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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1244-1247

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Danz, Christian, u. Georg Essen [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Dogmatische Christologie in der Moderne. Problemkonstellationen gegenwärtiger Forschung.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2019. 320 S. = ratio fidei, 70. Kart. EUR 39,95. ISBN 9783791731186.

Rezensent:

Burkhard Nonnenmacher

Der in der Reihe »ratio fidei – Beiträge zur philosophischen Rechenschaft der Theologie« erschienene Band geht auf ein Symposion renommierter protestantischer und katholischer Theologinnen und Theologen aus dem Jahr 2015 zurück und ist der Aufgabe verpflichtet, »ein wissenschaftliches Verständnis des kirchlich bezeugten und überlieferten Glaubens an Jesus Christus zu erarbeiten, um von den mit ihm verbundenen Geltungsansprüchen argumentativ Rechenschaft zu geben« (7). Im Zentrum stehen die »Anfragen der Moderne« an die Christologie der Tradition und in diesem Zuge unternommene »Transformationen« (ebd.). Ziel des Bandes ist es, die »Voraussetzungen, Konsequenzen und vor allem [die] Folgepro-bleme jener Anfragen an das christologische Dogma« (ebd.) in unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren sowie eigene »chris-tologische Konzeptionen« (Klappentext) zu entwickeln.
Georg Essens Beitrag erinnert einführend an zentrale »Diskurskonstellationen der Christologie in der Moderne«, allen voran an die Hinterfragung der »von der dogmatischen Tradition behauptete[n] Einheit von ›historischem Jesus‹ und ›dogmatischem Chris-tus‹« (10) im Ausgang vom durch Lessings Herausgabe der »Fragmente eines Unbekannten« ausgelösten Fragmentenstreit, gefolgt von der Hinterfragung der Zweinaturenlehre, wie z. B. Kant sie im zweiten Stück seiner Religionsschrift entwickelt, mit allen in ihr enthaltenen Konsequenzen für die Satisfaktionslehre.
Es folgen vier Beiträge, die sich mit hierauf reagierenden Positionen des 19. Jh.s auseinandersetzen. Den Auftakt macht Jan Rohls, dessen Beitrag der Christologie der Hegelschule gewidmet ist und sich auf Biedermann konzentriert. Rohls beginnt mit der Vorstellung zentraler Elemente der Christologie Hegels und deren logischem Fundament: Die Verhältnisbestimmung von Endlichem und Unendlichem, die ein dem Endlichen entgegengesetztes Unendliches selbst als Endliches reflektiert. Es folgt eine Erinnerung an die Spaltung der hegelschen Schule an der Frage, ob der Gottmensch als Individuum zu begreifen ist, der in Jesus Christus singulär und einzig wirklich ist, oder ob er, wie Strauß in Abgrenzung von Marheineke und Rosenkranz glaubte, nicht vielmehr in den »realen Gattungsbegriff« der »Menschheit« überhaupt zu setzen ist, also in das, »was sich im Denken und Handeln jedes Individuums vollzieht« (22). Darauf wird Biedermanns Christologie in eindrücklicher Weise entfaltet. Sehr interessant ist hier z. B. auch die Darstellung seiner Auseinandersetzung mit der communicatio idiomatum (vgl. 32 ff.). Vor allem aber wird deutlich, wie Biedermann gegen Strauß trotz aller Kritik an der Christologie der Tradition an der »Person Christi« als »Quellpunkt der Wirksamkeit« des christlichen »Princips« festzuhalten versucht (vgl. 44). Sehr sinnvoll daran an schließen Gunda Werners Beitrag zu Johannes Evangelist von Kuhn und dessen Auseinandersetzung mit Straußens Leben Jesu sowie Maureen Junker-Kennys Beitrag zur Christologie der Glaubenslehre Schleiermachers, ihrer Kritik durch Baur und der Frage, inwiefern die zweite Auflage der Glaubenslehre dieser pariert. Klaus von Stosch schlägt darauf bereits einen Bogen aus dem 19. Jh. in die Gegenwart und thematisiert Essens und Menkes durch Fichte und Krings beeinflusste Auseinandersetzung mit der Frage nach der Denkbarkeit der Hypostatischen Union, gefolgt von einer eigenen Auseinandersetzung mit dieser Frage im Ausgang von Wittgenstein.
Drei weitere Beiträge fokussieren dann dezidiert auf die Frage nach dem historischen Jesus: Benjamin Dahlke erinnert zunächst an Straußens Unterscheidung zwischen dem »Jesus der Geschichte« und dem »Christus des Glaubens« und fragt nach deren Entstehung, Kritik und Relevanz für gegenwärtige Debatten. Die Beiträge von Martin Laube und Gunter Wenz knüpfen hieran an. Der Beitrag von Gunter Wenz gibt dabei einen sehr lesenswerten Überblick über die in der Old Quest aufkommenden systematischen Probleme und ihre Reflexion bei Schweitzer, über die systematischen Weichenstellungen, mit denen die am Kerygma orientierte Christologie Kählers, Tillichs und Bultmanns auf diese zu reagieren versucht, sowie vor allem über die durch Käsemann geprägte New Quest und die neuen in ihr enthaltenen christologischen Herausforderungen. Wenz zeichnet diese in kritischer Auseinandersetzung mit Positionen der Third Quest nach. Dies im Ausgang von Käsemanns auf die Verhältnisbestimmung einer Christologie von oben und einer Christologie von unten zielende Frage, inwiefern »man den irdischen Jesus nicht anders als von Ostern her […] verstehen kann und […] umgekehrt Ostern nicht adäquat zu begreifen vermag, wenn man vom irdischen Jesus absieht« (Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, Band I, Göttingen 1964, 196). Im Zentrum steht bei Wenz dabei der Gedanke, inwiefern der Aufgabe nachzukommen ist, dass »der österliche Herr in der Einheit von Faktizität und Bedeutung als Wirksubjekt und objektiver Ermöglichungsgrund allen rechten Glaubens an ihn […] zu denken [ist]« (164).
Auch der Beitrag von Martin Laube greift das zitierte Diktum Käsemanns auf (vgl. 134). Zu Wort kommen in Laubes Beitrag dabei neben Pannenberg auch Jüngel und insbesondere Ebeling. Zugleich wird unter Bezugnahme auf Danz (vgl. 140) die kritische Rückfrage an Vertreter der New Quest ventiliert, ob nicht ihr »zum Glauben rufender« (Ebeling) Jesus bereits dergestalt »vollständig unter dem dogmatischen Leitbegriff des Glaubens« gefasst ist, dass von vornherein »eine produktive Irritation der Dogmatik durch Einsichten der historischen Forschung unterbunden wird« (138). Ein zweiter Schritt fragt, welche Konsequenzen aus dieser Kritik zu ziehen sind, und insbesondere, ob vor ihrem Hintergrund mit Danz »[d]ie Inhalte des Glaubens« als von einem »reflexiven Glaubensakt« ausgehende Inhalte verstanden werden müssen, »der sich selbst in seinen Inhalten ausspricht« (142, vgl. Danz, Grundprobleme der Christologie, Tübingen 2013, 203). Ein dritter Schritt stellt die Notwendigkeit dieser Konsequenz in Frage, indem er sie mit Troeltschs Argumentation dafür konfrontiert, dass es für den Glauben im »modernen Denken« unverzichtbar ist, seine »Zusammenbestehbarkeit« mit den »verfügbaren Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung zu erweisen« (151). Christian Danz wird am Ende des Bandes in seinem Beitrag genau diesen Punkt noch einmal aufgreifen.
Zunächst jedoch bringt Michael Murrmann-Kahls Beitrag noch einen ganz anderen Aspekt zuvor verhandelter Probleme in Erinnerung, indem er historische Fragestellungen – in Auseinandersetzung mit Bousset und Theißen – sys-tematischen Fragestellungen – in Auseinandersetzung mit Hegel und Wagner – gegenüberstellt, um vor diesem Hintergrund das Verhältnis von Christologie und Pneumatologie in den Vordergrund zu rücken – und das fokussiert auf den Begriff der »Geist-Christologie« (195), die sich für Murrmann-Kahl vor dem Hintergrund zu entfalten hat, dass die Christologie die »Person Jesu« und »ihre besondere Geschichte« in ihrer »Bedeutung für Gott (Trinität) und Mensch (Heil)« (196) reflektiert.
Übergeleitet ist damit bereits zu subjektivitätstheoretischen Aspekten der Christologie, der sich vier weitere Beiträge widmen: Helmut Hopings Beitrag fokussiert auf die Frage nach der Differenz des Personseins Christi zu unserem Personsein. Magnus Lerch nimmt die Lehre von der Hypostatischen Union unter freiheitstheoretischer Perspektive in den Blick. Bernhard Nitsche unternimmt den Versuch einer freiheitstheologischen Relektüre chalkedonischer Christologie. Karlheinz Ruhstorfer wiederum fragt unter Rekurs auf Derrida und Levinas nach der Entwicklung des Begriffs der Subjektivität im 20. Jh. und setzt diese zur »neuprotestantischen Subjekttheologie« in Beziehung.
Folkart Wittekinds Beitrag setzt diese subjektivitätstheoretischen Überlegungen bzw. die Frage nach Transformationen des Subjektivitätsbegriffes fort und stellt die Idee vor, die Christologie im Rahmen einer »Theologie religiöser Rede« zu entfalten. Deren Konzept präsentiert der Beitrag vor dem Hintergrund von Wittekinds gleichnamiger Monographie (Tübingen 2018) als die Idee, die Vorstellung aufzugeben, »dass religiöse Rede und ihre Inhalte so etwas wie Darstellungsfunktionen einer dahinterliegenden […] humanen religiösen Funktion« (295 f.) seien, um stattdessen vielmehr »die Inhalte des Glaubens als zum Erscheinen gebrachte Gegenstände eines religiösen Sprachfelds« zu verstehen, dessen »religiöses Funktionieren« in seinen durch es »zum Erscheinen gebrachten Gegenständen« für es selbst »durchsichtig« wird (298). Worin unter dieser Idee der »Grundriss einer Christologie religiöser Rede« besteht, wird darauf in acht Schritten skizziert. Im Zentrum steht die These: »Dass Jesus Christus lebt, ist nicht die eine notwendige Voraussetzung für den christlichen Glauben, sondern es ist die Selbstdarstellung der Erfahrung, dass Religion in personaler Rede lebendig ist und dass dies genau das ist, was Jesus mit seiner Ansage des nahen Gottesreichs gemeint hat« (300 f.). Die »soteriologische Funktion« der Christologie wird vor diesem Hintergrund »strikt auf das Beschreiben der sinnhaften Funktion religiöser Rede beschränkt« (301), was der Beitrag auch in seinen Konsequenzen für die Personen-, Ämter- und Ständelehre reflektiert.
Christian Danz widmet sich abschließend der Frage nach der »Funktion der dogmatischen Christologie im christlich-jüdischen Diskurs«. Dreigeteilt greift er die Frage nach der »systematischen Funktion der historischen Jesusforschung für die dogmatische Theologie« (306) noch einmal auf, und zwar das besonders in Auseinandersetzung mit dem Beitrag Laubes (s. o.). Danz räumt ein, dass Laube zu Recht den »Stachel der historischen Forschung« für die dogmatische Christologie »anmahnt«, fragt aber auch, wie der von Laube angemahnten Notwendigkeit, die »Zusammenbestehbarkeit« des Glaubens mit den »verfügbaren Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung zu erweisen« (vgl. 151), systematisch Rechnung getragen werden soll (308). Ein zweiter Schritt diskutiert vor diesem Hintergrund der Religionstheologie zugehörende Versuche, das Verhältnis der Wahrheitsansprüche der jüdischen und christlichen Religion zu bestimmen. Mit Blick auf Hopings inklusivistischen und Stoschs komparativen Ansatz fragt Danz hier sehr pointiert nach, inwiefern nicht beide den Versuch unternehmen, »die Geltung der jüdischen Religion in der Christologie zu begründen«, und so nur »die andere Religion im Horizont der eigenen Glaubensperspektive [reformulieren]« (313 f.). Vor allem stellt Danz dann aber in einem dritten Schritt die Frage, was es für die Relevanz der historischen Forschung für die systematische Forschung eigentlich bedeuten würde, falls von Letzterer die »Alterität der anderen Religion« immer nur als christlich »eingehegte« Religion »anerkannt« werden kann (vgl. 314 f.). Unter Rekurs auf Tillich macht Danz in diesem Zusammenhang geltend, dass »in der systematisch-theologischen Perspektive […] der Begriff ›historischer Jesus‹ eine andere Funktion als in der Geschichtswissenschaft hat« (317). Danz plädiert dabei dafür, dass in systematischer Perspektive »der Bezug auf den Jesus der Geschichte den Glauben« lediglich »als einen personalen Vollzug, der in der Geschichte entsteht und in diese eingebunden ist« »repräsentiert« (ebd.). Auch für Danz ist die »Gestalt Jesu« damit zwar ein »notwendiger Bezugspunkt im Glauben«, aber eben ein solcher, der wesentlich als ein »Bild des Glaubens von sich selbst« (ebd.) zu verstehen ist. Abschließend zieht Danz daraus die Konsequenz, dass die »Aufgabe der Christologie […] vor dem angedeuteten modernen Problemhorizont nur darin bestehen [kann], den Vollzug von religiösen Selbstdeutungen zu strukturieren« (318).
Der sehr gelungene Band vereint in sinnvollem Aufbau höchst in­teressante Beiträge zu seit der »Sattelzeit der Neuzeit« auf dem Gebiet der Christologie diskutierten Problemen. Deren Be­leuchtung aus unterschiedlichen Perspektiven ist sehr erhellend. Der Band gibt damit eine hervorragende Möglichkeit an die Hand, sich am Ar­gument orientiert zentrale, auf dem Gebiet der Christologie seit dem 18. Jh. verhandelte Probleme durch das 19. und 20. Jh. hindurch bis in die gegenwärtige Diskussion hinein zu vergegenwärtigen, um selber an diesen Problemen weiterzudenken.