als ein »Überbau«-Phänomen) begreifen. Sie leisten zudem in der Theologie und kirchlichen Praxis einen wichtigen, wissenschaftlich fundierten und methodisch kontrollierten Beitrag zur kritischen Selbstreflexion. Die alte Frontstellung Allgemeinhistoriker versus Kirchenhistoriker sollte jedenfalls zugunsten einer Kooperation überwunden werden bzw. längst überwunden sein. Perspektivenvielfalt und Multiperspektivität sind gefragt, und dazu gehört auch die theologiegeschichtliche Perspektive.

2. Kirchliche Zeitgeschichte am Ende?


Die Kirchliche Zeitgeschichtsforschung fokussiert stets das jeweilige Ende der Geschichte, die natürlich bis zum Weltende – in christlicher Perspektive bis zum Jüngsten Tage – weitergeht und nach vorne hin prinzipiell offen ist. Insofern ist die Kirchliche Zeitgeschichtsforschung eine Disziplin mit Zukunft. Solange es die Kirche und christliches Leben gibt, kommen stets neue Quellen, Themen und Fragestellungen hinzu. Allerdings können in Zeiten der Digitalisierung viele Quellen, wie E-Mails, nicht mehr in der bisher üblichen Weise archiviert werden und stehen der Forschung daher oft gar nicht mehr zur Verfügung. Andererseits kommen neue Quellenarten hinzu, etwa im Internet, und der Ausstoß an gedruckten Publikationen scheint sich ungeachtet der Digitalisierung unvermindert fortzusetzen. Das Problem einer begrenzten Anzahl von Quellen, die irgendwann als mehr oder weniger »ausgeforscht« gelten könnten, stellt sich jedenfalls für die Kirchliche Zeitgeschichte nicht. Um die neuen Quellen, Themen und Fragestellungen historisch angemessen analysieren, einordnen und bewerten zu können, ist eine fundierte Kenntnis nicht nur der unmittelbaren Vorgeschichte, sondern der gesamten Kirchen- und Theologiegeschichte erforderlich, insbesondere dann, wenn etwa bei aktuellen Jubiläumsfeierlichkeiten oder im Rahmen aktueller erinnerungskultureller Debatten auf längst vergangene Ereignisse und Entwicklungen oder historische Persönlichkeiten unmittelbar Bezug genommen wird. Das mit großem Aufwand begangene Reformationsjubiläum 2017 ist dafür ein sehr eindrückliches Beispiel.70 Neben den neu hinzukommenden Forschungsfeldern bleibt, wie oben schon erwähnt, bis auf Weiteres die Zeit des Nationalsozialismus samt Vor- und Wirkungsgeschichte zentraler Gegenstand der Kirchlichen Zeitgeschichte. Dass diese Zeit noch keineswegs als abgeschlossen betrachtet und historisiert werden kann, zeigen beispielsweise die vor allem im ersten Jahrzehnt des 21. Jh.s geführten Diskussionen um die Um- bzw. Abbenennung von Straßen und Gebäuden, die nach dem von 1933 bis 1955 amtierenden bayerischen Landesbischof Hans Meiser benannt worden waren,71 oder die noch andauernde Debatte um die Adolf Hitler gewidmeten Kirchenglocken in der Pfalz72 oder die gerade auch im kirchlichen Raum leidenschaftlich geführten Diskussionen zur Bewertung der 2013 – u. a. auch von einigen erklärten evangelischen Christinnen und Christen73 – gegründeten rechtspopulistischen Partei »Alternative für Deutschland (AfD)«, bei denen von allen Seiten immer wieder auch auf die nationalsozialistische Zeit Bezug genommen worden ist.74 Es ist überhaupt noch nicht abzusehen, wann tatsächlich so etwas wie ein Schlussstrich unter die Geschichte des Nationalsozialismus gezogen werden könnte.

Die eben beschriebenen Aspekte sind nicht so sehr als wirkliche Probleme, sondern vielmehr als Herausforderungen zu begreifen, die die Kirchliche Zeitgeschichtsforschung konstruktiv in Angriff nehmen und bearbeiten kann. Zwei Entwicklungen jedoch bedrohen die Kirchliche Zeitgeschichtsforschung in ihrer Existenz:

1. Die sich seit Langem abzeichnende Erosion insbesondere auch der evangelischen Volkskirche hat sich in den letzten Jahren massiv verschärft bzw. beschleunigt. In der 2020 einsetzenden Corona-Krise galten die Kirchen zunächst nicht als »systemrelevant« und haben sich kaum gegen eine solche Einordnung gewehrt. Es fragt sich, wie lange die Kirchen noch als relevante gesellschaftliche Größen wahrgenommen werden und ob die Kirchliche Zeitgeschichte sich vor diesem Hintergrund auf Dauer nicht zu einer »Orchideendisziplin« entwickelt oder gar in der völligen Bedeutungslosigkeit verschwindet.

2. Die wegen der wegbrechenden Kirchensteuereinnahmen – zusätzlich verschärft durch die Pandemie von 2020/21 – finanziell unter Druck geratene Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) plant, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München angesiedelte Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte zu schließen.75 Das interdisziplinär wie international wie interkonfessionell sehr hohe wissenschaftliche Renommee dieser Forschungsstelle stellte etwa die im Februar 2020 von der Forschungsstelle mitverantwortete Würzburger Tagung »Kirchliche Zeitgeschichte. Bilanz – Fragen – Perspektiven«, an der u. a. auch namhafte Allgemeinhistoriker teilnahmen, eindrücklich unter Beweis.76 Da es zudem kaum noch Lehrstühle oder Professuren mit der Denomination Kirchliche Zeitgeschichte an deutschen Hochschulen gibt, drohen mit der Schließung der Münchner Forschungsstelle einem Forschungsfeld massive Einschränkungen, das nicht zuletzt den in der Kirche Verantwortlichen eine kirchen- und theologiehistorisch begründete kritische Reflexion ihres aktuellen kirchenpolitischen und theologischen Handelns ermöglichte. Schon 2004 konstatierte Wolf-Dieter Hauschild »ein horrendes Defizit hinsichtlich der Fundierung einer klugen Kirchenpolitik in einer differenzierten Kenntnis der Kirchlichen Zeitgeschichte […], welches – oft nicht sogleich manifest – die Qualität kirchenleitender Aktivitäten beeinträchtigt«77. Zugleich wird die allgemeine Akzeptanz theologischer Forschung außerhalb der Theologie – und damit einhergehend die Akzeptanz von Aktivitäten der Kirchenleitungen außerhalb der Kirche – vermutlich weiter geschwächt. Eine weitere Gefahr ist, dass Kirchliche Zeitgeschichte ohne theologischen Sachverstand nur mehr von außen vornehmlich als Skandalgeschichte betrieben werden könnte.78 Die Verantwortlichen in der EKD scheinen wenig geschichtsbewusst und auch wenig wissenschaftsaffin zu sein, wenn sie die zukünftige Aufgabe von Kirchlicher Zeitgeschichtsforschung nur unter dem Gesichtspunkt unmittelbarer politischer Verwertbarkeit zu betrachten scheinen, indem sie diese Aufgabe im Wesentlichen nur noch darin sehen, »einen historisch informierten Beitrag zur Demokratieförderung und zur Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus zu leisten«, was, so die Begründung für die massiven und stark überproportionalen Einsparungsvorschläge, allerdings in zahlreichen Arbeitsfeldern der EKD auch geschehe.79

III Aufgaben


Die praktische Aufgabe bzw. den praktischen Nutzen der Kirchlichen Zeitgeschichtsforschung hat Hauschild – analog zur Politikberatung in der weltlichen Politik – wie folgt beschrieben:

»die evangelische Kirche (wäre) insgesamt gut beraten, die Erkenntnisse der Kirchlichen Zeithistoriographie zur Orientierung hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer aktuellen Kirchenpolitik so zu berücksichtigen, daß sie zu einem besseren Verständnis der praktischen Gegebenheiten, auf die man einwirken will, und damit zu einem allseitig reflektierten Handeln beiträgt. Dabei kann es natürlich nicht darum gehen, das zeitgeschichtliche Material bloß entsprechend den jeweils aktuellen Interessen in die Kirchenpolitik einzubringen. Kirchliche Zeitgeschichte als eine Kooperationswissenschaft impliziert ebenso die Beachtung der wissenschaftlich-historischen Methodik wie das Bemühen um eine bessere Realisierung der Verknüpfungsansätze der genannten theologischen Disziplinen [sc. Systematische Theologie, Praktische Theologie, exegetische Fächer, insbesondere Theologiegeschichte, Sozialethik, Religionspädagogik, Liturgik und Kybernetik]. So kommt der Praxisbezug von Wissenschaft angemessen zur Geltung.«80

Konkret stellen sich der Kirchlichen Zeitgeschichtsforschung folgende Aufgaben:

– Wie schon erwähnt, kann die Erforschung der Kirchengeschichte in der NS-Zeit, einschließlich ihrer Vor- und Wirkungsgeschichte, längst noch nicht als abgeschlossen gelten. Neben bislang noch wenig erforschten Bereichen, wie der Zeit des Zweiten Weltkrieges, gibt es immer wieder neue – nicht selten interdisziplinäre, internationale und interkonfessionelle – Fragestellungen, Perspektiven und Methoden – u. a. wären hier Gender- und kulturwissenschaftliche sowie rezeptionsgeschichtliche Aspekte zu nennen – sowie teilweise damit zusammenhängende aktuelle neue Bewertungsmaßstäbe, die ihrerseits historisch einzuordnen und kritisch zu reflektieren sind.

– Für die Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es im Unterschied zu der inzwischen besser erforschten zweiten Hälfte der 1940er Jahre sowie den 1960er und 1970er Jahren noch Lücken im Hinblick auf die 1950er und 1980er Jahre, hier vor allem für die westdeutsche Kirchengeschichte.

– Ferner zeichnen sich für die letzten gut drei Jahrzehnte, also für die Zeit seit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung Deutschlands, Konturen einer kirchenhistoriographischen Darstellung ab, die abschließend etwas genauer skizziert werden sollen. Dabei werden zwei längerfristig sich abzeichnende Entwicklungen etwas genauer betrachtet, weitere, nicht minder wichtige Aspekte dagegen nur exemplarisch skizziert.

1. Erosion der Volkskirche


Eine Kirchengeschichte unserer Zeit muss sich vor allem mit dem Problem der geradezu erdrutschartigen Erosion der Volkskirche auseinandersetzen. Die Mitgliederzahl der EKD-Gliedkirchen ist von 1990 bis 2019 von knapp 29,5 Millionen auf gut 20,5 Millionen, der Anteil an der Gesamtbevölkerung von knapp 37 % auf knapp 25 % gesunken.81 Das entspricht also einem Rückgang von gut 30 % oder fast einem Drittel innerhalb von nicht einmal 30 Jahren oder gut einer Generation. Noch dramatischer erscheint die Entwicklung, wenn man den Zeitraum der letzten zwei Generationen seit etwa 1970 betrachtet, als der Anteil der Protestanten in Deutschland noch gut doppelt so hoch war wie heute.82 Selbst in der – zu ihrem Beginn allerdings noch ganz überwiegend evangelischen – religions- und kirchenfeindlichen DDR lag der Anteil der Protestanten 1988, also kurz vor dem Ende ihres Bestehens, immerhin noch bei knapp 40 %.83 War die Kirchlichkeit in den meisten evangelischen Gebieten Deutschlands – wie auch Westeuropas – ohnehin schon traditionell schwach ausgeprägt gewesen, so ist etwa der Gottesdienstbesuch in den letzten Jahrzehnten noch einmal stark zurückgegangen und das hohe Durchschnittsalter der Besucherinnen und Besucher weiter gestiegen. Deutlich weniger als 4 % der evangelischen Kirchenmitglieder besuchen heute durchschnittlich den Gottesdienst.84 Selbst an Heiligabend 2018 besuchten nur ca. 8 Millionen Menschen einen evangelischen Gottesdienst, also weniger als 40 % der Kirchenmitglieder, wobei in der EKD-Statistik sogar noch darauf hingewiesen wird, dass unter den ca. acht Millionen »nicht nur Kirchenmitglieder« gewesen seien.85 Hatte man die Ursache für den Schwund der Mitglieder lange Zeit vor allem in der allgemeinen demographischen Entwicklung gesehen – und sich damit beruhigt, dass es hier kaum Möglichkeiten gebe, aktiv gegenzusteuern –, so zeigte die sogenannte »Freiburger Studie« von 2019, dass sich weniger als die Hälfte des bis 2060 prognostizierten Mitgliederschwunds um weitere gut 50 % mit der demographischen Entwicklung erklären lasse.86 Die evangelische Kirche ist dabei, den Generationenanschluss zu verpassen, wenn das nicht bereits längst geschehen ist. Neben der geradezu auf dem Kopf stehenden Alterspyramide zeigen sich weitere Disproportionalitäten etwa im Bereich der Geschlechter und der sozialen Schichtung. 55 % der Kirchenmitglieder sind weiblich87 und unter den Gottesdienstbesuchern und ehrenamtlich Ak­tiven (abgesehen von den höheren ehrenamtlichen Leitungsämtern) ist der Frauenanteil noch weit höher. Überdurchschnittlich aktiv in der Kirche sind Angehörige der Mittelschicht und insbesondere der gehobenen Mittelschicht. Die evangelische Kirche ist also, wenn man es zuspitzt, vor allem alt, weiblich und gutbürgerlich.88 Diese Aspekte sind von Religionssoziologen, etwa von Detlef Pollack, längst analysiert und beschrieben worden. Kirchliche Zeitgeschichtsforschung steht vor der Aufgabe, in Kooperation mit der Religionssoziologie und anderen Wissenschaften den genannten Problemen konsequent und unabhängig von kirchlichen Interessen und Strategien nachzugehen. Dabei müsste ein besonderes Augenmerk auf die Nachwuchsarbeit gerichtet werden, weil sie für das Überleben von gesellschaftlichen Großgruppen von zentraler Bedeutung ist, und es müsste dazu die Mikroebene der Kirchengemeinden in den Blick genommen werden: Wo und wie findet eine solche Nachwuchsarbeit statt, und wie wirkt sie sich auf das gesamte Gemeindeleben, einschließlich der jeweiligen Austrittszahlen, längerfristig aus? Es wird sich vermutlich herausstellen, dass es zwar in fast allen Ge­meinden eine Kinder- und Jugendarbeit, meist sogar mit hauptamtlichen Jugendreferentinnen und -referenten, gibt, dass diese aber oft wenig mit der eigentlichen Gemeindearbeit zu tun hat und das christlich-kirchliche Profil oft kaum noch erkennbar ist. In einer Handreichung des Rates der EKD zum Thema »Kirche und Jugend« von 2010 hieß es: »Viele Jugendliche besuchen kirchliche Angebote, merken aber nicht, dass es sich um ein kirchliches Angebot handelt.«89 Entsprechende Untersuchungen müssten etwa für die Einbeziehung von Männern und von Angehörigen der unteren sozialen Schichten oder für die Attraktivität von Gottesdiensten allgemein angestellt werden.

2. (Links-)Politisierung


Spätestens im Zusammenhang mit den neuen sozialen Bewegungen seit den 1960er Jahren setzte eine zunehmende Politisierung, genauer Linkspolitisierung in der evangelischen Kirche ein, die ab etwa 1980 zu einer Trendwende in der Pfarrerschaft und auch in der evangelischen Führungsriege führte. Während man bis dahin überwiegend zumeist mit CDU bzw. CSU sympathisierte, zugleich ein direktes parteipolitisches Engagement aber vermied und sich vornehmlich geistlich-kirchlichen Aufgaben widmete, überwog ab den 1980er Jahren eine Affinität zur SPD und dann noch stärker zu der neuen Partei »Die Grünen«. Damit verbunden war nunmehr auch ein explizites politisches Engagement – im Unterschied zu einem bis dahin eher impliziten bürgerlich-konservativen bzw. vermeintlich unpolitischen, tatsächlich aber politisch affirmativen Verhalten.90 Hauschild beschrieb diese Trendwende so:

»auch in der Kirche [sollte] der Gesellschaftsbezug allen Denkens und Handelns die erstrebte Relevanz von Religion erweisen […] Politische Probleme wurden somit zu einer das Christentum unmittelbar betreffenden Sache. […] Die grundsätzliche Bedeutung zeigte sich daran, dass seitdem innerhalb der evangelischen Kirche auf breiter Basis und intensiv die politischen Lebensprobleme durch eine religiöse Qualifizierung gewissermaßen als Glaubensfragen behandelt wurden. […] Es ist deutlich geworden, dass ethisch-politische Fragen im Bewusstsein von Gemeinden und Pfarrerschaft die traditionellen dogmatischen Probleme fast völlig überlagert haben. […] die zunehmende Politisierung der kirchlichen Arbeit […] wirkte sich langfristig darin aus, dass seit etwa 1980 solche politischen Themen, welche Lebensfragen der Menschen betreffen, als Aufgabe für die Christenheit vehement wahrgenommen wurden – teilweise mit der Konsequenz, dass das christliche Proprium nicht mehr oder kaum noch erkennbar war.«91

Dieser Trend scheint sich in den letzten drei Jahrzehnten fortgesetzt, wenn nicht gar noch zugespitzt zu haben, bis hin zu dem von der EKD mitfinanzierten und -betriebenen Rettungsschiff, das auch als aktives politisches Handeln gedeutet werden kann, um der EU-Abschottungspolitik gegen die Migrationsbewegung in Richtung Westeuropa entgegenzusteuern. Die (Links-)Politisierung der Kirche zu thematisieren, ist für die Kirchlichen Zeithistoriker in-sofern besonders heikel, weil das leicht den Vorwurf einer konträren politischen Positionierung provoziert.

Bei kaum einem anderen Thema zeigt sich wohl deutlicher das grundsätzliche Problem der Gleichzeitigkeit und Zeitgenossenschaft der Kirchlichen Zeitgeschichtsforschung. Gleichwohl ist das Thema Kirche und Politik zu relevant, als dass es in der Forschung einfach übergangen werden könnte, zumal sich die kirchlichen Akteure immer wieder auf die Lehren aus der jüngsten Geschichte berufen. Aufgabe der Forschung ist es, zunächst sine ira et studio Ausmaß und Art der Politisierung der Kirche anhand von exemplarischen Verlautbarungen und Predigten sowie des (partei-)politischen Engagements von Pfarrerinnen, Pfarrern, kirchenleitenden Personen, Synoden etc. sowie die Wirkung auf die Kirchenmitglieder und die gesamte Gesellschaft zu untersuchen und zu beschreiben. Sodann müsste sich die Frage nach einer historischen Einordnung anschließen: Markiert die gegenwärtige Politisierung der Kirche die notwendige Kurskorrektur und Abkehr von der Affinität zu rechtskonservativ-deutschnationalen – bis hin zu nationalsozialistischen (DC) – Positionen in der ersten Hälfte des 20. Jh.s bzw. von dem – letztlich unmöglichen – Bemühen um politische Abstinenz, wie es für weite Teile der BK und auch die frühe Nachkriegszeit charakteristisch war? Oder aber ist die gegenwärtige Linkspolitisierung nur ein spiegelartiger Reflex der Rechtspolitisierung? Und gibt es nicht ungeachtet aller signifikanten inhaltlichen Differenzen, ja Gegensätzlichkeiten durchaus strukturelle Kontinuitäten im Hinblick auf eine Priorisierung des Politischen und eine politisch monokulturelle Anpassung an den jeweils aktuell als fortschrittlich angesehenen Zeitgeist sowie im Hinblick auf den »Anspruch, über die politische Kultur ein ›Wächteramt‹ auszuüben«92? Gibt es nicht womöglich trotz deutlichen Unterschieden sogar einzelne inhaltliche Schnittmengen, etwa Tendenzen zu Antiliberalismus93 und zu Vorbehalten gegenüber der repräsentativen Demokratie sowie zu Antiamerikanismus (auch abgesehen vom »Trumpismus«)? Auch das Bestreiten des Vorwurfs politischer Einseitigkeiten und der Hinweis, man fühle sich allein dem Evangelium verpflichtet, dürften dazu gehören. Schließlich wären die politischen Positionierungen hinsichtlich ihrer theologischen bzw. theologiegeschichtlichen Begründung kritisch zu reflektieren. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: In dem von der rheinischen Landessynode 2018 einmütig beschlossenen »Friedenswort ›Auf dem Weg zum gerechten Frieden‹ anlässlich des Endes des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren« wird der zweifellos vom Evangelium her gebotene Einsatz der Kirche für den Frieden u. a. wie folgt begründet: »Wir nehmen die ungeheure Einladung an, mit der Bergpredigt Politik zu machen. […] Somit ist der Ernst der Forderung der Bergpredigt […] stets festzuhalten und nicht zu relativieren.«94 So unstrittig der christliche Einsatz für Frieden grundsätzlich auch sein dürfte, die Argumentation ist mindestens tendenziell fundamentalistisch und wirft etwa die Frage auf, warum die evangelische Kirche im Falle der Ehescheidung (vgl. Bergpredigt Mt 5,31 f.) – mit guten Gründen – nicht ebenso argumentiert.95 Sie lässt zudem vor dem Hintergrund der ganz konkreten politischen Forderungen des »Friedenswortes« eigentlich kaum noch Spielraum für eine Debatte, auf welchem Wege denn am besten dem Frieden gedient werden kann. In seinem Buch »Als Christ in der politischen Entscheidung« hatte Helmut Schmidt bereits 1976 angemahnt: »Wenn es richtig wäre, wie manche uns glauben machen wollen, daß der Zielsetzung des Christentums nur eine einzige politische Meinung entspräche, dann hinge die Möglichkeit, Christ zu sein, davon ab, sich in der Politik nicht zu irren.«96

3. Weitere Aspekte


Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben oder eine Priorisierung vornehmen zu wollen – folgende weiteren Aspekte müssten in einer »Kirchengeschichte unserer Zeit« wohl Berücksichtigung finden:

– Die ein Jahr nach der staatlichen erfolgte Wiedervereinigung der EKD wäre aufzuarbeiten, und zwar nicht nur im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen bzw. institutionengeschichtlichen Fragen, sondern auch im Hinblick auf theologische Kontroversen und mentalitätsgeschichtliche Verwerfungen (Machtgefälle zwischen der reichen West- und der finanziell abhängigen Ostkirche, wechselseitige Vorurteile einer zu großen Staatsnähe, Streit um die Militärseelsorge und den schulischen Religionsunterricht etc.). Auch längerfristige Folgen, wie die Fusion von teilweise konfessionell unterschiedlich geprägten Landeskirchen (Mitteldeutschland, Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Nordkirche), wären in den Blick zu nehmen.

– Nach den intensiven Bemühungen um eine vollständige Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frauen ab den 1970er Jahren folgten ab der Jahrtausendwende entsprechende Bemühungen in den Landeskirchen im Hinblick auf homosexuelle Menschen und gleichgeschlechtliche Partnerschaften, teilweise gegen heftige Widerstände evangelikaler und traditional-konservativer Kreise.97 Hier wäre u. a. zu untersuchen, inwieweit die Kirchen den allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen bloß folgten oder selbständig initiativ wurden.

– Im Hinblick auf die Entwicklung der evangelisch-katholischen Ökumene müsste der auffällige Kontrast zwischen den geradezu enthusiastischen Bekenntnissen zur Ökumene und den vielfältigen entsprechenden Aktivitäten einerseits und den doch eher ernüchternden kirchenoffiziell-verbindlichen Fortschritten andererseits analysiert und reflektiert werden. So evozierte die öffentlichkeitswirksame Unterzeichnung der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« – genauer: der »Gemeinsamen Offiziellen Feststellung« dazu samt »Annex« – am letzten Reformationstag des zweiten Jahrtausends (1999) in Augsburg, der Stadt der Confessio Augustana und des Religionsfriedens von 1555, nicht nur einen wohl beispiellosen Protest von Seiten der universitären evangelischen Theologie, sondern blieb auch in der kirchlichen Praxis im Grunde folgenlos.98 Auf katholischer Seite sorgte es u. a. für Irritationen, dass 2020 Repräsentanten der evangelischen Kirche wie der hannoversche Landesbischof Ralf Meister den bisherigen ökumenischen Konsens, aktive Sterbehilfe abzulehnen, aufkündigten und assistierten Suizid selbst in kirchlichen Einrichtungen für vorstellbar erklärten.99

– Vor allem im Gefolge des Synodalbeschlusses der Evangelischen Kirche im Rheinland von 1980100 ist es zu einer grundsätzlichen Neubestimmung des Verhältnisses von Juden und Christen in der evangelischen Kirche gekommen. Kritik wurde vor allem an der theologischen Begründung der Preisgabe der Judenmission ge­übt.101 Erhebliche Irritationen auf jüdischer Seite lösen nach wie vor bestimmte Verlautbarungen von kirchlicher Seite zum Nahostkonflikt aus,102 die u. a. Fragen nach dem moralischen Recht deutscher Christen zur Kritik am jüdischen Staat und nach eventuellen Anfälligkeiten für linken Antisemitismus aufwerfen – Fragen, denen sich kirchliche Zeitgeschichtsforschung weiterhin widmen muss.103

– Das mit großem Aufwand und erheblicher staatlicher Unterstützung gefeierte 500. Reformationsjubiläum 2017 samt der vorangegangenen Reformationsdekade ab 2009 war durch einen regelrechten ›Hype‹ um die Person Martin Luther geprägt.104 Inhaltlich sollten vor allem zwei Ziele, ein staatspolitisches und ein kirchenpolitisches, verfolgt werden. Zum einen sollte Luther als »Vorkämpfer für Gedankenfreiheit und Zivilcourage« aufgezeigt und »in ein demokratisches Wertesystem« integriert werden, wobei zugleich »eine Heroisierung vermieden« und »die Schattenseiten des Reformators und der Reformation […] offen debattiert« werden sollten.105 Zum anderen sollte das Reformationsjubiläum »zu einem konfessionsverbindenden, ökumenischen Gedenken an die ursprüngliche religiöse Intention der Reformation« werden.106 Nachdem der theologische Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes, Thies Gundlach, scharfe Kritik an der Universitätstheologie geübt hatte, weil diese sich seiner Meinung nach zu großen Teilen von der konstruktiven Diskussion um das Reformationsjubiläum 2017 abgemeldet habe,107 konterten die Göttinger Theologieprofessoren Thomas Kaufmann und Martin Laube nicht minder scharf, Gundlach habe »[i]n seinem Bemühen, der Politik die Reformation als Erfinderin der liberalen Demokratie anzudienen, […] das Reformationsjubiläum konsequent theologisch entkernt«, und bezeichneten »die verordnete Umetikettierung« des Reformationsjubiläums »zu einem ökumenischen ›Christusfest‹« als eine »theologische Geis­terfahrt«.108 Obwohl es vordergründig um die Reformation des 16. Jh.s ging, sind die genannten Aspekte für die Kirchliche Zeitgeschichtsforschung von großer Relevanz. Es geht u. a. um die Fragen der aktuellen Aneignung und Instrumentalisierung von Geschichte, um das gegenwärtige Verhältnis von Kirche und Staat sowie von Kirche und theologischer Wissenschaft sowie um derzeitige interdisziplinäre und interkonfessionelle Verständigung.

– Für die publizistische Wirksamkeit der evangelischen Kirche über den Kreis der aktiven Mitglieder hinaus steht insbesondere »chrismon, das evangelische Magazin«. Von der EKD mit jährlich etwa vier Millionen Euro subventioniert, ging es im Jahre 2000 aus dem »Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt« hervor und erscheint seitdem monatlich mit einer Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren als rein absenderfinanziertes Supplement diverser überregionaler und regionaler Zeitungen. Es handelt sich offenbar um ein bewusst niederschwelliges Angebot an kirchliche Randsiedler und Konfessionslose, das in weiten Teilen allgemeine Lebensfragen, weltpolitische Probleme und Menschenschicksale behandelt, ohne dass ein Bezug zu Kirche und Religion ohne Weiteres erkennbar wäre, und das nicht nur traditionell kirchlich-konservativ geprägte und evangelikale Leserkreise immer mal wieder offenbar bewusst provoziert – z. B. schon dadurch, dass der Publizist Franz Alt, der den Kreuzestod Jesu leugnete,109 zu den »Ständige[n] Autoren« gehört. Es wäre eine lohnende Aufgabe der Kirchlichen Zeitgeschichtsforschung, das Magazin systematisch auf sein theologisches und politisches Profil und seine Wirkung hin zu untersuchen.

– Des Weiteren ist in unserer Mediengesellschaft danach zu fragen, welche Personen der evangelischen Kirche gewissermaßen ein Gesicht gegeben haben bzw. als Gesichter des deutschen Protestantismus wahrgenommen wurden und werden. Dabei wird man auf ganz unterschiedliche Personen stoßen, die nicht unbedingt kirchenleitende Ämter bekleideten. Das Spektrum der wissenschaftlich zu untersuchenden und zu vergleichenden Biographien reicht von dem schillernden Fernsehpfarrer Jürgen Fliege, der u. a. zwischen 1994 und 2005 eine nach ihm benannte Talkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen moderierte und sich von einem überz eugten Linksprotestanten110 zu einem Anhänger esoterischer und pseudowissenschaftlicher Heilverfahren111 und Kritiker der Corona-Schutzmaßnahmen 2020112 wandelte, über die medial außerordentlich präsente ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, die wohl als erste kirchliche Würdenträgerin auch ihr Privatleben teilweise öffentlich machte,113 bis hin zu den sich offen zum evangelischen Glauben bekennenden ostdeutschen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und Bodo Ramelow (Linkspartei).

– Vor dem Hintergrund des Traditionsabbruchs kommt dem schulischen Religionsunterricht wachsende Bedeutung zu, weil er oft der einzige Ort ist, an dem Heranwachsende noch mit Religion konfrontiert werden. Trotz grundgesetzlichem Schutz sind die in den letzten Jahrzehnten signifikant zunehmenden Diffusionserscheinungen des Religionsunterrichtes nicht zu übersehen. In einer empirischen Studie für das Rheinland und Westfalen von 2017 konstatierte die Religionspädagogin Ulrike Baumann etwa:

»Offenbar haben in den Schulen Verhältnisse zugenommen, die den offiziellen rechtlichen Grundlagen für dieses Fach nicht entsprechen. Konfessioneller Religionsunterricht nach GG Art. 7,3 findet häufig nicht statt, ohne dass die Gründe dafür immer klar zu erkennen sind.«114

Den Ursachen für die nicht selten grundgesetzwidrigen Diffusionserscheinungen müsste ebenso nachgegangen werden wie den diversen Versuchen, durch Reformen oder ganz neue Formen den schulischen Religionsunterricht zu retten bzw. zukunftstauglich zu machen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang etwa das sogenannte Brandenburger Modell »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde«, der sogenannte Hamburger Weg eines »Interreligiösen Religionsunterrichts für alle in evangelischer Verantwortung« oder verschiedene Modelle evangelisch-katholischer »Konfessioneller Kooperation (KoKo)«. Fraglich ist, ob es sich bei den zum Teil mit großer Leidenschaft geführten Debatten um den Religionsunterricht letztlich um bloße Rückzugsgefechte handelt oder ob tragfähige Lösungen gefunden werden können, um die mangelnde religiöse Sozialisation in den Familien und Kirchengemeinden noch aufzufangen.

– Im Unterschied zum Religionsunterricht, der sich auch im Bereich der Didaktik stets erneuert hat, scheinen im Bereich der kirchlichen Strukturen trotz anderslautenden Bekundungen die Reformen im Wesentlichen kaum über Einsparmaßnahmen und Effizienzverbesserungen im Bereich der Verwaltung (Neues Kirchliches Finanzmanagement) hinausgegangen zu sein. Nach dem Finanzskandal in der rheinischen Kirche um das Beihilfe- und Bezüge-Zentrum (bbz) in Bad Dürkheim legte die von der Landessynode eingesetzte Kommission unter der Leitung Reinhard Höppners 2013 z. B. einen Bericht vor, in dem grundlegende Reformen empfohlen wurden, etwa die Einrichtung eines »eigenen Synodalvorstand[es] (Präsidium)« im Gegenüber zur Kirchenleitung.115 Umgesetzt wurden solche Empfehlungen bislang nicht. Auch die in aller Regel mehr historisch als theologisch zu legitimierenden landeskirchlichen Strukturen, die teilweise noch immer die Kleinstaaterei des Deutschen Reiches bzw. Bundes früherer Jahrhunderte abbilden und bei einem Umzug nicht selten zu einer merkwürdigen »Möbelwagenkonversion« führen, erweisen sich zumindest im Westen Deutschlands als erstaunlich stabil. Strukturelle kirchliche Reformbestrebungen und vermeintlicher oder tatsächlicher Reformstau wären ein weiterer lohnender Untersuchungsgegenstand kirchlicher Zeitgeschichtsforschung.

– Während die in den letzten Jahren bekannt gewordenen Fälle sexuellen Missbrauchs häufig insbesondere als ein Problem der katholischen Kirche und ihrer rigiden Sexualmoral angesehen worden sind, zeigt etwa das Beispiel des ehemaligen Leiters der reformpädagogischen Odenwaldschule, des evangelischen Theologen Gerold Becker, der u. a. Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentages und der EKD-Bildungskammer war, dass Pädokriminalität sich auch in einem erklärtermaßen progressiven protestantischen Milieu entwickeln konnte. Die EKD richtete u. a. in Hannover eine Fachstelle »Sexualisierte Gewalt« ein, die im Juli 2020 ihre Arbeit aufnahm.116 Auch zum Thema sexueller Missbrauch im protestantischen Milieu steht eine gründliche historische Erforschung noch aus.

– Schließlich müssten die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das kirchliche Leben untersucht werden. Bereits ein flüchtiger Blick auf die Homepages der Kirchengemeinden zeigt, wie unter-schiedlich auf die Herausforderungen reagiert wurde – von weitgehendem Stillstand bis hin zu vielfältigen kreativen Ideen

Fussnoten:

1) Ian Kershaw/Timothy Snyder, Vierzehn Millionen Opfer waren nicht überraschend. Interview, in: FAZ 22.09.2012 (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/ian-kershaw-und-timothy-snyder-im-gespraech-vierzehn-millionen-opfer-waren-nicht-ueberraschend-11894841.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 [zuletzt aufgerufen am 19.10.2020]).
2) Wolf-Dieter Hauschild, Zeitgeschichte, Kirchliche, in: TRE 36 (2004), 554–561, hier: 555.
3) Hans Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, in: VZG 1 (1953), 1–8, hier: 1.
4) A. a. O., 2.
5) Wolf-Dieter Hauschild, Grundprobleme der Kirchlichen Zeitgeschichte, in: Ders., Konfliktgemeinschaft Kirche. Aufsätze zur Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland (AKZG. B 40), Göttingen 2004, 15–72, hier: 39.
6) Vgl. Rothfels, Zeitgeschichte (s. Anm. 3), 6 f.
7) Vgl. Hauschild, Grundprobleme (s. Anm. 5), 70.
8) Wolf-Dieter Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 2: Reformation und Neuzeit, Gütersloh 1999, 906.
9) Zu den grundsätzlichen Differenzen zwischen allgemeinhistorischer, katholischer und protestantischer Zeitgeschichtsschreibung vgl. u. a. Kurt Nowak, Allgemeine Zeitgeschichte und kirchliche Zeitgeschichte. Überlegungen zur Integration historiographischer Teilmilieus, in: Anselm Doering-Manteuffel/Kurt Nowak (Hgg.), Kirchliche Zeitgeschichte. Urteilsbildung und Methoden (KoGe 8), Stuttgart 1996, 60–78, hier besonders: 60–66.
10) Zum ganzen Abschnitt vgl. Thomas Martin Schneider, Akteure der Kirchlichen Zeitgeschichte – evangelisch, in: Thomas Brechenmacher/Frank Kleinehagenbrock/Claudia Lepp/Harry Oelke (Hgg.), Kirchliche Zeitgeschichte. Bilanz – Fragen – Perspektiven (AKZG.B 83), Göttingen 2021, 115–135.
11) Christiane Kuller/Thomas Mittmann, »Kirchenkampf« und »Societas perfecta«. Die christlichen Kirchen und ihre NS-Vergangenheit, in: Zeitgeschichte-online, Dezember 2014 (https://zeitgeschichte-online.de/themen/kir­chen­kampf-und-societas-perfecta – [Zugriff: 22.10.2020]).
12) Vgl. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, Sammlung Wilhelm Niemöller (http://d-nb.info/gnd/1022412590 – [Zugriff: 22.10.2020]).
13) Robert P. Ericksen, Wilhelm Niemöller and the Historiography of the Kirchenkampf, in: Manfred Gailus/Hartmut Lehmann (Hgg.), Nationalprotestantische Mentalitäten. Konturen, Entwicklungslinien und Umbrüche eines Weltbildes (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 214), Göttingen 2005, 433–451, hier: 448.
14) Kuller/Mittmann, Kirchenkampf (s. Anm. 11).
15) Norbert Friedrich, Zur Entwicklung des Protestantismus nach dem Krieg. Das Beispiel Westfalen, in: Manfred Gailus/Wolfgang Krogel (Hgg.), Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche im Nationalen. Regionalstudien zu Protestantismus, Nationalsozialismus und Nachkriegsgeschichte, Berlin 2006, 265–280, hier: 273. Vgl. auch Benjamin Ziemann, Martin Niemöller. Ein Leben in Opposition, München 2019, 15.
16) Vgl. Kuller/Mittmann, Kirchenkampf (s. Anm. 11).
17) Wilhelm Niemöller, Kampf und Zeugnis der Bekennenden Kirche, Bielefeld 1948, 9 (zitiert nach Ericksen, Niemöller [s. Anm. 13], 441).
18) Vgl. Friedrich, Entwicklung (s. Anm. 15), 266 f.
19) Vgl. a. a. O., 278.
20) Friedrich Baumgärtel, Wider die Kirchenkampflegenden, Neuendettelsau 1958 (2. erweiterte Auflage 1959; 31976 – hier benutzt), 59.
21) A. a. O., 30.
22) Vgl. etwa a. a. O., 58 f. und 67.
23) A. a. O., 22.
24) Vgl. Vicco von Bülow, Otto Weber (1902–1966). Reformierter Theologe und Kirchenpolitiker (AKZG. B 34), Göttingen 1999, 193 f. Joachim Mehlhausen, Zur Methode kirchlicher Zeitgeschichtsforschung, in: EvTh 48 (1988), 508–521, hier: 511, Anm. 10, wies auf eine problematische – antijudaistische – Streitschrift Baumgärtels gegen Dietrich Bonhoeffer aus dem Jahre 1936 hin (Friedrich Baumgärtel, Die Kirche ist Eine – die alttestamentlich-jüdische Kirche und die Kirche Jesu Christi?, Greifswald 1936), die wohl ein weiterer Beleg für die – auch – apologetische Intention des Buches Baumgärtel, Kirchenkampflegenden (s. Anm. 20), ist.
25) Vgl. Baumgärtel, Kirchenkampflegenden (s. Anm. 20), 45.
26) A. a. O., 57.
27) Ebd.
28) Trutz Rendtorff, Karl Barth und die Neuzeit. Fragen zur Barth-Forschung, in: EvTh 46 (1986), 298–314; Friedrich Wilhelm Graf, »Der Götze wackelt«? Erste Überlegungen zu Karl Barths Liberalismuskritik, in: EvTh 46 (1986), 422–441.
29) Schreiben Wilhelm Niemöllers an den Herausgeber des Deutschen Pfarrerblattes, abgedruckt in: Baumgärtel, Kirchenkampflegenden (s. Anm. 20), 17–21, hier: 18.
30) A. a. O., 61.
31) A. a. O., 63; vgl. auch 65.
32) Vgl. u. a.: Carsten Nicolaisen, Zwischen Theologie und Geschichte. Zur kirchlichen Zeitgeschichte heute, in: Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte. Mitteilungen 11 (Januar 1991), 41–54 (= EvErz 42 [1990], 410–419); Jochen-Christoph Kaiser, Wissenschaftspolitik in der Kirche. Zur Entstehung der »Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes in der nationalsozialistischen Zeit«, in: Doering-Manteuffel/Nowak (Hgg.), Zeitgeschichte (s. Anm. 9), 125–163; Ders., Forschungsaufgaben im Bereich der Kirchlichen Zeitgeschichte, in: Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte. Mitteilungen 20 (2002), 27–42; Hauschild, Grundprobleme (s. Anm. 5); Ders., Zeitgeschichte (s. Anm. 2); Jens Holger Schjørring, 50 Jahre Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte. Aspekte einer historischen Rückschau und Bestandsaufnahme aus internationaler Perspektive, in: Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte. Mitteilungen 24 (2006), 7–27; Kuller/Mittmann, Kirchenkampf (s. Anm. 11). Auf Forschungen außerhalb der Kommission bzw. der Arbeitsgemeinschaft wird hier aus Platzgründen nicht weiter eingegangen. Zu nennen wären insbesondere die unvollständig gebliebene Gesamtdarstellung des Tübinger Kirchenhistorikers Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen: 1918–1934, Frankfurt a. M./Berlin 32000; Bd. 2: Das Jahr der Ernüchterung 1934. Barmen und Rom, Berlin 1985 (dazu quasi als Bd. 3: Gerhard Besier, Die Kirchen und das Dritte Reich. Spaltungen und Abwehrkämpfe 1934–1937, Berlin/München 2001), und die dreibändige Gesamtdarstellung des Leipziger Kirchenhistorikers Kurt Meier, Der evangelische Kirchenkampf, 3 Bde., Halle (Saale) und Göttingen 1976–1984. Scholder war allerdings von 1975 bis zu seinem frühen Tod 1985 stellver- tretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft (vgl. die Homepage der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft: https://www.kirchliche-zeitgeschichte.info [Zugriff: 22.10.2020], Personen/Vorsitz), und Carsten Nicolaisen wies darauf hin, dass Meier der von Kurt Dietrich Schmidt entwickelten Konzeption (vgl. dazu unten im Text) verpflichtet gewesen sei, »besonders hinsichtlich der breit angelegten Exkurse über die Entwicklung in den einzelnen Landeskirchen« (Nicolaisen, Theologie [s. Anm. 32], 45).
33) Kaiser, Wissenschaftspolitik (s. Anm. 32), 153 f., bezeichnete Schmidt offenbar irrtümlich als »Historiker der Alten Kirche«. So auch Christiane Kuller, die zudem behauptete, Schmidt sei »nicht Mitglied der Bekennenden Kirche gewesen« (Kuller/Mittmann, Kirchenkampf [s. Anm. 11]). Vgl. dagegen aber u. a. Carsten Nicolaisen, Schmidt, Kurt Dietrich, in: NDB 23 (2007), 204 f., hier: 204.
34) Vgl. Nicolaisen, Theologie (s. Anm. 32), 44. Vgl. auch das Vorwort der Herausgeber in: Otto Diehn, Bibliographie zur Geschichte des Kirchenkampfes 1933–1945 (AGK 1), Göttingen 1958, 5 f.
35) Kuller/Mittmann, Kirchenkampf (s. Anm. 11).
36) Kaiser, Forschungsaufgaben (s. Anm. 32), 37. Vgl. auch Kuller/Mittmann, Kirchenkampf (s. Anm. 11), Abschnitt 3.
37) Schjørring, Jahre (s. Anm. 32).
38) Zitiert nach: https://www.kirchliche-zeitgeschichte.info [Zugriff: 22.10.2020], Geschichte.
39) Zu den aktuellen Mitgliedern der Kommission vgl. a. a. O., Personen/Kommission.
40) Vgl. zu den bisher genannten und weiteren Publikationen a. a. O., Publikationen.
41) Vgl. die Online-Ausstellung: Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus (auch als englische Version): http://evangelischer-widerstand.de [Zugriff: 22.10.2020].
42) Harry Oelke, Zum akademischen Gedenken an Carsten Nicolaisen, in: MKiZ 12 (2018), 139–144, hier: 144. Vgl. auch das Schriftenverzeichnis Carsten Nicolaisen, in: Joachim Mehlhausen (Hg.), … und über Barmen hinaus. Studien zur Kirchlichen Zeitgeschichte. FS Carsten Nicolaisen (AKZG. B 23), Göttingen 1995, 635–639, sowie Karl-Heinz Fix, Bibliographie Carsten Nicolaisen 1997 bis 2017 mit Nachträgen aus früheren Jahren, in: MKiZ 12 (2018), 145–154.
43) Gerhard Besier u. a., Einführung der Herausgeber, in: KZG 1 (1988), 3–6, hier: 5.
44) Anselm Doering-Manteuffel u. a., Vorwort, in: Jochen-Christoph Kaiser/Martin Greschat (Hgg.), Der Holocaust und die Protestanten (KoGe 1), Frankfurt a. M. 1988, VII f.
45) Vgl. hierzu u. a.: Doering-Manteuffel/Nowak (Hgg.), Zeitgeschichte (s. Anm. 9); Gerhard Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte 56), München 2000, 80–126; Kurt Nowak, Kirchliche Zeitgeschichte interdisziplinär. Beiträge 1984–2011, hg. von Jochen-Christoph Kaiser (KoGe 25), Stuttgart 2002, 433–473; Hauschild, Grundprobleme (s. Anm. 5); Ders., Zeitgeschichte (s. Anm. 2); Martin Greschat, Kirchliche Zeitgeschichte. Versuch einer Orientierung (ThLZ.F 16), Leipzig 2005.
46) Hauschild, Zeitgeschichte (s. Anm. 2), 558 f.
47) A. a. O., 558.
48) A. a. O., 559.
49) Vgl. Mehlhausen, Methode (s. Anm. 24).
50) Vgl. zum Folgenden insgesamt: Thomas Martin Schneider/Jörg Seiler, Aspekte zur Erforschung der kirchlichen Zeitgeschichte nach 1989, in: ThLZ 138 (2013), 761–788.
51) Vgl. Joachim Mehlhausen, Nationalsozialismus und Kirchen, in: TRE 24 (1994), 43–78.
52) Vgl. auch die Einschätzung von Kurt Meier, Kirchenkampfgeschichtsschreibung, in: ThR N.F. 46 (1981), 19–57; 101–148; 237–275, hier: 29.
53) Vgl. Hartmut Fritz, Otto Dibelius. Ein Kirchenmann in der Zeit zwischen Monarchie und Diktatur (AKZG. B 27), Göttingen 1998; Christoph Weiling, Die »Christlich-deutsche Bewegung«. Eine Studie zum konservativen Protestantismus in der Weimarer Republik (AKZG. B 28), Göttingen 1998; Harry Oelke, Hanns Lilje. Ein Lutheraner in der Weimarer Republik und im Kirchenkampf, Stuttgart 1999; Gury Schneider-Ludorff, Magdalene von Tiling. Ordnungstheologie und Geschlechtsbeziehungen. Ein Beitrag zum Gesellschaftsverständnis des Protes-tantismus in der Weimarer Republik (AKZG. B 35), Göttingen 2001; André Fischer, Zwischen Zeugnis und Zeitgeist. Die politische Theologie von Paul Althaus in der Weimarer Republik (AKZG. B 55), Göttingen 2012; Henning Bühmann, Die Stunde der Volksmission. Rechristianisierungsbestrebungen im deutschen Protestantismus der Zwischenkriegszeit (AKZG. B 73), Göttingen 2020.
54) Vgl. Anke Silomon, Synode und SED-Staat. Die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987 (AKZG. B 24), Göttingen 1997; Peter Beier, Die »Sonderkonten Kirchenfragen«. Sachleistungen und Geldzuwendungen an Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter als Mittel der DDR-Kirchenpolitik (1955–1989/90) (AKZG. B 25), Göttingen 1997; Ders., Missionarische Gemeinde in sozialistischer Umwelt. Die Kirchentagskongreßarbeit in Sachsen im Kontext der SED-Kirchenpolitik (1968–1975) (AKZG. B 32), Göttingen 1999; Anke Silomon, »Schwerter zu Pflugscharen« und die DDR. Die Friedensarbeit der evangelischen Kirchen in der DDR im Rahmen der Friedensdekaden 1980 bis 1982 (AKZG. B 33), Göttingen 1999; Georg Wilhelm, Die Diktaturen und die evangelische Kirche. Totaler Machtanspruch und kirchliche Antwort am Beispiel Leipzigs 1933–1958 (AKZG. B 39), Göttingen 2004; Michael Kühne (Bearb.), Die Protokolle der Konferenz der evangelischen Landeskirchen in der Sowjetischen Besatzungszone 1945–1949 (AKZG. A 9), Göttingen 2005; Harald Schultze (Bearb.), Berichte der Magdeburger Kirchenleitung zu den Tagungen der Provinzialsynode 1946–1989 (AKZG. A 10), Göttingen 2005; Jens Bulisch, Evangelische Presse in der DDR. »Die Zeichen der Zeit« (1947–1990) (AKZG. B 43), Göttingen 2006; Cornelia von Ruthendorf-Przewoski, Der Prager Frühling und die evangelischen Kirchen in der DDR (AKZG. B 60), Göttingen 2015; Birge-Dorothea Pelz, Revolution auf der Kanzel. Politischer Gehalt und theologische Geschichtsdeutung in evangelischen Predigten während der deutschen Vereinigung 1989/90 (AKZG. B 68), Göttingen 2018.
55) Gerhard Besier/Stefan Wolf (Hgg.), »Pfarrer, Christen und Katholiken«. Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirchen (Historisch-Theologische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert [Quellen], Bd. 1), Neukirchen-Vluyn 1991 (2., durchgesehene und um weitere Dokumente vermehrte Auflage 1992); Gerhard Besier, Der SED-Staat und die Kirche [Bd. 1:] 1945–1969. Der Weg in die Anpassung, München 1993; [Bd. 2:] 1969–1990. Die Vision vom »dritten Weg«, Berlin 1995; [Bd. 3:] 1983–1991. Höhenflug und Absturz, Berlin 1995.
56) Vgl. hierzu Siegfried Hermle, Tendenzen Kirchlicher Zeitgeschichte, in: VuF 50 (2005), Heft 1/2, 69–88, hier: 83.
57) Vgl. Dirk Palm, »Wir sind doch Brüder«. Der evangelische Kirchentag und die deutsche Frage 1949–1961 (AKZG. B 36), Göttingen 2002; Peter Beier, »Kirchwerdung« im Zeichen der deutschen Teilung. Die Verfassungsreform von EKD und BEK als Anfrage an ihre »besondere Gemeinschaft« (AKZG. B 37), Göttingen 2004; Claudia Lepp, Tabu der Einheit? Die Ost-West-Gemeinschaft der evangelischen Christen und die deutsche Teilung (1945–1969) (AKZG. B 42), Göttingen 2005; Karoline Rittberger-Klas, Kirchenpartnerschaft im geteilten Deutschland. Am Beispiel der Landeskirchen Württemberg und Thüringen (AKZG. B 44), Göttingen 2006; Anke Silomon, Anspruch und Wirklichkeit der »besonderen Gemeinschaft«. Der Ost-West-Dialog der deutschen evangelischen Kirchen 1969–1991 (AKZG. B 45), Göttingen 2006; Katharina Kunter, Erfüllte Hoffnungen und zerbrochene Träume. Evangelische Kirche in Deutschland im Spannungsfeld von Demokratie und Sozialismus (1980–1993) (AKZG. B 46), Göttingen 2006; Peter Paul Schwarz, Mitöffentlichkeit. Zur deutsch-deutschen Arbeit der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg (AKZG. B 69), Göttingen 2018.
58) Vgl. Siegfried Hermle/Claudia Lepp/Harry Oelke (Hgg.), Umbrüche. Der deutsche Protestantismus und die sozialen Bewegungen in den 1960er und 70er Jahren (AKZG. B 47), Göttingen 2007 (22012); Klaus Fitschen/Siegfried Hermle/Katharina Kunter/Claudia Lepp/Antje Roggenkamp-Kaufmann (Hgg.), Die Politisierung des Protestantismus. Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland während der 1960er und 70er Jahre (AKZG. B 52), Göttingen 2011; Alexander Christian Widmann, Wandel mit Gewalt? Der deutsche Protestantismus und die politisch motivierte Gewaltanwendung in den 1960er und 1970er Jahren (AKZG. B 56), Göttingen 2013; Claudia Lepp/Harry Oelke/Detlef Pollack (Hgg.), Religion und Lebensführung im Umbruch der langen 1960er Jahre (AKZG. B 65), Göttingen 2016; Luise Schramm, Evangelische Kirche und Anti-AKW-Bewegung. Das Beispiel der Hamburger Initiative kirchlicher Mitarbeiter und Gewaltfreie Aktion im Konflikt um das AKW Brokdorf 1976–1981 (AKZG. B 70), Göttingen 2018.
59) Vgl. »Ihr Ende schaut an …«. Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, hgg. von Harald Schultze/Andreas Kurschat unter Mitarbeit von Claudia Bendick, Leipzig 2006 (22008); Berndt Hamm/Harry Oelke/Gury Schneider-Ludorff (Hgg.), Spielräume des Handelns und der Erinnerung. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und der Nationalsozialismus (AKZG. B 50), Göttingen 2010; Siegfried Hermle/Dagmar Pöpping (Hgg.), Zwischen Verklärung und Verurteilung. Phasen der Rezeption des evangelischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus nach 1945 (AKZG. B 67), Göttingen 2017.
60) Vgl. Helga Kuhlmann, Protestantismus, Frauenbewegung und Frauen-ordination, in: Hermle/Lepp/Oelke (Hgg.), Umbrüche (s. Anm. 58), 147–162.
61) Vgl. u. a. Siegfried Hermle, Evangelische Kirche und Judentum – Stationen nach 1945 (AKZG. B 16), Göttingen 1990.
62) Vgl. Hartmut Rudolph, Evangelische Kirche und Vertriebene 1945 bis 1972, Bd. I: Kirchen ohne Land. Die Aufnahme von Pfarrern und Gemeindegliedern aus dem Osten im westlichen Nachkriegsdeutschland: Nothilfe – Seelsorge – kirchliche Eingliederung; Bd. II: Kirche in der neuen Heimat. Vertriebenenseelsorge – politische Diakonie – das Erbe der Ostkirchen (AKZG. B 11–12), Göttingen 1984/1985; Felix Teuchert, Die verlorene Gemeinschaft. Der Protestantismus und die Integration der Vertriebenen in die westdeutsche Gesellschaft (1945–1972) (AKZG. B 72), Göttingen 2018.
63) Vgl. Katharina Kunter/Jens Holger Schjørring (Hgg.), Europäisches und Globales Christentum/European and Global Christianity. Herausforderungen und Transformationen im 20. Jahrhundert/Challenges and Transformations in the 20th Century (AKZG. B 54), Göttingen 2011; Katharina Kunter/Annegreth Schilling (Hgg.), Globalisierung der Kirchen. Der Ökumenische Rat der Kirchen und die Entdeckung der Dritten Welt in den 1960er und 1970er Jahren (AKZG. B 58), Göttingen 2014; Annegreth Schilling, Revolution, Exil und Befreiung. Der Boom des lateinamerikanischen Protestantismus in der internationalen Ökumene in den 1960er und 1970er Jahren (AKZG. B 63), Göttingen 2016; Andreas Gestrich/Siegfried Hermle/Dagmar Pöpping (Hgg.), Evangelisch und deutsch? Auslandsgemeinden im 20. Jahrhundert zwischen Nationalprotestantismus, Volkstumspolitik und Ökumene (AKZG. B 79), Göttingen 2021.
64) Vgl. dazu etwa Kuller/Mittmann, Kirchenkampf (s. Anm. 11), Abschnitt 3.
65) Zitiert nach Greschat, Zeitgeschichte (s. Anm. 45), 89.
66) Vgl. dazu u. a. Albrecht Beutel, Vom Nutzen und Nachteil der Kirchengeschichte, in: ZThK 94 (1997), 84–110; Nowak, Zeitgeschichte interdisziplinär (s. Anm. 45), 445–473; Klaus Fitschen, Profane Kirchengeschichte? Ortsbestimmung einer theologischen Disziplin, in: MEKGR 60 (2011), 402–408; aus katholischer Perspektive: Hubert Wolf/Jörg Seiler, Kirchen- und Religionsgeschichte, in: Michael Maurer (Hg.), Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 3: Sektoren, Stuttgart 2004, 238–271.
67) Vgl. Ordnung der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte vom 23. Januar 2003, in: Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heft 6, 2003, 156 f., § 1 und 4.
68) Vgl. a. a. O., § 4.
69) Um zwei aktuelle Beispiele zu nennen: Die 2016 erschienene, breit angelegte Studie zur Geschichte der evangelischen Kirche der Pfalz im »Dritten Reich«, von der Kirche selbst in Auftrag gegeben (Christoph Picker/Gabriele Stüber/Klaus Bümlein/Frank-Matthias Hofmann [Hgg.], Protestanten ohne Protest. Die evangelische Kirche der Pfalz im Nationalsozialismus, Bd. 1: Sachbeiträge; Bd. 2: Kurzbiographien. Anhang, Speyer 2016), und die 2019 erschienene große Nie­möller-Biographie des Sheffielder Allgemeinhistorikers Benjamin Ziemann (Ziemann, Niemöller [s. Anm. 15]) bemühen sich in verdienstvoller Weise um schonungslose Aufklärung und Entmythologisierung. Beide Publikationen bleiben aber insofern unbefriedigend, als sie theologiegeschichtliche Aspekte ausdrücklich nahezu gänzlich aussparen. Unterstellt man, dass besonders auch theologische Aspekte den Kurs einer Kirche und ihrer Amtsträger maßgeblich prägen bzw. prägen sollten, so hätte man doch gerade auch hier ansetzen müssen. Im Übrigen ist natürlich auch das Ziel schonungsloser Aufklärung keineswegs gefeit vor dem Vorwurf, man verfolge aktuelle geschichtspolitische In­teressen. Vgl. auch die Rezensionen von Thomas Martin Schneider, in: ZBKG 85 (2016), 280–283, bzw. ZBKG 88 (2019), 257–260.
70) Vgl. dazu auch unten unter Punkt III 3.
71) Vgl. Hamm/Oelke/Schneider-Ludorff, Spielräume (s. Anm. 59).
72) Vgl. etwa die ursprünglich für den 30.–31. Oktober 2020 geplante Ta-gung der Evangelischen Akademie der Pfalz in Speyer: »Ist das Geschichte oder kann das weg? Zum Umgang mit unbequemen Relikten der Vergangenheit« (https://www.eapfalz.de/fileadmin/images/evangelische-akademie/Programm-Veranstaltungen/Flyer_Ist_das_Geschichte_oder_kann_das_weg.pdf – Zugriff: 12.01.2021), die dann in verkürzter Form online stattfand.
73) Z. B. Bernd Lucke, Frauke Petry, Beatrix von Storch.
74) Vgl. Wolfgang Thielmann (Hg.), Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion, Neukirchen-Vluyn 2017.
75) Vgl. https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/09-TOP-IX-b-Prozess-zur-Neuorientierung-Finanzstrategie.pdf – Zugriff: 09.11.2020. Geplant ist demnach: »Ausbringung k.w.-Vermerke an allen Stellen der Arbeitsstelle im Stellenplan der EKD ab HH 2021«. Allerdings ist ein schmales Restbudget für die Suche nach »Trägeralternativen« vorgesehen.
76) Brechenmacher/Kleinehagenbrock/Lepp/Oelke, Zeitgeschichte (s. Anm. 10).
77) Hauschild, Grundprobleme (s. Anm. 5), 48.
78) Vgl. etwa Karsten Krampitz, »Jedermann sei untertan«. Deutscher Protes-tantismus im 20. Jahrhundert, Aschaffenburg 2017; dazu die Rezension von Thomas Martin Schneider, in: ThLZ 143 (2018), 645 f.
79) Vgl. Anm. 75.
80) Hauschild, Grundprobleme (s. Anm. 5), 48.
81) Vgl. Joachim Eicken/Ansgar Schmitz-Veltin, Die Entwicklung der Kirchenmitglieder in Deutschland. Statistische Anmerkungen zu Umfang und Ursachen des Mitgliederrückgangs in den beiden christlichen Volkskirchen, in: Statistisches Bundesamt. Wirtschaft und Statistik 6/2010, 576–589 (auch online: https://www.destatis.de/DE/Methoden/WISTA-Wirtschaft-und-Statistik/ 2010/06/entwicklung-kirchenmitglieder-062010.pdf?__blob=publicationFile – Zugriff: 06.10.2020) sowie die aktuelle EKD-Statistik vom Juni 2020: Kirchenmitgliederzahlen Stand 31.12.2019 – Kurztabellen –: www.ekd.de/ ekd_de/ds_doc/Bericht_KiMi_2019_Kurzbericht.pdf (Zugriff: 07.10.2020).
82) Vgl. Eicken/Schmitz-Veltin, Entwicklung (s. Anm. 81).
83) Vgl. Peter Maser, Glauben im Sozialismus. Kirchen und Religionsgemeinschaften in der DDR, Berlin 1989, 13–20.
84) 2011 waren es 3,7 %. Vgl. Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis. V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Hannover 2014, 53.
85) EKD-Broschüre: Gezählt 2020. Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben, Hannover 2020 (auch online: www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/Gezaehlt_zahlen _und_fakten_2020.pdf – Zugriff: 06.10.2020).
86) Bislang liegt im Wesentlichen eine populärwissenschaftliche Zusammenfassung der Ergebnisse als Broschüre vor: Kirche im Umbruch. Zwischen demographischem Wandel und nachlassender Kirchenverbundenheit. Eine langfristige Projektion der Kirchenmitglieder und des Kirchensteueraufkommens der Universität Freiburg in Verbindung mit der EKD, Hannover 2019. Ein Factsheet ist zudem abrufbar unter: https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/projektion-2060-ekd-vdd-factsheet-2019.pdf (Zugriff: 06.10.2020).
87) Vgl. EKD-Statistik vom Juni 2020 (s. Anm. 81).
88) Vgl. V. EKD-Erhebung (s. Anm. 84), 48.
89) Kirche und Jugend. Lebenslagen, Begegnungsfelder, Perspektiven. Eine Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gütersloh 2010, 76 f.
90) Vgl. Wolf-Dieter Hauschild, Kontinuität im Wandel. Die Evangelische Kirche in Deutschland und die sog. 68er Bewegung, in: Bernd Hey/Volkmar Wittmütz (Hgg.), 1968 und die Kirchen, Bielefeld 2008, 35–54, hier: 46.
91) A. a. O., 40–42.
92) Kurt Nowak, Protestantismus und Demokratie in Deutschland. Aspekte der politischen Moderne, in: Martin Greschat/Jochen-Christoph Kaiser (Hgg.), Christentum und Demokratie im 20. Jahrhundert, Stuttgart/Berlin/Köln 1992, 1–18, hier 12.
93) Zur allmählichen Entfremdung zwischen dem protestantischen Tradi-tionsstrang des Liberalismus und der evangelischen Kirche vgl. etwa die gelehrte Studie zu dem gläubigen Lutheraner Theodor Heuss und seinem Verhältnis zu den Kirchen: Kristian Buchna, Im Schatten des Antiklerikalismus. Theodor Heuss, der Liberalismus und die Kirchen (Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus. Kleine Reihe 33), Stuttgart 2016.
94) Evangelische Kirche im Rheinland, Friedenswort 2018 »Auf dem Weg zum gerechten Frieden« anlässlich des Endes des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren (https://www.ekir.de/www/downloads/DS28FriedenswortEKiR2018.pdf – Zugriff: 12.01.2021), Punkt 6.
95) Anmerkungen der Kommission der Evangelischen Kirche im Rheinland für Kirchengeschichte zum »Friedenswort 2018 […]« vom 12. April 2019 (unveröffentlicht).
96) Helmut Schmidt, Als Christ in der politischen Entscheidung, Gütersloh 1976, 63.
97) Vgl. hierzu: Klaus Fitschen, Liebe zwischen Männern? Der deutsche Protes-tantismus und das Thema Homosexualität (CuZ 3), Leipzig 2018.
98) Eine knappe Darstellung und kritische Bewertung der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der »Gemeinsamen Erklärung« findet sich bei Johannes Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation, Tübingen 72012, 320–324.
99) Ralf Meister, »Sterbehilfe in kirchlichen Einrichtungen ist vorstellbar!« Interview mit Merle Schmalenbach, in: Christ & Welt, 26.08.2020 (www.zeit.de/ 2020/36/ralf-meister-bischof-sterbehilfe-kirche-tabu – Zugriff: 09.11.2020). Zur Kritik an Meisters Haltung von katholischer Seite vgl. u. a.: https://www.katholisch.de/artikel/26672-katholische-bischoefe-kritisieren-landesbischof-in-suizid-debatte (Zugriff am 09.11.2020).
100) Abgedruckt u. a. in: Rolf Rendtorff/Hans Hermann Henrix (Hgg.), Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945–1985, Paderborn und München 21989, 593–596.
101) Vgl. etwa den Leserbrief des Mainzer Systematikers Walter Dietz, in: FAZ vom 16. Mai 2009, 9. Vgl. etwa auch schon die kritische Stellungnahme von 13 Bonner Theologieprofessoren von 1980, abgedruckt u. a. in: KTGQ V (1999), 310–312.
102) Vgl. etwa die Einleitung zur Gottesdienst-Arbeitshilfe der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Thema »70 Jahre Staat Israel« von 2018 (file:///C:/ Users/thschnei/AppData/Local/Temp/Arbeitshilfe_70_Jahre_Staat_Israel.pdf – Zugriff: 06.01.2021), die dazu führte, dass der Vorstand des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein eine geplante gemeinsame Israelreise mit der rheinischen Kirchenleitung kurzfristig absagte (https://presse.ekir.de/presse/ C41AA0C0B5474F93A8A1EAAC83D9F25A/reise-nach-israel-kirche-bedauert-absage-durch-juedischen-landesverband – Zugriff: 06.01.2021).
103) Für die unmittelbare Nachkriegszeit vgl. Gerhard Gronauer, Der Staat Israel im westdeutschen Protestantismus. Wahrnehmungen in Kirche und Publizistik von 1948 bis 1972 (AKZG. B 57), Göttingen 2013.
104) Vgl. zum ganzen Abschnitt: Thomas Martin Schneider, Nachlese zum Reformationsjubiläum 2017, in: KJ 145 (2018), 197–214.
105) Reformationsjubiläum 2017. Rückblicke, hg. von der Staatlichen Geschäftsstelle »Luther 2017« und der Geschäftsstelle der EKD »Luther 2017 – 500 Jahre Reformation«, Leipzig 2018, 332.
106) A. a. O., 334.
107) Thies Gundlach, Perspektiven vermisst. Die akademische Theologie verstolpert das Reformationsjubiläum, in: zeitzeichen 3/2017, 47–49.
108) Thomas Kaufmann/Martin Laube, So nicht! Die EKD hat die Reformation theologisch entkernt, in: zeitzeichen 4/2017, 20–22.
109) Franz Alt, Jesus – der erste neue Mann, München 101992, 56. Alt beruft sich in diesem Buch (a. a. O., 48) auf Johannes Müller, Elmau, den Georg Merz mit guten Gründen »eine Art Kirchenlehrer deutschchristlicher Kreise« nannte (Georg Merz, Müller, Johannes, in: RGG3 IV, 1170 f., hier: 1170).
110) Vgl. etwa das von Jürgen Fliege gemeinsam mit Peter Beier, Armin Juhre und Lothar Steiger verfasste Plakat: Barmer Thesen – Kommentar ’70. Ein Flugblatt, Wuppertal-Barmen 1970. Vgl. hierzu: Thomas Martin Schneider, Zwischen historischem Dokument und Bekenntnis. 75 Jahre Barmer Theologische Erklärung, in: PTh 98 (2009), 138–156, hier: 149–154.
111) www.welt.de/kultur/article13541241/Juergen-Fliege-Essenz-bringt-dem-Hersteller-Segen.html (Zugriff: 20.10.2020).
112) www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-corona-demo-theresienwiese-juergen-fliege-1.5028800 (Zugriff: 20.10.2020).
113) Vgl. etwa diverse Artikel über Käßmann in der sogenannten Yellow-Press, wie dem Magazin »Die Bunte«.
114) Ulrike Baumann, Hinführung: Von der Problemwahrnehmung zur Durchführung eines empirischen Forschungsprojekts, in: Martin Rothgangel/ Christhard Lück/Philipp Klutz (Hgg.), Praxis Religionsunterricht. Einstellungen, Wahrnehmungen und Präferenzen von ReligionslehrerInnen (Religionspädagogik innovativ 10), Stuttgart 2017, 9 f., hier: 9.
115) Bericht der [Höppner-]Kommission gemäß Beschluss Nr. 38 der Landessynode 2012 an die Landessynode 2013 der Evangelischen Kirche im Rheinland (https://www.ekir.de/www/downloads/Abschlussbericht_Kommission.pdf – Zugriff: 20.10.2020), hier: 12.
116) https://www.ekd.de/fachstelle-sexualisierte-gewalt-57194.htm (Zugriff: 21.10.2020).
117) Hartmut Löwe, Das Schweigen der Bischöfe zu Corona, in: FAZ 13.05.2020, 8.
118) https://www.idea.de/frei-kirchen/detail/corona-ratsvorsitzender-kritisiert-berichterstattung-113130.html (Zugriff: 21.10.2020).