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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1247-1250

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kleffmann, Tom

Titel/Untertitel:

Kleine Summe der Theologie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2021. XI, 199 S. Kart. EUR 24,00. ISBN 9783161600623.

Rezensent:

Eilert Herms

»Theo-logie«: »Rede von Gott« – heute: unter nicht irgendwie »säkularen«, sondern schlicht »atheistischen« Bedingungen (30). Das Ganze fasst Tom Kleffmann auf knapp 200 Seiten in sechs Teilen zusammen.
1. Den Auftakt bilden eine metatheologische Besinnung auf »Theo-logie« »heute« (Teil I) und die Überwindung ihrer »Irrelevanz« für das vorherrschende Selbstverständnis der Menschen, das »atheistisch« ist, weil beschränkt auf das Geschehen innerhalb von Welt und Leben ohne Blick auf dessen »Ganzheit«, während »Gott« gerade nicht einen »Gegenstand in der Welt meint, sondern deren Grund und Sinn im ganzen« (1) und somit erst verständlich und relevant wird, wenn auch dies »Ganze« für Menschen in ihrem durch Reflexion realisierten Fürsichsein explizit präsent wird (2 f.). Das aber zerbricht zugleich die Selbstverständlichkeit alles Innerweltlichen und stellt den Menschen vor das »Nichts« – in der »absoluten Angst und Einsamkeit« des reflektierten »Todesbe-wusstseins«, durch Reflexion auf die Unbekanntheit von Ur­sprung und Ziel des ihn hervorbringenden und verschlingenden »Welt«geschehens (unüberwindbar auch durch Wissenschaft und Technik) sowie die Erfahrung, dass auch zwischenmenschliche Kommunikation (Liebe, Gespräche) »die Angst und Einsamkeit« im »Fürsichsein-als-Nichts« zwar »verleugnen« (über sie hinwegtäuschen), nicht aber »überwinden« kann (4 f.). Für dies reflexionsfundierte menschliche Fürsichsein-als-Nichts wird die Rede von Gott relevant, weil sie eben auf dies »Nichts« referiert, indem sie »Gott« als den prädiziert, der »aus Nichts etwas macht« (WA I 183 f.): aus dem Tod »Leben in seiner [Gottes] Gemeinschaft«, aus dem Nichts der Welt ein sinnvolles Geschehen, aus uns »Wesen, die eine Bestimmung haben«, und aus dem Nichts unserer zwischenmenschlichen Beziehungen das Geschenk »seiner Gemeinschaft«, »auf die wir uns verlassen können« (5). So referiert die Rede von »Gott« auf das reflektierte Fürsichsein-als-Nichts, indem sie zu­gleich darüber hinausgeht aufgrund einer »Offenbarung« (§ 2), die Menschen »erfahren« als »Mitteilung« Gottes, die das Nichts »überwindet«, indem sie »Gemeinschaft Gottes mit den Menschen« schafft (6). »Inbegriff« des dadurch Mitgeteilten: das Geteiltsein des menschlichen Nichts durch Gott selber in »Kreuz« und »Tod« Jesu Christi (9). Diese »ursprüngliche Offenbarung Gottes« erreicht Menschen »schlechthin von außen«, also nicht als ein »äußeres, sinnliches Sichzeigen Gottes«, sondern als ein Ereignis »in [Kursivierung E. H.] dem Menschen, der sie empfängt«: Im reflektierten »Fürsichsein« eines Menschen macht sich »die Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen, in der der Mensch Gott erkennt«, selber für diesen Menschen »zum Gegenstand« seines »Glaubens« und seiner »Verkündigung«. Dies »ursprüngliche Ereignis des Geistes Gottes« (9), das diesen ipso facto als »Geist der Gemeinschaft« (s. § 18 ff.) manifestiert, schafft »Glauben« (§ 3). Der verlässt sich auf diese geistliche Mitteilung der im Kreuz Christi vollzogenen Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, ist somit mehr als intellektuelle Kognition, vielmehr »Leben« in dieser dem Menschen mitgeteilten Gemeinschaft Gottes mit ihm (seinem reflektierten Fürsichsein-als-Nichts), bzw. Leben dieses Christusgeschehens in ihm (Gal 2,19 f.). Von diesem durch sich selbst für Menschen offenbaren Gott redend ist Theologie ipso facto »Glaubenslehre« (§ 4), vom Glauben selber als kritisch-zielorientierende Dauerbesinnung auf seinen Grund und Gegenstand verlangt (15 f.) und auch von ihm mit dem Gesamtzusammenhang ihrer Themen versehen.
2. Als Entfaltung dieses Gesamtzusammenhangs ist Theologie »ursprünglich« »Systematische Theologie«, intern ausdifferenziert in auf die wesentlichen Aspekte der Geschichtlichkeit des Glaubens spezialisierte Teildisziplinen: »biblische Exegese«, »Kirchen- und Theologiegeschichte«, »systematische Theologie« und »praktische Theologie bzw. Religionspädagogik«, insgesamt somit »hermeneutische Theologie in praktischer Absicht« (§ 5). Systematisch ist die Entfaltung des Themenganzen (Teile II bis VI) also, indem sie die exegetische Besinnung auf den Glaubensursprung, die kirchen- und theologiegeschichtliche Bestimmtheit seines Heute und dessen Praxischarakter einschließt (24 ff.); und wissenschaftlich, indem sie die »Wissenschaftlichkeit der Philosophie« »teilt« (28).
Grundstruktur des Themenzusammenhangs: das durch Offenbarung (Selbstmitteilung von Gottes »Geist der Gemeinschaft«) bewusst gewordene (»erkannte«) Wechselverweisungsverhältnis zwischen »unwahrem« und »wahrem Leben« (30): zwischen Leben im reflektierten Fürsichsein-als-Nichts in auf Innerweltliches vertrauender »Selbstsorge« (»Sünde«), und Leben im Glauben, das sich auf den mitgeteilten »Geist« der »Gemeinschaft Gottes mit den Menschen« verlässt. Die Glieder des so strukturierten Themenzusammenhangs: unwahres Leben (Sündenlehre: II), wahres (durch Mitteilung des Geists der Gemeinschaft begründetes) Leben (So-teriologie: V), das darin Mitgeteilte: »Gott als Mensch« (Christolo-gie III) und darin zugleich »Die Welt als Äußerung Gottes« (Schöp fungslehre IV), sowie abschließend der in dem allen offenbare »Gott« (VI). – K.s Sicht des Sachzusammenhangs dieser Themen begründet ihre Reihung: Einsatz mit der Sündenlehre, weil das wahre Leben als Befreitsein vom unwahren auf dieses als sein Vorher verweist (30); vor der Thematisierung des wahren Lebens aufgrund der befreienden Mitteilung des Geistes (Soteriologie) die Beschreibung des darin Mitgeteilten: der »Offenbarung Gottes als Mensch« (Christologie) und des darin implizierten Offenbarseins von »Welt als Äußerung Gottes« (Schöpfungslehre); Schluss: Zu­sammenfassung des Ganzen dieser Rede über den Glauben als Rede über dessen Grund: Gott.
Inhalt der Sündenlehre: Erkenntnis der Sünde (§ 6), Grund- und Tatsünde (§ 7), Kollektiv- bzw. Erbsünde (§ 8), Ursprung der Sünde (§ 9). Die Christologie entfaltet das Evangelium der »Offenbarung Gottes als Mensch« vor dem Hintergrund ihrer alttestamentlichen »Vorgeschichte« (»Bund, Gesetz, Verheißung, Sühne durch Opfer«) (§ 10) als die Bewegung »vom irdischen Jesus zum gekreuzigten und auferstandenen Christus und zurück« (§11), sowie die Unüberbietbarkeit dieser Offenbarung (§ 12) und das Verhältnis »aller Religionen« zu ihr (»Theologie der Religionen«) (§ 13). Themen der »Schöpfungslehre«: »Die Welt als Äußerung oder Rede Gottes« (§ 14) und deren Grund: die »Lebendigkeit Gottes« (§ 15) mit anschließender Erörterung des Verhältnisses von »Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft« (§ 16) und der »Theodiezeefrage als Frage nach dem Wirken Gottes« (§ 17). Die Soteriologie beschreibt nach der Kon-stitution des wahren Lebens durch die Mitteilung des Gemeinschaftsgeistes Gottes (§ 18) zunächst »Das wahre Leben für den Einzelnen« (§ 19; näher entfaltet als »Feier des Gottesdienstes« einerseits [§ 20] und als »das wahre Leben im Verhältnis zu den anderen Menschen und im Verhältnis zur Schöpfung« andererseits [§ 21]), erst danach »Die Kirche als Gemeinschaft wahren Lebens«, und schließt mit dem eschatischen Ziel des wahren Lebens: »Das ewige Leben« (§ 24). Die Gotteslehre fasst die »Lehre von Christus, […] vom heiligen Geist und […] von der Welt als Äußerung Gottes« zusammen (vermöge dieser Referenz unterschieden vom »theologein« der Philosophie) und beantwortet die Frage »Wer ist Gott?« mit dem konkreten Begriff Gottes, der ursprünglich schon in dessen »Na­men« (Ex 3,13 f.) enthalten ist als Begriff seines sich selbst Kommunizierens als dasjenige »Du«, welches »alles in allem wirkt«, das »Ziel seiner Vorsehung« als »allmächtige Liebe« (»schöpferischen Selbstzurücknahme«: 182), in »Allgegenwart« verfolgt (§ 25) und darin mit sich selbst identisch, eben »ewig mit sich eins«, ist – wie die Trinitätslehre mit der Unterscheidung der »immanenten« Trinität von der »ökonomischen« festhält (§ 26).
3. Die – lohnende – kritische Würdigung aller Details ist hier nicht möglich. Notiert seien zwei Fragenkreise. Der erste betrifft den Grund der Relevanz der christlichen Rede von Gott im Kontext des heutigen »Atheismus« und sein Verhältnis zur Konstitution ihres Gegenstandes durch Offenbarung:
Dass erst Erwachsene die Referenz christlicher Rede von Gott explizit durchschauen, leuchtet ein; aber ist in Wahrheit für Menschen nur »relevant«, was ihnen explizit bewusst ist, unabhängig davon und davor jedoch nichts (prononciert 136)? Die reflektierte Gewissheit von Tod und Opakheit des Weltsinnes würde nur dann »Nichts« präsentieren, wenn sie zugleich die schon ältere Gewissheit von unabweisbar Realem, eben vom dauernden Jetzt-hier des konkreten leibhaft-individuellen Ich-in-Wir-und-Welt, das unbeschadet der Begrenztheit seines Dauerns dennoch in sich selbst zielstrebiges Wirken unabweisbar zumutet und dessen möglichen Erfolg inspirierend verheißt, zunichte machen würde; aber überlebt nicht diese elementare Gewissheit – jeden »Nihilismus« zum performativen Widerspruch verurteilend? Macht nicht erst sie das Überblenden des reflektierten Fürsichseins-als-Nichts möglich? Besteht somit die Möglichkeitsbedingung des expliziten Relevantwerdens der christlichen Rede von Gott nicht genauer (als von K. vorgeschlagen) darin, dass ihren Adressaten die Abblendung der ängstigenden Ungewissheitsgewissheit über Ursprung und Ziel des Ganzen nicht mehr möglich ist?
Ist diese (schließlich jeden Erwachsenen treffende: 2) Unverdrängbarkeit des reflektierten Fürsichseins-als-Nichts die natürliche Voraussetzung für das nachfolgende übernatürliche Geschehen der Offenbarung? Wäre das vereinbar mit dem durch Offenbarung Mitgeteilten: eben Gottes universaler Selbstkommunikation, die in ihrer Spitze (der Teilnahme des Schöpfers am reflektierten menschlichen Fürsichsein-als-Nichts im Kreuz Christi) den Logos ihres Wirkens als Schöpfer und Erhalter des Alls offenbart (Joh 1)? Weist nicht der eigene Gehalt der Christusoffenbarung sie als den innergeschichtlichen Zielpunkt eines Gesamtgeschehens aus, das als universale Selbstkommunikation des Schöpfers schon einsetzt mit der Schaffung des Alls? Sind also nicht auch die »natürlichen« Bedingungen des Durchsichtigwerdens der Referenz der christlichen Rede von Gott schon Effekt von Offenbarung (eben der universalen Selbstkommunikation des Schöpfers)?
Beantwortet man diese Fragen anders als K., ergeben sich Fragen zur Fundierung und Sachordnung der Themen: Ist, weil uns das Evangelium »von außen« im Medium menschlicher Sprache begegnet, auch diese selber »das Medium« unseres Reflektiertwerdens, welches uns die Ganzheit der Welt und deren »radikales Außen« (7), den sich selber kommunizierenden Schöpfer, präsentiert, und nicht vielmehr der (solche Sprache ermöglichende und gebrauchende) Schöpfergeist selbst (CA V)? Macht er uns den Gott präsent, der »aus nichts etwas macht« (5), und nicht den, welcher »aus nichts außer sich selber alles macht« (so Luther konkret über Gott als »creator omnium ex nihilo«)? Ist somit das Christusgeschehen etwas anderes als das innergeschichtliche Ziel und Nonplusultra der Selbstoffenbarung des Schöpfers, das in sich selber auf deren Anfang mit der Schöpfung zurück- und über sich auf deren Ziel, das Enden des Weltgeschehens im Vollendetsein, vorausweist? Muss also die Rede des Glaubens nicht mit dem, worin sie sich zusammenfasst (176 ff.): der ewigen, sich selbst kommunizierenden Lebendigkeit des Schöpfers, schon beginnen (so das Credo)? Sind nicht auch abstrakte Schein- und konkrete Unwahrheit des Fürsichseins-als-Nichts und Sünde von der universalen Kommunikation Gottes umgriffen, in ihr getragen, als gerichtet-vergebene »aufgehoben« (172.175.183) und keinesfalls von ihr »ausgeschlossen« (167.182)? Ist die mit der Schöpfung beginnende Selbstkommunikation Gottes als »Vorgeschichte« der Inkarnation von dieser abzuheben und nicht in dieser als ihrer innergeschichtlichen Zielgestalt aufgehoben? Ist somit das Christusgeschehen nicht in sich selber schon Stiftung des neuen Gottesvolks? Geht der persönliche Glaube, Rechtfertigung und Heiligung, der Einzelnen der geistgewirkt-leibhaften Glaubensgemeinschaft voran, und nicht vielmehr diese jenem (117 ff.129 ff.)? Ist das Gottesbekenntnis des Glaubens erst und nur für Erwachsene im reflektierten Fürsichsein-als-Nichts »relevant« und nicht davon unabhängig für alle, weil es ihnen bezeugt, dazu bestimmt zu sein, in abstrakten Gestalten ihres reflektierten Fürsichseins nicht ste-cken zu bleiben, sondern zur »Erkenntnis der Wahrheit« zu gelangen, die davon frei macht (Joh 8,32)?
4. Zu solchen Fragen Anlass gebend, ist K.s »Kleine Summe« ein großer Wurf. Dicht, dennoch klar und gut lesbar. Trotz fragwürdiger thematischer Ordnung ohne thematische Lücken. Richtig ist der Hinweis auf die systematische Einheit der Theologie, werde er in den Teildisziplinen nun gehört und beherzigt oder nicht. Zu be­glückwünschen sind alle Studierenden, die sich an diesem Meis-terstück theologischer Lehre abarbeiten dürfen.