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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1250-1252

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Korsch, Dietrich

Titel/Untertitel:

Mit der Theologie anfangen. Orientierungen für das Studium.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck (UTB) 2020. XIII, 270 S. Kart. EUR 19,00. ISBN 9783825254711.

Rezensent:

Patrick Ebert

Mit diesem Buch verfolgt der Systematiker Dietrich Korsch die Absicht, »am Anfang des Studiums eine Orientierung über die Landschaft zu geben, in der sich diejenigen bewegen, die das Studium aufnehmen, und eine Perspektive zu entwerfen, in der sie ihren eigenen Weg gehen können« (V). Diese Orientierung und Perspektive für das Studium der Theologie, das K. als Bildungsvorgang versteht, soll dabei in fünf Abschnitten gegeben werden.
Das erste Kapitel unternimmt eine Ortsbestimmung theologischen Nachdenkens und beginnt mit der Verbindung von Theologie und Bildung (1–14). Unter Bildung versteht K. die »selbstbewußte Vermittlung von Selbst und Welt« (2) und fasst damit das dem Buch zugrunde liegende Denkkonzept zusammen: das dialektische Verhältnis von Allgemeinem und Individuellem – oder mit Schleiermacher: von Abhängigkeit und Freiheit (2–3). Der Theologie komme darin eine besondere Bedeutung zu, als (nur?) sie darauf reflektiere, dass wir für »unsere Vorstellung vom Ganzen […] schon einen Referenzpunkt in Anspruch« (4) nähmen, der es erlaube, von dem Ganzen zu reden – dies sei die Funktion des Namens »Gott« –, so dass sich (nur?) in ihr »der Gedanke einer gründlichen Bildung des eigenen Selbst verwirklicht« (6). Mit Überlegungen zu Gesellschaft, Philosophie – warum nur Kant, Hegel, Heidegger und Habermas? –, Kunst und Religion werden die Kontexte der Theologie bestimmt (14–35). Eine nähere Verortung der Theologie findet ferner in einer Auseinandersetzung mit den der Theologie vorge gebenen Orten Kirche und Wissenschaft statt (35–43). Den Ab­schluss bilden Ausführungen zum Ziel der Theologie in der Identitätsbildung (43–49).
Mit dem zweiten Kapitel »Was ist Religion?« beginnt der zentrale Teil des Buches, wobei Religion den Leitbegriff darstellt, »über den die Bestimmung gegenwärtiger Theologie verläuft« (50), was aber in der aktuellen theologischen Landschaft wohl kaum derart alternativlos gesehen wird. K. spricht sich dennoch für die Notwendigkeit eines allgemeinen Religionsbegriffs aus, der darin zum Menschsein selbst gehöre und zur anthropologischen Kategorie wird (51–59), als »Merkmal humaner Existenz überhaupt« (59), was man aber durchaus hinterfragen kann. Der Religionsbegriff wird dabei erneut über das Muster der Einheit von Individuellem und Allgemeinem gefasst, was an Schleiermacher, Barth und Luhmann expliziert wird (62–90). Die Ausführungen zu Schleiermacher sind dabei hervorzuheben, da Studierenden hier auf wenigen Seiten ein guter Überblick über dessen Religionsverständnis geboten wird, während die Ausführungen zu Barth eher K.s spezifische Lesart zusammenfassen. Schließlich rücken aktuelle Herausforderungen an Religion über die Begriffe und religiösen Besetzungen des Le­bens, Überlebens und Über-Lebens in den Blick (91–96), denen »Re­ligion als Lebensdeutung« entgegengestellt wird, die darauf re­flektiere, dass das Subjekt von Religion und das, was sich als religiös anbietet, durch den Vorgang des Deutens getrennt seien, so dass die religiösen Besetzungen immer schon an den Grund des Subjekts und seiner Vollzüge, d. h. Gott rückgebunden würden (91–102).
Der sachliche Mittelpunkt der christlich religiösen Selbstdeutung als spezifische Gestalt liege nun in Christus, was im dritten Kapitel behandelt wird. Auch diese Überlegungen sind grundgelegt in dem anthropologischen Motiv der deutenden Existenz oder selbstbestimmenden Selbstdeutung als Grundphänomen der Religion (102–104.176–178). In seiner Betrachtung macht K. eine historische und eine dogmatische Struktur aus: Der ersten geht K. in der Frage nach dem »historischen Jesus« nach und spielt – für Theologiestudierende besonders interessant – die im Studium zu erlernenden Schritte der historisch-kritischen Methode durch (112–120). Die historische Wahrnehmung Jesu müsse dabei immer schon an die Botschaft vom Reich Gottes geknüpft werden, um Jesu in-dividuelle Identität historisch greifen zu können, da diese ihren Grund in Gott habe und nicht nur das Resultat seiner Handlungen und Äußerungen sei (143–146), wobei Tod und Auferweckung als Transformation des Reiches Gottes hin zur Gegenwärtigkeit und Wirklichkeit zu verstehen seien (140). Der Sinn der dogmatischen Rede wiederum bestehe darin, »für die Verkündigung […] Gesichtspunkte bereitzustellen, die die Verwendung des Erzählmaterials im gemeindlichen Gebrauch ordnen« (149). Dahingehend rücken grundlegende dogmatische Topoi in den Blick: Trinität unter der Perspektive der Gottessohnschaft Christi strukturiert als Beziehungsgeschehen (155–159); die wahre Mensch- und Gottheit Chris-ti als Personeinheit unter der Perspektive seiner Bruderschaft zu uns Menschen als – Schleiermacher weiterführend – gottbestimmte Selbstbestimmung (159–164); die Soteriologie in der Heilsvorstellung der Befreiung zur (von Gott) bestimmten Selbstbestimmung (165–174), so dass in unserer Selbstbestimmung selbst das Heil liege, indem sie der bestimmten Selbstbestimmung Christi entspreche – und diese entsprechende Selbstbestimmung des Menschen heiße Glaube (181). Dass freilich die Erörterung der Christologie und Soteriologie über diesen religions-, deutungs- und kor-respondenztheoretischen Ansatz nicht alternativlos ist, sei hier im Sinne der »Orientierung« vermerkt.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage »Was ist die Kirche?«, bilde Religion doch immer schon »eine anschauliche soziale Formation« (186) oder Institution aus. Hier finden sich Überlegungen zum Ursprung der Kirche im Auftreten, aber vor allem in Tod und Auferstehung Christi (193–195), zu Amt und Sakrament (195–202) und zum Verhältnis zur Welt (202–206) vor dem Hintergrund der Entwicklung von einer apokalyptischen über eine ethische und im Zuge der Reformation zu einer existenzialen Erlösungsreligion (206–214). Dabei wird ein Nebeneinander von ethischer und exis-tenzialer Erlösungsreligion konstatiert und im Verständnis von evangelischer Kirche als »Religionsbürokratie« problematisiert (220). K. sieht in dem darin begründeten Mitgliederschwund aber – aufgrund der fundamentalen Religiosität – keinen Rückgang religiöser Interessen und Bedürfnisse, so dass es darum gehe, »religiöse Anliegen der Gegenwart zu identifizieren« (221) und nach deren institutioneller Erfassbarkeit zu fragen. Hierzu widmet sich K. dem Begriff des Geistes, den er strukturell so beschreibt, dass »Gott als Grund des Selbstbewußtseins wirksam wird, der den Menschen allererst zu sich selbst bringt« (229). Der Geist begegne so der diagnostizierten Zersplitterung des Menschen und verwirkliche dessen Wesen (229–233). Hierin sieht K. den möglichen Übergang zu einem neuen Kirchentypus der gelebten Religion als Lebensdeutung und so vom Traditionschristentum zum gebildeten Christentum (233–238).
Den Abschluss bildet ein fünftes als »Anhang« betiteltes Kapitel (239–262), das sich jedoch gerade für noch nicht mit dem Theologiestudium vertraute Leser als zentral erweisen dürfte: Ein Kapitel zu Methoden und Disziplinen der Theologie, zum Miteinander von Glaube und Studium samt Empfehlungen für die konkrete Organisation des Studiums und Literaturanschaffungen.
Aufbau, Überschriften, Gewichtung und Inhalte zeigen so, wo-rin das Buch Erwartungen erfüllen kann – worin vielleicht auch nicht – und worin das Buch sogar mehr bietet, als der Titel zu versprechen scheint: So liegt das Hauptaugenmerk des Buches auf einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit zentralen Themen der Systematischen Theologie, wie der – wohl hinterfragbaren – fundamentaltheologischen Rolle von Religion als anthropologischer Grundkonstante, einer davon bestimmten Christologie, Soteriologie, Pneumatologie und Ekklesiologie samt philosophischer und soziologischer Abhandlungen, was wohl im Ganzen bei denen, die mit der Theologie im wörtlichen Sinne erst anfangen, (zu?) viel voraussetzt und ihnen einiges abverlangen wird. Die »Orientierungen« werden so statt einer Einführung ins Studium fast schon zu einer komprimierten Dogmatik, einer Dogmatik in nuce – und gewinnen darin aber wiederum ihren eigenen Reiz.