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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1221-1222

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Browe, Peter

Titel/Untertitel:

Die Eucharistie im Mittelalter. Liturgiehistorische Forschungen in kulturwissenschaftlicher Absicht. M. e. Einführung hgg. v. H. Lutterbach u. Th. Flammer. 7. Aufl.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2019. 580 S. = Vergessene Theologen, 1. Kart. EUR 39,90. ISBN 9783643143969.

Rezensent:

Ingo Klitzsch

Die im LIT Verlag erscheinende Reihe »Vergessene Theologen« zielt darauf, Lebensbilder bzw. Werkimpulse nicht mehr diskutierter oder beachteter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Erinnerung zu rufen und so den aktuellen Diskurs zu bereichern. Mit Blick auf Peter Browe SJ (1876–1949), der als Lehrer der Moraltheologie an verschiedenen jesuitischen Ordenshochschulen wirkte, kann dieser Anspruch nur als erfüllt angesehen werden. Sein Werk umfasst liturgie- und kulturhistorische Studien u. a. zur Geschichte der Beichte, Krankensalbung, Sexualethik, aber auch zum Judentum im Mittelalter. Den Schwerpunkt seiner Forschungen stellt jedoch unzweifelhaft die Eucharistie dar, wie die zahlreichen, verstreut erschienenen Studien zeigen. Dreißig von ihnen stellten Hubertus Lutterbach und Thomas Flammer bereits im Jahr 2003, vereint in einem Sammelband, einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung. Dass 2019 nun die 7. Auflage erschienen ist, spiegelt die große Resonanz wider, auf die B.s Forschungen gestoßen sind. Entsprechend wird er im knappen, neu ergänzten Vorwort zu den »wichtigsten Liturgiewissenschaftler[n] des 20. Jahrhunderts« (III) gerechnet. Ansonsten ist der Sammelband unverändert nachgedruckt worden, inklusive der für die Erstauflage verfassten biographischen und forschungsgeschichtlichen Skizze (1–12) sowie der Bibliographie B.s (13–15). Vielleicht hätte in der erneuten Auflage auch die Chance gelegen, hier zusätzlich einen Abschnitt zur seit 2003 erfolgten Rezeption B.s in der Forschung zu ergänzen und den Lesern so eine aktualisierte Orientierung zu bieten.
Die von den Herausgebern ausgewählten Studien sind ur­sprünglich zwischen 1921 und 1938 publiziert worden und werden im Sammelband fünf verschiedenen Kategorien zugeordnet: 1. Die Eucharistie als Wegbegleiter zwischen Geburt und Tod, 2. Die Wundertätigkeit der Eucharistie, 3. Die Eucharistie zu Heiligen Zeiten und an Heiligen Orten, 4. Vom fehlerhaften Umgang mit dem Heiligen, 5. Verehrung, Aufbewahrung und Ersatz der Eucharistie.
Allein durch diese Aufzählung ist angedeutet, dass die Studien B.s ein breites, äußerst facettenreiches Panorama bieten, das nicht nur liturgisches Wissen vermittelt, sondern auch tief mit hineinnimmt in die mittelalterliche Frömmigkeit und ihre geschichtliche Veränderung. Thematisiert werden ebenso »außergewöhnliche Fälle« (19) des Kommunionsempfangs, z. B. bei der Gelübdeablegung, beim Ritterschlag, bei der Krönung, vor der Schlacht, vor dem Ordal und dem Duell oder auf der Pilgerschaft sowie bei zum Tode Verurteilten. Breit wird zudem informiert über die Vorschrift der »Nüchternheit«, die »Kommunionspflicht«, die immer mehr zurückgedrängte »Kinderkommunion«, die »Elevation« der Hostie und vieles mehr. Dabei gerät ebenso Amtstheologisches wie die Rolle von Diakonen und Laien – Männern wie Frauen – in den Blick (116–124). Die damit angedeutete gender-Perspektive leuchtet auch an anderen Stellen immer wieder auf, z. B. bei den Ausführungen zum »eucharistischen Speisewunder«, das – mit Ausnahme von Nikolaus von Flüe – nur unverheirateten Frauen zuteilwurde (213). Hinzu kommen hilfreiche Übersichten, z. B. zu Orten, an denen »eucharistische Verwandlungswunder« lokalisiert waren (268–274) oder an denen vorgebliche »Hostienschändungen« durch Juden stattgefunden haben sollen (364–366).
Durchgehend basieren die Studien auf einer stupenden Quellenkenntnis. Oftmals werden auch theologische Debatten mitberücksichtigt. Zwar liegt der Fokus dezidiert auf dem Mittelalter, dennoch wird immer wieder ein Bogen bis zum Beginn des 20. Jh.s gespannt. Implizit waren die Publikationen insofern zugleich Beiträge zu damals aktuellen Diskussionen, jedoch – hier kommt nun eine notwendige Einschränkung – immer strikt innerkatholisch: Bei B.s Ausführungen zu den späteren Jahrhunderten bleibt der Protestantismus außen vor. Die interdisziplinäre Offenheit des Jesuiten korrespondiert nicht mit einer interkonfessionellen bzw. interkonfessionskulturellen. Symptomatisch dafür stehen mag die einzige explizite Erwähnung Luthers. Dieser wird als Zeuge dafür angeführt, dass auch der Protestantismus die mittelalterlichen Reinigungsvorschriften nach liturgischen Versehen bzw. Fehlern, hier beim Verschütten des Kelches, beachtet hätte (359). Der als Beleg genannte vorgebliche »Brief Luthers« ist in Wirklichkeit eine vom Erfurter Magister Johann Hachenburg erzählte »Geschichte« im Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit den »newen Zwinglianern« im Jahr 1557 – doch diese protestantischen Debatten liegen gänzlich außerhalb des Erkenntnisinteresses von B. Ähnlich aufhorchen lassen dezidierte Wertungen: Beim wiederholt als wichtigen Impulsgeber für weitere Entwicklungen angeführten Abendmahlsstreit des 11. Jh.s wird Berengars Position sehr deutlich als »Ketzerei« verstanden (z. B. 468.475.497). Auch ansonsten finden sich gleichsam en passant klare katholisch-dogmatische Positionierungen, z. B. wenn von »schismatischen Griechen« (169) gesprochen wird.
Diese Anfragen sollen nicht den Eindruck erwecken, dass pro-testantische Theologen bzw. Kirchenhistoriker diesem Werk nicht interessante und wichtige Anregungen bzw. Einblicke entnehmen können, insbesondere mit Blick auf das Früh- und Hochmittelalter. Hier besticht das Werk geradezu: Vertraute Aspekte werden in einen breiteren volkskundlichen und kulturgeschichtlichen Rahmen gestellt, immer wieder dürfte durch die Lektüre auch der eigene (protestantisch-)theologische Blick auf die mittelalterliche Eucharistietheologie und -frömmigkeit eine ergänzend-korrigierende Weitung erfahren. Zu betonen sind insbesondere die reichen Quellenzitate, die das Werk zu einer wahren »Fundgrube« machen. Hilfreich für die Nutzung des Sammelbandes als informatives Nachschlagewerk ist zudem das von den Herausgebern erstellte ausführliche Sachregister, ergänzt durch ein Personenregister, dem auch Synoden zugerechnet werden. Angesichts des Alters der Studien ist das abschließende »cave« letztlich selbstverständlich: Der Rekurs auf B.s Studien ist immer auch zu flankieren durch die Heranziehung aktuellerer Werke, z. B. Angenendts Geschichte der Religiosität im Mittelalter, in der B. breit rezipiert wird, oder neuerdings auch Leppins Studie Repräsentation und Reenactment: Spätmittelalterliche Frömmigkeit verstehen, die gänzlich ohne Bezug auf B. auskommt. In dieser Spannung ist auch der siebten Auflage eine breite Rezeption zu wünschen.