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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1242-1244

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schröder, Winfried

Titel/Untertitel:

Atheismus. Fünf Einwände und eine Frage.

Verlag:

Hamburg: Felix Meiner Verlag 2021. 144 S. = Blaue Reihe. Kart. EUR 16,90. ISBN 9783787339570.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Das landläufige Verständnis des Atheismus besteht darin, dass mit dieser Position der Theismus faktisch oder explizit negiert wird. Eine Atheistin verneint demnach Gottes Dasein, welches darin bestünde, dass eine nicht-körperliche, aber geistig trans-temporal und -spatial existierende und mit traditionellen Vollkommenheitsprädikaten ausgestattete »Person« als Schöpfer, Erhalter und Vollender von allem Nicht-Göttlichen existiert. Obgleich verschiedene Versionen vorliegen, die diese rudimentäre – und alimentäre?– Definition mit Leben füllen, kann von einem »Standardtheismus« gesprochen werden (111 u. ö.). Dieser wird jedoch im vorliegenden Buch nicht direkt einer Prüfung unterzogen; vielmehr geht Winfried Schröder, Professor für Geschichte der Philosophie an der Philipps-Universität Marburg, so vor, dass er dessen atheistische Be­streitung einer mehrgliedrigen Überprüfung unterzieht. Das Er­gebnis rehabilitiert den klassischen Theismus keineswegs – ob­gleich S. mit diesem trotz allem zu sympathisieren scheint –, sondern es lässt in »indirekter Mitteilung« die Probleme des Theismus, zugleich aber auch die argumentative Lage im Streit um ihn kla-rer vor Augen treten. Dies wird im Rahmen einer »rationalen Theologie« als Teil der philosophischen Metaphysik getan (10), wobei offen zugegeben ist, dass von jenem »karge[n] set von Sätzen« kaum ein Weg zu konkreten religiösen Überzeugungen in Bezug auf Himmel und Hölle, Erlösung und Gericht führt (97 f.). Aus der Be­schränktheit folgt die Ergänzungsbedürftigkeit der rationalen Theologie durch geoffenbarte Inhalte (10), wobei die naheliegende Frage, wie sich denn beide zueinander verhalten, im Hintergrund bleibt.
Die im Untertitel angekündigten »Fünf Einwände« plus einer Frage beziehen sich auf die nach einer Einleitung folgenden sechs Kapitel. Deren erste Hälfte ist auf weithin theoretische Fragen der Beweislastverteilung, die ontologischen Implikationen des Atheismus und kosmologischer Erklärungsprobleme des kausalen Weltzusammenhangs bezogen. Entsprechend fragt das erste Kapitel nach der »dialektischen« Situation, in der die Frage nach Gottes Existenz verhandelt wird, insbesondere im Blick darauf, dass jenseits von Theismus und dessen atheistischer Bestreitung agnosti-zistische Positionen sich anbieten könnten (20 f.). Ein prominenter Agnostizist war bekanntlich Antony Flew, der wiederum der Autor des einflussreichen Aufsatzes »The Presumption of Atheism« (von 1972) gewesen ist. In einem gründlichen und hilfreichen Zugriff auf das viel diskutierte Präsumtionsprinzip wägt S. die Frage ab, wer in diesem Streit die Lasten des Beweises zu übernehmen hat – mit einem sachlichen wie letztlich argumentationstheoretisch begründeten Übergewicht zugunsten des negativen Atheis mus (32).
Das kürzere zweite Kapitel legt sich die Frage vor, ob der Atheist auf naturalistische oder gar materialistische Programme abonniert sei. S. berichtigt diese oft geäußerte Kritik nicht nur mit Blick auf atheistische Idealisten (wie McTaggart) oder Anti-Reduktionisten (wie Thomas Nagel), sondern auch dadurch, dass er diese vermeintliche Implikation philosophie-geschichtlich auflöst (vgl. die Korrekturen an dem einflussreichen Bild zur Entstehung des Atheismus, das auf Michael Buckley zurückgeht; dazu 56 f.).
Das dritte Kapitel sondiert einige fine-tuning-Argumente, um schließlich zu Recht die Alternative zwischen planendem Schöpfergott und totalem Zufall als unzureichend zurückzuweisen. Eine souverän-atheistische Haltung könnte – erst? – mit Darwins Origin of Species möglich geworden sein, während die Zuflucht zum Lückenbüßer-Gott ohnehin nur einen »Schrumpftheismus« hätte be­gründen können (67).
Neu sind diese kritischen Erwägungen nicht, doch sind sie mit Umsicht und argumentativer Geduld, auch Fairness für die jeweils andere Seite vorgetragen. Leider gibt S. diese intellektuelle Empathie in den verbleibenden, eher praktischen Folgerungen atheistischer Argumente gewidmeten Abschnitten zusehends auf. Im vierten Kapitel geht es zunächst um den Atheismus als mögliches Machtinstrument sowie um seine angeblich moralin-freie, ja die Moral zersetzende Kraft. Die erste Unterstellung wird in Sichtung der historischen Positionen zu Recht eingeschränkt; die zweite Kritik wird mit der Gegenfrage konfrontiert, was eigentlich geboten wäre, wenn der ewige und allmächtige Gott denn existierte. Auf der Spur nominalistisch-voluntaristischer bis hin zu existentialis-tischen Entwürfen wird daran erinnert, dass der Willkürgott die moralischen (wie auch alle anderen) Gebote und Regeln ändern könnte; so wird bei Kierkegaard ausgesprochen, was bereits Ockham befürchtete: die »Suspension der Moral« (78–80) – eine interessante Volte!
Nun aber springt S. im fünften Kapitel zu »alternative[n] Gotteskonzeptionen« (83), die in dem Sinn theismuskritisch sind, als sie sich aus konkreten Untiefen theistischer Folgeprobleme ergeben – Stichwort: Allmacht trotz des Problems des Bösen. Als positionelle Alternative zum Theismus wird eingehend lediglich der Pantheismus angesprochen und abgewiesen, um diesen nicht einmal vom Panentheismus sauber abzugrenzen. Die nur angedeuteten Versuche, angesichts atheistischer Angriffe die klassische Eigenschaftslehre neu zu justieren – etwa in der Einschränkung des Allmachtsprädikats – werden ausgerecht mit Richard Dawkins als »sexed-up atheism« verabschiedet (87; vgl. auch 112). Den »Tiefpunkt« sieht S. mit Paul Tillichs Gotteslehre erreicht, die, ohne auf sie einzugehen, als inhaltsleerer Atheismus (90), als Sammelsurium von bloßen »Worthülsen« (92) oder wahlweise auch als Resultat »puren Wunschdenkens« (93) diskreditiert wird. Hier wie auch in neueren Entwürfen, etwa dem von John Schellenberg, kann S. nur »Schulbeispiele für wunschgeleitete Spekulationen« erkennen (93), die »am Schreibtisch« entstanden seien, um »diverse Glaubens-Cocktails« zusammenzumixen (ebd.). Damit meint S., die »alter-native[n] Gotteskonzeptionen« zum »Standardtheismus« hinreichend besprochen zu haben.
Zugespitzt in Gestus und Ton fällt das eigentlich als Frage konzipierte letzte Kapitel aus. Das Anliegen, die lebensweltlichen »Verluste« zu erwägen, die durch die Erosion eines (theistischen) Gottesglaubens auch in säkularen Zeiten drohen könnten, überblendet S. eher mit seinen konservativen Hintergrundannahmen.
Dass Atheisten, die Gott verneinen, sich aber noch einmal in Ambivalenz zu dieser Verneinung – Gott vermissend – verhalten, einfach als »kitschig« abserviert werden, ist noch das Freundlichste, was in diesem Abschnitt – dezidiert gegen Julian Barnes, faktisch auch gegen Jürgen Habermas und Martin Walser– zu lesen ist (96). In einer hermeneutischen Sorglosigkeit geht S. offenbar von einem feststehenden Kern des Christentums jenseits dessen geschicht-licher Einbettung, innerer Widersprüche, diachroner Kontextua-lität und seiner unhintergehbaren Auslegungsbedürftigkeit in Theologie und Verkündigung aus, um diesen Kern ohne Zögern mit jenem Standardtheismus zu identifizieren. Die philosophiegeschichtliche Sensibilität der ersten Kapitel ist hier verlassen, um nun nicht einmal zu erwägen, dass der Theismus seinerseits eine abstrakte Geburt der aufklärerischen Vernunftreligion sein könnte; nicht der neuzeitliche Atheismus firmierte dann als gefährliche Reaktion auf einen theistischen Nucleus, sondern der Theismus ist selbst die Replik auf die grassierende Infragestellung des Glaubens im Mitteleuropa des 18. Jh.s gewesen (dazu siehe die Arbeiten von R. Amesbury, H.-M. Barth, I. U. Dalferth und selbstverständlich Chr. Taylors Sources of the Self & A Secular Age).
Hat man aber erst einmal – in quasi-katholischem Gestus (J. Ratzinger fungiert hier öfter als Stichwortgeber; 92 f.) – diesen Kern loziert, muss alles, was diesen gleichsam attackiert, als »radikal revisionäre Umdeutungen des Chris-tentums« (99) erscheinen, um der Lizenz zur Entsorgung oder Verflüchtigung expliziter biblischer Aussagen Einhalt zu gebieten (100). Aufgrund weiterer »modernis-tische[r] Revisionen und Verwässerungen des Christentums« drohten zusätz-liche » aggiornamenti« als Unkenntlichmachung der Überlieferung, zumal der Mainstream liberaler Theologie die »fast zweitausend Jahre lang anerkannten Glaubensüberzeugungen entsorgt« habe (alle Zitate: 99).
Zum Schluss summiert S. seine Abhandlung mit dem Ergebnis, nach dem keiner der gegen den Atheismus erhobenen Einwände stichhaltig bleibe und die Kritik des Theismus gestärkt sei (112). Da jedoch die nicht-revisionären Ansätze von Richard Swinburne und Holm Tetens (sic!) den metaphysischen Goldstandard bilden, wird das wirkliche Gespräch mit der weithin nach- und nicht-theis­tisch formatierten Theologie, insbesondere des deutschsprachigen Protestantismus (auch in Marburg …), nirgends gesucht wie auch religionsphilosophische Alternativen trotz der unlösbaren Probleme des Theismus schlicht ignoriert werden. Es ist zu bedauern, dass der Autor den einmal eingeschlagenen Weg, Positionen und Gegenpositionen mit Sorgfalt vorzutragen und zu diskutieren, in den letzten beiden Kapiteln so sehr aus den Augen verloren hat.